TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/28 W204 2196514-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2019
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Entscheidungsdatum

28.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W204 2196514-1/13E

W204 2196508-1/12E

W204 2196499-1/10E

W204 2196510-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zl. 15-1095234405/151797341, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zl. 15-1095234503/151797384, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zl. 15-1082374600/151081141, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zl. 15-1082375009/151081184, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Dritt- (im Folgenden: BF3) und der Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: BF4) reisten in das Bundesgebiet ein und stellten am 13.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am darauffolgenden Tag wurden beide durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Nach den Fluchtgründen befragt, führten beide übereinstimmend aus, dass sie im Kindesalter mit ihrer Familie in den Iran gereist seien, wo sie illegal gelebt hätten und keiner Arbeit nachgehen hätten dürfen. Sie hätten Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden.

I.3. Der Erst- (im Folgenden: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), die Eltern des BF3 und des BF4, stellten nach Einreise in das Bundesgebiet am 16.11.2015 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.4. Dazu wurden sie am 18.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach den Fluchtgründen führten der BF1 und die BF2 aus, es sei zu Familienstreitigkeiten aufgrund der Erbschaft gekommen, wobei der Bruder des BF1 ums Leben gekommen sei.

I.5. In einem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 19.11.2015 wurde auf Grundlage einer am 03.11.2015 durchgeführten multifaktoriellen Untersuchung zur Altersdiagnose festgehalten, dass der BF3 zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ein Mindestalter von 17,28 Jahren aufgewiesen habe.

I.6. Am 29.01.2018 wurden der BF1 und die BF2 von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des BFA in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Die BF wurden dabei unter anderem zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Identität, ihren Lebensumständen in Afghanistan, ihren Familienangehörigen und ihren Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die die BF bewogen, ihre Heimat zu verlassen, gab der BF1 an, er habe nach dem Tod seines Vaters bei Fremden gewohnt. Als er geheiratet habe, habe er seinen Onkel nach seinem Anteil an seinem Erbe an den landwirtschaftlichen Grundstücken gefragt, woraufhin ihm dieser ein kleines Zimmer gegeben habe. Er habe dann noch zweimal nachgefragt, sei von seinem Onkel jedoch stets vertröstet worden. Danach habe sein Onkel seine Frau vergewaltigt, woraufhin es zum Streit zwischen dem BF1 und seinem Onkel gekommen sei. Im Zuge dieses Streits sei er von seinem Onkel unter anderem auf die Ohren geschlagen worden, weswegen er noch heute Hörgeräte tragen müsse. Auch seine Bauchnetzhaut sei dabei gerissen. Nach diesem Streit sei die gesamte Familie innerhalb der Provinz umgezogen. Dort hätten ihm mehrere Männer aufgelauert, der BF1 habe jedoch flüchten können. Ebenso sei versucht worden, in sein Haus einzubrechen, was die BF2 jedoch bemerkt habe. Nachdem auch die Nachbarn gekommen seien, seien die Einbrecher geflüchtet. In weiterer Folge habe der BF1 einen Brief gefunden, in dem er beschuldigt worden sei, ein Spion der Taliban zu sein. Auch ein Bekannter von ihm habe einen derartigen Brief gefunden und ihm geraten, das Land zu verlassen, was er mit seiner Familie auch getan habe.

Die BF2 gab befragt nach den Gründen, die sie bewogen hätten, die Heimat zu verlassen, an, ihr Mann habe mit seinem Onkel wegen der Erbschaft gestritten. Eines Tages sei der Bruder des BF1 verschwunden. Einige Zeit später sei der Onkel des BF1 in das Zimmer der BF2 gekommen, nachdem ihr Mann zum Bazar gegangen sei und habe sie und ihre Kinder geschlagen und aus dem Zimmer geworfen. Auf Vorhalt der Aussage ihres Mannes gab die BF2 an, dass sie auch vergewaltigt worden sei. Nachdem sie ihrem Mann davon erzählt habe, sei es zum Streit zwischen ihrem Mann und dessen Onkel gekommen. Danach habe sie ihr Onkel aus dem Haus geworfen. Sie seien dann innerhalb der Provinz umgezogen, wo die BF2 gesehen habe, wie drei bewaffnete Männer beim Gartentor gewesen seien. Sie habe geschrien und die Nachbarn seien gekommen, woraufhin die unbekannten Männer geflüchtet seien. Danach sei ihr Mann in einem Brief der Spionage für die Taliban beschuldigt worden, woraufhin die BF2 mit ihrer Familie ausgereist sei.

Als Beilage zu den Niederschriften wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen und medizinischen Befunden genommen.

I.7. Am 21.02.2018 wurde der BF3 von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des BFA in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der BF3 wurde dabei unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, in Afghanistan habe es familiäre Konflikte wegen des Erbes seines Großvaters gegeben. Im Iran habe er keine Schule besuchen und nicht arbeiten dürfen, da sein Aufenthalt illegal gewesen sei. Er habe Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan gehabt.

Als Beilage zur Niederschrift wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen genommen.

I.8. Am 26.03.2018 wurde der BF4 von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des BFA in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und seiner gesetzlichen Vertretung niederschriftlich einvernommen. Der BF4 wurde dabei unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, seine Familie habe Afghanistan aufgrund familiärer Streitigkeiten verlassen. Zu diesem Zeitpunkt sei der BF noch ein Baby gewesen. Im Iran sei er illegal aufhältig gewesen und er habe Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan gehabt.

Als Beilage zur Niederschrift wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen genommen.

I.9. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 20.04.2018, den BF am 26.04.2018 zugestellt, wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF nicht erteilt (Spruchpunkte III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkte IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkte V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte VI.).

Begründend führte die Behörde aus, die BF hätten keine persönliche Bedrohung oder Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass ihnen der Status eines Asylberechtigen nicht zuerkannt werden könne. Zu Spruchpunkt II. führte die Behörde aus, dass den BF eine Rückkehr in die Heimatprovinz der Familie oder auch nach Kabul möglich und zumutbar sei. Nach Durchführung einer Interessensabwägung kam das BFA zum Schluss, dass die öffentlichen die privaten Interessen überwiegen und erließ eine Rückkehrentscheidung.

I.10. Mit Verfahrensanordnungen vom 23.04.2018 wurde den BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.11. Gegen diese Bescheide erhoben die BF am 17.05.2018 in vollem Umfang Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde beantragt, den BF den Status der Asylberechtigten zuzuerkennen; in eventu ihnen den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und den BF Aufenthaltstitel zu erteilen seien, in eventu die Bescheide zu beheben und zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde auf das Wesentlichste zusammengefasst ausgeführt, das BFA habe unvollständige Länderfeststellungen getroffen. Den BF sei zudem zu Unrecht die Glaubhaftigkeit abgesprochen worden, das BFA hätte vielmehr feststellen müssen, dass die BF in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung unterliegen. Auch aufgrund des Umstands, dass es sich bei den BF um schiitische Hazara handle, die lange Zeit im Iran gelebt hätten, würden sie bei einer Rückkehr verfolgt werden. Unabhängig von der Glaubhaftigkeit der Angaben der BF sei diesen jedoch aufgrund der Sicherheits- und Versorgungslage in ganz Afghanistan subsidiärer Schutz zu gewähren.

I.12. Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2018 vorgelegt.

I.13. Am 30.11.2018 wurden für den BF1 und die BF2 Integrationsunterlagen vorgelegt.

I.14. Am 18.01.2019 übermittelte das BFA einen Abschlussbericht, wonach der BF4 der Sachbeschädigung verdächtig sei.

I.15. Am 04.02.2019 übermittelte das BFA einen Bescheid den BF4 betreffend, wonach dieser sein Recht zum Aufenthalt ab dem 23.01.2019 verloren habe.

I.16. Am 15.02.2019 übermittelte das BFA eine Meldung, wonach der BF bei einem Vergehen nach § 27 Abs. 1 SMG auf frischer Tat betreten worden sei. Mit Schreiben vom 20.03.2019 teilte die Staatsanwaltschaft XXXX mit, dass von der Verfolgung vorläufig zurückgetreten werde.

I.17. Mit Schreiben vom 03.04.2019 teilte das Bezirksgericht XXXX mit, dass das gegen den BF4 geführte Strafverfahren wegen des Verdachts der Sachbeschädigung nach einer Diversion vorläufig eingestellt worden sei.

I.18. Am 23.04.2019 wurden weitere Integrationsunterlagen und medizinische Befunde vorgelegt.

I.19. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.04.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die BF sowie die im Spruch genannte Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete bereits mit der Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden die BF1 bis BF4 im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari unter anderem zu ihrer Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu ihrem Gesundheitszustand, ihren Familienangehörigen, ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

I.20. Am 26.04.2019 langte eine Stellungnahme der BF ein, in der eingangs ausgeführt wurde, die BF hätten sowohl vor dem BFA als auch dem BVwG gleichlautende Angaben hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gemacht, sodass diese glaubhaft erschienen. Weiters wurde vorgebracht, aus dem Länderinformationsblatt sowie anderen vorgelegten Berichten ergebe sich, dass den BF unabhängig davon eine Rückkehr nicht zumutbar sei, weil sich die Versorgungslage als schlecht darstelle.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

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Einsicht in den die BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-

Befragung der BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.04.2019;

-

Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die von den BF vorgelegten Unterlagen;

-

Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zu den BF und ihren Fluchtgründen:

Die BF sind Staatsangehörige Afghanistans, gehören der Volksgruppe der Hazara / Sadat an und sind schiitischen Bekenntnisses. Ihre Muttersprache ist Dari. Die Identität steht nicht fest.

Der BF1 und die BF2 sind verheiratet, der BF3 und der BF4 sind deren zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Kinder. Im Bundesgebiet befinden sich weiters zwei volljährige Töchter und ein volljähriger Sohn des BF1 und der BF2. Die Familie lebt im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt. Die Familie lebt von der staatlichen Grundversorgung, die Familienmitglieder sind nicht voneinander finanziell abhängig.

Die Anträge auf internationalen Schutz der nicht im Familienverfahren geführten Familienmitglieder stützen sich auf dieselben Fluchtgründe wie jene der BF und wurden vom BFA ebenfalls vollinhaltlich abgewiesen sowie Rückkehrentscheidungen erlassen. Die dagegen erhobenen Beschwerden sind derzeit beim Bundesverwaltungsgericht zu den Geschäftszahlen W276 2196507-1, W202 2196518-1 und W230 2196504-1 anhängig.

Der BF1 stammt aus dem Ort XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Balkh. Er besuchte keine Schule und ist Analphabet. Sein Vater starb, als der BF1 zehn Jahre alt war. Danach lebte der BF1 bei seinem Onkel väterlicherseits und arbeitete in der Landwirtschaft. Der BF1 war in Afghanistan zudem als Abwäger am Bazar tätig.

Die BF2 stammt aus XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Balkh, wo sie bis zur Hochzeit in ihrem Elternhaus wohnte. Nach der Hochzeit lebte sie gemeinsam mit ihrem Mann in XXXX beim Onkel des BF1, der wiederum mit einer Verwandten der BF2 verheiratet ist, in einer eigenen Wohneinheit. Die BF2 besuchte keine Schule und ist Analphabetin. In Afghanistan übte sie keine Erwerbstätigkeiten aus. Die BF2 war Hausfrau.

Der BF3 und der BF4 wurden im Distrikt XXXX in der Provinz Balkh geboren.

Etwa im Jahr 2002 zog die gesamte Familie von Afghanistan in den Iran. Dort war der BF1 als Bauarbeiter tätig. Die BF2 webte neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau Gilims. Der BF3 besuchte im Iran vier Jahre eine Schule für afghanische Flüchtlinge und arbeitete auf Baustellen. Der BF4 besuchte im Iran die Schule für fünf Jahre und arbeitete als Bauarbeiter und Motorradmechaniker. Der BF3 und der BF4 können Dari schreiben und lesen.

Ein Halbbruder des BF1 lebt im Iran, drei Halbschwestern leben in Europa und zwei Halbschwestern in Afghanistan. Eine Schwester der BF2 lebt in Afghanistan in Kandahar, ein Bruder im Iran. Eine Schwester des BF3 und des BF4 verlobte sich im Iran mit einem Sohn einer der Schwestern des BF1. Die Verlobung wurde in Österreich aufgelöst. Die BF haben Kontakt zu ihren Familienmitgliedern.

Die BF waren in Afghanistan weder einer Verfolgung durch Familienangehörige aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten noch sonstiger Übergriffe durch diese ausgesetzt und es droht ihnen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit. Der BF1 wurde nicht mit Brief der Spionage für die Taliban verdächtigt. Es kann nicht festgestellt werden, wodurch die Verletzungen des BF1 entstanden sind.

Den BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Die BF2 trägt auch in Österreich ein Kopftuch und ist traditionell gekleidet. In Österreich erledigt sie die Hausarbeiten. Sie hat keine österreichischen Freunde und verbringt ihre Zeit mit ihrer Familie. Sie besuchte einen Alphabetisierungskurs. Die BF2 ist nicht alphabetisiert und verfügt über geringste Deutschkenntnisse. Die BF2 hat während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle der Rückkehr in ihren Heimatort oder in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF1 leidet an einer Hepatitis Delta, HBV-DANN 2300 IU/ml, HDV RNA positiv, einer Leberfibrose, einer Immunität gegen Hepatitis A und einer Fettleber. Er steht deswegen in medikamentöser Behandlung. Zudem hat er eine an Taubheit grenzende kombinierte Schwerhörigkeit links bei ausgedehnter alter Trommelfellperforation und einer Myringosklerose rechts und ein Cholesteatom links mit subtotaler epitympanaler TF-Perforation bei chronischer Otits media links. Deswegen wurde der BF1 in Österreich operiert und trägt Hörgeräte. Der BF1 ist beschränkt arbeitsfähig.

Die BF2 leidet an einem parathyreopriver Hypoparathyreoidismus, einem Zustand nach mehrmaligen schweren Hypokalzämien nach Absetzen der Therapie, einer Prädiabetes und einem Zustand nach Schilddrüsen-OP sowie einer arteriellen Hypertonie. Dagegen nimmt die BF2 Eisen- und Kalziumtabletten und weiters Amlodipin Genericon 5mg, Eutyrox 88?g und Rocaltrol 0,5?g. Die BF2 ist beschränkt arbeitsfähig.

Der BF3 und der BF4 sind gesund und arbeitsfähig.

Die BF sind strafrechtlich unbescholten. Ein gegen den BF4 geführtes Strafverfahren wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB wurde vom zuständigen Bezirksgericht unter Setzung einer Probezeit im Wege einer Diversion nach §§ 198, 199, 203 StPO jedoch nur vorläufig eingestellt. Von der Verfolgung des BF4 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 SMG ist die Staatsanwaltschaft nach § 35 SMG ebenfalls nur vorläufig zurückgetreten.

Der BF1 hat einen Alphabetisierungskurs besucht. Er ist wie die BF2 jedoch nicht alphabetisiert und verfügt ebenfalls nur über geringste Deutschkenntnisse. Mangels Sprachkenntnissen haben der BF1 und die BF2 kaum Kontakt zu österreichischen Staatsbürgern.

Der BF3 hat mehrere Deutschkurse besucht und beherrscht Deutsch zwischen dem Niveau A2 und B1. In den Schuljahren 2016/17 und 2017/18 besuchte der BF3 die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Am 21.09.2016 nahm der BF3 am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teil. Der BF3 hat bei einem Umbau einer Almhütte 71 Stunden gemeinnützig gearbeitet. In seiner Unterkunft arbeitete der BF3 als Koch. Von August 2017 bis Oktober 2017, von März 2018 bis Juni 2018 und ab März 2019 beschäftigte sich der BF3 in seiner Wohngemeinde ehrenamtlich. Seit September 2017 ist er im Haus XXXX bis zu 80 Stunden pro Monat gemeinnützig beschäftigt; von September 2017 bis Oktober 2018 war er in der Kinderbetreuungseinrichtung XXXX mit etwa 50 Stunden pro Monat beschäftigt. Zu seinem Freundeskreis zählen Österreicher und Afghanen, mit denen er unter anderem Basketball spielt.

Der BF4 besuchte mehrere Deutschkurse und beherrscht Deutsch im Niveau zwischen A1 und A2. Im Schuljahr 2015/16 besuchte der BF4 die Neue Mittelschule XXXX . In den Schuljahren 2016/17 und 2017/18 besuchte er die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Am 22.09.2017 besuchte er den Werte- und Orientierungskurs des ÖIF. Zu seinem Freundeskreis zählen Österreicher und Afghanen.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

KI vom 26.03.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (Abschnitt 1; relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft)

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnenen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US- Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

Quellen:

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AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6- year-festival-190321064823472.html. Zugriff 26.3.2019

-

AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html. Zugriff 26.3.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (25.3.2019):

Briefing Notes Afghanistan, liegen im Archiv der Staatendokumentation auf

-

IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods,

https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods

-

NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talks-afghanistan.html. Zugriff 26.3.2019

-

Qantara (12.02.2019): Any deal will do, https://en.qantara.de/print/34493, Zugriff 26.3.2019

-

Reuters (21.3.2019): Explosions in Afghan capital Kabul kills six during new year festival,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attack/explosions-in-afghancapital-kabul-kill-6-during-new-year-festival-idUSKCN1R20GL. Zugriff 26.3.2019

-

Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources,

https://www.reuters.com/article/us-usa-afghanistan/us-freezes-out-top-afghan-official-in-peace-talks-feud-sources-idUSKCN1 QZ2OU. Zugriff 26.3.2019

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Taz - Die Tagezeitung (6.2.2019): Auch Moskau spielt die Taliban-Karte,

https://www.taz.de/Gespraeche-zwischen-Taliban-und-Russland/i5568633/. Zugriff 26.3.2019

-

TDP - The Defense Post (21.3.2019): Bomb blasts around Afghanistan capital kill 6 during Nowruz celebrations, https://thedefensepost.com/2019/03/21/afghanistankabul-bombings-nowruz/, Zugriff 26.3.2019

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UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (19.3.2019): Afghanistan: Flash Floods, Update No. 7 (as of 19 March 2019),

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/afg_flash_floods_update_7_19_mar_2019_web.pdf, Zugriff 26.3.2019

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VoA - Voice of America (20.3.2019): Afghanistan Again Postpones Presidential Election,

https://www.voanews.com/a/afghanistan-again-postpones-presidentialelection/4840141.html, Zugriff 26.3.2019

- WP - The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out

of U.S.- Taliban peace talks, running short on options,

https://www.washingtonpost.com/world/afghan-government-shut-out-of-us-taliban-peace-talks-running-short-on-options/2019/03/18/92cd6128-497d-11

e9-8cfc- 2c5d0999c21e story.html?noredirect=on&utm

term=.ffa121b12dbc, Zugriff 26.3.2019

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

Quellen:

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BFA Staatendokumentation (20.02.2019a): kartografische Darstellung der sicherheitsrelevanten Vorfälle Jänner-Dezember 2018, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

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BFA Staatendokumentation (20.02.2019b): grafische Darstellung der

sicherheitsrelevanten Vorfälle Q1 bis Q4, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

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SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.1.2019): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2019-01-30qr.pdf. Zugriff 20.2.2019

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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.2.2019): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual report 2018,

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_annual_report_2018_final_24_feb_2019_v3.pdf.

Zugriff 25.2.2019

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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (11.2018): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Special report: 2018 elections violence, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/special_report_on_2018_elections_violence_november_2018.pdf. Zugriff 20.2.2019

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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.10.2018): Quarterly report on the protection of civilians in armed conflict: 1 January to 30 September 2018, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_3rd_quarter_report_2018_10_oct.pdf.

Zugriff 20.2.2019

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UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (7.12.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, Report of the Secretary General, https://undocs.org/S/2018/1092. Zugriff 20.2.2019

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.- Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmal

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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