Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** A*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloyer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 53.526,48 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2018, GZ 4 R 154/18f-40, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30. August 2018, GZ 6 Cg 97/16z-34, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.244,24 EUR (darin enthalten 374,04 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger machte sich ab März 2007 mit einer Fahrradrikscha selbständig, wobei ihm aus dieser Tätigkeit, die auch mit Werbemaßnahmen verbunden war, monatlich etwa 2.000 EUR verblieben.
Er schloss im August 2007 mit der Beklagten, beginnend mit 1. 8. 2007, einen sogenannten „Risk-Control“ Ablebensversicherungvertrag, verbunden mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung laufend bis 1. 8. 2020 ab. Die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Stand 06/2007) die dem Vertragsverhältnis zugrunde liegen, lauten auszugsweise:
„[…]
2.1 Wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall voraussichtlich mindestens 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, ihre zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit (so wie sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war) auszuüben, so liegt eine Berufsunfähigkeit vor, die eine Leistungspflicht im Sinn dieser Bedingungen auslöst. Die Krankheit, die Körperverletzung oder der Kräfteverfall sind ärztlich nachzuweisen. Wenn die versicherte Person während der Berufsunfähigkeit eine andere seiner Ausbildung und Erfahrung sowie ihrer bisherigen Lebensstellung entsprechende berufliche Tätigkeit ausübt, so liegt keine Leistungspflicht im Sinne dieser Bedingungen vor. Eine berufliche Tätigkeit entspricht nicht der bisherigen Lebensstellung, wenn sie deutlich geringere Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch hinsichtlich Vergütung und Wertschätzung spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt. Bei einem geringeren Grad der Berufsunfähigkeit als 50 % besteht kein Anspruch auf eine Versicherungsleistung.
2.2 Für Selbständige/Betriebsinhaber oder diesen Personen hinsichtlich ihrer Direktionsbefugnisse in einem Betrieb gleich gestellte Arbeitnehmer ist für die Anerkennung der Berufsunfähigkeit zusätzlich zu 2.1 Voraussetzung, dass auch nach einer wirtschaftlich angemessenen und zumutbaren Umorganisation des Arbeitsplatzes keine Betätigungsmöglichkeit mehr verbleibt, die ihrer Ausbildung, Erfahrung oder ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.
2.3 Ist der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall, die ärztlich nachzuweisen sind, zu zumindestens 50 % außerstande gewesen, seinen Beruf auszuüben, so gilt die Fortdauer dieses Zustands als Berufsunfähigkeit, die Leistungspflicht im Sinne dieser Bedingungen auslöst, es sei denn, er übt eine andere seiner Ausbildung und Erfahrung und seiner bisherigen Lebensstellung entsprechende berufliche Tätigkeit aus. 2.2 gilt entsprechend.
2.4 Scheidet der Versicherte aus dem Berufsleben aus und werden später Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beantragt, so kommt es bei der Anwendung von 2.1 und 2.3 darauf an, dass der Versicherte außerstande ist, eine Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.
[…]
3.2 Wir leisten jedoch nicht, wenn die Berufsunfähigkeit verursacht ist:
[…]
c) durch absichtliche Herbeiführung von Krankheit oder Kräfteverfall, absichtliche Selbstverletzung oder versuchte Selbsttötung. Wenn uns jedoch nachgewiesen wird, dass diese Handlungen in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden sind, werden wir leisten.“
Im Herbst 2007 kam es beim Kläger zu einem depressiven Einbruch mit gedrückter, ängstlicher Grundstimmung, Antriebsverarmung und Rückzugstendenzen. Ab 1. 1. 2008 war der Kläger zu einer nennenswerten beruflichen Leistung nicht mehr imstande. In der Folge erbrachte die Beklagte dem Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 29. 9. 2015 mit, dass die Voraussetzungen für eine Leistungszusage nicht mehr gegeben seien und stellte die Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung per 31. 10. 2015 ein.
Der Kläger leidet auch derzeit an einer rezidivierenden depressiven Stimmung und Migräne, sodass er auch weiterhin voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen zu zumindest 50 % außerstande sein wird, die Tätigkeit als Fahrradrikscha-Fahrer und -Betreiber auszuüben. Würde er eine pharmakologische Therapie mit Antidepressiva machen, wäre er innerhalb eines Jahres in der Lage, dieser Tätigkeit zumindest zu 50 % wieder nachzugehen. Es müsste dabei erprobt werden, welches aus einer Fülle von möglichen Antidepressiva beim Kläger Wirkung entfaltet. Unterzieht sich der Kläger keiner derartigen Therapie wird er bis 1. 8. 2020 außerstande sein, zumindest zu 50 % seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nachzugehen.
Der Kläger begehrt die Zahlung von 53.524,53 EUR sA (monatliche Rentenzahlungen für den Zeitraum 1. 10. 2015 bis 1. 6. 2018 [32 Monate á 1.621,44 EUR] und 783,59 EUR aus der Rückforderung bereits geleisteter [anteiliger] Jahresprämie für den Zeitraum 2015/2016 sowie die Feststellung, dass a) die Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung der Leistung aus der mit dem Kläger abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung auch ab 1. 10. 2016 bis auf weiteres, längstens jedoch bis 1. 8. 2020, aufrecht bestehe und b) der Kläger von der Beitragspflicht zur Prämienleistung aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab 1. 9. 2017 bis auf weiteres, längstens jedoch bis 1. 8. 2020 befreit sei. Die Voraussetzungen für die Leistung der Berufsunfähigkeitsrente seien nach dem 31. 10. 2015 nach wie vor gegeben.
Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Der Kläger sei seit 1. 11. 2015 nicht mehr berufsunfähig im Sinne der Bedingungen. Er hätte durch eine medizinisch indizierte
– von ihm aber verweigerte – psychopharmazeutische Behandlung seit dem Auftreten seiner Erkrankung im Jahr 2007 bis Oktober 2015 Heilung erreichen können. Der Versicherungsfall werde von ihm daher vorsätzlich
– jedenfalls aber grob schuldhaft – herbeigeführt bzw aufrechterhalten, zumal ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bereits aus eigenem Maßnahmen ergreifen würde, um eine Heilung bzw Besserung zu erreichen. Dieses Verhalten widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben und sei sittenwidrig, es widerstreite Art 3.2c der Bedingungen und bewirke Leistungsfreiheit der Beklagten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger sei zwar im Sinn der Bedingungen – weiterhin – berufsunfähig, dies aber nur deshalb, weil er sich offenbar weigere, eine entsprechende – psychiatrisch psychopharmakologische – Therapie zu absolvieren, die ihn nach etwa einem Jahr in die Lage versetzen würde, mindestens 50 % seiner letzten beruflichen Tätigkeit wieder auszuüben. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger von seinem behandelnden Arzt eine derartige Therapie auch empfohlen worden sei. Der Kläger sei daher im Sinn einer diesbezüglichen Schadensminderungspflicht gehalten, sich einer solchen Therapie zu unterziehen, ohne dass ihm Unbilliges zugemutet werde, zumal ein vernünftiger Mensch in derselben Lage ohne Versicherungsschutz und unter Abwägung aller Umstände sich dazu entschließen würde, die entsprechende Leistungsfähigkeit wiederzuerlangen.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein Teilurteil dahingehend ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von 53.524,48 EUR sA verpflichtete und feststellte, dass der Kläger von der Beitragspflicht zur Prämienleistung aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab 1. 9. 2017 bis auf weiteres, längstens jedoch bis 1. 8. 2020, befreit sei. Im Umfang des Begehrens auf Feststellung, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung der Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bis auf weiteres, längstens jedoch bis 1. 8. 2020, aufrecht bestehe, hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Die Aufrechterhaltung der Berufsunfähigkeit mangels Inanspruchnahme entsprechender ärztlicher Behandlung falle nicht unter den Ausschlussgrund des Art 3.2c der Bedingungen, zumal die Beklagte auch ein absichtliches Vorgehen des Klägers nicht bewiesen habe. Eine analoge Anwendung des § 183 VersVG, der für die Unfallversicherung gelte, komme auf die Berufsunfähigkeitsversicherung zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht in Betracht. Leistungsfreiheit der Beklagten infolge Schadensminderungspflichtverletzung durch den Kläger sei nicht gegeben. Rechtliches Interesse sei hinsichtlich des Feststellungsbegehrens gegeben, dass der Kläger bis auf weiteres, längstens jedoch bis 1. 8. 2020 von der Beitragspflicht zur Prämienleistung befreit sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision gegen das Teilurteil zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage einer allfälligen analogen Anwendung des § 183 VersVG (Unfallversicherung), insbesondere im Zusammenhang mit einer ärztlichen Heilbehandlung, in der Berufsunfähigkeitsversicherung vorliege.
Gegen dieses Teilurteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Gegen die Verneinung des von der Beklagten behaupteten Vorliegens des Ausschlussgrundes des Art 3.2c der Bedingungen wendet sich die Revision nicht. Zu prüfen bleibt, ob in der Berufsunfähigkeitsversicherung eine Schadensminderungsobliegenheit des Versicherungsnehmers zur Herstellung seiner Arbeitsfähigkeit durch medizinische Behandlungen besteht.
1.1 Nach dem für die Unfallversicherung geltenden § 183 VersVG hat der Versicherungsnehmer für die Abwendung und Minderung der Folgen des Unfalls nach Möglichkeit zu sorgen und dabei die Weisungen des Versicherers zu befolgen, soweit ihm nicht etwas Unbilliges zugemutet wird.
1.2 Nach dieser Bestimmung trifft den Versicherungsnehmer eine Obliegenheit zur Abwendung und Minderung der Folgen des Unfalls und zur Befolgung der Weisungen des Versicherers, ähnlich wie nach § 62 Abs 1 VersVG, aber nur so weit als den Versicherungsnehmer nicht etwas Unbilliges zugemutet wird. § 183 VersVG ist zugunsten des Versicherungsnehmers zwingend (Perner in Fenyves/Schauer Versicherungsvertragsgesetz § 183 Rz 13).
1.3 Die private Unfallversicherung im Sinn der §§ 179 ff VersVG dient der Abdeckung bestimmter Folgen eines Unfalls, insbesondere auch der einer eingetretenen dauernden Invalidität. Es handelt sich um eine Summenversicherung, weil die Leistung unabhängig vom Nachweis eines konkreten Vermögensschadens in voller Höhe gebührt. Trotzdem dient die Invaliditätsentschädigung zumindest der pauschalen Abdeckung eines typischen Einkommensausfalls, aber eben nicht dem Ausgleich des konkreten Mehraufwands (RS0118777).
1.4 Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist ebenfalls eine Summenversicherung, die Versicherungsleistung erfolgt also unabhängig vom Nachweis eines Schadens, insbesondere einer Einkommenseinbuße. Versicherte Gefahr in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der vorzeitige Rückgang oder Verlust der beruflichen Leistungsfähigkeit (RS0112258). Ihr Zweck ist es, einen sozialen Abstieg des Versicherten im Arbeitsleben und in der Gesellschaft, das heißt im sozialen Umfeld zu verhindern. Der Versicherungsfall ist gegeben, wenn Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall kausal für den Rückgang der beruflichen Leistungsfähigkeit sind (RS0111998).
1.5 Die Berufsunfähigkeitsversicherung hat Berührungspunkte sowohl zur Lebens- als auch zur Unfallversicherung. Das Risiko der Arbeitsunfähigkeit wird in gewissem Umfang sowohl durch die Unfall- aber auch durch die Berufsunfähigkeitsversicherung abgedeckt (7 Ob 128/14w).
1.6 Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist gesetzlich nicht geregelt. Die Anwendung des § 183 VersVG könnte daher nur analog erfolgen. Ein bloß rechtspolitisches Bedürfnis nach einer Regelung rechtfertigt keine Analogie (RS0103694, RS0008859). Die Analogie setzt vielmehr eine Gesetzeslücke voraus, das heißt, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann, jedoch von Rechts wegen einer Beurteilung bedarf. Es muss also eine „planwidrige Unvollständigkeit“, somit eine nicht gewollte Lücke, vorliegen. Eine solche Lücke im Rechtssinn (echte Lücke) ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig ist (RS0098756 [T4]). Sie ist ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsfolge bewusst nur für einen von mehreren Tatbeständen angeordnet hat (RS0025102, RS0008757, RS0008866).
Die Rechtsprechung erkennt aber auch eine „teleologische“ Lücke dann, wenn der nicht geregelte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordert (RS0008839 [T1]), zum Teil wird es auch anerkannt, wenn für eine unterschiedliche Behandlung zweier Sachverhalte „kein Grund zu finden ist“ (RS0008870, auch RS0008826).
1.7 Dieselben Argumente für eine Schadensminderungsobliegenheit in der Unfallversicherung treffen auch auf die Berufsunfähigkeitsversicherung zu. Sowohl die Unfall- als auch die Berufsunfähigkeitsversicherung sind Summenversicherungen, die der Abdeckung eines pauschalen Einkommensausfalls wegen unfalls- bzw krankheitsbedingter Minderung der Erwerbskraft dienen. In beiden Versicherungssparten hängt der Umfang der Leistungspflicht des Versicherers typischerweise von der Entwicklung des Gesundheitszustands des Versicherungsnehmers und damit oftmals von dessen Gestaltung der medizinischen Behandlung ab.
1.8 Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass wegen der gleichgelagerten Interessen wie in der Unfallversicherung bei der Berufsunfähigkeitsversicherung von einer unechten Lücke auszugehen ist, die wegen ihrer Berührungspunkte zur Unfallversicherung durch analoge Anwendung des § 183 VersVG zu füllen ist.
2.1 Die im zweiten Abschnitt über die Schadensversicherung geregelten Obliegenheiten – wie insbesondere § 62 VersVG – gelangen auf die Unfallversicherung nicht zur Anwendung. § 183 VersVG trifft daher eine eigene Regelung für die Frage der Schadensminderung und Abwehr für die Teile der Unfallversicherung, die Summenversicherung sind (Perner aaO Rz 2; Römer in Römer/Langheid Versicherungsvertragsgesetz2 § 183; Schwintowski in Honsell Berliner Kommentar § 183 Rn 1, Knappmann in Prölss/Martin, VVG27 § 183 Rn 1).
2.2 Bei § 183 VersVG handelt es sich um eine lex imperfecta. Die AUVB können diese Obliegenheit vervollständigen, indem sie die lex imperfecta zu Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls machen und anordnen, dass unter den Voraussetzungen des § 6 Abs 3 VersVG Leistungsfreiheit eintritt (Perner aaO Rz 3, vgl auch Knappmann aaO Rn 1).
2.3 Bei vertraglich vereinbarten Obliegenheiten müssen auch die Verletzungsfolgen vertraglich vereinbart sein. An der Klarheit der Vereinbarung von Verletzungsfolgen sind strengste Anforderungen zu stellen (RS0080435 [T2]).
2.4 Eine entsprechende Ausgestaltung des § 183 VersVG als Obliegenheit nach § 6 Abs 3 VersVG erfolgte hier durch die Bedingungen nicht.
3. Nun ist die Frage zu klären, welche Rechtsfolgen es hat, wenn über sie – wie hier – keine vertragliche Vereinbarung getroffen wird.
3.1 Seit Inkrafttreten des VVG-Reformgesetzes ist in Deutschland die Nichtanwendbarkeit der ohnedies nur für die Schadensversicherung geltenden §§ 82 und 83 VVG (vergleichbar mit §§ 62 ff VersVG) auch auf den Teil der Unfallversicherung angeordnet, der Summenversicherung ist, sodass es den Parteien überlassen ist, etwaige Obliegenheiten zur Verminderung der Folgen des Unfalls vertraglich zu vereinbaren (Brömmelmeyer in Schwintowski/Brömmelmeyer, PK-VersR, § 184 Rn 2, 3; Knappmann in Prölss/Martin, VVG30 § 184 Rn 1, 2).
3.2 Neben der Unfallversicherung ist nunmehr auch die Berufsunfähigkeitsversicherung (§§ 172 bis 177 VVG) gesetzlich geregelt, auch dort wird aber keine Schadensminderungsobliegenheit angeordnet.
3.2.1 Der BGH vertritt, dass gemäß § 6 VVG (aF) Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung nur eintreten könne, wenn dies vertraglich vereinbart ist. Die Anwendung des § 242 BGB (Verwirkung wegen Handelns gegen Treu und Glauben) könne ausnahmsweise dazu führen, dass der Versicherungsnehmer bei grober Verletzung tragender Obliegenheiten seinen Anspruch ganz oder teilweise verliert (vgl IV a ZR 29/86 = VersR 1987, 1182). Es könne sein, dass sich aus dem Versicherungsvertrag auch ohne ausdrückliche Abmachung gemäß §§ 157, 242 BGB eine Nebenpflicht ergebe, deren Verletzung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen jedoch nur eine Verpflichtung zum Schadenersatz begründe (BGH IV a ZR 155/86 = VersR 1988, 267).
3.2.2 Egger in Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeits-versicherung, § 10 BUV Rn 34, meint, das VVG sehe bewusst für die Berufsunfähigkeitsversicherung keine Obliegenheiten vor, der Versicherer sei daher auf die Vereinbarung vertraglicher Obliegenheiten angewiesen.
Benkel/Hirschberg, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung, § 4 BUZ 2008 Rn 37, 46, vertreten, dass Maßnahmen zur Abwendung und Minderung der Folgen des Versicherungsfalls vom Versicherungsnehmer nicht geschuldet würden, wenn die vertragliche Grundlage fehle. Dennoch treffe den Versicherungsnehmer eine allgemeine Schadensminderungspflicht analog § 62 (jetzt § 82) VVG.
Mertens in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG3 § 172, Rn 45 f meint, dass die Krankheit ursächlich für die Einschränkung im Beruf sein müsse. Der Schutzzweck der Berufsunfähigkeitsversicherung sei aber gerichtet auf schicksalhaft erlittene Gesundheitsrisiken. Schicksalhaft sei es aber nicht, wenn die Einschränkung auf dem Unwillen des Versicherten beruhe, dieser also das unterlasse, was ein anderer in gleicher Lage ohne Versicherungsschutz tun würde. Es fehle die objektive Einschränkung. Dementsprechend fehle es an der Kausalität, wenn die Leistungsfähigkeit mit Medikamenten erhalten oder verbessert werden könne, sofern diese nicht die Gesundheit einschränken, wenn Einschränkungen zB aufgrund Krankengymnastik bzw Rückenschule gemindert oder kompensiert werden können. Ebenso fehle es am kausalen Außerstandesein, wenn einfache Schutzmaßnahmen, wie zB das Tragen von Handschuhen, Schutzkleidung oder die Einhaltung von Pausen, Organisation des Arbeitstages zur Meidung von Stressoren sowie einfache Umstellungsmaßnahmen oder Hilfsmittel, wie zB ein Stehpult, zumutbar möglich seien.
Dörner in Langheid/Wandt, MüKo zum VVG2 § 172 Rn 140 vertritt, dass auch ohne Vereinbarung eine entsprechende Obliegenheit den Versicherten im Rahmen der allgemeinen, jedem Vertragsverhältnis zugrunde liegenden Rücksichtnahmepflicht nach §§ 241 Abs 2, 242 BGB eine Kooperationsobliegenheit treffe. Die Berufung auf Berufsunfähigkeit erscheine dann nach Treu und Glauben als rechtsmissbräuchlich, wenn der Versicherte durch einfache, gefahrlose, nicht mit Schmerzen verbundene, sichere Aussicht auf Erfolg bietende oder eine wesentliche Besserung versprechende medizinische Maßnahmen die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit vermeiden könnte und er sich einer solchen Behandlung auch ohne Bestehen einer Berufsunfähigkeitsversicherung unterziehen würde (so im Wesentlichen auch: Lücke in Prölss/Martin, VVG30 BuVAB § 9 Rn 6; Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrecht-Handbuch3 § 46 Rn 200, 202; ders in Langheid/Rixecker, VVG6 § 172 Rn 33, 34; Richter, Private Berufsunfähigkeitsversicherung, 294: allgemein Armbrüster in Prölss/Martin, VVG30 § 28 Rn 179; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung3 Kap K Rn 81, 83).
3.3 Zusammengefasst erachtet die überwiegende deutsche Lehre und Judikatur trotz Fehlens einer gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Schadensminderungsobliegenheit eine solche in der Berufsunfähigkeitsversicherung dennoch als gegeben. Diese wird aus der allgemeinen Schadensminderungspflicht oder aus den Grundsätzen von Treu und Glauben abgeleitet.
4. Wie ausgeführt, ist § 183 VersVG analog auf die Berufsunfähigkeitsversicherung anzuwenden. Es besteht damit eine – wenn auch inkomplette – gesetzlich festgeschriebene Obliegenheit des Versicherungsnehmers für die Abwendung und Minderung der Folgen des Versicherungsfalls nach Möglichkeit zu sorgen, wobei dem Versicherungsnehmer nichts Unbilliges zugemutet werden darf.
4.1 Zu prüfen bleibt, ob der Versicherer, der die vertragliche Ergänzung und Vervollständigung von § 183 VersVG unterlässt, indem er keine Obliegenheit zur Befolgung bestimmter, die Heilung fördernder oder die Berufsunfähigkeit mindernder ärztlicher Anordnungen und auch keine Verletzungsfolgen in sein Bedingungswerk aufnimmt, sich dennoch auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung einer Schadensminderungsobliegenheit berufen kann.
4.2.1 Vor dem Hintergrund der analogen Anwendung der bereits in das Versicherungsvertragsgesetz aufgenommenen gesetzlichen Obliegenheit ist kein Platz für einen Rückgriff auf die allgemeine Schadensminderungspflicht des § 1304 ABGB.
4.2.2 § 183 VersVG trifft – wie bereits – eine eigene mit § 62 Abs 1 VersVG vergleichbare Regelung der Schadensminderungspflicht für die Teile der Unfallversicherung, die Summenversicherung sind, ohne jedoch gleichzeitig die Rechtsfolgen des § 62 Abs 2 VersVG anzuordnen, deren Anwendung damit gleichfalls ausscheiden.
4.2.3 Die Schadensminderungspflicht beruht aber auf den Grundsätzen von Treu und Glauben (Marx, Rettungsobliegenheit und Rettungskostenersatz im Versicherungsvertragsrecht, 15 f; vgl Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, 638; Wilkens, Die Rettungspflicht, 8 f). Auch vom Obersten Gerichtshof wurde bereits betont, dass das Versicherungsvertragsverhältnis im besonderen Maß von Treu und Glauben beherrscht wird (RS0018055).
4.3 Verabsäumt aber der Versicherer – wie hier – die Ergänzung und damit die Vervollständigung der (gesetzlichen) Regelung des § 183 VersVG, dann kann das Beharren auf der Versicherungsleistung durch den Versicherungsnehmer nur in dem besonderen Ausnahmefall gegen Treu und Glauben verstoßen und rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Versicherungsnehmer in ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise, ihm objektiv und subjektiv zumutbare, aussichtsreiche, risikolose, schmerzfreie und einfache (medizinische) Maßnahmen unterlässt. Darunter fallen etwa die Verweigerung der Verwendung einfacher Hilfsmittel (wie zB Brille, Stock, Hörgerät) oder des Tragens von Schutzkleidung (Handschuhe).
Es ist notorisch, dass bei einer psychopharmakologischen Therapie mit einem Antidepressivum mit Nebenwirkungen und Missempfindungen zu rechnen ist, zumal nach den Feststellungen ein passendes erst nach Erprobung verschiedener Präparate gefunden werden kann. Es verstößt daher nicht gegen Treu und Glauben, wenn sich der Kläger bei der gegebenen Bedingungslage einer solchen Therapie nicht unterzieht.
5. Der Revision war daher nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO (RS0035972).
Textnummer
E125673European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00045.19X.0626.000Im RIS seit
29.07.2019Zuletzt aktualisiert am
25.02.2021