Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Josef Peißl, Rechtsanwalt in Köflach, gegen die beklagte Partei Dr. W*****, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Gernot Murko, Mag. Christian Bauer, Mag. Gerlinde Murko, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Unterlassung und Feststellung (Streitwert 12.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 3. August 2018, GZ 1 R 276/17h-25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wolfsberg vom 19. Juli 2017, GZ 12 C 276/17h-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Alleineigentümer der EZ 109 Katastralgemeinde ***** im Ausmaß von ca 148,5 ha. Die an den Liegenschaftsbestand des Klägers angrenzende, in derselben Katastralgemeinde gelegene EZ 299 (Alm) im Ausmaß von ca 354,5 ha steht seit dem Jahr 2001 im Eigentum des Beklagten.
Über mehrere Grundstücke des Klägers, teilweise auch über öffentlichen Grund, verläuft ein forstwirtschaftlicher Bringungsweg, der zum Almgrundstück des Beklagten führt. In einer 1973 geschlossenen Vereinbarung der Rechtsvorgänger der Prozessparteien ist festgehalten, dass der streitgegenständliche Weg für die Allgemeinheit gesperrt werde, jedoch die „Interessenten“ (gemeint: die Rechtsvorgänger des Beklagten) „das Recht, den Weg zu benützen“ haben und dafür einen Schlüssel erhalten.
Der Kläger hat diesen Weg ab dem Jahr 1987 auf eigene Kosten ausgebaut und verbreitert, sodass er mit Fahrzeugen aller Art befahrbar ist.
In einem zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin des Beklagten im Jahre 1996 geschlossenen Vertrag verpflichtete sich die Letztere zur Zahlung eines Errichtungskostenbeitrags für die Verbreiterung und Befestigung des Wegs. Darüber hinaus ist in dieser Vereinbarung festgehalten, dass die Kosten der laufenden Erhaltung des Wegs „gemäß den Grundflächen anteilig“ zu tragen sind, „so dass der Anteil [des Klägers] 27/35tel und der Anteil [der Rechtsvorgängerin des Beklagten] 8/35tel beträgt. Die EZ 109“ [des Klägers] „sowie weitere südlich bzw westlich dieser Liegenschaft gelegene Grundstücksflächen werden durch den [...]weg erschlossen“.
Der Kläger begehrt zusammengefasst die Feststellung, dass dem Beklagten das Recht des Fahrens und Bringens über den Weg nur zum Zweck der Bewirtschaftung eines bestimmten (in einer Luftbildaufnahme schraffiert dargestellten) Teilstücks seiner Liegenschaft im Ausmaß von 8 ha zustehe, ferner solle der Beklagte verpflichtet werden, die Benützung des Servitutswegs zugunsten der Bewirtschaftung anderer Teile seiner Liegenschaft zu unterlassen.
Der Beklagte wandte ein, es liege bereits seit jeher eine ersessene, ungemessene Dienstbarkeit vor, die den jeweiligen Eigentümer der Alm berechtige, den Weg mit Fahrzeugen aller Art zu befahren und ihn zur Holzabfuhr zu benützen. Jedenfalls die Zufahrten mit einem Pkw hätten sich in der Vergangenheit nie nur auf die in der Klage bezeichneten Flächen bezogen. Die im Vertrag von 1996 getroffene Vereinbarung beschränke nicht das Wegerecht, sondern regle nur die Teilung der Erhaltungskosten.
Das Klagebegehren sei zudem inhaltlich unbestimmt und die im Luftbild eingezeichnete Fläche völlig willkürlich gewählt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Es stellte unter anderem fest, dass die Vertragsparteien der Vereinbarung aus dem Jahre 1996 „ausgemacht“ hätten, dass der Rechtsvorgängerin des Beklagten eine Benützung des Wegs zur Bewirtschaftung einer Teilfläche von 8 ha gestattet wird. Zur Erläuterung des Kostenschlüssels sei festgehalten worden, dass die über 35 ha hinausgehenden Grundflächen des Klägers ebenfalls anderweitig erschlossen werden. Bis zum Ausbau des Wegs durch den Kläger und der Vereinbarung aus dem Jahre 1996 hätten die Rechtsvorgänger des Beklagten den strittigen Servitutsweg überhaupt nie zur Holzbringung verwendet.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Beklagten keine Folge.
Es ging davon aus, dass allein schon der Wortlaut des „Übereinkommens 1996“ eindeutig eine Einschränkung des früher ersessenen bzw bestehenden Wegerecht normiere. Sowohl die Nennung lediglich zweier bestimmter Grundstücke aus der EZ des Beklagten, als auch der vereinbarte anteilige Kostentragungsschlüssel ließen darauf schließen, dass die Rechtsvorgängerin des Beklagten nur berechtigt sein sollte, insgesamt 8 ha ihrer angeführten Grundstücke über den Weg zu bewirtschaften.
Aufgrund dieses Auslegungsergebnisses nahm das Berufungsgericht von einer Erledigung der Beweisrüge des Klägers, mit dem er die für seinen Standpunkt belastenden erstgerichtlichen Feststellungen bekämpft hatte, ausdrücklich Abstand. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR überschreite und verneinte die Zulässigkeit der ordentlichen Revision mangels über den Einzelfall hinaus erheblicher Rechtsfragen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil das Rechtsmittel sekundäre Feststellungsmängel aufzeigt, die eine abschließende rechtliche Beurteilung derzeit nicht zulassen.
Der Kläger hat die gemäß § 508a Abs 2 ZPO freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist im Sinne des darin hilfsweise gestellten Aufhebungsbegehrens berechtigt.
1. Der Kläger führt in seinem Rechtsmittel aus, das Berufungsgericht habe aus dem eingangs zitierten Text der Vereinbarung 1996 überschießende Schlussfolgerungen gezogen. Seine Auslegung des Wortlauts, der lediglich die Durchführung der laufenden Erhaltungsarbeiten und die Kostentragung regle, sei keineswegs zwingend und eindeutig.
Diese Überlegungen sind berechtigt.
1.1. Grundsätzlich stellt die Frage, ob ein Vertrag richtig ausgelegt wurde, nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042936 ua). Im vorliegenden Fall ist der objektive Erklärungswert der Vereinbarung nach Auffassung des erkennenden Senats zu unbestimmt, um für sich allein das rechtliche Ergebnis der Vorinstanzen tragen zu können.
1.2. Die Begründung des Berufungsgerichts ist insoweit schlüssig und lebensnah, als die Vertragsparteien sich offenkundig deswegen „anteilig“ mit bestimmten Bruchteilen zum Tragen der Erhaltungskosten verpflichtet haben, weil sie von einer beiderseitigen Benützung des Weges in diesem Verhältnis ausgegangen sind.
Die Urkunde selbst enthält aber keine klaren Erläuterung, wie die Vertragsparteien auf den vereinbarten Kostenschlüssel von 8 : 27 gekommen sind. Diese Bruchteile können, müssen aber nicht der selben Anzahl an Hektar Grundfläche entsprechen. Der Schlüssel wäre als solcher auch auf ein Vielfaches davon anwendbar (zB 16 ha : 54 ha).
1.3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts trägt die „anteilige“ Zuordnung der Erhaltungskosten im Verhältnis der Intensität der Benützung nicht zwingend nur die Schlussfolgerung, dass dem Eigentümer der herrschenden Liegenschaft in Hinkunft die Benutzung des Weges zur Bewirtschaftung bestimmter Bereiche untersagt sein sollte.
Es wäre genauso möglich, dass die Vertragsteile aufgrund der Geländebeschaffenheit und unter Berücksichtigung der vorhandenen weiteren Erschließungswege in diesem Verhältnis einfach das natürliche „Einzugsgebiet“ für die Straße gesehen und ihre Kosten danach geteilt haben.
Auf ein solches Verständnis könnte auch der Beisatz hinweisen, der besagt, dass der Kläger andere Teile seiner Liegenschaft über alternative Wege bewirtschaftet. Als Eigentümer der Wegegrundstücke steht ihm nämlich ein uneingeschränktes Nutzungsrecht zu. Eine Festlegung des Status quo der Nutzung war aber sinnvoll, falls die Vertragsteile daran gedacht hatten, bei künftig abweichender Nutzung durch einen Vertragsteil eine Anpassung des Kostenschlüssels vorzunehmen.
1.4. Dem Text der Vereinbarung ist nicht klar zu entnehmen, zugunsten welcher Flächen des Beklagten das Wegerecht aufrecht bleiben und wo jene Grenze auf seinen Grundstücken verlaufen soll, bis zu der eine Bewirtschaftung über den Servitutsweg zulässig wäre. Eine solche Definition wäre, folgt man dem Verständnis der Klagsseite, aber naheliegend gewesen, um die Beschränkung auch einhalten bzw die Einhaltung kontrollieren zu können.
In keinem Fall lässt sich aus dem Text der Vereinbarung der von den Vorinstanzen in ihren Entscheidungen angenommene Grenzverlauf ableiten.
1.5. Einer vollkommen eindeutigen Auslegung der Vereinbarung allein aus der Urkunde steht schließlich entgegen, dass darin von einer Aufgabe oder Abänderung der bestehenden Rechtspositionen keine Rede ist. Es erscheint ungewöhnlich, dass die weitreichende Aufgabe eines vorher unbeschränkten Rechts, zumal ohne Gegenleistung, in einer eigens errichteten Urkunde gar nicht erwähnt wird.
1.6. Für eine abschließende rechtliche Beurteilung bedarf es daher konkreter Feststellungen über das Verständnis, das die Vertragsteile bei Abschluss der Vereinbarung ihren Formulierungen zugrundegelegt haben und ob bzw welche Abreden über den schriftlichen Vertragstext hinaus getroffen wurden (RS0107851; RS0017839).
Das Erstgericht hat solche Sachverhaltsfeststellungen zwar getroffen, der Beklagte hat sie aber in seiner Berufung bekämpft. Da sich das Berufungsgericht ausgehend von seiner Rechtsansicht mit der Beweisrüge noch nicht befasst hat, bedarf es der Aufhebung der angefochtenen Berufungsentscheidung.
2. Unter der Prämisse, dass eine Einschränkung des Wegerechts durch die im Jahre 1996 getroffene Vereinbarung auch weiterhin bejaht wird, zeigt die Rechtsrüge des Klägers zutreffend einen sekundären Feststellungsmangel auf.
2.1. Der Beklagte hat bestritten, dass die vom Kläger ohne Rücksicht auf die Geländeverhältnisse geradlinig auf einem Luftbild eingezeichneten und dem Klagebegehren zugrundegelegten Grenzen der herrschenden Grundstücksflächen jenen entsprechen, von denen die Vertragsparteien im Jahre 1996 ausgegangen sind.
2.2. Sollte eine Beschränkung des Wegerechts dem Grunde nach bestehen, hätte der Kläger zu beweisen, dass die Beteiligten beim Abschluss der Vereinbarung gerade von dem in der Klage behaupteten Verständnis der Grenzen der begünstigten Grundstücksflächen ausgegangen sind. Lässt sich das historische Verständnis der Vertragsteile nicht mehr ermitteln, dann hat eine normative Interpretation unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks der Servitutseinräumung stattzufinden, der wiederum im Zweifel an der Beschaffenheit der beteiligten Liegenschaften zu messen ist (RS0107851).
3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E125674European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00134.18S.0627.000Im RIS seit
29.07.2019Zuletzt aktualisiert am
29.07.2019