TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/30 L515 2207016-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.11.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §46 Abs1
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
StGB §105 Abs1
StGB §107 Abs1
StGB §127
StGB §129
StGB §146
StGB §83 Abs1
VwGVG §24 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs3
ZustG §25

Spruch

L515 2207016-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA. der Republik Türkei, vertreten durch RA Mag. Kurt JELINEK, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gem. Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen die am 13.9.2019 erfolgte Abschiebung in die Türkei wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Ver-waltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, § 46 Abs. 1 FPG stattgegeben und festgestellt, dass die am 13.9.2019 erfolgte Abschiebung des XXXX, am XXXX geb., StA der Republik Türkei in die Republik Türkei rechtswidrig war.

II. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, § 35 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als "bP" bezeichnet) ist ein Staatsangehöriger der Türkei.

I.2.1. Mit Bescheid vom 9.7.2018, Zahl XXXX wurde in Bezug auf die bP ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gem. § 67 Abs. 1 und 2 FPG erlassen. Gem. § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt. Einer Beschwerde wurde gem. § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Die bB stellte ua. fest, dass die bP seit ihrem Aufenthalt in Österreich fast ausschließlich Unterstützungsleistungen wie Notstandshilfe, Überbrückungshilfe und Arbeitslosen-unterstützung beziehe. Ihre Arbeitsverhältnisse hätten meist nur wenige Tage gedauert. Weiters sei die bP wiederholt delinquent geworden.

I.2.2. Die belangte Behörde nahm eine Einsichtnahme in das ZMR und stellte fest, dass diese seit dem 13.12.2017 im ZMR mit keiner aktuellen Meldung aufscheint.

I.2.3. Bei der belangten Behörde ging am 16.1.2018 eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX ein, wonach diese von der Verfolgung der im Schreiben genannten Tat zurücktritt. Als Adresse der beschwerdeführenden Partei wurde in diesem Schreiben XXXX angegeben. In einem weiteren Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX, welches bei der belangten Behörde am 2.5.2018 einlangte, wurde die Adresse der beschwerdeführenden Partei mit XXXX benannt. In einem Bericht der LPD XXXX, welche bei der belangten Behörde am 7.5.2018 einlangte, wurde die "Zustelladresse" der beschwerdeführenden Partei mit XXXX benannt. Im Rahmen eines Berichts, der LPD XXXX, welcher am 4.6.2018 bei der belangten Behörde einlangte, wurde die Adresse der beschwerdeführenden Partei wie folgt bezeichnet: Hauptwohnsitz XXXX, Briefkastenadresse XXXX. In einem weiteren Schreiben der StA XXXX, welches am 19.6.2018 bei der belangten Behörde einlangte, wurde die Adresse der beschwerdeführenden Partei mit XXXX und in einer bei der belangten Behörde am 27.6.2018 eingelangten Meldung der LPD XXXX wurde die Adresse wiederum als Hauptwohnsitz XXXX, Briefkastenadresse XXXX bezeichnet. Am 3.7.2018 langte bei der belangten Behörde wiederum ein Schriftstück der LPD XXXX ein, wo die Adresse der bP mit XXXX bezeichnet wurde. In einem Abschlussbericht der LPD XXXX, welcher bei der bB am 9.8.2018 einlangte, wurde die Adresse der bP mit XXXX bezeichnet.

Auf den oa. Schriftstücken befindet sich zum Teil auch die Handynummer der bP.

Die bB stellte aufgrund eines entsprechenden Registerauszuges (AS 51) fest, dass die bP über einen Aufenthaltstitel verfügt und befindet in diesem Registerauszug die Adresse XXXX.

Ob die genannte LPD oder die belangte Behörde mit der zuständigen Meldebehörde zwecks Abklärung der Divergenzen zwischen den Eintragungen im ZMR und den Wahrnehmungen der oa. Behörden in Bezug auf die Abgabestellte bzw. des Wohnortes in Kontakt traten, oder auf andere geeinte Weise auf die Herstellung eines rechtskonformen Zustandes gem. dem Meldegesetz hinwirkten, ist der Aktenlage nicht entnehmbar. Ebenso ist nicht bekannt, ob die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes das Offizialdelikt einer Übertretung des Meldegesetzes ahndeten.

Im Akt befindet sich auch ein Datenauszug des AMS (Stand 9.7.2018), aus dem hervorgeht, dass das AMS zum Zeitpunkt des Auszuges Leistungen an die bP ausbezahlt, was nahelegt, dass dem AMS eine Adresse der bP bekannt ist.

I.2.4. Am 21.6.2018 stellte die belangte Behörde der beschwerdeführenden Partei ein Schriftstück an die Adresse XXXX zu und ging -zumindest ist dem Akteninhalt nichts anderes entnehmbarvon einer rechtswirksamen Zustellung aus.

I.2.5. Mit Aktenvermerk vom 18.7.2018 ging die bB davon aus, dass die bP an der "angegebenen Abgabestelle" (die letzte Meldeadresse der bP ist laut ZMR XXXX) nicht aufhältig ist sei und keine Abgabestelle namhaft gemacht hätte. Die neue Abgabestelle sei der bB unbekannt. Es existiere keine Zustellbevollmächtigter.

I.2.6. Mit Verfügung vom 18.7.2018 erfolgte die "Zustellung" des Bescheides vom 9.7.2018, Zahl XXXX durch öffentliche Bekanntmachung gem. § 25 ZustellG. Im Bescheid wurde der Aufenthaltsort der bP als "unstet" bezeichnet.

I.3. Am 11.9.2018 wurde die bP anlässlich eines polizeilichen Einsatzes (eine Anruferin meldete einen Streit zwischen ihr und der bP) in XXXX aufgrund eines von der bB erlassenen Festnahmeauftrages festgenommen.

I.4. Am 13.9.2018 wurde die bP in die Türkei abgeschoben. Laut Bericht der LPD NÖ vom selben Tage kam es hierbei zu keinen Zwischenfällen.

I.5.1. Mit Schriftsatz vom 20.9.2018 brachte die bP eine an die bB gerichtete Beschwerde gegen die Abschiebung ein, welche von der bB weitergeleitet wurde und am 4.10. beim ho. Gericht einlangte.

I.5.2. Zusammengefasst brachte die bP vor, sie lebe bereits 25 Jahre in Österreich und hätte hier eine Lebensgefährtin und 2 Kinder. Sie hätte ein Monat zuvor ein Informationsschreiben erhalten, in dem gestanden wäre, dass sie erst dann abgeschoben werde, wenn sie noch einmal straffällig werde.

Sie wäre zwischenzeitig 4 Jahre straffrei. Soweit noch eine Strafverhandlung anstehe, gelte für die bP die Unschuldsvermutung.

Sie hätte sich auch anwaltlich beraten lassen und hätte ihr der Anwalt mitgeteilt, dass die bP im gegenständlichen Fall Beschluss mit einem triftigen Grund haben müsste, welcher der bP jedoch noch nicht mitgeteilt wurden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

II.1. Die beschwerdeführende Partei

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus dem beschriebenen Verfahrenshergang.

2. Beweiswürdigung

Aufgrund der vorliegenden, unbedenklichen und von den Verfahrensparteien nicht beanstandeten Aktenlage ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

Es steht jedenfalls fest, dass die wegen der nachfolgenden Straftaten rechtskräftig verurteilt wurde:

01) LG XXXX vom 19.04.2004 RK 19.04.2004

PAR 15 142/1 143 (2. FALL) PAR 83/1 84/1 PAR 15 105/1 StGB

Freiheitsstrafe 15 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 19.04.2004

zu LG XXXX RK 19.04.2004

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom 01.08.2006

zu LG XXXX RK 19.04.2004

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 19.04.2004

LG XXXX vom 09.11.2010

02) BG XXXX vom 13.10.2005 RK 13.01.2006

PAR 146 StGB

Geldstrafe von 80 Tags zu je 7,00 EUR (560,00 EUR) im NEF 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 27.10.2006

03) LG XXXX vom 23.02.2006 RK 23.02.2006

PAR 125 83/1 StGB

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 25.10.2006

zu LG XXXX RK 23.02.2006

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

LG XXXX vom 01.08.2006

04) LG XXXX vom 01.08.2006 RK 01.08.2006

Seite 1 / 3

PAR 83/1 288/1 129/1 127 105/1 15/1 83/1 107/1 U 2 StGB

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 9 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 01.08.2006

zu LG XXXX RK 01.08.2006

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 27.07.2006

LG XXXX vom 02.11.2006

zu LG XXXX RK 01.08.2006

Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom 08.05.2009

zu LG XXXX RK 01.08.2006

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 01.08.2006

LG XXXX vom 10.01.2013

05) BG XXXX vom 23.03.2006 RK 16.08.2006

PAR 91/2 (1. FALL) StGB

Datum der (letzten) Tat 24.12.2004

Geldstrafe von 120 Tags zu je 3,00 EUR (360,00 EUR) im NEF 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf BG XXXX RK 13.01.2006

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG XXXX RK 23.02.2006

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 18.06.2008

06) BG XXXX vom 22.02.2008 RK 28.05.2008

PAR 27 ABS 1/1 (1.2. FALL) SMG

Datum der (letzten) Tat 19.09.2006

Geldstrafe von 100 Tags zu je 2,00 EUR (200,00 EUR) im NEF 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Vollzugsdatum 16.03.2012

07) LG XXXX vom 08.05.2009 RK 12.05.2009

PAR 27/1 (1.2. FALL) 27/1 (6. FALL) SMG

PAR 83/1 198/1 StGB

PAR 27 ABS 1/1 (1.2. FALL) 27/2 SMG

Freiheitsstrafe 2 Monate

Vollzugsdatum 26.01.2011

08) BG XXXX vom 21.10.2009 RK 28.10.2009

PAR 83/1 StGB

Datum der (letzten) Tat 08.06.2009

Freiheitsstrafe 3 Monate

Vollzugsdatum 26.01.2011

zu BG XXXX RK 28.10.2009

zu LG XXXX RK 12.05.2009

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 06.01.2010, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX vom 24.11.2009

zu BG XXXX RK 28.10.2009

zu LG XXXX RK 12.05.2009

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX vom 23.06.2010

09) LG XXXX vom 23.06.2010 RK 29.06.2010

PAR 15/1 105/1 PAR 107/1 U 2 (1. FALL) StGB

Freiheitsstrafe 12 Monate

Vollzugsdatum 26.01.2011

zu LG XXXX RK 29.06.2010

zu BG XXXX RK 28.10.2009

zu LG XXXX RK 12.05.2009

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 26.01.2011, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

LG XXXX vom 12.11.2010

zu LG XXXX RK 29.06.2010

zu BG XXXX RK 28.10.2009

zu LG XXXX RK 12.05.2009

Aus der Freiheitsstrafe entlassen, endgültig

Vollzugsdatum 26.01.2011

LG XXXX vom 17.12.2015

10) BG XXXX vom 30.11.2012 RK 04.12.2012

§ 83 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 31.08.2012

Freiheitsstrafe 4 Monate

Vollzugsdatum 25.10.2013

11) LG XXXX vom 15.01.2014 RK 29.01.2014

§ 27 (1) Z 1 1. 2. Fall u (2) SMG

§ 28a (1) 5. Fall u (3) SMG

Datum der (letzten) Tat 30.06.2013

Freiheitsstrafe 12 Monate

Vollzugsdatum 07.11.2014

Für den 22.10.2017 war beim zuständigen Strafgericht eine Verhandlung gem. §§ 15, 87 (1) StGB, 50 (3) WaffenG anberaumt. Über deren Ausgang ist ho. nichts bekannt.

Der sonstige von der bB im Bescheid vom 9.7.2018 Zahl XXXX beschriebene bisherige Lebenswandel wurde von der bP nicht bestritten.

Als zweifelsfrei feststehend ist auch festzuhalten, dass die über zahlreiche Hinweise in Bezug auf den tatsächlichen Aufenthalt der bP verfügte (z. B. Nennung von Adressen in diversen Schreiben, Existenz einer Handynummer, Aufscheinen der Adresse in Auszügen, Existenz von der bB bekannten Behörden, welche die Adresse der bP aller Voraussicht bekannt ist).

3. Rechtliche Beurteilung

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

II.3.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

II.3.3. Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA und gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Der mit "Zuständigkeiten" betitelte § 3 Abs. 1 Z 3 des BFA-Einrichtungsgesetzes (BFA-G), BGBl. I Nr. 68/2013, bestimmt, dass dem BFA die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des FPG obliegt.

Da sich die gegenständliche - zulässige - Beschwerde gegen eine dem BFA zurechenbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der Anordnung der Abschiebung richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls für die Entscheidung zuständig.

II.4. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe der Beschwerde):

II.4.1. Gemäß § 9 Abs. 2 FPG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA und gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen die Abschiebung der Beschwerdeführer und damit gegen eine Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt des 7. Hauptstückes des FPG richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 46 Abs. 1 FPG können Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

II.4.2. Es müssen also zur durchsetzbaren Rückkehrentscheidung, Anordnung zur Außerlandesbringung, zur Ausweisung bzw. zum Aufenthaltsverbot noch weitere Voraussetzungen hinzutreten; dass durchsetzbare Bescheide vorliegen genügt noch nicht; dies ist nur eine der Voraussetzungen für die Abschiebung. Es muss daher ein Weg eröffnet sein, die Rechtswidrigkeit der Abschiebung trotz Vorliegens durchsetzbarer Bescheide betreffend Rückkehrentscheidung, Anordnung zur Außerlandesbringung, Aufenthaltsverbot oder Ausweisung geltend zu machen. Das Gesetz wird dem insofern gerecht als es die Umsetzung der bescheidmäßig oder mittels Erkenntnis ergangenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme als unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt bezeichnet und damit die Möglichkeit einer Maßnahmenbeschwerde eröffnet (VwGH 23.09.1994, 94/02/0139; VwGH 20.10.2011, 2010/21/0056). Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebung kommt es nach § 46 Abs. 1 FPG nicht nur auf das Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Entscheidung, sondern auch auf die Erfüllung einer in den Z 1 bis 4 genannten Tatbestandsvoraussetzungen an. Überdies sieht die Bestimmung bei Vorliegen der dort genannten Bedingungen keine unbedingte Abschiebeverpflichtung vor, sondern stellt die Abschiebung in behördliches Ermessen (VwGH 30.08.2011, 2008/21/0020; VwGH 20.10.2011, 2010/21/0056). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist die Behörde nicht auf die vorgebrachten Gründe beschränkt (vgl. VwGH 26.06.2014, 2013/21/0253).

II.4.3.1. Im vorliegenden Fall muss zuerst geprüft werden, ob ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot gegen die bP im Rahmen des bereits beschriebenen Verfahrens erlassen wurde. Derartiges würde voraussetzen, dass der Bescheid vom 9.7.2018 Zahl XXXX überhaupt in Außenwirkung erlassen wurde, was eine rechtmäßige Zustellung bedingen würde.

II.4.3.2. Die bB ging davon aus, dass sie berechtigt war, den Bescheid vom 9.7.2018 Zahl XXXX durch öffentliche Bekanntmachung gem. § 25 ZustellG zuzustellen. Dieser lautet:

"Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung

§ 25. (1) Zustellungen an Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist, oder an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, können, wenn es sich nicht um ein Strafverfahren handelt, kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist und nicht gemäß § 8 vorzugehen ist, durch Kundmachung an der Amtstafel, daß ein zuzustellendes Dokument bei der Behörde liegt, vorgenommen werden. Findet sich der Empfänger zur Empfangnahme des Dokuments (§ 24) nicht ein, so gilt, wenn gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, die Zustellung als bewirkt, wenn seit der Kundmachung an der Amtstafel der Behörde zwei Wochen verstrichen sind.

(2) Die Behörde kann die öffentliche Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise ergänzen."

Die bB ging offensichtlich davon aus, dass die Abgabestelle der bP unbekannt ist.

II.4.3.3. Zweifelsfrei war die bP am 18.7.2018 nicht entsprechend den Bestimmungen des MeldeG aufrecht gemeldet. Sowohl das ho. Gericht als auch die höchstgerichtliche Judikatur stellten jedoch bereits zu wiederholten Male fest, dass eine (unterlassenen) Meldung gem. dem MeldeG in Bezug auf die Existenz einer Abgabestelle lediglich Indizcharakter zukommt und sich die Behörde im Rahmen der Feststellung des Aufenthalts einer Partei bzw. der Feststellung einer Abgabestellt einer Partei nicht bloß mit einer Einsichtnahme in das ZMR begnügen darf, wenn entsprechende Hinweise bestehen, dass das ZMR die Tatsachenwelt nicht widerspiegelt.

Um tatsächlich vom Umstand der Unbekanntheit der Abgabestelle ausgehen zu können, bedarf es jedenfalls eines dieser Annahme vorausgehenden Ermittlungsverfahrens, in welchem die Behörde ihr zumutbare Ermittlungsschritte zu setzen gehabt hätte und in dem sich kein Hinweis auf die Existenz einer Abgabestelle ergibt, welche der Behörde nach deren Ermittlung nicht mehr unbekannt wäre.

Im gegenständlichen Fall stellen sich unter Punkt I.2.3 beschriebenen Umstände als selbstredend dar und hätte es wahrscheinlich lediglich eines Anrufes oder eines kurzen Erhebungsersuchens an die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der LPD XXXX -also um der bB als Spezialbehörde zumutbare Ermittlungsschritte- bedurft um die Aufenthaltsort bzw. die Abgabestelle der bP feststellen zu können. Dass derartige Ermittlungsschritte tatsächlich stattgefunden und nicht zum Erfolg geführt hätten, kann der seitens der bP vorgelegten Aktenlage nicht entnommen werden.

Da die oa. Ermittlungsschritte sichtlich nicht gesetzt wurden, ging die bB zu unrecht davon aus, dass die Abgabestelle der bP unbekannt sei, weshalb sich die Zustellung des Bescheides vom 9.7.2018, Zahl XXXX als rechtsunwirksam erwies. Im Akt befinden sich auch keine Hinweise, dass der Zustellmangel geheilt wäre.

II.4.3.4. Resümierend ist im Rahmen einer Zusammenfassung festzuhalten, dass der Bescheid vom 9.7.2018, Zahl XXXX nie erlassen wurde und daher auch nicht in Rechtskraft erwachsen oder sonstige Verbindlichkeiten entfalten konnte. Es besteht im gegenständlichen Fall daher kein durchsetzbares Aufenthaltsverbot, welches einen tauglichen Abschiebetitel gem. § 46 Abs. 1 FPG.

II.4.4. Mangels der Aktenlage entnehmbaren anderweiten Abschiebetitels war somit die angefochtene Abschiebung der bP als rechtswidrig zu qualifizieren.

II.4.5. Die Prüfung weiterer in § 46 FPG genannten Rechtsfragen musste aufgrund der Ausführungen unter Punkt II.4.3.4. unterbleiben, mögen auch die Ausführungen der bB basierend auf die Aktenlage prima facie nicht als unschlüssig erscheinen.

II.5. Zu Spruchpunkt II. und III. (Ersatz von Aufwendungen):

II.5.1. Der mit "Kosten" betitelte § 35 VwGVG lautet:

"§ 35. (1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

(1) - (7) ..."

II.5.2. Da der Beschwerde stattgegeben wurde, ist die beschwerdeführende Partei gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG obsiegende und die belangte Behörde unterlegene Partei, weshalb der Antrag der bB abzuweisen war.

II.5.3. Der bB gebührt kein Kostenersatz, da dieser nicht beantragt wurde.

3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 VwGVG konnte eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung, insbesondere zum Rechtsinstitut der Maßnahmenbeschwerde, sowie zur Auslegung des § 25 ZustellG kann als einheitlich angesehen werden und weicht das ho. Gericht hiervon nicht ab. Auch aus dem Umstand, dass das ho. Gericht und die belangte Behörde mit 1.1.2014 ins Leben gerufen wurden, bzw. sich die asyl- und fremdenrechtliche Diktion, sowie Zuständigkeiten zum Teil änderte, und das Asyl- und Fremdenrecht eine verfahrensrechtliche Neuordnung erfuhr kann ebenfalls kein unter Art. 133 Abs. 4 zu subsumierender Sachverhalt hergeleitet werden, zumal sich am substantiellen Inhalt der hier anzuwendenden Normen keine relevante Änderung ergab.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Abgabestelle, Abschiebung, Asylverfahren, aufenthaltsbeendende
Maßnahme, Aufenthaltsort, Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung -
Entfall, Befehls- und Zwangsgewalt, Ermessen, Festnahme,
Körperverletzung, Kostenersatz, Maßnahmenbeschwerde, Meldepflicht,
Meldeverstoß, öffentliche Bekanntmachung, Rückkehrentscheidung,
strafrechtliche Verurteilung, Suchtgifthandel, Suchtmitteldelikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L515.2207016.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten