Entscheidungsdatum
19.02.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I404 1428263-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch: RA Mag. Alexander FUCHS gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich BAL vom 31.07.2017, Zl. 820697409-150444969, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde gegen den ersten Satz des Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wird der Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin brachte am 07.06.2012 einen Antrag auf Internationalen Schutz ein. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes, Außenstelle Salzburg, vom 12.07.2012 abgewiesen und die Ausweisung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria verfügt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes am 28.02.2013, GZ. A15 428263-1, abgewiesen.
2. Am 30.04.2015 stellte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag gemäß § 55 AsylG.
3. Mit Bescheid vom 21.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK ab und erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.). Weiters stellte die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage (Spruchpunkt IIII.).
4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig Beschwerde und führte aus, dass die die belangte Behörde fälschlicherweise festgestellt habe, dass sie Beschwerdeführerin seit fünf Jahren illegal in Österreich sei. Während der Dauer des Asylverfahrens bis 28.2.2013 sei die Beschwerdeführerin jedenfalls legal in Österreich aufhältig gewesen. Weiters habe die Behörde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keine ernsthaften Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit gemacht habe. Hierbei übersehe sie jedoch, dass die Beschwerdeführerin über eine Beschäftigungszusage vom 10.6.2017 des Vereins zur Förderung Unterhaltung der Christengemeinde Freistadt-freie christliche Gemeinde verfüge. Weiters sei der Behörde vorzuwerfen, dass zwischen der Antragstellung am 30.4.2015 und der Erlassung der angefochtenen Entscheidung am 31.7.2017 eine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer gegeben sei. Die Beschwerdeführerin leide derzeit auch an Diabetes mellitus Typ zwei, arterieller Hypertonie und sei wegen depressiver Störung in ärztlicher Behandlung. Zudem engagiere sich die Beschwerdeführerin in der Christengemeinde Freistadt und sei strafrechtlich unbescholten. Die Beschwerdeführerin verfüge über eine soziale Integration in Österreich und verfüge daher über ein gemäß Art. 8 EMRK geschütztes Privatleben. Sie habe sich auch bereits wieder zur Deutschprüfung angemeldet und sei am Erlernen der deutschen Sprache. Die Beschwerdeführerin verfüge auch über viele Unterstützungserklärungen ihrer Freunde. Ein Der angefochtene Bescheid stelle somit einen Eingriff gemäß Art. 8 EMRK dar, und sei aufgrund dieses Umstandes die Erlassung einer Rückerstattung unrichtig. Entgegen der Ansicht der Erstbehörde sei die Abschiebung nach Nigeria unzulässig. Der Beschwerde waren ärztlicher Attest betreffend Diabetes mellitus Typ zwei, arterielle Hypertonie und depressiven Störung mit gegenwärtig mittelgradige Episode beigelegt.
5. Im September 2018 verließ die Beschwerdeführerin Österreich und stellte am 13.09.2018 einen Asylantrag in Deutschland. Am 16.11.2018 wurde die Beschwerdeführerin nach Österreich rücküberstellt. Noch am selben Tag stellte sie einen weiteren Antrag auf Internationalen Schutz.
6. Im Rahmen ihrer Befragung vor der belangten Behörde am 03.12.2018 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie an Diabetes und Bluthochruck leide. Am Anfang habe sie Spritzen bekommen, nunmehr nehme sie Tabletten. Sie sei zweimal operiert worden. Auf Nachfrage gab sie an, dass sie einmal wegen Krebs operiert worden sei, das habe man gesagt. Sie habe die medizinischen Unterlagen verloren. Sie sei damit einverstanden, dass seitens der belangten Behörde ärztliche Befunde eingeholt werden. In Nigeria würden noch ihr Sohn und eine Schwester leben. Sie habe regelmäßig Kontakt mit ihren Familienmitgliedern in Nigeria. In Österreich habe sie keine Verwandten.
7. Am 13.12.2018 fand eine weitere Einvernahme der Beschwerdeführerin statt. Sie gab an, dass sie bei Ärzten in Thalham gewesen sei und medizinischen Unterlagen mitbekommen habe.
8. Mit dem Bescheid vom 23.01.2019 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die belangte Behörde legte weiter fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Zugleich wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Weiters wurde der Beschwerdeführerin aufgetragen, gemäß § 15b AsylG vom 16.11.2018 bis 13.12.2018 Unterkunft im Quartier AIBE zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).
9. Mit Erkenntnis vom 18.02.2019 zu GZ I404 1428263-3/3E wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 23.01.2019 als unbegründet abgewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Nigeria, gehört der Volksgruppe der Ibo an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Vor ihrer Flucht im Juni 2012 hat die Beschwerdeführerin in Nigeria Essen auf einem Markt verkauft und sich damit ihren Lebensunterhalt finanziert.
Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist erwerbsfähig. Wegen ihrer Diabetes und Bluthochdruck nimmt sie regelmäßig Medikamente (Tabletten) ein.
Die Familie der Beschwerdeführerin, bestehend zumindest aus dem erwachsenen Sohn und der Schwester, lebt nach wie vor in Nigeria. Der Sohn der Beschwerdeführerin geht einer Arbeit als Buskontrolleur nach. Die Beschwerdeführerin steht mit ihren Angehörigen in Nigeria in regelmäßigen Kontakt.
Die Beschwerdeführerin verfügt in Österreich über keine Familienangehörigen und lebt in keiner Beziehung.
Sie bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie verfügt über eine Einstellungszusage der freien christlichen Gemeinde vom 10.06.2017.
Die Beschwerdeführerin verfügt über ein A1 Zertifikat und hat einen A2 Kurs absolviert, aber die Prüfung nicht bestanden. Sie verfügt über einen Freundeskreis in Österreich und ist Mitglied der Christengemeinde Freistadt.
Sie ist in Österreich gerichtlich unbescholten.
1.2. Im bekämpften Bescheid wurde zur medizinischen Versorgung in Nigeria Fogendes festgehalten:
Insgesamt gibt es in Nigeria acht psychiatrische Krankenhäuser, die von der Regierung geführt und finanziert werden. Sechs weitere psychiatrische Kliniken werden von Bundesstaaten unterhalten. In diesen psychiatrischen Kliniken werden unter anderem klinische Depressionen, suizidale Tendenzen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Schizophrenie und Psychosen behandelt.
Medikamente sind verfügbar, können aber je nach Art teuer sein. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden.
Es gibt zahlreiche Apotheken in den verschiedenen Landesteilen Nigerias. Die National Agency for Food and Drug Administration and Control (NAFDAC) hat ebenfalls umfangreiche Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass diese Apotheken überwacht werden und der nigerianischen Bevölkerung unverfälschte Medikamente verkaufen. Trotzdem bliebt die Qualität der Produkte auf dem freien Markt zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt wirken.
2. Beweiswürdigung
2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben. Aufgrund der Identifizierung durch die nigerianische Delegation am 10.04.2015 steht die Identität der Beschwerdeführerin fest.
Dass die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise als Essenverkäuferin ihren Lebensunterhalt finanziert hat, hat sie im Rahmen ihres (ersten) Asylverfahrens angegeben.
Dass die Beschwerdeführerin an keinen schweren, lebensbedrohlichen Krankheiten leidet, ergibt sich aus den in diesem Verfahren und dem Folgeantrag vom 16.11.2018 vorgelegten ärztlichen Unterlagen, aus denen sich keine Hinweise auf eine lebensgefährliche Erkrankung ergeben. Festzuhalten ist weiters, dass diese Befunde überwiegend unauffällig ausgefallen sind und jedenfalls keine schwerwiegende Erkrankung diagnostiziert wurde. Hinsichtlich des in der Beschwerde vorgelegten ärztlichen Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 29.08.2017, in welchem angeführt ist, dass die Beschwerdeführerin auch an einer depressiven Störung mit gegenwertig mittelgradiger Episode leidet, so hat sie dies vor der belangten Behörde bei ihren Einvernahmen am 03.12.2018 und 13.12.2018 nicht weiter vorgebracht. Im Übrigen geht jedoch auch aus den Länderfeststellungen hervor, dass Medikamente für psychiatrische Leiden erhältlich sind.
Dass sie erwerbsfähig ist, ergibt sich aufgrund der vorgelegten Befunde und auch die Beschwerdeführerin selbst hat vor der belangten Behörde am 03.12.2018 angegeben, arbeiten zu möchten, aber keine Arbeit zu bekommen.
Weiters hat die Beschwerdeführerin am 03.12.2018 vor der belangten Behörde angegeben, welche Angehörige noch in Nigeria aufhältig sind und dass sie mit diesen regelmäßigen Kontakt hat und dass ihr Sohn eine Arbeitsstelle als Buskontrolleur hat.
Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse und die Lebensumstände der Beschwerdeführerin in Österreich beruhen auf den Aussagen der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt am 16.05.2017, 03.12.2018 und 13.12.2018 bestätigt durch die Vorlage von Unterstützungserklärungen. Die Beschäftigungszusage wurde von der Beschwerdeführerin vorgelegt.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in Österreich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Strafregisterauszug.
Dass die Beschwerdeführerin über ein A1 Zertifikat verfügt und einen Kurs A2 besucht hat, wurde dem Akt der belangten Behörde entnommen
Dass die Beschwerdeführerin Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, wurde einem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 11.02.2019 entnommen.
2.2. Die Feststellungen hinsichtlich der medizinischen Versorgung wurde dem bekämpften Bescheid der belangten Behörde entnommen. Auch wenn diese Länderfeststellungen sich noch auf den Länderbericht zu Nigeria vom Juni 2017 beziehen, so ergibt ein Vergleich mit dem aktuellen Länderinformationsblatt zu Nigeria keinerlei Änderung hinsichtlich der medizinischen Versorgung. Diese Feststellungen wurden auch nicht bestritten.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchteil A)
3.1. Zum Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK (erster Satz Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids):
3.1.1. Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung gem. § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iS des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des/der Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
3.1.2. Mit Erkenntnis des BVwG vom 18.02.2019 zu 1428263-3/3E wurde der Folgeantrag der Beschwerdeführerin rechtskräftig zurückgewiesen und eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen. Bereits in diesem Verfahren erfolgte eine Prüfung ob, die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privatund/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt.
In diesem Erkenntnis wurde wie folgt ausgeführt:
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Die Beschwerdeführerin hat in Österreich keine Angehörigen und führt auch nach ihren eigenen Angaben keine "familienähnliche" Beziehung. Zu prüfen ist daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin.
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Das Gewicht ihrer privaten Interessen wird dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war (vgl VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov).
Spätestens seit der Abweisung ihres ersten Asylantrages mit Bescheid der belangten Behörde vom 12.07.2012 war sich die Beschwerdeführerin ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst; ein allfälliges Privat- und Familienleben, das erst nach der Abweisung seines Asylantrages entstanden ist, verliert dadurch deutlich an Gewicht.
Die Beschwerdeführerin verfügte zu keinem Zeitpunkt über einen Aufenthaltstitel für Österreich, sondern basiert ihr Aufenthalt lediglich auf zwei letztlich unbegründeten Asylanträgen. Insbesondere hielt sich die Beschwerdeführerin nach dem rechtskräftigen negativen Abschluss des Verfahrens über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz am 24.06.2013 bis zur gegenständlichen zweiten Antragstellung am 16.11.2018 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, indem sie ihrer Ausreisverpflichtung nicht nachkam.
Die Zeitspanne des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet kann hinsichtlich einer Aufenthaltsverfestigung daher nicht zu ihren Gunsten ausschlagen.
Die Antragstellung gemäß § 55 AsylG führt nämlich nicht zu einem Aufenthaltsrecht, da gemäß § 58 Abs. 13 AsylG Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen.
Es liegen auch keine Hinweise vor, dass die Beschwerdeführerin in Hinblick auf ihren rund 7 Jahre andauernden Aufenthalt einen maßgeblichen und überdurchschnittlichen Grad an Integration erlangt hätte, der ihren persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde: Die Beschwerdeführerin verfügt über keine tiefergehenden Kenntnisse der deutschen Sprache und ist nicht am Arbeitsmarkt integriert, sondern lebt von Leistungen der Grundversorgung. Auch der von der Beschwerdeführerin vorgelegte Einstellzusage kommt keine wesentliche Bedeutung zu (vgl. VwGH 21.1.2010, 2009/18/0523; 29.6.2010, 2010/18/0195; 17.12.2010, 2010/18/0385; 22.02.2011, 2010/18/0323).
Soweit die Beschwerdeführerin über private Bindungen in Österreich verfügt, ist ferner darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr nach Nigeria gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführerin hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahe stehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich) aufrecht zu erhalten.
Dagegen bestehen nach wie vor Bindungen der Beschwerdeführerin zu ihrem Heimatstaat Nigeria, zumal sie dort den überwiegenden Teil ihres Lebens - über 50 Jahre - verbracht hat und dort hauptsozialisiert wurde, sie noch immer die Landessprache spricht und durchaus mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der Kultur ihres Herkunftslandes vertraut ist. Darüber hinaus hält sich nach wie vor die Familie (erwachsener Sohn und Schwester) der Beschwerdeführerin in Nigeria auf. Im gegenständlichen Fall kann daher jedenfalls nicht von einer vollkommenen Entwurzelung der Beschwerdeführerin in Nigeria gesprochen werden.
Es ist jedoch auch berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin an diabtes mellitus und Bluthochdruck leidet und diesbezüglich Tabletten einnimmt. Ohne Zweifel liegt in der Fortsetzung der medizinischen Behandlung der Beschwerdeführerin ein gravierendes privates Interesse. Allerdings ist den Feststellungen zu entnehmen, dass die Behandlung (Erhalt der Medikamente) im Herkunftsland verfügbar ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0082 mwH).
Die Beschwerdeführerin ist erwerbsfähig und verfügt über Familienangehörige in Nigeria. Sie war auch bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2012 dazu in der Lage, durch ihre Verkaufstätigkeit auf dem Markt ihr Leben zu finanzieren. Es ist daher davon auszugehen, dass es der Beschwerdeführerin möglich wäre, diese Medikamente allenfalls auch mit Hilfe ihrer Angehörigen zu finanzieren.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ebenfalls ausgesprochen, dass es dem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, warum eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei, und dass diese nur in Österreich erfolgen könne. Denn nur dann wäre ein sich daraus allenfalls ergebendes privates Interesse im Sinne des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (26.03.2015, 2013/22/0297 mwH).
Dem allenfalls bestehenden Interesse der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich (bzw Europa) stehen öffentliche Interessen gegenüber.
Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib in Österreich.
3.1.3. Vor diesem Hintergrund überwogen die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet, sodass der damit verbundene Eingriff in ihr Privatleben nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes als verhältnismäßig qualifiziert werden kann. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass Abweisung des Antrages gemäß § 55 AsylG keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellte.
3.2. Zur Behebung der Entscheidung betreffend die Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (2. Satz des Spruchpunkt I. sowie Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
3.2.1. Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
Besteht gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung, so bedarf es gemäß § 59 Abs. 5 FPG bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 hervorgekommen.
Gegenüber der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid vom 29.01.2019, bestätigt durch das Erkenntnis des BVwG vom 18.02.2019 zu GZ I404 1428263-3/3E eine mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung ausgesprochen.
Derartige neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG sind im gegenständlichen Fall nicht hervorgekommen. Die Rückkehrentscheidung (2. Satz des Spruchpunkt I.) und die Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II.) waren daher zu beheben.
3.3. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
3.3.1. Da Rückkehrentscheidung und Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise aufeinander aufbauende Spruchteile sind und die Rückkehrentscheidung behoben wurde, ist auch der Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.
4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).
Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben, zumal die Beschwerdeführerin im November 2018 einen Folgenantrag stellte und daher in diesem Verfahren eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde, was eine Prüfung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens umfasste. Im Rahmen des Asylverfahrens erfolgten zwei Einvernahmen (03.12.2018 und13.12.2018) vor der belangten Behörde.
Aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde betreffend den Folgeantrag vom 23.01.2019 und jener durch das Bundesverwaltungsgericht nur wenige Wochen liegen - weist der Sachverhalt die gebotene Aktualität auf. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und es waren auch keine Beweise aufzunehmen. Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgeht.
Schlagworte
Abschiebung, Asylantragstellung, asylrechtlich relevante Verfolgung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I404.1428263.2.00Zuletzt aktualisiert am
26.07.2019