TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/30 L516 1408544-4

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Veröffentlicht am 30.01.2019
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Entscheidungsdatum

30.01.2019

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.8
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 1408544-4/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Dr. Peter LECHENAUER und Dr.in Margrit SWOZIL, Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2015, Zahl 629482608/1645778, zu Recht erkannt:

A)

I.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und es wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

II.

Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 26.03.2007 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 27.03.2009 zur Gänze abgewiesen wurde. Eine Beschwerde gegen jenen Bescheid wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 14.10.2010 als verspätet zurückgewiesen, ein Wiedereinsetzungsantrag in den vorigen Stand wurde gleichzeitig abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung der Beschwerde am 08.12.2010 ablehnte.

2. Am 05.01.2011 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 15.07.2011 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde; gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den damals zuständigen Asylgerichtshof. Nach seiner freiwilligen Ausreise wurde jener zweite Antrag vom Asylgerichtshof mit Verfahrensanordnung vom 24.01.2012 als gegenstandslos abgelegt.

3. Am 25.04.2013 stellte der Beschwerdeführer den nunmehr verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung nach dem AsylG fand dazu am 26.04.2013 statt, die Einvernahmen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 30.04.2013 und 23.07.2014.

4. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 idgF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§§ 57 und 55 AsylG", erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Mit Spruchpunkt IV sprach das BFA aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Gleichzeitig wurde vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Der Beschwerdeführer hat gegen den am 01.10.2015 zugestellten Bescheid des BFA mit Schreiben vom 08.10.2015 Beschwerde erhoben. Die Beschwerde richtet sich inhaltlich ausschließlich gegen Spruchpunkt III des Bescheides. Die Spruchpunkte I und II des Bescheides des BFA wurden dabei nicht angefochten und erwuchsen somit in Rechtskraft.

6. Eine vom Bundesverwaltungsgericht für den 15.03.2018 ausgeschriebene mündliche Verhandlung wurde wegen Erkrankung des Beschwerdeführers abgesagt.

7. Das Bundesverwaltungsgericht forderte den Beschwerdeführer am 30.08.2018 auf, sich zum bisherigen Verfahren zu äußern, allfällige Änderungen bekanntzugeben und Dokumente zur Bescheinigung seines Vorbringens vorzulegen.

8. Nach einer gewährten Fristverlängerung legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12.10.2018 eine Reihe von Unterlagen zur Bescheinigung seiner Integration in die österreichische Gesellschaft vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Punjabi sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX , Distrikt Gujrat, Provinz Punjab und war dort vor seiner Ausreise als Landwirt tätig. Seine Identität steht fest.

1.2. Der Beschwerdeführer reiste in Österreich am 26.03.2007 ein und stellte einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 27.03.2009 zur Gänze abgewiesen wurde. Eine Beschwerde gegen jenen Bescheid wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 14.10.2010 als verspätet zurückgewiesen, ein Wiedereinsetzungsantrag in den vorigen Stand wurde gleichzeitig abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung der Beschwerde am 08.12.2010 ablehnte. Der Beschwerdeführer verblieb danach in Österreich und stellte am 05.01.2011 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 15.07.2011 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde; gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den damals zuständigen Asylgerichtshof. Nach seiner freiwilligen Ausreise wurde jener zweite Antrag vom Asylgerichtshof mit Verfahrensanordnung vom 24.01.2012 als gegenstandslos abgelegt. Der Beschwerdeführer reiste am 25.04.2013 wieder in Österreich ein und stellte den nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Seither hält sich der Beschwerdeführer ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die bisherige Verfahrensdauer ist dem Beschwerdeführer nicht anzulasten.

1.3. Der Beschwerdeführer lebt gegenwärtig in Salzburg. In Salzburg leben auch sein Bruder XXXX und sein Neffe XXXX , die beide über den Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot Karte Plus verfügen. In Pakistan leben die Ehefrau, Kinder und die Mutter des Beschwerdeführers.

1.4. Der Beschwerdeführer ist seit mehreren Jahren selbstständig erwerbstätig; er betreibt seit Mai 2007 ein Güterbeförderungsgewerbe und zusätzlich seit Juli 2015 das Gewerbe Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung. Er beschäftigt gegenwärtig in seinem Unternehmen mehrere Mitarbeiter in Vollzeit. Sein aktueller monatlicher Verdienst aus dieser Tätigkeit beträgt Euro 3.000,-- netto. Er hat keine Rückstände gegenüber dem Finanzamt, der SVA sowie der GKK. Der Beschwerdeführer bezog nie Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde. Er hat sich somit während seines Aufenthaltes in Österreich eine eigene Existenz aufgebaut, er ist daher selbsterhaltungsfähig, arbeitsfähig und -willig. Eine Reihe von österreichischen Staatsangehörigen bescheinigen dem Beschwerdeführer ernsthafte Integrationsbemühungen und schätzen diesen als Freund und hilfsbereite freundliche Persönlichkeit.

1.5. Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse absolviert und am 27.09.2018 die Prüfung "ÖSD Zertifikat A2" bestanden.

1.6. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen

2.1. Die Feststellungen zur Herkunft und Person des Beschwerdeführers (oben II.1.1.) ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund seiner Sprach- und Ortskenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Der Beschwerdeführer hat im zweiten Verfahren vor dem Bundesasylamt seinen österreichischen Führerschein vorgelegt (Aktenseite 7 des Aktes zum zweiten Antrag des Beschwerdeführers). Seine Identität steht damit fest. Die Feststellungen zum Heimatort des Beschwerdeführers und zu seiner dortigen Tätigkeit als Landwirt beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung (AS 17, 19).

2.2. Die Feststellungen zur erstmaligen Einreise, zur zwischenzeitlichen freiwilligen Ausreise und Wiedereinreise, sowie zu den bisherigen Verfahren des Beschwerdeführers und seinem Aufenthalt in Österreich (oben II.1.2.) ergeben sich aus den vorgelegten Verfahrensakten des BFA sowie den Gerichtsakten des Asylgerichtshofes und sind unstrittig.

2.3. Die Feststellungen zu den gegenwärtigen Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers, seines Bruders und seines Neffen (oben II.1.3.) beruhen auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister, den vorgelegten Aufenthaltsberechtigungskarten (OZ 13), die auch im Einklang mit den Angaben des Beschwerdeführers stehen. Die Feststellung, dass die Ehefrau, Kinder und die Mutter des Beschwerdeführers nach wie vor in Pakistan leben, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (AS 171).

2.4. Die Feststellung zur selbstständigen Erwerbstätigkeit, sowie Lebens- und Einkommenssituation des Beschwerdeführers (oben II.1.4.) beruhen auf den kohärenten und widerspruchsfreien Angaben des Beschwerdeführers in seiner schriftlichen Äußerung vom 12.10.2018 (OZ 13), die im Einklang mit den von ihm gleichzeitig vorgelegten Urkunden - insbesondere Auszüge aus dem Gewerberegister, Bestätigung des für den Beschwerdeführer tätigen Buchhaltungsbüros vom 17.09.2018, Transportverträge, Kontoauszüge der Gebietskrankenkasse und Zahlungsbestätigungen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Unterstützungserklärungen - stehen und daher als glaubhaft erachtet werden. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nie auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen war, ergibt sich aus den Eintragungen im Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS).

2.5. Die Feststellungen zur erfolgreich absolvierten Deutschprüfung auf dem Niveau A2 (oben II.1.5.) beruhen auf dem mit Schriftsatz vom 12.10.2018 vorgelegten "ÖSD Zertifikat A2" (OZ 13).

2.6. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers (oben II.1.6.) beruht auf dem aktuellen Auszug aus dem Strafregister der Republik.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Stattgabe der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides, Feststellung, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, Erteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten.

Rechtsgrundlagen

3.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

3.2. Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

3.3. Gemäß § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. (Abs 1)

Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. (Abs 1a) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. (Abs 2) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt. (Abs 3) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde. (Abs 4)

3.4. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG idgF die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

3.5. Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.6. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

3.7. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1.) dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und 2.) der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl Nr 189/1955) erreicht wird. Gemäß Abs 2 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.8. Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

3.9. Folgende Umstände - zumeist in Verbindung mit anderen Aspekten - stellen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0025; E 18. Oktober 2012, 2010/22/0136; E 20. Jänner 2011, 2010/22/0158), das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), eine Einstellungszusage (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032), familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. E 23. Mai 2012, 2010/22/0128; (betreffend nicht zur Kernfamilie zählende Angehörige) E 9. September 2014, 2013/22/0247), ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben (vgl. E 18. März 2014, 2013/22/0129; E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365), eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben (vgl. E 10. Dezember 2013, 2012/22/0151), freiwillige Hilfstätigkeiten (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), ein Schulabschluss (vgl. E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062) bzw. eine gute schulische Integration in Österreich (vgl. E, 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082) oder der Erwerb des Führerscheins (vgl. E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365) (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).

3.10. Fallbezogen sprechen zunächst gegen den weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich und für die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die Umstände, dass der Beschwerdeführer im März 2007 sowie im April 2013 unrechtmäßig in Österreich eingereist ist, sein Aufenthaltsstatus jeweils grundsätzlich ein unsicherer war, sein Aufenthalt über wenige Monate unrechtmäßig war und dass der Beschwerdeführer nach Abschluss des Verfahrens zu seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich verblieb sowie in der Folge zwei weitere Anträge auf internationalen Schutz stellte. Für den Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich spricht demgegenüber nach dem festgestellten Sachverhalt, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner letzten Einreise in Österreich bereits rund fünf Jahre und neun Monate ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält. Bezieht man seinen Aufenthalt vom 26.03.2007 bis 28.10.2011 mit ein, beträgt sein Aufenthalt in Österreich sohin insgesamt etwa zehn Jahre und zwei Monate, wobei dieser überwiegend rechtmäßig war. Dass sich der Beschwerdeführer ab 28.10.2011 für etwa ein Jahr und sechs Monate nach freiwilliger Ausreise aus Österreich nicht im Bundesgebiet aufhielt, ist angesichts der Gesamtaufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich von über zehn Jahren lediglich ein geringeres Gewicht beizumessen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass auch dann regelmäßig vom Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist, wenn ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt durch mehrere Monate [Auslandsaufenthalt] unterbrochen ist (VwGH 17.03.2016, Ro 2015/22/0016). Der Beschwerdeführer hat auch von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. Der Beschwerdeführer bezog zu keinem Zeitpunkt seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde, sondern erwirtschaftet seit jeher seinen Lebensunterhalt selbst durch erlaubte und versicherungspflichtige selbstständige Erwerbsarbeit. Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich eine eigene Existenz aufgebaut und zeigt seit einigen Jahren, dass er selbsterhaltungsfähig und -willig ist. Der Beschwerdeführer hat zudem Arbeitsplätze geschaffen. Der Beschwerdeführer hat auch die zertifizierte Deutschprüfung für das Niveau A2 bestanden. Auch wenn in Pakistan nach wie vor die Ehefrau des Beschwerdeführers, seine Kinder und seine Mutter leben, so hat er mittlerweile doch seinen Lebensmittelpunkt und Freundeskreis in Österreich, wo auch sein Bruder und sein Neffe dauerhaft aufenthaltsberechtigt leben.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt deshalb im konkret zu beurteilenden Fall zum beweiswürdigend festgestellten Sachverhalt und zu einer positiven Zukunftsprognose. In Anbetracht der gegenständlichen Umstände überwiegt das private Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privatlebens in Österreich das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Es ist auch keine ausreichende Rechtfertigung zu erkennen, warum öffentliche Interessen es zwingend erfordern würden, dass der Beschwerdeführer Österreich verlassen müsste.

3.11. Im Ergebnis ergibt sich daraus, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles den privaten Interessen des Beschwerdeführers ein so großes Gewicht zukommt, dass die Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Es erweist sich daher die im angefochtenen Bescheid angeordnete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unzulässig und eine Rückkehrentscheidung daher auf Dauer unzulässig.

3.12. Es war daher im Ergebnis spruchgemäß der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides stattzugeben, festzustellen, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Da der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird, war ihm zudem gemäß § 55 Abs 1 AsylG den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

Spruchpunkt II

Zur ersatzlosen Behebung des Spruchpunktes IV des angefochtenen Bescheides

3.13. Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis liegen die Voraussetzungen für die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht mehr vor, weshalb gleichzeitig der betreffende Spruchpunkt ersatzlos zu beheben war.

Zu B)

Revision

3.14. Da die Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die ordentliche Revision nicht zulässig.

3.15. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltstitel, Behebung der
Entscheidung, ersatzlose Behebung, Erwerbstätigkeit, freiwillige
Ausreise, Frist, Integration, Interessenabwägung, Kassation,
öffentliche Interessen, Privat- und Familienleben, private
Interessen, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig,
Spruchpunktbehebung, Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.1408544.4.00

Zuletzt aktualisiert am

24.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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