Entscheidungsdatum
26.03.2019Norm
AsylG 2005 §15bSpruch
I419 2169812-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX alias XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17.01.2019, Zl. XXXX, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG teilweise
stattgegeben. In Spruchpunkt I des bekämpften Bescheids entfällt das Wort "durchgängig", und Spruchpunkt II wird behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal ein und stellte am 25.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA am 07.08.2017 abwies, wobei es eine Rückkehrentscheidung erließ und feststellte, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat zulässig sei und keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe. Einer Beschwerde wurde nach § 18 Abs. 1 Z. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mittels Verfahrensanordnung verpflichtete das BFA den Beschwerdeführer zugleich, bis 22.08.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch zu absolvieren, wofür ihm die Kontaktdaten des VMÖ mitgeteilt wurden.
2. Die Beschwerde dagegen hat dieses Gericht am 28.05.2018 abgewiesen.
3. Am 09.07.2018 erließ das BFA mittels Mandatsbescheid wider den Beschwerdeführer eine Wohnsitzauflage bezogen auf ein Quartier in einem dessen Wohnsitz benachbarten Bundesland, in welchem er binnen drei Tagen Unterkunft zu nehmen habe, wogegen dieser am 19.07.2018 eine als Beschwerde bezeichnete Vorstellung erhob.
4. Mit dem bekämpften Bescheid hat das BFA neuerlich die Wohnsitzauflage bezogen auf das bereits im Mandatsbescheid angeführte Quartier verhängt (Spruchpunkt I), in welchem er unverzüglich und bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft zu nehmen habe. Mit Spruchpunkt II hat das BFA die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde dagegen ausgeschlossen.
Unter einem wurde dem Beschwerdeführer am 22.01.2019 amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und ein undatiertes "Informationsblatt" zugestellt, wonach er sich nicht in dem im Bescheid angeführten Quartier einfinden solle, da dieses "aufgrund der derzeitigen Wettersituation evakuiert" sei, sondern in einer näher bezeichneten Betreuungsstelle in der Hauptstadt eines westlichen Bundeslandes.
5. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 14.02.2019 Beschwerde.
6. Nachdem der Beschwerdeführer am 13.03.2019 das im Bescheid bezeichnete Quartier bezogen hatte, legte das BFA am folgenden Tag die Beschwerde dem Gericht vor, wo sie in der zuständigen Gerichtsabteilung am 19.03.2019 einlangte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Zum Beschwerdeführer:
Der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, erwerbsfähig, ledig, und kinderlos. Er ist Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Yoruba. Seine Identität steht nicht fest.
Seit der Erlassung des Erkenntnisses dieses Gerichts vom 28.05.2018, mit dem seine Beschwerde abgewiesen wurde, hält sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, seiner Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat ist er nicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer hat bis 15.01.2019 kein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch genommen.
Der Beschwerdeführer war seit Begründung seines ersten Wohnsitzes 2015 mit Ausnahme von drei Tagen (Samstag bis Montag) im Sommer 2018 mit Hauptwohnsitzen in der Hauptstadt eines südlichen Bundeslandes gemeldet und hielt sich auch dort regelmäßig auf. Er teilte seine Übersiedlung innerhalb der Stadt nicht dem BFA mit.
Der Beschwerdeführer war in Österreich nie sozialversichert erwerbstätig.
Am 20.03.2019 hat das BFA wider den Beschwerdeführer einen Mitwirkungsbescheid mit dem Ziel erlassen, ein Heimreisezertifikat zu erlangen.
2. Beweiswürdigung:
2.1 Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA und der Gerichtsakten. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.
2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen stützen sich auf den Inhalt der Akten des BFA sowie des BVwG im abgeschlossenen Asyl- und im nunmehrigen Verfahren. Ergänzend wurde das Register der Sozialversicherungszeiten abgefragt.
Mangels eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest.
3. Rechtliche Beurteilung:
Betreffend das nach Erhebung einer Vorstellung gegen einen Mandatsbescheid durchzuführende Ermittlungsverfahren hat der VwGH ausgesprochen, dass es dazu dient, "auf Grundlage des unter Wahrung des Parteiengehörs ermittelten Sachverhaltes in der Weise bescheidmäßig neu zu entscheiden, dass ausgesprochen wird, ob das Mandat aufrecht bleibt, behoben (beseitigt) oder abgeändert wird."
Prozessgegenstand des Verfahrens über die Vorstellung ist somit das erlassene Mandat. (VwGH 10.10.2003, 2002/18/0241 mwH).
Vor diesem Hintergrund ist der Spruch des bekämpften Bescheides, so zu verstehen, dass das Mandat damit mit der Maßgabe aufrecht bleiben soll, dass der Beschwerdeführer nicht binnen drei Tagen, sondern unverzüglich in der genannten Einrichtung Unterkunft zu nehmen habe. Der Zusatz "bis zu Ihrer Ausreise" ist insoweit ohne Rechtswirkung, als die nach § 57 FPG auferlegte Verpflichtung ihrem Sinn nach - auch im Mandatsbescheid - im Ausland keine Wirkung zeitigt, und ein anderslautender Bescheid auch vor Ausreise nicht ausgeschlossen ist.
Eine schlichte Bestätigung des Mandatsbescheids hätte demgegenüber dessen Vollstreckbarkeit unberührt gelassen und daher auf den Spruchpunkt II verzichten können.
Zu A) Anpassung Wohnsitzauflage, Behebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung
3.1 Zur Wohnsitzauflage (Spruchpunkt I):
Das BFA hat sich bei der Verhängung der Wohnsitzauflage auf § 57 Abs.1 FPG gestützt. Diese Bestimmung sieht vor, dass einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig wurde und dessen Aufenthalt nicht geduldet ist, aufgetragen werden kann, bis zur Ausreise in vom BFA bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn entweder keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder (Z. 1) oder nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird (Z. 2).
Nach Abs. 2 ist beim letztgenannten Tatbestand insbesondere zu berücksichtigen, ob der Fremde entgegen einer Anordnung des BFA (...) ein Rückkehrberatungsgespräch nicht in Anspruch genommen hat (Z. 1), nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das BFA davon nicht in Kenntnis gesetzt hat (Z. 2) oder an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a FPG nicht mitwirkt (Z. 3). Z. 4 f nennen weitere Umstände, die fallbezogen nicht relevant sind.
Nach den Materialien (2285/A Blg. XXV. GP, 63 ff) soll eine Wohnsitzauflage nicht systematisch erfolgen, sondern jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK, speziell im Hinblick auf familiäre Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die Bedürfnisse Minderjähriger zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher "als ultima ratio nur dann angeordnet werden", wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen und aufgrund der Umstände anzunehmen ist, dass er das auch weiterhin nicht wird.
Die Interessenabwägung zu Art. 8 EMRK nimmt das BFA Bezug nehmend auf die rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor und hält fest, dass seither keine Änderungen bekannt geworden seien, und solche gegebenenfalls im Bewusstsein der Ausreiseverpflichtung stattfgefunden hätten.
Dieser Überlegung ist beizupflichten (im Gegensatz zu weiteren, wonach die Wohnsitzauflage als geringerer Eingriff gegenüber der Abschiebung quasi immer zulässig, und aus einer pflichtwidrigen Nichtausreise auf fehlende "wesentliche integrative Bindung zu Österreich" zu schließen sei).
Bereits im Vorerkenntnis hat dieses Gericht nach individueller Abwägung der berührten Interessen entschieden, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann. Dieses ist vor weniger als 10 Monaten ergangen, und im nunmehrigen Verfahren wurde nichts vorgebracht, was auf inzwischen entscheidungswesentlich stärkere private oder familiäre Anknüpfungen des Beschwerdeführers im Inland hindeutete,
Im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt, der mehrere der in § 57 Abs. 2 FPG angeführten Indizien beinhaltet, ist daher die Anordnung des BFA in Spruchpunkt I nicht nur begründet, sondern auch verhältnismäßig.
Daran ändert auch die Kritik der Beschwerde nichts, dass die vorgesehene Betreuungseinrichtung sich "abseits der urbanen Infrastruktur" befinde und keine Möglichkeiten für "sinnvolle Arbeit, Bildung, Sport oder anderweitige Beschäftigung" aufweise. Es ist notorisch, dass der Großteil der Bevölkerung außerhalb von Städten wohnt und niemandem eine Mindestbevölkerung seiner Wohngemeinde zusteht. Ebenso notorisch ist, dass kleinere Gemeinden im Allgemeinen mit weniger überörtlicher Infrastruktur versehen sind. Darin liegt keine Verletzung des Art. 8 EMRK.
Welche "sinnvolle Arbeit" der Beschwerdeführer auszuüben beabsichtigt, wird nicht vorgebracht. Im Hinblick auf die festgestellte bisherige erwerbsmäßige Abstinenz wird aber in der reduzierten Vielfalt der Arbeitsangebote gegenüber dem der bisherigen Wohngemeinde keine im Sinn des Art. 8 EMRK relevante Beeinträchtigung des Privatlebens zu sehen sein, zumal ihm der Arbeitsmarkt in großen Teilen nicht offenstand.
Im Gegensatz zu § 15b AsylG 2005 ("Anordnung der Unterkunftnahme"), der unter einem mit § 57 FPG in Kraft trat, und wonach das BFA einem Asylwerber unter näher bezeichneten Voraussetzungen aufgetragen werden, in einem zur Verfügung gestellten Quartier "durchgängig" Unterkunft zu nehmen, ist in § 57 FPG nur davon die Rede "Unterkunft zu nehmen", nicht aber "durchgängig". Das macht insofern einen Unterschied, als der Begriff "durchgängig" bei der Anordnung der Unterkunftnahme nach den Materialien "jedenfalls so zu verstehen [ist], dass die Anwesenheit des Asylwerbers in dem zugewiesenen Quartier während den Nachstunden erforderlich ist".
Die Unterscheidung der beiden Maßnahmen erscheint auch nicht als Redaktionsversehen, sondern insofern konsequent, als nach den Materialien die rechtskräftige Rückkehrentscheidung als Voraussetzung der Wohnsitzauflage eine deutliche Abgrenzung zur Anordnung der Unterkunftnahme gemäß § 15b AsylG 2005 bildet, "welche nur bis zur Rechtskraft der Entscheidung Gültigkeit besitzen kann". Im Regelfall gilt daher die Anordnung der Unterkunftnahme (nur) für die Verfahrensdauer, die Wohnsitzauflage aber grundsätzlich unbefristet.
Mangels Rechtsgrundlage war daher das Wort "durchgängig" aus Spruchpunkt I zu entfernen.
3.2 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II):
Das BFA hat die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid nach § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet.
Die zitierte Bestimmung sieht demgegenüber den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung vor, "wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist".
Zu fragen ist demnach, ob Gefahr im Verzug vorliegt, und deshalb der vorzeitige Vollzug dringend nötig ist.
Das BFA führt aus, das überwiegende öffentliche Interesse sei bereits durch die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides indiziert, der sofort durchsetzbar sei. Angesichts des Zwecks der Auflage "im Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme" lägen daher "jedenfalls" überwiegende öffentliche Interessen am sofortigen Vollzug vor.
Dem ist nicht zu folgen, und zwar zunächst schon, weil das Vorsehen eines Mandatsbescheids für sich allein nur bedeutet, dass ein Bescheid ohne vorangegangenes Ermittlungsverfahren ergehen darf oder muss. Dies ist nach § 57 AVG für bestimmte Geldleistungen und bei Gefahr im Verzug auch noch für unaufschiebbare Maßnahmen vorgesehen, aber nach verschiedenen Verwaltungsvorschriften auch unter anderen Voraussetzungen (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts10 [2014] Rz 578 ff).
Die Materialien (2285/A Blg. XXV. GP, 65 f; ursprünglich AA-213 XXV. GP, 66 f) gehen davon aus, dass bei Wohnsitzauflagen nach § 57 Abs. 1 Z. 1 FPG "der Ausschluss einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Rückkehrentscheidung (§ 18 Abs. 2 BFA-VG) geknüpft" wurde, und so "bereits im Falle einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und der Nichtgewährung einer Frist gemäß § 55 [FPG] festgestellt [sei], dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt". Diese Darstellung der Begründung des Abänderungsantrags übergeht, dass in § 18 Abs. 2 BFA-VG neben dem "Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" (Z. 1) noch zwei weitere Tatbestände beinhaltet sind (Z. 2 f), und sich § 55 (Abs. 4) FPG auf alle drei bezieht.
Sie lässt ferner außer Acht, dass die aufschiebende Wirkung auch nach § 18 Abs. 1 BFA-VG aberkannt worden sein kann, wie hier der Fall, weil (z. B.) das Vorbringen zu Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht.
Bei der hier interessierenden Wohnsitzauflage nach § 57 Abs. 1 Z. 2 FPG liegt nach den Materialen "eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird". Begründend wird ausgeführt, aus der ständigen Rechtsprechung ergebe sich, dass bereits ein "länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt" eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sei, sodass dies umso mehr zu gelten habe, wenn eine "Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung feststellt oder auferlegt" und diese Verpflichtung nicht zeitgerecht erfüllt werde.
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass die beiden dazu zitierten VwGH-Entscheidungen (23.03.2001, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081) sich auf die Versagung eines Sichtvermerks (Einreise- oder Aufenthaltstitels) beziehen, und der VwGH dazu ausführt, ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt im Anschluss an den rechtmäßigen Aufenthalt nach sichtvermerksfreier Einreise oder Ablauf eines Touristensichtvermerkes und ein Aufenthalt nach unrechtmäßiger Einreise rechtfertigten die Annahme, der weitere Aufenthalt des Antragstellers werde die öffentliche Ordnung im Sinn des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 gefährden. Die beiden Judikate befassen sich aber nicht mit der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
Es erscheint auch nicht zwingend, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinn eines Versagungsgrundes zugleich eine Gefahr im Verzug im Sinn des § 13 Abs. 2 VwGVG ist, zumal auch die Versagung grundsätzlich mit aufschiebender Wirkung bekämpft werden kann.
Zu bedenken ist weiter, dass der Gesetzgeber, hätte er einen Entfall der aufschiebenden Wirkung als ausnahmslose Rechtsfolge eines im ordentlichen Verfahren ergehenden Bescheids nach § 57 Abs. 1 FPG vorsehen wollen, weil dieser in jeder Konstellation der Erfüllung des Tatbestands der Wohnsitzauflage gefahrenbedingt erforderlich sei, eine solche Rechtsfolge auch im Gesetz verankern hätte müssen, wie er es mit der Anordnung getan hat, dass eine Wohnsitzauflage jedenfalls mittels Mandatsbescheids zu ergehen hat.
Diese Anordnung eines generellen Entfalls der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen Bescheide nach § 57 Abs. 1 FPG findet sich aber weder in § 57 noch in § 55 FPG oder in §§ 16 oder 18 BFA-VG, und auch nicht in § 13 VwGVG.
Das Gericht geht demnach davon aus, dass das BFA zwar - der ausdrücklichen Anordnung wegen - eine Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheids zu verhängen hat, für den Fall einer Vorstellung gegen diesen aber keine Bestimmung existiert, wonach das Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses - und zwar wegen Gefahr im Verzug - am sofortigen Vollzug des folgenden Bescheides nicht bewiesen sein müsste.
Im Gegensatz zu den EBRV zu § 76 Abs. 3 (jetzt 4) FPG, wonach dann, wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft als solche gegeben sind, stets auch Gefahr im Verzug im Sinne des § 57 AVG vorliegt, wenn der Fremde nicht schon anderweitig in Haft ist (vgl. VwGH 27.01.2010, 2009/21/0009), findet sich zu § 57 FPG eine solch klare Festlegung nicht in den Materialien.
Mit dem Hinweis auf den vorangegangenen Mandatsbescheid ist damit eine Gefahr im Verzug nicht bereits erwiesen und kann wegen der Wortlautgrenze der Auslegung auch nicht als gesetzlich fingiert zur Begründung des Überwiegens des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug dienen.
Mit den vom BFA angeführten Gründen für die Wohnsitzauflage selbst wird nach Ansicht des Gerichts auch fallbezogen noch nicht dargetan, dass Gefahr im Verzug vorläge, zumal der Wohnsitzwechsel 2018 mit Meldung nach dem MeldeG erfolgte, und die monierte Unterkunftnahme bereits auf Basis des Mandatsbescheids durchgesetzt hätte werden können.
Spruchpunkt II des bekämpften Bescheids war demnach - obgleich mit dem vorliegenden Erkenntnis gegenstandslos geworden - formal als unbegründet zu beheben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und zur Vorstellung im Mandatsverfahren wegen Gefahr im Verzug.
Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung relevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist.
Außerdem muss die Verwaltungsbehörde ihre, die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung, in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Gericht diese tragenden Erwägungen in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Die genannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheids und der Entscheidung des Gerichts knapp 10 Wochen liegen - die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Gericht zur Gänze angeschlossen.
Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).
Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung, GefahrEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I419.2169812.2.00Zuletzt aktualisiert am
24.07.2019