TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/14 W187 2177753-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2019
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Entscheidungsdatum

14.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W187 2177753-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER über die Beschwerde des mj. XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, MA 11 Amt für Jugend und Familie, Referat Asylvertretung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dem mj. XXXX gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem mj. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis 14. Mai 2020 erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der minderjährige Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung am selben Tag wurde der mj. Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsberaters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, am

XXXX in Afghanistan, Ghazni, geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören sowie schiitischer Moslem zu sein. Als Beweggrund für seine Ausreise gab er an, dass sein Vater vor acht Jahren von den Taliban getötet worden und sein Bruder vor zwei Jahren bei einer Minenexplosion ums Leben gekommen sei. Da die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht sei und sich Hazara nicht frei bewegen könnten, habe ihn seine Mutter aus Afghanistan fortgeschickt.

3. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX wurde die Obsorge für den minderjährigen Beschwerdeführer dem Kinder- und Jugendhilfeträger XXXX übertragen.

In weiterer Folge erteilte das Amt für Jugend und Familie der XXXX XXXX die Vollmacht zur Vertretung des minderjährigen Beschwerdeführers im Asylverfahren.

4. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein seines gesetzlichen Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Befragt nach seinem Fluchtgrund gab er an, dass er sieben oder acht Jahre alt gewesen sei, als sein Vater von den Taliban getötet wurde, nachdem er verweigert habe, dass sich der Bruder des Beschwerdeführers den Taliban anschließe. Der Bruder des Beschwerdeführers sei später bei einem Bombenanschlag gestorben. Nachdem der Beschwerdeführer eines Tages während seiner Arbeit im Geschäft von fremden Männern mit einem Messer attackiert worden sei, sei er aus Afghanistan ausgereist.

5. Am XXXX erfolgte eine Stellungnahme des gesetzlichen Vertreters des mj. Beschwerdeführers zu den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten.

6. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des mj. Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der mj. Beschwerdeführer, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen groben Verfahrensfehlern und Rechtswidrigkeit des Inhalts.

8. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das BFA zur Entscheidung vorgelegt. Unter einem erklärte die belangte Behörde schriftlich, auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu verzichten.

9. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

10. Mit Eingabe vom XXXX erfolgte eine Stellungnahme des mj. Beschwerdeführers, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter. Unter einem wurden diverse Integrationsunterlagen, ein psychologischer Befund und eine Bestätigung der psychologischen Betreuung des Beschwerdeführers vorgelegt und die Einvernahme eines namhaft gemachten Zeugen zum Thema der Integration des Beschwerdeführers beantragt.

11. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der mj. Beschwerdeführer im Beisein seines gesetzlichen Vertreters und zugleich Rechtsvertreters sowie einer Dolmetscherin für die Sprachen Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen und der vom Beschwerdeführer stellig gemachte Zeuge zum Thema der Integration des Beschwerdeführers befragt wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Bis jetzt schon.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ich nehme keine Medikamente, aber ich stehe unter psychologischer Behandlung. Ich gehe in die Organisation XXXX . Dort bekomme ich psychologische Unterstützung.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Die erste Einvernahme von mir hat 40 min gedauert. Der Richter stellte mir Fragen und ich wurde aufgefordert auf die Fragen kurze Antworten zu geben und nicht detailliert zu erzählen. Das war bei der Einvernahme wo ich dann später die negative Entscheidung bekommen habe.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX geboren. In XXXX wurde mein Geburtsdatum falsch aufgenommen. 3 Wochen lang hatte ich ein falsches Geburtsdatum. Mein richtiges Geburtsdatum lautet XXXX . ich wurde in Ghazni, in XXXX , in XXXX , geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Dari, das ist meine Muttersprache, ich kann Dari lesen und schreiben. Außerdem kann ich Deutsch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Hazara, Schiit und ledig.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe immer in Ghazni gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: In unserem Haus habe ich gelebt. Wir hatten auch noch ein Geschäft.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe 4 Jahre lang nicht regelmäßig, sondern unregelmäßig die Schule besucht. Nach dem Tod meines Vaters und meines Bruders habe ich 2 Jahre lang beim Onkel mütterlicherseits in unserem Geschäft gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: 4 Jahre, aber nicht regelmäßig.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Ich weiß zur Zeit nichts über meine Familie.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich besuche zur Zeit die Schule. Ich besuche die letzte Klasse und mache den Hauptschulabschluss. Danach möchte ich eine Lehre beginnen. Ich spiele Fußball und bin in einem Fußballverein, XXXX .

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe afghanische Freunde und im Fußballverein habe ich auch österreichische Freunde.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem anderen Verein?

Beschwerdeführer: Ich arbeite freiwillig bei der XXXX .

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Um zu überleben. Ich wollte nicht wie mein Vater und mein Bruder, sterben. Deswegen habe ich meine Heimat verlassen und bin hierher gekommen.

Richter: Ich weise noch einmal darauf hin, dass ich Sie ersuche, uns alles von sich aus zu erzählen, das notwendig ist. Wir können das nicht wissen, weil wir nicht dabei waren. Deswegen ersuche ich Sie noch einmal, alles zu erzählen, das im Zusammenhang damit steht, dass Sie Afghanistan verlassen mussten. Es geht einfach darum, was geschehen ist und nicht nur darum, welche Schlüsse Sie daraus gezogen haben.

Beschwerdeführer: Der Grund für meine Flucht war die Furcht vor den Taliban. Die Angst, vor dem, von den Taliban geschlagen zu werden. Ich wurde von den Taliban geschlagen und wurde an meiner Stirn verletzt. Der Hauptgrund war jener, die Personen, die meinen Vater ermordet haben, haben mich auch geschlagen. Ich war eines Tages im Geschäft, mein Onkel mütterlicherseits war in der Moschee um das Gebet zu verrichten. Es sind 5 oder 6 Autos gekommen. Darin waren Personen, diese Personen sind zu mir ins Geschäft gekommen. Ich weiß nicht, warum diese Leute von mir etwas kaufen wollten und nicht von einem anderen Geschäft. Neben unserem Geschäft waren 5 weitere Geschäfte. Sie haben einige Sachen aus dem Geschäft genommen. Darunter Fruchtsäfte und Lebensmittel. Sie haben aber nichts bezahlt. Ich fragte, warum sie nicht bezahlen. Daraufhin sagten sie mir, dass sie nicht zahlen wollen. Wir sind aneinander geraten. Sie haben mich verletzt. Unter diesen Personen waren Personen, die meinen Vater und meinen Bruder getötet haben. Diese Leute wollten mich mitnehmen. Ich habe geschrien. Keiner ist mir zu Hilfe gekommen. Denn jeder hatte Angst vor ihnen. Dann ist mein Onkel mütterlicherseits gekommen. Er hat sie angefleht, dennoch haben sie mich nicht losgelassen. Dann war mein Onkel mütterlicherseits gezwungen, meine Mutter zu rufen. Meine Mutter ist gekommen, hat sie angefleht, ist in die Knie gegangen. Sie flehte diese Leute an, mich loszulassen. Sie wollten von mir nicht loslassen. Nachdem meine Mutter diese Leute angefleht hat, haben sie mich losgelassen. Wir sind dann nach Hause gegangen. 3 oder 4 Monate hat es gedauert bis das Geld organisiert wurde und ich von dort weggegangen bin. Seit ungefähr 2 Jahren habe ich keinen Kontakt zu meiner Mutter und seit mehr als eineinhalb Jahren habe ich keinen Kontakt zu meiner Schwester. Damals, als ich noch mit ihr Kontakt hatte, haben sie 2 Mal versucht, von dort wegzugehen. Sie schafften es bis in den Iran zu kommen, hatten aber keinen Erfolg, weiter zu reisen. Dann wurde ich hier einvernommen. Ich habe eine negative Entscheidung bekommen. Dadurch hat sich meine psychische Lage verschlechtert und ich kann mir gar nicht vorstellen, nach Afghanistan zurückzukehren.

Richter: Warum und wie wurden Ihr Vater und Ihr Bruder getötet?

Beschwerdeführer: Die Taliban wollten meinen Bruder in ihre Gruppe aufnehmen. Mein Vater war dagegen. Einige Male sind sie nach Hause gekommen und sagten, dass zumindest eine Person von uns mit ihnen mitgehen muss um sie zu unterstützen. Mehrere Male sind sie gekommen. Mein Vater war dagegen. Deswegen haben sie meinen Vater dann getötet. Mein Bruder war in Ghazni um für unser Geschäft Ware zu kaufen. Er wollte den Einkauf ins Dorf XXXX bringen. Auf dem Weg wurde er getötet. Ich weiß nicht ob man eine Mine an seinem Auto angebracht hatte oder ob er bei einer Explosion getötet wurde. Es war sehr schmerzhaft für mich. Seine Arme und seine Beine, alles war von seinem Körper abgetrennt. Ich musste alles sammeln. Ich stelle mir die Frage, warum das Auto meines Bruders davon betroffen war oder angegriffen wurde. Es waren 3 Autos unterwegs. Ein Auto war das Auto welches vor meinem Bruder unterwegs war, wurde nicht angegriffen. Auch das Auto welches hinter meinem Bruder unterwegs war. Es ist noch immer eine große Frage für mich, warum das Auto meines Bruders erwischt wurde. Ich komme zu der Antwort, dass es bestimmt diese Personen waren, die meinen Vater getötet haben. Sie haben auch meinen Bruder getötet.

Richter: Haben sie die Personen gesehen, die Ihren Vater getötet haben?

Beschwerdeführer: Ja. Diese Leute sind mehrere Male zu uns nach Hause gekommen. Sie sind wegen meinem Bruder gekommen und dort habe ich sie gesehen.

Richter: Haben Sie diese Leute in dem Geschäft Ihres Onkels wiedererkannt?

Beschwerdeführer: Diese Leute bedecken immer ihre Gesichter. Im Geschäft habe ich einige von diesen Leuten wieder gesehen, die bei uns zu Hause waren. Sie ziehen sich auch immer gleich an.

Richter: Woran haben Sie diese Leute erkannt, wenn sich die immer ihre Gesichter bedecken?

Beschwerdeführer: Ich habe gesagt, dass sie ihre Gesichter bedecken. Als sie im Geschäft waren, haben sie die Bedeckung abgenommen.

Richter: Haben diese Leute ihre Bedeckung auch abgenommen, als sie bei Ihnen zu Hause waren und Ihren Bruder rekrutieren wollten?

Beschwerdeführer: Ja, als sie im Haus waren und mit meinem Vater gesprochen haben. Diese Leute versuchen, zuerst auf eine sanfte Art mit jemandem zu sprechen und wollen, dass diese Person selbständig einwilligt.

Richter: Sind Sie zu anderen Zeitpunkten als im Geschäft Ihres Onkels persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Nach dem Tod meines Bruders waren sie auch hinter mir her. Direkt haben sie zwar nicht mit mir gesprochen, aber indirekt haben sie mich gequält. Mich geschlagen, sie sind ins Geschäft gekommen, haben die Scheibe eingeschlagen, solche Sachen eben. Ich weiß aber nicht, ob es dieselben Personen waren die meinen Vater getötet haben. Diese Personen haben eine große Anhängerschaft.

Richter: Diese Vorfälle, die Sie als Bedrohung nach dem Tod Ihres Bruders wahrgenommen haben, können Sie die detaillierter erzählen?

Beschwerdeführer: Ich war sehr klein. Meine Mutter war besorgt und sagte mir, dass ich nach diesem Angriff von dort weggehen muss und sie schickte mich weg.

Richter: Ich habe es so verstanden, dass die von Ihnen genannten Bedrohungen vor Ihrer Ausreise und nach dem Tod Ihres Bruders stattgefunden haben und damit auch vor dem Vorfall im Geschäft Ihres Onkels.

Beschwerdeführer: Ja, ich wurde aber nicht direkt bedroht, sondern belästigt. Geschlagen wurde ich. Manchmal sagte man mir, dass ich zu ihnen kommen soll. Sie haben sehr freundlich mit mir gesprochen. Sie wollten, dass ich freiwillig einwillige ohne, dass sie mich unter Zwang mitnehmen. Das wollte ich aber nicht.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan aktuell bedroht?

Beschwerdeführer: Ich habe Angst vor diesem Vorfall, ich habe Angst, dass mir so was wieder passiert. Sie hatten kein Erbarmen gegenüber meinem Vater und meinem Bruder. Nachdem ich von dort weg war, ich war bereits hier, da sagte mir meine Schwester, dass sie 2 Mal bei uns zu Hause waren und sie fragten, wo ich bin.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Mit einer sehr großen Gruppe bin ich von Pakistan in den Iran gereist. Von dort über die Türkei nach Griechenland und Mazedonien. Danach bin ich über Serbien und Slowenien nach Österreich gereist. Ich habe die genauen Namen der Länder nicht gekannt. Die Personen aus meiner Gruppe nannten diese Namen.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Ich weiß nicht warum ich negativ bekommen habe. Ich will nicht zurückkehren. Ich habe dort niemanden., Wohin soll ich gehen? Ich habe Angst vor solchen Vorfällen. In der Nacht habe ich einen schlechten Schlaf. In der Früh kann ich nicht aufstehen um in die Schule zu gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wieder zurückzukehren.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Wohin soll ich gehen? Ich habe dort niemanden. Ich habe Angst, dort getötet zu werden. Ich kann dort nicht in Ruhe leben. Ich bedanke mich beim Staat Österreich, dass ich hier in Sicherheit leben kann. Ich bedanke mich für alles und möchte, dass Sie über mein Asyl entscheiden.

Rechtsvertreter: Kannst du uns genauer erzählen, wovor du Angst hast, wenn du nach Afghanistan zurückkehren müsstest?

Beschwerdeführer: Ich habe dort niemanden. ich habe keine Unterkunft. Womit soll ich dort leben? Hier bin ich im letzten Jahr mache meinen Hauptschulabschluss. Danach kann ich zumindest hier eine Lehre machen, dort kann ich es nicht. Auch mein Leben ist dort in Gefahr.

Rechtsvertreter: Wäre es ein Problem für dich, dass du lange im westlichen Ausland warst?

Beschwerdeführer: Seit 3 Jahren bin ich hier. Ich habe mich an die Kultur gewöhnt. Es ist sehr erfreulich für mich, denn hier haben Männer und Frauen die gleichen Rechte. In Afghanistan ist das nicht so. Sogar ich kann dort nicht mit einer kurzen Hose hinausgehen.

Als Zeuge vernommen wird der stellig gemachte Herr XXXX , geb. XXXX , ausgewiesen durch: XXXX , ausgestellt von der XXXX

Richter: In welcher Funktion haben Sie Kontakt zu dem Beschwerdeführer?

Zeuge: Ich bin der pädagogische Leiter der Wohngemeinschaft in der der XXXX nach dem Aufenthalt im Krisenzentrum untergebracht wurde.

Richter: Können Sie Angaben über das Leben und Verhalten des Beschwerdeführers im Rahmen Ihrer Wahrnehmung machen?

Zeuge: Das was wahrzunehmen war, am Anfang war der XXXX sehr hilflos und das zeigte sich daran, dass er mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen und sich geritzt hat. Das ist was ich über XXXX sagen kann, dass er im Gegensatz zu anderen Kindern und Jugendlichen die wir betreuen, immer versucht hat, einen Schritt nach vorn zu machen. Von Anfang an war das sein Bestreben, unabhängig leben zu können. Seit Beginn der Unterbringung ist das eigentlich so, dass der XXXX sagt, er möchte dem Staat Österreich nicht zur Last fallen. Das höre ich in den 2 Einrichtungen in denen ich leite, sehr selten. Was ihn noch unterscheidet ist, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, dieses Traumata zu bearbeiten bzw. damit umgehen zu können. Auf der einen Seite die psychologische Begleitung. Der XXXX hat die Möglichkeit wahrgenommen auf Shiatsu und Entspannungstechniken sich anzueignen. Weil es ihm speziell am Abend sehr schwer fällt, einzuschlafen und auch die freiwillige Mitarbeit bei der XXXX war eine Idee von XXXX etwas zurückzugeben, was er von uns bekommt. Seine erste Frage als er noch nicht Deutsch konnte im Krisenzentrum war Football. Er hat für sich erkannt, dass Bewegung ein ganz wesentliches Element ist, sich im Alltag zurecht zu finden. Schulbesuch, Hausübung machen, Ordnung halten und solche Sachen waren beim XXXX nie Thema. Das ist in unserem Bereich sehr selten.

Richter: Sie sind als Zeuge zum Thema des Nachweises der Integration namhaft gemacht worden. Können Sie etwas über seine sozialen Kontakte sagen?

Zeuge: Nachdem ich selber Fußballer bin, habe ich dem XXXX sehr oft beim Training und den Matches zugesehen. Ich habe sehr viel Kontakt zu Eltern, Trainern und Funktionären des Vereins in dem der XXXX spielt. Das hat z.B. hat der XXXX beim letzten Heimmatch afghanisch gekocht. Integrationstechnisch ist das sowohl österreichische als auch afghanische Freunde vom XXXX gerne gesehen sind, gemeinsam gekocht und gegessen wird und danach auch weggeräumt wird. Was auch selten ist. Ist sogar soweit, dass der Verein XXXX ein Haus bedenkenlos für seine Geburtstagsfeier zur Verfügung gestellt hat. Er ist bei allen Gruppenaktivitäten dabei, Sommerurlaub mit Klettern, Schwimmen bis hin zum Winterurlaub, Schifahren, und das alles. Er war im Sommer auf Ferienlager der XXXX , wo er als Hilfsbetreuer mitgeholfen hat, eine Gruppe von ca. 10 Kindern tagsüber zu begleiten und zu betreuen. In den 3 Jahren die wir den XXXX betreuen, hat es nie körperliche Auseinandersetzungen oder anders geartete Konflikte gegeben.

Rechtsvertreter: Können sie uns erklären, wer die ganzen Leute im und außerhalb des Saals sind?

Zeuge: Das sind alles Betreuer und Betreuerinnen, bis auf den Herrn links, der ist Vizedirektor der Schule. Das sind Mitschüler, die gehört haben, dass der XXXX heute Verhandlung hat und die Solidarität bekunden.

Rechtsvertreter: Haben sie das Gefühl, dass XXXX in Österreich ein Zuhause gefunden hat?

Zeuge: Ja, auf alle Fälle. Es fällt ihm bei uns leichter darüber zu sprechen welche Ängste er hat, wie ohnmächtig er sich fühlt, aber auch welche Vorzüge er in Österreich schon kennenlernen durfte bzw. erkannt hat.

Ende der Einvernahme des Zeugen.

[...]

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen psychologischen Befund vom XXXX und einen Entwicklungsbericht des Arbeitskreiseses " XXXX " vom XXXX betreffend den Beschwerdeführer vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den gegenständlichen Verfahrensakt betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Befunde und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan

Der Beschwerdeführer ist im November 2001 geboren und daher im Entscheidungszeitpunkt mündiger Minderjähriger.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara angehörig und schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari, er kann auf Dari lesen und schreiben. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der afghanischen Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , geboren und ist dort im afghanischen Familienverband gemeinsam mit seinen Eltern, seinem älteren Bruder und seiner Schwester aufgewachsen. Er lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan.

Der Vater und der Bruder des Beschwerdeführers sind bereits verstorben.

Der Beschwerdeführer besuchte vier Jahre lang unregelmäßig die Schule und arbeitete nach dem Tod seines Vaters gemeinsam mit seinem Onkel mütterlicherseits zwei Jahre als Verkäufer im familieneigenen Lebensmittelgeschäft.

Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, der aktuelle Aufenthaltsort seiner Familienmitglieder ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im September 2015 und reiste im November 2015 in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit November 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er besuchte zunächst eine Neue Mittelschule als außerordentlicher Schüler und anschließend einen Nachqualifizierungslehrgang für den Hauptschulanschluss. Seit August 2018 ist der Beschwerdeführer Schüler einer Montessori-Dalton-Schule. Er verrichtete berufspraktische Tage, nahm an einem Jugendcoaching zur beruflichen und schulischen Orientierung teil und möchte künftig eine Lehre machen.

Der Beschwerdeführer wohnt seit seiner Einreise in einer sozialpädagogisch-therapeutischen Wohngemeinschaft. Er spielt seit Februar 2016 Fußball, wobei er zunächst Spieler beim XXXX war und seit September 2017 Mitglied des XXXX -Fußballvereins XXXX ist. In seiner Freizeit betreibt er diverse Sportarten und unterstützt die XXXX ehrenamtlich. Er hat in Österreich zahlreiche soziale Kontakte - auch zu österreichischen Staatsbürgern - geknüpft.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer leidet spätestens seit seiner Einreise an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die in seinem Fall mit Schlafstörungen, depressiven Episoden und selbstverletzendem Verhalten einhergeht. Er ist im Alltag mit Lernblockaden und damit insbesondere auch mit einer Beeinträchtigung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit konfrontiert. Zudem ist er schreckhaft und unruhig, vergisst Gelerntes und ist aufgrund der Schlafschwierigkeiten tagsüber müde und nicht sehr aufmerksam. Aus diesem Grund befindet sich der Beschwerdeführer seit Oktober 2016 in psychotherapeutischer Betreuung. Der Beschwerdeführer leidet weiters an keiner (lebensbedrohenden) Erkrankung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.3 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.3.1 Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzrä-ten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den histo-rischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb- e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, ver-bündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam neh-men diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositions-gruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolo-news 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen.

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

1.3.2 Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018):

• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018).

• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangar-har in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilis-ten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (To-lonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindes-tens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017).

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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