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E2A Assoziierung Türkei;Norm
21964A1229(01) AssAbk Türkei ;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des L C in B, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom 1. Oktober 1998, Zl. LGSV/3/13113/1998, betreffend Zurückweisung des Antrages auf Ausstellung eines Befreiungsscheines, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der vorliegenden Beschwerde und der angeschlossenen Bescheidausfertigung zufolge wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. Oktober 1998 die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Bregenz vom 7. August 1998 wegen Zurückweisung seines Antrages vom 15. Juni 1998 auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 13 Abs. 3 leg. cit. keine Folge gegeben und damit der erstinstanzliche Zurückweisungsbescheid bestätigt.
In der Begründung ihrer Entscheidung ging die belangte Behörde in sachverhaltsmäßiger Hinsicht davon aus, der Beschwerdeführer habe beim Arbeitsmarktservice Bludenz mit Schriftsatz vom 15. Juni 1998 die Ausstellung eines Befreiungsscheins beantragt. Mit Schreiben des Arbeitsmarktservice Bludenz vom "26.2.1998" (erkennbar gemeint: 26. Juni 1998) sei der Beschwerdeführer unter Setzung einer Frist und Belehrung über die Rechtsfolgen ersucht worden, den gegenständlichen Antrag mit dem beim Arbeitsmarktservice aufliegenden Antragsformular einzubringen. Mit Schreiben vom 7. Juli 1998 habe der Beschwerdeführer die Verlegung seines Wohnsitzes in die Gemeinde Lochau mitgeteilt und beantragt, die Rechtssache an das nunmehr zuständige Arbeitsmarktservice Bregenz abzutreten; gleichzeitig habe der Beschwerdeführer beantragt, die Frist zur Vorlage des ausgefüllten und unterfertigten Formulars bis Ende Juli 1998 zu erstrecken. Nachdem der Beschwerdeführer dem Auftrag des Arbeitsmarktservice Bludenz nicht innerhalb der gesetzten bzw. erstreckten Frist nachgekommen sei, habe das Arbeitsmarktservice Bregenz mit Bescheid vom 7. August 1998 (zugestellt am 10. August 1998) die verfahrensrechtliche Zurückweisung des Antrags ausgesprochen. In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer der ihm aufgetragenen Verbesserung, für seinen Antrag das aufliegende Antragsformular zu verwenden, nicht nachgekommen sei. Gemäß § 19 Abs. 9 AuslBG in Verbindung mit dem Abs. 4 dieser Gesetzesstelle seien Anträge für alle Arten von Befreiungsscheinen mit den entsprechenden Drucksorten einzubringen. Verfahrensgegenstand (im Berufungsverfahren) sei die Form des "Anbringens" im Sinn von § 13 AVG.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf "amtswegige Erteilung eines Befreiungsscheins nach § 4c AuslBG, Sachentscheidung, Wahrung des rechtlichen Gehörs, vollständige und richtige Sachverhaltsfeststellung und ordnungsgemäße Güterabwegung im Sinn des § 37 FrG" verletzt. Er bringt dazu - bezogen auf den Gegenstand des angefochtenen Bescheides - im wesentlichen vor, das Konzept der Amtswegigkeit und der Antragsbedürftigkeit seien miteinander nicht vereinbar. Es liege kein antragsbedürftiges Verfahren vor, weil er sich auf § 4c AuslBG und auf seine erfolgte Assoziationsintegration berufen habe. Es bestehe auch keine Notwendigkeit in einem Verfahren nach § 4c AuslBG die Bestimmung des § 19 leg. cit. anzuwenden (die weiteren Beschwerdeausführungen betreffen nicht den angefochtenen Bescheid sondern die materiell-rechtliche Frage, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen der Assoziationsintegration zu erfüllen vermag).
Diesem Vorbringen bleibt es verwehrt, die Beschwerde zum Erfolg zu führen.
Gemäß Art. II Abs. 1 EGVG regeln die Verwaltungsverfahrensgesetze das Verfahren der nachstehend bezeichneten Verwaltungsorgane, soweit sie behördliche Aufgaben besorgen und im folgenden nicht anderes bestimmt ist. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle sind zufolge Abschnitt D. Ziffer 41 von den Verwaltungsverfahrensgesetzen das AVG, dessen § 64 jedoch nur, wenn nicht anderes ausdrücklich bestimmt ist, auf das behördliche Verfahren der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice und der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice anzuwenden.
Gemäß § 13 Abs. 1 AVG können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen, sofern in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, bei der Behörde schriftlich oder, soweit es der Natur der Sache nach tunlich erscheint, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Schriftliche Anbringen können nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden technischen Mittel auch telegrafisch, fernschriftlich, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise eingebracht werden.
Formgebrechen schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde zufolge Abs. 3 dieser Gesetzesstelle nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr dem Einschreiter die Behebung der Formgebrechen mit der Wirkung aufzutragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird das Formgebrechen rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.
Die Berufungsbehörde hat außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall zufolge § 66 Abs. 4 AVG, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.
Auch im Berufungsverfahren über die Berufung des Beschwerdeführers hatte die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG in der Sache selbst zu entscheiden. "Sache" dieses Berufungsverfahrens war die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat. Im Falle einer Berufung gegen einen Bescheid, mit dem ein Antrag gemäß § 13 Abs.3 AVG zurückgewiesen worden ist, ist daher Gegenstand des Berufungsverfahrens allein die Frage, ob der erstinstanzliche Zurückweisungsbescheid dem § 13 Abs. 3 AVG entspricht, also ob die sachliche Behandlung des Antrags mangels Befolgung des Verbesserungsauftrags zu Recht verweigert worden ist. Zu einem meritorischen Abspruch über den Antrag des Beschwerdeführers war die Berufungsbehörde nicht berechtigt (vgl. insoweit auch das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1996, Zl. 95/09/0199, sowie die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage 1998, Seite 359 wiedergegebene hg. Judikatur). Der Beschwerdeführer kann durch den angefochtenen Bescheid demnach nur in seinem Recht auf Sachentscheidung über seinen zurückgewiesenen Antrag, aber nicht in den anderen in der Beschwerde behaupteten Rechten verletzt worden sein.
§ 13 Abs. 1 AVG verweist hinsichtlich der Formwahl von Anbringen auf die nach dem Gegenstand des Verfahrens in Betracht kommenden Verwaltungsvorschriften. Gemäß § 4c Abs. 3 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) gelten für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung des Verfahrens gemäß Abs. 1 und 2, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.
Gemäß § 19 Abs. 4 AuslBG ist der Antrag auf Ausstellung einer Arbeitserlaubnis oder eines Befreiungsscheines vom Ausländer bei der nach seinem Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen bei der nach seinem gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice einzubringen. Unter anderem auch die gemäß Abs. 4 gestellten Anträge sind zufolge Abs. 9 dieser Gesetzesstelle unter Verwendung der bei den Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice aufliegenden Antragsformulare schriftlich einzubringen.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß er die Ausstellung eines Befreiungsscheines bei der örtlich zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice beantragte, aber den ihm erteilten Verbesserungsauftrag, das genannte Antragsformular zu verwenden, mißachtet (bzw. verweigert) hat. Ausgehend von diesem unstrittigen Sachverhalt ist es für den Verwaltungsgerichtshof aber nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde demnach im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangte, daß die mit dem erstinstanzlichen Bescheid erfolgte Zurückweisung seines Antrages rechtmäßig und die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers nicht berechtigt war.
Mit dem Hinweis auf die Bestimmung des § 4c Abs. 2 AuslBG, wonach unter den darin näher bezeichneten Voraussetzungen türkischen Staatsangehörigen von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen sei bzw. mit der behaupteten Unvereinbarkeit "von Amtswegigkeit und Antragsbedürftigkeit" zeigt der Beschwerdeführer schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil nach seinem damit eingenommenen Standpunkt sein zurückgewiesener Antrag dann als bloße Anregung zur Einleitung eines amtswegigen Verfahrens zu verstehen gewesen wäre. Solcherart könnte der Beschwerdeführer dann aber durch die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Zurückweisung seines (als Anregung zu verstehenden) "Antrages" nicht in Rechten verletzt worden sein. War die Antragstellung bei der Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice auf Ausstellung eines Befreiungsscheines im Sinn des § 4c Abs. 2 AuslBG aber zulässig und lag insoweit nicht eine bloße "Anregung" vor, dann kann nicht weiter zweifelhaft sein, daß für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung des Verfahrens über diesen Antrag zufolge § 4c Abs. 3 AuslBG die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten und demnach unter anderem auch die in § 19 Abs. 9 AuslBG geregelte Formvorschrift (vgl. auch die in Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht 6. Auflage 1995, Rz 155 angegebenen weiteren Beispiele von vergleichbaren Formvorschriften).
Die vom Beschwerdeführer mißachtete (bzw. abgelehnte) Formvorschrift des § 19 Abs. 9 AuslBG wird auch nicht durch "Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980" bzw. durch Regelungen des unmittelbar verbindlichen Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei verdrängt, weil darin eine vom Beschwerdeführer angenommene völlige Formfreiheit seiner Antragstellung bzw. eine Verpflichtung des Mitgliedstaates Österreich zur amtswegigen Ausstellung von Befreiungsscheinen nicht festgelegt wurde. Vielmehr verbleibt nach Art. 6 Abs. 3 des Beschlusses Nr. 1/80 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung zum Erlaß derjenigen Verwaltungsmaßnahmen, die zur Durchführung dieser Bestimmung gegebenenfalls erforderlich sind, ohne daß die Mitgliedstaaten dadurch ermächtigt würden, die Ausübung des genau bestimmten und nicht an Bedingungen geknüpften Rechts, das den türkischen Arbeitnehmern auf Grund dieser Bestimmung zusteht, an Bedingungen zu binden oder einzuschränken (vgl. in dieser Hinsicht die Urteile des EuGH vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-192/89, Fall Sevince, Slg. 1990, I-3461, Randnummer 22; und vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-237/91, Fall Kus, Slg. 1992, I-6781, Randnummer 31). Die zur Durchführung der Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund ihrer Assoziationsintegration erforderliche Regelung des Verfahrensrechts (umfassend Organisationsrecht und Bestimmungen darüber, wie zu verfahren ist) fällt demnach in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Auch die genannten Bestimmungen des AuslBG stellen in diesem Sinn zulässige Regelungen des Verfahrensrechts durch den Mitgliedstaat Österreich dar, ohne daß durch diese verfahrensrechtlichen Bestimmungen die Ausübung der von türkischen Staatsangehörigen erlangten (unmittelbar wirksamen) Rechte in materiell-rechtlicher Hinsicht eingeschränkt oder an Bedingungen geknüpft wird.
Auf die Beschwerdeausführungen über die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Assoziationsintegration des Beschwerdeführers braucht schon im Hinblick auf die der belangten Behörde durch das in § 66 Abs. 4 AVG normierte Gebot der Entscheidung in der "Sache" bestimmten Grenzen ihrer Zuständigkeit nicht eingegangen zu werden. Da über die inhaltlichen Voraussetzungen des Antrages des Beschwerdeführers nicht entschieden wurde, bleibt es ihm unbenommen, einen den Formvorschriften entsprechenden Antrag neuerlich zu zu stellen.
Da somit der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 17. Dezember 1998
Gerichtsentscheidung
EuGH 689J0192 Sevince VORAB;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998090319.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
08.09.2015