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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 29. Juni 2018, VGW-151/058/15825/2017- 23 (vormals VGW-151/024/15825/2017), betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien; mitbeteiligte Partei: E K, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. Juni 2018 gab das Verwaltungsgericht Wien (VwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten, eines mazedonischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. November 2017 statt und erteilte ihm den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" für die Gültigkeitsdauer von zwölf Monaten. Weiter sprach das VwG aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Begründend führte das VwG aus, es lägen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Erteilungshindernissen gemäß § 11 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vor; der Mitbeteiligte erfülle die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 NAG. Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung habe der Mitbeteiligte durch Absolvierung einer Prüfung auf dem Sprachniveau A2 vom 18. Mai 2012 erfüllt und somit die gemäß § 21a NAG erforderlichen Deutschkenntnisse nachgewiesen.
2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesministers für Inneres.
3 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4 In der Zulässigkeitsbegründung bringt der Revisionswerber vor, der Mitbeteiligte habe keine Deutschkenntnisse gemäß § 21a Abs. 1 NAG nachgewiesen, weil das vorgelegte Sprachzeugnis - bezogen auf das Ausstellungsdatum vom 18. Mai 2012 - bereits im Zeitpunkt der Vorlage im Jahr 2016 älter als ein Jahr gewesen sei. Die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG sei vorliegend nicht anwendbar. Diese betreffe nicht jene Fälle, in denen noch kein Aufenthaltstitel erteilt worden sei; vor Erteilung eines Aufenthaltstitels habe weder eine Verpflichtung zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung bestanden, noch habe eine solche erfüllt werden können.
5 In der Revisionsbeantwortung wird beantragt, die Revision "zu verwerfen", weil der Mitbeteiligte bereits "vor Inkrafttreten des BGBl. 68/2017" durch die Vorlage des Sprachzertifikates aus dem Jahr 2012 die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Z 1 NAG erfüllt habe. Der Revisionswerber lasse offen, weshalb die Erfüllung der Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 Z 2 NAG idF vor dem BGBl. Nr. 68/2017 an eine Antragstellung geknüpft sein müsse. 6 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zu § 21a Abs. 1 NAG zulässig und auch begründet.
7 Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lauten auszugsweise:
"Nachweis von Deutschkenntnissen
§ 21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms einer durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.
(2) ...
(3) Der Nachweis gilt überdies als erbracht, wenn
1. die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 9 und 10 IntG) vorliegen oder
2. ...
§ 81. ...
(36) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren."
§§ 14, 14a und 21a NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF
BGBl. I Nr. 122/2015, lauteten auszugsweise:
"Integrationsvereinbarung
§ 14. (1) Die Integrationsvereinbarung dient der Integration rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassener Drittstaatsangehöriger (§ 2 Abs. 2). Sie bezweckt den Erwerb von vertieften Kenntnissen der deutschen Sprache, um den Drittstaatsangehörigen zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu befähigen.
(2) Die Integrationsvereinbarung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen:
1. das Modul 1 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung;
2. das Modul 2 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung.
(3) ...
Modul 1 der Integrationsvereinbarung
§ 14a. (1) Drittstaatsangehörige sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.
(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 15.
(3) ...
(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1.
...
2.
einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende
Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt,
3. ...
Nachweis von Deutschkenntnissen
§ 21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom oder das Kurszeugnis darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.
(2) Abs. 1 gilt auch für Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 im Zuge eines Verfahrens gemäß § 24 Abs. 4 oder § 26 stellen.
(3) Der Nachweis gilt überdies als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 14a und 14b) vorliegen.
(4) ..."
§ 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 idF BGBl. I Nr. 86/2017, lautet auszugsweise:
"Modul 1 der Integrationsvereinbarung
§ 9. (1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.
(2) ...
(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,
2. ...
(7) Der Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 gemäß Abs. 4 Z 1 bzw. 2 oder Abs. 4 iVm. § 10 Abs. 2 Z 1 bzw. 2 darf zum Zeitpunkt der Vorlage im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens (§ 24 NAG) nicht älter als zwei Jahre sein."
8 Der Mitbeteiligte legte bei seiner Antragstellung am 15. Dezember 2016 das "Sprachzertifikat Deutsch" für die Niveaustufe A2 vom 18. Mai 2012 vor. Damit erfüllt er unstrittig nicht das in § 21a Abs. 1 letzter Satz NAG normierte Erfordernis, wonach das Sprachdiplom zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein darf. Nach § 21a Abs. 3 Z 1 NAG gilt der Nachweis von Deutschkenntnissen aber überdies als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 9 und 10 IntG) vorliegen. 9 Als der Mitbeteiligte den verfahrensgegenständlichen Antrag im Dezember 2016 stellte, war das NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 in Geltung. Die Novelle BGBl. I Nr. 68/2017, mit der u.a. die §§ 14 und 14a NAG aufgehoben wurden, enthält in § 81 Abs. 36 NAG eine Übergangsbestimmung, wonach das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt gilt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG idF vor BGBl. I Nr. 68/2017 - somit dem NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 - erfüllten oder von der Erfüllung ausgenommen waren. § 14a Abs. 2 NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 sah vor, dass der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels nachzukommen hat. Gemäß § 14a Abs. 4 Z 2 NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 war das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG vorlegte. Eine Bestimmung, wonach das Sprachzertifikat zum Zeitpunkt seiner Vorlage nicht älter als ein Jahr sein darf, enthielten die §§ 14 und 14a NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 nicht. § 21a Abs. 1 letzter Satz NAG sah hingegen auch in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2015 vor, dass das Sprachdiplom oder das Kurszeugnis zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein darf. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung galt der Nachweis von Sprachkenntnissen als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 14a und 14b) vorlagen.
10 Strittig ist, ob § 81 Abs. 36 NAG - wie der Revisionswerber meint - nur dann anwendbar ist, wenn der Drittstaatsangehörige aufgrund eines ihm bereits erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 14a Abs. 1 NAG zur Vorlage eines allgemein anerkannten Nachweises über ausreichende Deutschkenntnisse binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels (§ 14a Abs. 2 NAG) verpflichtet war und diesen auch tatsächlich vorlegte, oder ob diese Übergangsbestimmung - nach Ansicht des Mitbeteiligten - auch bei Erstantragstellungen zur Anwendung kommt.
11 Die Formulierung des § 81 Abs. 36 NAG stellt - anders als die Bezugnahme auf das bloße Vorliegen der Voraussetzungen in § 21a Abs. 3 NAG - darauf ab, dass der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (bereits) "erfüllt" hat (auf den letzten Halbsatz "oder von der Erfüllung ausgenommen waren" ist fallbezogen nicht einzugehen, weil sich Anhaltspunkte in diese Richtung dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnehmen lassen). Die rechtlichen Konsequenzen aus der Erfüllung der Integrationsvereinbarung setzen aber voraus, dass eine Verpflichtung dazu bestanden hat. Eine dahingehende Verpflichtung ist nach § 14a Abs. 1 und 2 NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 aber erst durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels entstanden und war binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels zu erfüllen.
12 Im vorliegenden Fall stellte der Mitbeteiligte einen Erstantrag und verfügte somit noch nicht über einen Aufenthaltstitel. Daher konnte er - mangels eingetretener Verpflichtung dazu - die Integrationsvereinbarung nach § 14a NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 nicht erfüllt haben. Die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG ist daher auf eine Konstellation wie die vorliegende nicht anwendbar. Eine andere Auslegung hätte zur Folge, dass im Wege der Übergangsbestimmung das Aktualitätserfordernis (§ 21a Abs. 1 NAG) für Sprachnachweise in einer Vielzahl von Fällen relativiert würde. Anhaltspunkte für eine solche Auslegung sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. 13 Ein Vorliegen der Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nach den §§ 9 und 10 IntG wurde nicht behauptet, weshalb der Nachweis von Deutschkenntnissen auch nicht nach § 21a Abs. 3 Z 1 NAG in der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Fassung als erbracht gilt. Es bliebe somit nur die Möglichkeit der Nachweiserbringung nach § 21a Abs. 1 NAG, für die dessen letzter Satz aber vorsieht, dass das Sprachdiplom zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein darf. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
14 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. 15 Für das fortzusetzende Verfahren wird auf § 21a Abs. 5 NAG hingewiesen (vgl. dazu VwGH 27.7.2017, Ra 2017/22/0107, Rn. 8).
Wien, am 28. Mai 2019
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteMaßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220228.L00Im RIS seit
01.08.2019Zuletzt aktualisiert am
02.08.2019