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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §115Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision des Finanzamts Gmunden-Vöcklabruck in 4840 Vöcklabruck, Franz Schubert-Straße 37, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 3. August 2018, Zl. RV/5100300/2012, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010 sowie Umsatz- und Einkommensteuer 2010 (mitbeteiligte Partei: C G in S, vertreten durch die Pölzleithner Wirtschaftstreuhand KG in 4870 Vöcklamarkt, Dr. Scheiberstraße 20), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichts aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, der ein Einzelunternehmen betreibt, baute im Jahr 2010 den Altbestand eines Gebäudes zu einer Wohnung um und stellte diese der bei ihm angestellten Tochter als Dienstwohnung zur Verfügung. Im Rahmen einer u.a. das Jahr 2010 umfassenden Außenprüfung vertrat die Prüferin den Standpunkt, dass bei der Zurverfügungstellung der Dienstwohnung an die Tochter die private Veranlassung deutlich im Vordergrund stehe. Die Aufwendungen für die Wohnung stellten daher Kosten der privaten Lebensführung dar und die in den Aufwendungen enthaltene Umsatzsteuer sei nicht als Vorsteuer abziehbar.
2 Das Finanzamt folgte der Prüferin, verfügte u.a. die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 und erließ entsprechende Umsatz- und Einkommensteuerbescheide (Bescheide vom 14. Dezember 2011).
3 Der Mitbeteiligte brachte am 4. Jänner 2012 das Rechtsmittel der Berufung (nunmehr Beschwerde) "gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 und den Umsatzsteuerbescheid 2010" ein. Dass sich die Beschwerde auch gegen die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 richtete, ging weder aus deren Begründung noch aus den in der Beschwerde gestellten Anträgen hervor, die im Wesentlichen wie folgt lauteten:
"Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass aufgrund der besonderen Verhältnisse des Anstellungsverhältnisses von Frau (Tochter) durch deren vielseitige Einsetzbarkeit und deren außergewöhnlichen Dienstzeiten, sowie deren Möglichkeit zur Vertretung der Geschäftsführung jedenfalls davon ausgegangen werden kann, dass die betrieblichen Gründe für die Überlassung einer Dienstwohnung bei weitem überwiegen und auch kein Wohnbedürfnis aufgrund der Wohnung in (...) der (Tochter) vorhanden war. Somit ist unserer Ansicht von notwendigem Betriebsvermögen der Betriebswohnung auszugehen, und ich stelle daher den Antrag
1. den Vorsteuerabzug in Höhe von EUR 27.190,15 sehr wohl zu berücksichtigen, und die Instandhaltungskosten in Höhe von EUR 131.627,96 und die AFA in Höhe von EUR 267,95 sowie die Zinsen und Spesen in Höhe von EUR 802,32, somit in Summe EUR 132.697,63 bei der steuerlichen Gewinnermittlung zu berücksichtigen (TZ 2 des Besprechungsprogrammes).
In eventu
2. Sollte die Behörde jedoch wider Erwarten davon ausgehen, dass es sich nicht um notwendiges Betriebsvermögen handelt, so halte ich fest, dass es sich jedenfalls um gewillkürtes Betriebsvermögen handeln muss, was dieselben Rechtsfolgen wie unter Punkt 1. zur Folge hat.
(...)
In eventu
3. Sollte die Behörde davon ausgehen, dass es sich weder um notwendiges oder gewillkürtes Betriebsvermögen, somit um Privatvermögen handelt, so kann zumindest konkludent davon ausgegangen werden, dass ein Mietverhältnis zwischen Herrn (Mitbeteiligter) und der Tochter (...) bestanden hat, da auch ein Sachbezug in Höhe von EUR 414,-- ein ortsübliches Mietentgelt darstellt. Miete ist per Definition die Überlassung einer unverbrauchbaren Sache gegen Entgelt und genau diese Voraussetzung sind laut oa. Sachverhallt erfüllt.
(...)
In eventu
4. Sollte keinem der oben angeführten Punkte von der Behörde gefolgt werden, so darf ich festhalten, dass die Beilage 1 zum Besprechungsprogramm, welches die Aufteilung des Gebäudes betrifft, teilweise Rechnungen zur Gänze der ‚Dienstwohnung' zugeordnet werden, und somit von der Betriebsprüfung aus dem betrieblichen Bereich ausgeschieden werden, obwohl diese nur Teile des Betriebes (selbst wenn die Dienstwohnung nicht betrieblich gewertet wird) betreffen."
4 Das Finanzamt legte die Berufung gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2010 dem damaligen unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vor.
5 Mit dem angefochtene Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht "der Beschwerde betreffend amtswegiger Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010" Folge, hob die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide ersatzlos auf und wies die Beschwerde gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2010 zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO sei laut den Bescheiden über die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung erfolgt, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen seien. Im verwiesenen Prüfungsbericht werde jedoch festgehalten, "es wurden keine Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen". Der Widerspruch zwischen dem Prüfungsbericht und den darauf beruhenden Wiederaufnahmebescheiden sei offenkundig und mache die - wenn auch im Rubrum der Beschwerde nicht expressis verbis angeführten - Wiederaufnahmebescheide rechtswidrig. Eine fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe im bekämpften Bescheid sei nicht, auch nicht in der Beschwerdevorentscheidung, nachholbar, weshalb die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide aufzuheben seien.
6 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil es sich um eine rein verfahrensrechtliche Frage von nicht grundsätzlicher Bedeutung handle.
7 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten außerordentlichen Revision des Finanzamtes wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, in der dem angefochtenen Erkenntnis zugrundeliegenden Beschwerde würden die Wiederaufnahmebescheide mit keinem Wort erwähnt. Nicht nur im Rubrum, sondern auch in der Begründung finde sich kein Hinweis darauf, dass sich die Beschwerde auch gegen die Wiederaufnahme der Verfahren richte. In der Begründung würden nur materielle Argumente für das Vorliegen einer Dienstwohnung angeführt. Das Bundesfinanzgericht habe eine nicht erstattete Erklärung fingiert. Damit habe es gegen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, wonach kein Grund bestehe, sich mit der Frage der Zulässigkeit der Wiederaufnahme zu befassen, wenn sich die Beschwerde nicht auf den Wiederaufnahmebescheid beziehe (Hinweis auf VwGH 30.5.1989, 89/14/0047; 30.11.1989, 88/13/0177; 19.2.1991, 90/14/0224;
8.4.1992, 91/13/0123; 25.10.1995, 93/15/0119; 28.1.2003, 2001/14/0229; 26.7.2005, 2003/14/0082; 21.9.2006, 2006/15/0042;
24.5.2007, 2007/15/0043; und 28.6.2012, 2012/15/0071). 8 Vom Mitbeteiligten wurde - nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung erstattet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Der Wiederaufnahmebescheid und der neue Sachbescheid sind
zwei Bescheide, die jeder für sich einer Bescheidbeschwerde zugänglich sind bzw. der Rechtskraft teilhaftig werden können (vgl. Ritz, BAO5, § 307 Tz 7, mwN).
12 Für die Beurteilung von Anbringen kommt es auf den Inhalt und auf das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes an. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgebend. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Behörde gehalten, die Absicht der Partei zu erforschen. Im Falle einer Beschwerde ist entscheidend, ob aus ihrem Inhalt hervorgeht, wogegen sie sich richtet (vgl. z.B. VwGH 28.6.2012, 2012/15/0071, mwN).
13 Im Revisionsfall hat das Finanzamt am 14. Dezember 2011 Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010 erlassen. Mit weiteren Bescheiden vom selben Tag setzte es die Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 2010 neu fest.
14 Mit Schriftsatz vom 4. Jänner 2012 brachte der Mitbeteiligte eine Berufung gegen den "Einkommensteuerbescheid 2010 und den Umsatzsteuerbescheid 2010" ein. Er beantragte, die im Zusammenhang mit der Errichtung einer "Dienstwohnung" stehenden Aufwendungen als Betriebsausgaben anzuerkennen und die in diesen Aufwendungen enthaltene Umsatzsteuer als Vorsteuer zu berücksichtigen. Auch die Eventualbegehren weisen einen eindeutigen Bezug zu den im Zusammenhang mit der "Dienstwohnung" stehenden Aufwendungen und der darin enthaltenen Umsatzsteuer auf. In der Berufungsbegründung legte der Mitbeteiligte die Gründe dar, aus welchen er der Auffassung sei, dass ihm die besagten Aufwendungen und die darin enthaltene Umsatzsteuer als Vorsteuer bzw. Betriebsausgabe gebührten.
15 Dass mit dem Schriftsatz vom 4. Jänner 2012 auch gegen die Bescheide betreffend die "Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010" Berufung erhoben worden sei, geht aus diesem nicht hervor. Die Berufung des Mitbeteiligten vom 4. Jänner 2012 war nur gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2010 gerichtet. Daraus folgt, dass eine Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichts, die Bescheide betreffend die "Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010" aufzuheben, mangels einer gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerde nicht gegeben war. 16 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichts belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben war, was der Verwaltungsgerichtshof in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat beschlossen hat.
Wien, am 28. Mai 2019
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018150108.L00Im RIS seit
23.08.2019Zuletzt aktualisiert am
30.08.2019