TE Vwgh Beschluss 2019/6/25 Ra 2018/19/0546

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Veröffentlicht am 25.06.2019
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Index

19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §11 Abs1
AsylG 2005 §19 Abs1
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §45 Abs2
MRK Art3

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des D K N, vertreten durch Mag. Dr. Stefan Fida, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Helferstorferstraße 4/12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2018, Zl. W248 2163129- 1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 17. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei als Altmetall-Händler zwecks Verkaufstätigkeiten von Dorf zu Dorf gegangen. In einem Haus hätten sich Taliban mit Waffen und Sprengstoff befunden, sodass er aus Angst geflüchtet sei. Am nächsten Tag habe die Regierung das Haus der Familie des Revisionswerbers gestürmt. Zudem sei zwei Tage nach dem Vorfall sein ältester Bruder entführt worden. 2 Mit Bescheid vom 19. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führte das BVwG - auf das Wesentlichste zusammengefasst - aus, der Revisionswerber habe eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft machen können. Dem Revisionswerber - ein junger, gesunder, mobiler und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung - sei alternativ die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif möglich und zumutbar.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe die Beweiswürdigung im Einzelfall in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Den Aussagen des Revisionswerbers in der Erstbefragung sei im Verhältnis zu seinem späteren Angaben ein zu großes Gewicht beigemessen worden. Ihm sei eine detailliertere Schilderung bei der Erstbefragung verweigert worden. Das Vorbringen des Revisionswerbers könne nicht als gesteigertes Vorbringen abgetan werden, wenn gleichzeitig bei der Erstbefragung eine detailliertere Schilderung vor dem Hintergrund des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 verweigert werde.

8 Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner mittlerweile gefestigten Rechtsprechung zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH vom 14.6.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof insofern aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen. Im vorliegenden Fall stützte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung auf zusätzliche, für sich tragende Erwägungen, denen die Revision nicht entgegentritt, und begegnet die Beweiswürdigung damit keinen Bedenken im Sinne der dargestellten Rechtsprechung.

9 Die Revision bringt weiters vor, die Auffassung des BVwG über den Antrag auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten sei unvertretbar, weil die rechtliche Beurteilung in eklatantem Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen stehe, wonach u.a. die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil erklärten und Afghanistan wieder als Konfliktland einstuften. Weiters liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur rechtlichen Beurteilung der im Jahr 2018 vorherrschenden Lage in Afghanistan vor. Die Lage habe sich seit dem Jahr 2016, dem Jahr für welches zuletzt die Sicherheitslage für Afghanistan höchstgerichtlich (unter Hinweis auf VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134) beurteilt worden sei, massiv verändert.

10 In Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss daher mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen (vgl. VwGH 23.1.2018; Ra 2018/18/0001, Rn. 12 und 20 und jüngst VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 122). 11 Überdies hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Er hat dabei insbesondere hervorgehoben, dass es sich beim Kriterium der "Zumutbarkeit" um ein eigenständiges Kriterium handelt, dem neben Art. 3 EMRK Raum gelassen wird. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (vgl. wiederum etwa VwGH Ra 2019/14/0153, mwN). 12 Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. zum Ganzen wiederum VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, und aus der jüngeren Rechtsprechung VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0069, mwN). 13 Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die vom UNHCR in seinen Richtlinien vom 30. August 2018 geäußerte Auffassung zur Notwendigkeit einer ausreichend auf den Einzelfall bezogenen Prüfung nicht generell einem Ergebnis entgegen stehe, wonach eine Rückführung nach Afghanistan nicht gegen Art. 3 EMRK verstoße (vgl. etwa in Bezug auf Herat bzw. Mazar-e Sharif VwGH 7.5.2019, Ra 2019/20/0144; 6.5.2019, Ra 2019/14/0192; 30.4.2019, Ra 2018/14/0356; 29.4.2019, Ra 2019/20/0154; 25.4.2019, Ra 2019/19/0133; 12.4.2019, Ra 2019/18/0133; in Bezug auf Kabul VwGH 29.4.2019, Ra 2019/20/0175).

14 Die Revision vermag vor diesem Hintergrund nicht aufzuzeigen, inwiefern die von ihr allgemein zur Lage in Afghanistan und Kabul zitierten Berichte, die Beurteilung des BVwG, das sich unter Verweis auf vermehrt auftretende Anschlagstätigkeit in der Hauptstadt Kabul ohnehin auch auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif gestützt hat, im konkreten Einzelfall als unvertretbar darstellen würden. Insbesondere vermag die Revision keine besonderen Umstände darzutun, die zu einer anderen Beurteilung einer allfälligen Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten.

15 Was zudem die Frage des sozialen Netzwerkes bei der Prüfung der innerstaatlichen Schutzalternative betrifft, entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. ebenfalls zur Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif etwa VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0069; 21.5.2019, Ra 2018/19/0717; 7.5.2019, Ra 2019/20/0144; 6.5.2019, Ra 2019/14/0192 und grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). Auch nach dem EASO-Leitfaden vom Juni 2018 und den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 ist das Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann keine Voraussetzung für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Auch vor diesem Hintergrund erweist sich die Beurteilung, dem Revisionswerber stehe als junger, gesunder, mobiler und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung auch ungeachtet einer Unterstützung durch seine in Nangarhar lebende Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, daher nicht als unvertretbar.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190546.L00

Im RIS seit

01.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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