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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §7Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 11. Mai 2017, LVwG-M-18/001-2016, betreffend eine Verhaltensbeschwerde (mitbeteiligte Partei: L G (alias G) in G, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Begründung
1 Dem Mitbeteiligten, einem serbischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. Juni 1999 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Infolge mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen des Mitbeteiligten leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein. Er wurde dazu am 27. Jänner 2015 vom BFA einvernommen und im Zuge dessen aufgefordert, seinen Konventionsreisepass binnen 14 Tagen dem BFA vorzulegen. Einen Entziehungsbescheid erließ die Behörde nicht. Der Mitbeteiligte kam der Aufforderung dennoch nach. 2 Mit Bescheid vom 21. März 2016 erkannte das BFA dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten ab. Es erkannte ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 6. Juni 2016 statt, hob den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.
3 In der Folge stellte der Mitbeteiligte am 11. Juli 2016 beim BFA einen Antrag auf Ausfolgung seines Konventionsreisepasses. Nachdem das BFA untätig blieb, urgierte der Mitbeteiligte am 20. September 2016 abermals die Ausfolgung des Passes. Die Behörde entsprach dem Antrag bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses jedoch nicht.
4 Mit Bescheid vom 14. November 2016 erkannte das BFA dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten erneut ab, erkannte ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm jedoch einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK und sprach aus, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei.
Gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten brachte der Mitbeteiligte neuerlich Beschwerde beim BVwG ein, über die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses noch nicht entschieden worden war.
5 Bereits zuvor erhob der Mitbeteiligte am 22. September 2016 beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) eine auf "Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG iVm § 88 Abs 2 SPG" gestützte und gegen das BFA gerichtete Beschwerde auf Grund der "rechtswidrige(n) Einbehaltung des für den (Revisionswerber) ausgestellten Konventionsreisepasses".
6 Mit dem gegenständlich angefochtenen Erkenntnis vom 11. Mai 2017 gab das LVwG dieser Beschwerde statt. Es erklärte die Einbehaltung des Konventionsreisepasses für rechtswidrig, ordnete dessen unverzügliche Herausgabe an, verpflichtete den Bund zum Kostenersatz und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
Begründend führte das LVwG aus, der Mitbeteiligte habe nach wie vor den Status eines Asylberechtigten, weil der Aberkennungsbescheid des BFA noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Ihm komme daher gemäß § 94 Abs. 1 FPG das Recht auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses zu. Da das BFA keinen Entziehungsbescheid erlassen habe, sei für das LVwG nicht überprüfbar, ob ein Versagungs- und damit Entziehungsgrund gemäß der §§ 92 und 93 FPG vorliege. Ohne eine vollstreckbare Entziehung stelle die Zurückbehaltung des Passes (auch angesichts der Aufforderung zur Herausgabe) eine qualifizierte Untätigkeit im Sinn der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dar. Damit liege ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor, der mit Maßnahmenbeschwerde zu bekämpfen sei. Selbst wenn die Untätigkeit des BFA keinen solchen Akt darstelle, sei dem Mitbeteiligten beizupflichten, dass § 88 Abs. 2 SPG eine Beschwerdemöglichkeit betreffend die gesamte Sicherheitsverwaltung im Sinn des § 2 Abs. 2 SPG eröffne. Die Vollziehung der Bestimmungen des FPG sei unter "Sicherheitsverwaltung" zu subsumieren. Fremdenpolizeiliche Handlungen seien somit grundsätzlich nach § 88 Abs. 2 SPG anfechtbar.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt wird - erwogen hat:
8 Das BFA begründet die Zulässigkeit der Revision unter anderem damit, dass im vorliegenden Fall mit dem LVwG das sachlich unzuständige Verwaltungsgericht entschieden habe. § 7 BFA-VG ordne explizit die Zuständigkeit für Beschwerden gegen Akte des BFA, zumindest nach dem BFA-VG und dem 7. und 8. Hauptstück des FPG, dem BVwG zu. Es handle sich um unmittelbare Bundesverwaltung und der einfachgesetzliche Begriff der Fremdenpolizei, auf den sich § 2 Abs. 2 SPG unzweifelhaft beziehe, umfasse nicht den Zuständigkeitsbereich des BFA.
9 Die Revision erweist sich schon aus diesem Grund als zulässig und auch als berechtigt.
10 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) lauten (auszugsweise) wie folgt:
"Artikel 130. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden
1.
(...)
2.
gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher
Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;
3. bis 4. (...)
(1a) (...)
(2) Durch Bundes- oder Landesgesetz können sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über
1. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze oder (...)
2. bis 3 (...)
vorgesehen werden. (...)
(3) bis (5) (...)
Artikel 131. (1) Soweit sich aus Abs. 2 und 3 nicht anderes ergibt, erkennen über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 die Verwaltungsgerichte der Länder.
(2) Soweit sich aus Abs. 3 nicht anderes ergibt, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. (...)
(3) bis (5) (...)
(6) Über Beschwerden in Rechtssachen, in denen ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vorsieht, erkennen die in dieser Angelegenheit gemäß den Abs. 1 bis 4 dieses Artikels zuständigen Verwaltungsgerichte. Ist gemäß dem ersten Satz keine Zuständigkeit gegeben, erkennen über solche Beschwerden die Verwaltungsgerichte der Länder."
11 Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-Einrichtungsgesetzes (BFA-G), BGBl. I Nr. 87/2012, obliegt dem BFA die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), des Asylgesetzes 2005 (Z 2), des 7., 8. und 11. Hauptstückes des FPG (Z 3) sowie des Grundversorgungsgesetzes (Z 4).
12 Korrespondierend dazu überträgt § 3 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, dem BFA unter anderem "die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich gemäß dem AsylG 2005" (Z 1) und "die Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde gemäß dem 11. Hauptstück des FPG" (Z 5).
Neben der Festlegung der Behördenzuständigkeit sieht das BFA-VG in § 7 Abs. 1 zudem vor, dass das BVwG über
"1.
Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes,
2.
Beschwerden gegen Bescheide der Vertretungsbehörden gemäß
dem 11. Hauptstück des FPG,
3. Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG,
4. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes und
5. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres in Verfahren gemäß §§ 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 und 4 Abs. 1 Z 1 und 2" entscheidet.
13 Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, lauten samt Überschrift wie folgt:
"11. Hauptstück
Österreichische Dokumente für Fremde
1. Abschnitt
Fremdenpässe und Konventionsreisepässe
§ 88 bis § 92 (...)
Entziehung eines Fremdenpasses
§ 93. (1) Ein Fremdenpass ist zu entziehen, wenn
1. nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung der Ausstellung des Fremdenpasses rechtfertigen würden;
2. das Lichtbild fehlt oder die Identität des Inhabers nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt;
3. eine Eintragung des Bundesamtes oder der Vertretungsbehörde unkenntlich geworden ist;
4. der Fremdenpass verfälscht, nicht mehr vollständig oder aus sonstigen Gründen unbrauchbar geworden ist.
(2) Vollstreckbar entzogene Fremdenpässe sind dem Bundesamt unverzüglich vorzulegen. Sie stellen keine gültigen Reisedokumente dar.
(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen ihnen vorgelegten Fremdenpass abzunehmen, wenn dieser vollstreckbar entzogen worden ist. Der Fremdenpass ist unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.
(4) Erwirbt der Inhaber des Fremdenpasses die österreichische Staatsbürgerschaft oder liegen die Fälle des Abs. 1 Z 2 bis 4 vor, so bedarf es keines Bescheides, sofern der Fremdenpass der Behörde ohne weiteres zur Entwertung vorgelegt wird.
Konventionsreisepässe
§ 94. (1) Konventionsreisepässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des Asylberechtigten zukommt, auf Antrag auszustellen.
(2) bis (4) (...)
(5) §§ 88 Abs. 4 sowie 89 bis 93 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, dass anstelle eines Fremdenpasses der Konventionsreisepass tritt."
14 § 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 161/2013, hat folgenden Wortlaut:
"Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte
§ 88. (1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG).
(2) Außerdem erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt.
(3) bis (4) (...)"
§ 2 SPG (in der Stammfassung BGBl. Nr. 566/1991) bestimmt bezüglich der "Besorgung der Sicherheitsverwaltung" zum einen, dass die Sicherheitsverwaltung den Sicherheitsbehörden obliegt (Abs. 1), und zum anderen, dass die Sicherheitsverwaltung aus der Sicherheitspolizei, dem Pass- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten besteht (Abs. 2).
15 Das LVwG hat mit den angefochtenen Erkenntnis über eine Beschwerde entschieden, die vom Revisionswerber auf Grund der Einbehaltung bzw. Nichtausfolgung seines Konventionsreisepasses durch das BFA erhoben wurde.
16 Voraussetzung für die Ausstellung eines Konventionsreisepasses ist, dass dem Fremden der Status des Asylberechtigten zukommt (§ 94 Abs. 1 FPG). § 94 Abs. 5 FPG ordnet an, dass die für die Entziehung eines Fremdenpasses geltenden Bestimmungen des § 93 FPG auch für Konventionsreisepässe anzuwenden sind. Folglich kann die Änderung im rechtlichen Status des Fremden, auf dem die Ausstellung des Reisedokuments ursprünglich basierte, eine Entziehung begründen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 93 FPG K 3). Wird also nachträglich bekannt, dass die Voraussetzung des Asylstatus fehlt, so stellt dies eine die Passentziehung rechtfertigende Tatsache im Sinn des § 93 Abs. 1 Z 1 FPG dar. Das nachträglich bekanntgewordene Fehlen oder der Verlust des Status eines Asylberechtigten kann daher die Entziehung eines Konventionsreisepasses rechtfertigen (vgl. VwGH 7.11.2012, 2012/18/0046).
17 Im vorliegenden Fall geht es zunächst darum, ob mit dem LVwG das sachlich zuständige Verwaltungsgericht über die Beschwerde des Mitbeteiligten entschieden hat. Im angefochtenen Erkenntnis finden sich keine Ausführungen zur sachlichen Zuständigkeit des LVwG. Die Amtsrevision geht aus den bereits dargestellten Gründen von einer Zuständigkeit des BVwG aus. 18 Der Mitbeteiligte rügte in seiner Beschwerde an das LVwG, dass die in § 93 Abs. 1 FPG normierten Voraussetzungen für eine Entziehung eines Konventionsreisepasses fehlten und dass daher die Einbehaltung des von ihm vorgelegten Passes durch das BFA rechtswidrig sei.
19 Die Amtsrevision bringt hingegen vor, die Einbehaltung des Konventionsreisepasses sei für ein Asylaberkennungsverfahren erfolgt, weshalb "wohl § 39 BFA-VG und eventuell § 21 AsylG 2005 (...) die möglichen Rechtsgrundlagen für die Einbehaltung des Konventionsreisepasses wären". Es mache aber fallbezogen für die Unzuständigkeit des LVwG keinen Unterschied, ob die Einbehaltung für das Asylaberkennungsverfahren oder für ein Verfahren nach dem
11. Hauptstück des FPG erfolgt wäre.
20 Mit letzterem Vorbringen ist die Amtsrevision jedenfalls im Recht. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, war das LVwG unabhängig davon, ob die Einbehaltung bzw. Nichtausfolgung des Konventionsreisepasses für das Asylaberkennungsverfahren oder für ein Verfahren nach dem 11. Hauptstück des FPG erfolgte, sachlich unzuständig, über die Beschwerde der mitbeteiligten Partei zu entscheiden:
21 § 7 Abs. 1 BFA-VG begründet keine Zuständigkeit des BVwG. Die dort angeführten Zuständigkeiten des BVwG erweisen sich im vorliegenden Fall als nicht einschlägig, weil es weder um ein Bescheidbeschwerde- (Z 1, 2 und 5) oder Säumnisbeschwerdeverfahren (Z 4) geht noch eine Maßnahmebeschwerde gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG (Z 3) vorliegt.
22 § 88 Abs. 2 SPG, auf den sich die Beschwerde des Mitbeteiligten ausdrücklich stützt, sieht vor, dass die Landesverwaltungsgerichte über sogenannte Verhaltensbeschwerden im Bereich der Sicherheitsverwaltung entscheiden.
23 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, ist eine Verhaltensbeschwerde nach § 88 Abs. 2 SPG eine solche, die sich auf Verwaltungsakte im Bereich der Sicherheitsverwaltung bezieht und damit nur innerhalb der Sicherheitsverwaltung in Frage kommt. Die danach eingeräumte Beschwerdemöglichkeit umfasst jene Fälle, in denen ein Eingriff in Rechte Dritter durch Maßnahmen der Sicherheitsverwaltung weder durch eine Verordnung, einen Bescheid noch durch die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt erfolgt. Anfechtungsgegenstand sind sohin schlicht-hoheitliche Handlungen im Rahmen der Sicherheitsverwaltung (vgl. VwGH 28.3.2017, Ra 2017/01/0059, mwN). Dabei kann auch die sicherheitspolizeiliche Untätigkeit - soweit sie wegen Verletzung in sicherheitspolizeilichen "Rechten" bekämpft wird - einen Fall des § 88 Abs. 2 SPG bilden (vgl. B. Raschauer, "Schlichthoheitliches Verwaltungshandeln" in: FS Stolzlechner (2013) 547 (552)).
24 § 2 Abs. 2 SPG definiert die "Sicherheitsverwaltung" als eine Summe von Rechtsangelegenheiten (vgl. Giese in: Thanner/Vogl (Hrsg.), SPG § 2 K 5) und begrenzt damit auch den Umfang der Rechtsmittelzuständigkeit des § 88 Abs. 2 SPG. Nach § 2 Abs. 1 SPG wird die Sicherheitsverwaltung von den Sicherheitsbehörden (vgl. § 4 SPG und Art. 78a B-VG) besorgt.
25 Der Begriff der Sicherheitsverwaltung im Sinn des § 2 Abs. 2 SPG bildet allerdings keinen Verfassungsbegriff, für seine Auslegung ist das Verständnis des einfachen Gesetzgebers maßgeblich (vgl. VwGH 17.11.2016, Ro 2016/21/0016, sowie Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht (1998) Rz. 737). 26 Ausweislich der Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP 15) fällt die "Sicherheitsverwaltung" nach der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder, weil sie weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird (vgl. VfSlg. 19.986/2015). Die in Art. 78a B-VG verankerte Behördenorganisation ist ein Vollzugsmodell, das eine Mischform darstellt und außerhalb des Art. 102 B-VG steht. Darauf nehmen auch die erwähnten Gesetzesmaterialien Bezug. Art. 78a B-VG kombiniert Bundes- und Landesbehörden in einer Weise, die weder der mittelbaren noch der unmittelbaren Bundesverwaltung eindeutig zuzuordnen sind (vgl. Pöschl in: Korinek/Holoubek et al (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht (1999) Art. 78a B-VG, Rz. 12). Es handelt sich um eine Mischform, bei der auf unterer Ebene die Elemente der mittelbaren Bundesverwaltung dominieren, während sie auf mittlerer Ebene der unmittelbaren Bundesverwaltung nachgebildet ist (vgl. Wiederin, Das Bundesverwaltungsgericht: Zuständigkeiten und Aufgabenbesorgung, in: Holoubek/Lang (Hrsg.), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz (2013) 29 (40)). Aus diesem Grund gelangt die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG zur Anwendung, was die grundsätzliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder in diesen Angelegenheiten zur Folge hat (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP 15). Insoweit steht § 88 Abs. 2 SPG, der die Entscheidung über Verhaltensbeschwerden im Bereich der Sicherheitsverwaltung den Landesverwaltungsgerichten zuweist, auch im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Abgrenzung der Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte des Bundes und der Länder.
27 Die Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung sind in § 2 Abs. 2 SPG taxativ aufgezählt (VwGH 28.3.2017, Ra 2017/01/0059).
§ 2 Abs. 2 SPG zählt dazu auch das "Passwesen", nicht hingegen "Asyl" (vgl. Art. 10 Abs. 1 Z 3 B-VG). Folgt man der Amtsrevision, dass die Einbehaltung bzw. Nichtausfolgung des Konventionsreisepasses (ausschließlich) in Zusammenhang mit einem Asylaberkennungsverfahren erfolgt sei, dann findet § 88 Abs. 2 SPG schon mangels einer zur Sicherheitsverwaltung zählenden Angelegenheit keine Anwendung und kann damit auch keine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts begründen. 28 Zum gleichen Ergebnis gelangt man auch - wenngleich mit anderer Begründung - unter der Prämisse, dass die Einbehaltung bzw. Nichtausfolgung des Konventionsreisepasses im Rahmen eines Passentziehungsverfahrens nach dem 11. Hauptstück des FPG stattgefunden hat.
29 Da § 2 Abs. 2 SPG das "Passwesen" zur Sicherheitsverwaltung zählt, wäre diese Angelegenheit zwar grundsätzlich vom Anwendungsbereich des § 88 Abs. 2 SPG erfasst. Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass § 3 Abs. 1 Z 3 BFA-G und § 3 Abs. 2 Z 5 BFA-VG die Vollziehung jener passrechtlichen Bestimmungen des FPG, die die Erteilung und Entziehung von Fremdenpässen und Konventionsreisepässen regeln, nicht den Sicherheitsbehörden (vgl. § 2 Abs. 1 SPG und Art. 78a B-VG), sondern dem BFA, einer Bundesbehörde im organisatorischen Sinn, in Unterordnung unter den Bundesminister für Inneres überträgt. Diese Angelegenheiten werden damit in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen (vgl. VwGH Ro 2016/21/0016).
30 Gegen eine solche Übertragung in die unmittelbare Bundesverwaltung bestehen in diesem Fall auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken:
31 Die Bestimmungen über Fremdenpässe und Konventionsreisepässe im 11. Hauptstück des FPG stützen sich auf den Kompetenztatbestand "Passwesen" (Art. 10 Abs. 1 Z 3 dritter Tatbestand B-VG). Dieser umfasst Dokumente, die zum Grenzübertritt berechtigen. Ob der Pass für österreichische Staatsbürger, Staatenlose oder ausländische Staatsangehörige ausgestellt wird, macht kompetenzrechtlich keinen Unterschied (vgl. dazu Wiederin in: Korinek/Holoubek et al (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht (2000) Art. 10/1/3 3. Tb B-VG, Rz. 7 und 9). Folglich werden auch Fremdenpässe (Wiederin, Art. 10/1/3 3. Tb B-VG, Rz. 9) und Konventionsreisepässe von Art. 10 Abs. 1 Z 3 dritter Tatbestand B-VG erfasst. Es gründen somit auch die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Bestimmungen des FPG betreffend die Erteilung und Entziehung von Fremdenpässen und Konventionsreisepässen auf diesem Kompetenztatbestand.
32 Durch seine Nennung in Art. 102 Abs. 2 B-VG (in der Fassung der B-VG-Novelle 1991, BGBl. Nr. 565; vgl. dazu Pöschl, Art. 78a B-VG Rz. 10) zählt das "Passwesen" zu jenen Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden können.
33 Der einfache Bundesgesetzgeber machte von dieser bundesverfassungsgesetzlichen Ermächtigung insoweit Gebrauch, als er die Vollziehung des 11. Hauptstückes des FPG dem BFA übertrug (vgl. § 3 Abs. 1 Z 3 BFA-G und § 3 Abs. 2 Z 5 BFA-VG). 34 Dass Sicherheitsverwaltungsagenden ungeachtet des § 2 Abs. 1 SPG auch von anderen Behörden als den Sicherheitsbehörden des Bundes vollzogen werden können, ist verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Nach herrschender Auffassung ist den Sicherheitsbehörden gemäß Art. 78a B-VG nämlich keineswegs die gesamte Sicherheitsverwaltung vorbehalten (vgl. Hauer in:
Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (2002) Art. 78a B-VG, Rz. 4, mwN). Eine funktionale Bestandsgarantie wird nur insoweit angenommen, als es dem einfachen Gesetzgeber verwehrt ist, den Sicherheitsbehörden die Sicherheitsverwaltungsagenden schlechthin zu entziehen oder ihre Zuständigkeit auf diesem Gebiet derart auszuhöhlen, dass damit faktisch ihre Ausschaltung bewirkt würde (vgl. Pöschl, Art. 78a B-VG Rz. 20, mwH). Das ist hinsichtlich der hier relevanten Bestimmungen des FPG betreffend die Fremden- und Konventionsreisepässe aber nicht der Fall.
35 Ist wie im vorliegenden Fall - gestützt auf Art. 102 Abs. 2 B-VG - die Besorgung einzelner Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung (hier: eines Teiles des Passwesens) durch eine Bundesbehörde vorgesehen, die nicht zu den Sicherheitsbehörden im Sinn des B-VG zählt, kommt hinsichtlich der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG nicht zur Anwendung (vgl. Wiederin, Bundesverwaltungsgericht 40). Es liegt in diesem Fall vielmehr - da es sich um unmittelbare Bundesverwaltung im Sinn des Art. 102 Abs. 2 B-VG handelt - eine Zuständigkeit des BVwG vor (Art. 131 Abs. 2 B-VG).
Das gilt auch für Verhaltensbeschwerden gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG in einer solchen Angelegenheit, weil Art. 131 Abs. 6 B-VG eine zu den typengebundenen, verfassungsrechtlich zwingend eingerichteten Zuständigkeiten akzessorische sachliche Zuständigkeit begründet (vgl. Holoubek, Die Verhaltensbeschwerde - Das Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit sonstigen Verhaltens einer Verwaltungsbehörde, in: Holoubek/Lang (Hrsg.),
Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesfinanzgericht (2014) 113 (131 f) und Faber, Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013) Art. 131 B-VG Rz. 56). 36 Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass § 88 Abs. 2 SPG keine Anwendung finden kann. Eine sich in Hinblick auf § 2 Abs. 2 SPG ergebende Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für Angelegenheiten des "Passwesens", die - wie im vorliegenden Fall - nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern vom BFA in Unterordnung unter den Bundesminister für Inneres und daher in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, wäre nicht mit Art. 131 B-VG in Einklang zu bringen, zumal sich eine Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte mangels der hierfür notwendigen Zustimmung der Länder auch nicht auf Art. 131 Abs. 4 Z 1 B-VG stützen ließe. Der Begriff "Sicherheitsverwaltung" in § 88 Abs. 2 SPG sowie der Begriff "Passwesen" in § 2 Abs. 2 SPG sind daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie solche Zuständigkeiten nicht mitumfassen.
37 Das LVwG war im vorliegenden Fall daher - ungeachtet der Frage, ob die Einbehaltung bzw. Nichtausfolgung des Konventionsreisepasses für das Asylaberkennungsverfahren oder für ein Verfahren nach dem 11. Hauptstück des FPG erfolgte - sachlich unzuständig, über die vom Mitbeteiligten eingebrachte Beschwerde zu entscheiden. Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben. 38 Da die Beschwerde des Mitbeteiligten aus den dargelegten Gründen nicht auf § 88 Abs. 2 SPG gestützt werden kann, fehlt es gegenständlich an einer für die Zulässigkeit einer an das BVwG gerichteten Verhaltensbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG notwendigen einfachgesetzlichen Grundlage.
Wien, am 25. Juni 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Auslegung Diverses VwRallg3/5Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017190261.L00Im RIS seit
01.08.2019Zuletzt aktualisiert am
02.08.2019