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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des X Y, vertreten durch Mag. Philipp Tschernitz, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Glasergasse 2/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts
vom 31. Jänner 2019, I409 1309578-5/54E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Abweisung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des bekämpften Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 9. August 2010 den dritten Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Diesen begründete er im Wesentlichen mit der Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes und dem Umstand, dass er von der Einnahme von Medikamenten abhängig sei. 2 Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. März 2012 wurde der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberichtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) abgewiesen sowie die Ausweisung des Revisionswerbers nach Nigeria ausgesprochen (Spruchpunkt III.). 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wurde aufgehoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 4 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem fest, der Revisionswerber sei psychisch und physisch krank und leide insbesondere an einer Sarkoidose der Lunge und Leber. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werde. Überdies drohe dem Revisionswerber im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria kein ernsthafter Schaden, der durch das Verhalten des Staates oder von Dritten (Akteuren) verursacht werde oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe.
5 Beweiswürdigend hielt das Bundesverwaltungsgericht zu den Fluchtgründen des Revisionswerbers fest, er habe in seinen bisherigen Verfahren unterschiedliche Gründe vorgebracht, wobei er zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18. Jänner 2019 erklärt habe, in Nigeria verfolgt zu werden, weil er sich für die Unabhängigkeit Biafras eingesetzt habe. Dieser Fluchtgrund sei jedoch bereits in den rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren abgehandelt worden. Das Gericht komme daher zum Schluss, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.
6 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten aus, dem Fluchtvorbringen sei wie beweiswürdigend aufgezeigt die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen. Eine darüber hinaus gehende Verfolgung des Revisionswerbers sei weder von diesem dargelegt worden noch für das Gericht erkennbar gewesen. Da somit die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl nicht gegeben seien, sei die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen gewesen.
7 In Bezug auf die Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es schließe aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. November 2018, Ra 2018/01/0106, dass § 8 Abs. 1 AsylG 2005 unionsrechtskonform einschränkend so auszulegen sei, dass diese Bestimmung - ungeachtet ihres unterschiedslos auf Verletzungen von insbesondere Art. 2 und 3 EMRK abstellenden Wortlautes - nur in jenen Fällen die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorsehe, in denen dies nach (Art. 15 lit. a bis c iVm Art. 3) der Statusrichtlinie geboten sei. Demnach sei für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlich, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten des Staates oder von Dritten (Akteuren) verursacht werde oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr einer etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführenden Verletzung von Art. 3 EMRK.
8 Ausgehend von den getroffenen Feststellungen würden die Voraussetzungen für die "Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria" nicht vorliegen, sodass die Beschwerde auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen gewesen sei. 9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
10 Der Revisionswerber wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung hinsichtlich der Nichtgewährung von Asyl gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG). Zur Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bringt die Revision vor, das BVwG habe es entgegen der näher genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterlassen, zu prüfen, ob der Revisionswerber, dessen Krankheit sich über sieben Jahre nicht gebessert habe, tatsächlich Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlung in Nigeria habe. Aus den Feststellungen zur Situation in Nigeria sei klar zu entnehmen, dass er faktisch keinen Zugang zur medizinischen Behandlung im Herkunftsstaat habe.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
12 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch teilweise
begründet.
13 Zu I.:
Insoweit sich die Revision gegen die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0149, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung wird in der Revision nicht aufgezeigt.
14 Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG wegen des Fehlens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.
15 Zu II.:
Begründet ist die Revision allerdings insoweit, als sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wendet.
16 In seinem Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/01/0106, befasste sich der Verwaltungsgerichtshof unter anderem mit dem Verhältnis der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und gelangte mit Blick auf den Wortlaut dieser Bestimmung zum Ergebnis, dass der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben der Statusrichtlinie zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Sinne der näher dargelegten Auslegung der Bestimmung des Art. 15 lit. b der Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie entgegen der Rechtsprechung des EuGH und somit fehlerhaft umgesetzt hat (siehe der Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses). Ob eine richtlinienkonforme Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 möglich ist, wurde in diesem Erkenntnis jedoch ausdrücklich dahingestellt gelassen (siehe Rn 60 der Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses).
17 Mit dieser Frage hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem zwischenzeitig ergangenen Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, beschäftigt. Er gelangte dabei zu folgendem Ergebnis:
18 Eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, würde die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen. Damit würde der Statusrichtlinie zu Unrecht eine ihr im gegebenen Zusammenhang nicht zukommende unmittelbare Wirkung zugeschrieben. Der Verwaltungsgerichtshof hält daher an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (vgl. dazu auch VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153). 19 Sohin hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage im vorliegenden Fall verkannt, indem es die Auffassung vertrat, § 8 Abs. 1 AsylG 2005 sei unionsrechtskonform einschränkend so auszulegen, dass diese Bestimmung nur in jenen Fällen die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ermögliche, in denen der ernsthafte Schaden durch das Verhalten des Staates oder von Dritten (Akteuren) verursacht werde oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe. 20 Aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung hat das Gericht es in der Folge auch unterlassen, jene Feststellungen zu treffen, die für eine auf die Umstände des Einzelfalls abstellende einwandfreie rechtliche Beurteilung erforderlich gewesen wären. 21 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhalts - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben. Demgemäß verliert die Entscheidung über die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. seine rechtliche Grundlage, weshalb auch sie aus demselben Grund aufzuheben war.
22 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es den in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand übersteigt und die Umsatzsteuer darin enthalten ist (vgl. etwa VwGH 17.9.2018, Ra 2018/03/0049, mwN).
Wien, am 27. Juni 2019
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140138.L00Im RIS seit
26.07.2019Zuletzt aktualisiert am
26.07.2019