TE Vwgh Erkenntnis 2019/6/27 Ra 2018/14/0303

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Veröffentlicht am 27.06.2019
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Index

E1P
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8
BFA-VG 2014 §21 Abs7
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revisionen 1. des A B, 2. der C D,

3. des E F, und 4. des G H, alle in X, alle vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 49, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 2018, 1. L518 2184644-2/5E, 2. L518 2184652-2/5E,

3. L518 2184649-2/6E und 4. L518 2184645-2/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerber sind Staatsangehörige Georgiens. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertrevisionswerber. Die Revisionswerber stellten am 23. Oktober 2014 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Revisionswerber brachten zur Begründung der Anträge auch gesundheitliche Probleme der Zweit- und Drittrevisionswerber vor. Aufgrund dessen wurde ein Gutachten eines gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Kinder- und Jugendheilkunde durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) betreffend die Dritt- und Viertrevisionswerber eingeholt.

2 Mit den Bescheiden jeweils vom 6. Dezember 2017 wies das BFA die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerber nach Georgien zulässig sei. Unter einem erkannte es den Beschwerden gegen diese Entscheidungen die aufschiebende Wirkung ab und erließ gegen den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin, gestützt auf § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), jeweils auf fünf Jahre befristete Einreiseverbote.

3 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Erkenntnissen vom 15. Februar 2018 hinsichtlich der Nichtzuerkennung von Asyl als unbegründet ab, behob die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide und verwies die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurück. Begründend führte es betreffend die Zurückverweisung - auf das hier Wesentliche - zusammengefasst aus, dass aufgrund der Ermittlungs- und Feststellungsmängel nicht erkannt werden könne, ob die Abschiebung der Revisionswerber einen Eingriff in die durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte darstellen würde. Das BFA hätte sich mit den Angaben des Gutachters betreffend den Dritt- und Viertrevisionswerber konkret auseinandersetzen müssen. Zudem sei eine Anfragebeantwortung zur Behandlungsmöglichkeit des Drittrevisionswerbers in Georgien einzuholen. Auch sei das Parteiengehör der Revisionswerber im Hinblick auf das eingeholte Gutachten verletzt worden. 4 Mit den Bescheiden jeweils vom 11. Juni 2018 wies das BFA nach Einholung einer Anfragebeantwortung die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerber nach Georgien zulässig sei. Unter einem erkannte es den Beschwerden gegen diese Entscheidungen die aufschiebende Wirkung ab und erließ gegen den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin, gestützt auf § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), jeweils auf fünf Jahre befristete Einreiseverbote.

5 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das BVwG - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit den in Revision gezogenen Erkenntnissen mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Einreiseverbote mit 2 Jahren bemessen wurden. Weiters sprach es jeweils aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobenen Revisionen nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten sowie nach Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Zur Zulässigkeit der Revision wird unter anderem geltend gemacht, das BVwG habe zu Unrecht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen. Die Revisionswerber hätten insbesondere die Erhältlichkeit einer adäquaten Behandlung für den Drittrevisionswerber substantiiert bestritten. Auch habe das BVwG zusätzliche beweiswürdigende Erwägungen angestellt, die über bloße Abrundungen hinausgehen würden.

8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 9 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur - hier maßgeblichen - Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich:

10 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 28.2.2019, Ra 2018/14/0366, mwN).

11 Die Revision macht zu Recht geltend, dass diese Kriterien im vorliegenden Fall nicht erfüllt waren.

12 Die Revisionswerber haben die Beweiswürdigung des BFA substantiiert bekämpft, unter anderem durch Vorlage eines (über Ersuchen der Revisionswerber hergestellten) ergänzenden Gutachtens zum Gesundheitszustand des Dritt- und Viertrevisionswerbers in der Beschwerde.

13 Das BVwG nahm zudem umfassende eigene, beweiswürdigende Erwägungen vor- wenn auch disloziert in der rechtlichen Beurteilung - betreffend das Gutachten des gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Kinder- und Jugendheilkunde (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0284; 6.9.2018, Ra 2018/18/0010 bis 0013, jeweils mwN).

14 Sohin lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der beantragten Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und - wie hier gegeben - des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. erneut VwGH 28.2.2019, Ra 2018/14/0366, mwN). 15 Nach dem Gesagten waren die angefochtenen Erkenntnisse gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen hätte eingegangen werden müssen. 16 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 5 VwGG abgesehen werden.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018140303.L00

Im RIS seit

26.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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