Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar und Günter Hintersteiner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Markus Sorger, Rechtsanwalt in Gleisdorf, wegen 3.204,20 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 2.858,39 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. März 2019, GZ 6 Ra 14/19d-33, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0106298), es sei denn, das Berufungsgericht hätte bei seiner Entscheidung den Beurteilungsspielraum überschritten.
2. Die Entlassungsgründe sind in § 82 GewO 1859 taxativ aufgezählt (RS0060160).
Gemäß § 82 Abs 1 lit g GewO 1859 stellt es einen Entlassungsgrund dar, wenn der Arbeitnehmer sich einer groben Ehrenbeleidigung, Körperverletzung oder gefährlichen Drohung gegen den Gewerbeinhaber oder dessen Hausgenossen, oder gegen die übrigen Hilfsarbeiter schuldig macht. Bereits nach dem Wortlaut ist dieser Entlassungstatbestand auf Beleidigungen gegenüber einem bestimmten Personenkreis beschränkt. In der Entscheidung 9 ObA 207/90 wurde dazu ausgeführt, dass eine nicht beim selben Arbeitgeber beschäftigte Person, etwa ein Lieferant oder sonstiger Geschäftspartner, nicht den „übrigen Hilfsarbeitern“ im Sinne des § 82 lit g GewO gleichgehalten werden könne. Zweck der Bestimmung des § 82 lit g GewO sei vor allem die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Betrieb. Aus dieser Sicht komme einem Fehlverhalten gegenüber einem Geschäftspartner des Arbeitgebers – auch wenn dieser in regelmäßigen Abständen in den Betrieb komme – in Bezug auf den Normzweck nicht die gleiche Bedeutung zu wie einem Angriff auf einen Arbeitskollegen. Darüber hinaus träfen den Arbeitgeber, wie aus den zahlreichen einschlägigen Schutzbestimmungen zu erschließen sei, gegenüber seinen von ihm persönlich und wirtschaftlich abhängigen Arbeitskollegen der Arbeitnehmer regelmäßig weitergehende Fürsorge- und Schutzpflichten als gegenüber Personen, mit denen andere Vertragsbeziehungen, wie etwa Werk-, Kauf- oder Bestandverträge, bestehen.
Auch der ähnlich gelagerte Entlassungsgrund des § 27 Z 6 AngG beschränkt den geschützten Personenkreis auf den Dienstgeber, dessen Stellvertreter, deren Angehörige und Mitbedienstete. Beleidigungen gegenüber Kunden können eine grobe Vertrauensunwürdigkeit darstellen, sind aber ebenfalls nicht unter § 27 Z 6 AngG zu subsumieren (vgl 8 ObA 67/18p).
Wenn die Revision damit argumentiert, dass eine Ausweitung des Entlassungstatbestands auch auf Ehrbeleidigungen gegenüber Kunden des Arbeitgebers dringend geboten erscheine, übersieht sie, dass eine Analogie eine planwidrige Lücke voraussetzt, wofür es aber im konkreten Fall keine Anhaltspunkte gibt.
Darauf, ob das Verhalten des Klägers aufgrund der Situation entschuldbar war, kommt es daher insoweit nicht an.
3. Nach § 82 lit f GewO 1859 kann ein Arbeitnehmer dann entlassen werden, wenn er beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Dieser Entlassungstatbestand ist im Sinne des § 27 Z 4 AngG auszulegen (RS0029517).
Unter Pflichtvernachlässigung im Sinne dieser Bestimmung ist die Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung der dem Dienstnehmer aus dem Dienstvertrag, der Arbeitsordnung, dem Kollektivvertrag oder Gesetz treffenden, mit der Ausübung des Dienstes verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten zu verstehen (RS0060172). Unter „beharrlich“ ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des zum Ausdruck gelangenden Willens zu verstehen, die Dienste oder die Befolgung der Anordnung zu verweigern (RS0104124). Daher muss sich die Weigerung entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Angestellten mit Grund geschlossen werden kann. Nur im ersten Fall bedarf es einer vorangegangenen Ermahnung oder einer wiederholten Aufforderung zur Dienstleistung beziehungsweise Befolgung der Anordnung (RS0029746). Die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit und der Beharrlichkeit des Verhaltens eines Arbeitnehmers hängt regelmäßig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0105987 [T2]).
Dass das Berufungsgericht die im Mitarbeitergespräch mit dem Kläger erteilte Anordnung hinsichtlich des Verhaltens gegenüber Kunden nicht als Ermahnung ansah, ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil auch die Beklagte nicht behauptet, dass dem ein Fehlverhalten des Klägers vorangegangen wäre. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die vom Kläger gegenüber einem Mitarbeiter eines Kunden der Beklagten begleitet von einer obszönen Geste geäußerte Beleidigung – die anschließende tätliche Auseinandersetzung kann dem Kläger mangels Feststellungen zu seinem Beitrag nicht angelastet werden –, noch nicht den Entlassungsgrund der beharrlichen Pflichtverletzung darstellt, hält sich im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraums.
4. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.
Textnummer
E125646European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00022.19X.0627.000Im RIS seit
25.07.2019Zuletzt aktualisiert am
12.01.2021