TE OGH 2019/6/25 10ObS63/19s

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Veröffentlicht am 25.06.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günter Hintersteiner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Gewessler Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. März 2019, GZ 8 Rs 25/19h-11, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Juli 2018, GZ 9 Cgs 104/18i-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger (ein nigerianischer Staatsbürger) ist der Vater des am 30. 5. 2017 geborenen J*****. Die Mutter des Kindes und Ehegattin des Klägers ist österreichische Staatsbürgerin und Angestellte der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien. Sie bezog für das Kind Kinderbetreuungsgeld in der Zeit von 1. 10. 2017 bis 31. 12. 2017.

Am 22. 11. 2017 beantragte der Kläger die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 1. 1. 2018 bis 29. 5. 2018.

Mit Bescheid vom 23. 3. 2018 lehnte die beklagte Wiener Gebietskrankenkasse die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld ab.

Das Erstgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

1. Gemäß § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, wenn für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) besteht, und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird. Der Kinderbetreuungsgeldanspruch knüpft somit an den Familienbeihilfenanspruch nach dem FLAG sowie an den tatsächlichen Bezug der Familienbeihilfe an.

2.1 Nach Art X Abschnitt 26 dritter Absatz des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Internationalen Atomenergie-Organisation über den Amtssitz der Internationalen Atomenergie-Organisation BGBl 1958/82 idF BGBl 1973/413 (IAEO-Amtssitzabkommen) werden Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht, die jedoch weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in der Republik Österreich sind, keinen Vorteil aus den österreichischen Bestimmungen über Familienbeihilfe und Geburtenbeihilfe ziehen.

2.2 Der Zweck dieses Ausschlusses von Leistungen aus dem FLAG liegt darin, zu verhindern, dass der erfasste Personenkreis neben den mit seiner Beschäftigung verbundenen Privilegien auch noch Ansprüche auf Leistungen aus dem Familienlastenausgleichsfonds erwirbt.

2.3 Die Ausschlussbestimmung des Art X Abschnitt 26 dritter Absatz des IAEO-Amtssitzabkommens betrifft in gleicher Weise die Anspruchsberechtigung von im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitgliedern von IAEO-Angestellten, weil auch sie Personen sind, auf die sich das Abkommen bezieht (RS0124615).

3.1 Dem im IAEO-Abkommen normierten Ausschluss von Familienleistungen kommt Anwendungsvorrang gegenüber den allgemeinen Bestimmungen des FLAG hinsichtlich der Gewährung von Familienbeihilfe zu (10 ObS 40/14a SSV-NF 28/24, 10 ObS 170/13t SSV-NF 28/2), sofern diese Personen weder österreichische Staatsbürger (bzw Unionsbürger) noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich sind. Wenngleich der antragstellende Elternteil grundsätzlich nicht Bezieher der Familienbeihilfe sein muss, wenn der andere Elternteil diese bezieht, gilt dies dann nicht, wenn der antragstellende Teil durch ein Amtssitzabkommen mit einer internationalen Organisation vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen ist (Sonntag in Sonntag, KBGG2 § 2 Rz 16, 17).

3.2 Der Kläger als nigerianischer Staatsbürger und im gemeinsamen Haushalt mit einer Angestellten der IAEO – lebendes Familienmitglied ist daher von den Leistungen für Familienbeihilfe – und somit auch vom Bezug von Kinderbetreuungsgeld – ausgeschlossen.

4.1 Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung weicht die Entscheidung der Vorinstanzen nicht ab. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, ist die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 193/06i, SSV-NF 21/1, zu einer anderen – mittlerweile nicht mehr in Kraft stehenden – Rechtslage ergangen. Der dortigen Klägerin, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe hatte, aber nach alter Rechtslage noch Anspruch auf Karenzgeld nach dem KGG gehabt hätte, stand Kinderbetreuungsgeld gemäß § 2 Abs 2 Z 1 KBGG idF BGBl I 2003/58 aufgrund eigener sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit zu. Mit der Begründung, die Klägerin wäre nicht auf Privilegien angewiesen, die sich aus der Tätigkeit ihres Ehegatten bei einer internationalen Organisation (der Vorbereitenden Kommission für die Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, CTBTO) ableiteten, erachtete der Oberste Gerichtshof die Leistungsausschlussregelung (dort des – im Wesentlichen – gleichlautenden Artikel XV Abschnitt 50 des Abkommens der Republik Österreich mit der CTBTO) als nicht anwendbar.

4.2 Daraus ist im vorliegenden Fall für den Revisionswerber aber nichts zu gewinnen, weil er von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe – und damit auch vom Bezug von Kinderbetreuungsgeld – ausgeschlossen ist (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG).

5.1 Auch mit dem weiteren Revisionsvorbringen, im Fall der Verneinung des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld wäre eine Verletzung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte gemäß dem Bundesverfassungsgesetz vom 3. 7. 1973 zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (BVG Rassendiskriminierung, BGBl 1973/390) gegeben, weil der Kläger als nigerianischer Staatsbürger durch Art X Abschnitt 26 Satz 3 des IAEO-Abkommens gegenüber staatenlosen Personen diskriminiert sei, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

5.2 Durch das BVG Rassendiskriminierung wurde der Gleichheitssatz auf das Verhältnis von Ausländern untereinander ausgedehnt (RS0119107), somit auch auf die als Fremde geltenden Staatenlosen (Benedek in Reinisch, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I5 Rz 1265). Eine Ungleichbehandlung von Fremden untereinander ist aber soweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar ist und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist (RS0119107).

5.3 Im Hinblick auf die vielfältigen nachteiligen Rechtsfolgen der Staatenlosigkeit wie zB fehlender diplomatischer Schutz, kein Recht auf Duldung des Aufenthalts, fehlendes Wahlrecht, in manchen Ländern Ausschluss von Bildung und medizinischer Versorgung (Krauss, Menschenrechtliche Aspekte der Staatenlosigkeit [2013] 64) wurden zur Verhinderung von Staatenlosigkeit und zum Schutz Staatenloser diverse Abkommen geschlossen wie zB das Übereinkommen über die Stellung der Staatenlosen 1954 (BGBl III 2008/81) und die Abkommen der Vereinten Nationen zur Verhinderung von Staatenlosigkeit aus den Jahren 1961 und 1973 (Benedek in Reinisch, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I5 Rz 1277). Für die Europäische Union gilt die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-Richtlinie). Derartige Abkommen stellen im Hinblick auf die nachteiligen Rechtsfolgen der Staatenlosigkeit eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung im Vergleich zu anderen Fremden dar, die über eine Staatsbürgerschaft verfügen. Dies trifft auch auf Art 10 Abschnitt 26 des IAEO-Amtssitzabkommens zu, insofern die von Staatenlosigkeit Betroffenen den österreichischen Staatsbürgern (bzw EU-Bürgern) gleichstellt und damit vom Leistungsausschluss nicht erfasst werden.

5.4 Der Anregung, Art X Abschnitt 26 dritter Absatz des IAEO-Amtssitzabkommens vom Verfassungsgerichtshof auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, war demnach nicht nachzukommen.

Da keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Textnummer

E125641

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00063.19S.0625.000

Im RIS seit

24.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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