Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.-Ing. G***** H*****, vertreten durch Dr. Werner Fuchs, Rechtsanwalt in Landeck, gegen die beklagte Partei S***** H*****, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2018, GZ 2 R 236/18x-42, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 28. September 2018, GZ 33 C 3/16v-39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass der außerordentlichen Revision werden das Urteil des Erstgerichts in seinen Punkten 1. und 4. bis 6. sowie – einschließlich ihrer Kostenentscheidung – die angefochtene Entscheidung, insofern sie die genannten Spruchpunkte bestätigt, als nichtig aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur erstmaligen Verhandlung und neuerlichen Entscheidung über das Eventualbegehren auf Scheidung der Ehe wegen Zerrüttung zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Streitteile haben am 29. 4. 2006 die Ehe geschlossen.
Der Kläger begehrte mit Klage vom 12. 1. 2016, die Ehe aus dem Verschulden der Beklagten zu scheiden. Der Kläger brachte verschiedene Eheverfehlungen der Beklagten vor.
Die Beklagte bestritt, Eheverfehlungen begangen zu haben, brachte ihrerseits solche des Klägers vor und erhob einen Mitverschuldenseinwand nach § 60 Abs 3 EheG.
Im ersten Rechtsgang schied das Erstgericht mit Urteil vom 30. 6. 2017 die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Parteien.
Über Berufung der Beklagten hob das Berufungsgericht dieses Urteil mit Beschluss vom 2. 3. 2018 auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die Beklagte habe durch die Bestreitung eigener Eheverfehlungen und das Vorbringen solcher des Klägers konkludent die Klagsabweisung begehrt. Für eine Klagsstattgebung müsste gemäß § 49 EheG eine schwere Eheverfehlung der Beklagten vorliegen. Aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt sei eine solche nicht ersichtlich. Das Erstgericht habe aber nicht zu allen der Beklagten vorgeworfenen Eheverfehlungen Feststellungen getroffen, weshalb dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen sei.
Mit Schriftsatz vom 6. 6. 2018 beantragte der Kläger die Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung und erhob als Eventualbegehren zum bisherigen Urteilsbegehren, die Ehe „gemäß § 55 Abs 1 EheG aufgrund der seit mehr als drei Jahren aufgehobenen häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten und vorliegender unheilbarer Zerrüttung“ zu scheiden. Er brachte hierzu vor, dass die eheliche Lebensgemeinschaft am 15. 5. 2015 aufgelöst worden sei, seither mehr als drei Jahre vergangen seien und eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei.
Das Erstgericht beraumte mit Beschluss vom 7. 6. 2018 eine Tagsatzung an. Als Thema gab es „Eventualantrag Kläger gem § 55 EheG“ an.
Die Beklagte sprach sich mit Schriftsatz vom 12. 6. 2018 „gegen die Zulassung der Klagsänderung durch Erweiterung des Klagebegehrens um ein Eventualbegehren“ aus. Die Zulassung des Eventualbegehrens würde zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führen, als in dem weiteren Verfahren die Beklagte das Alleinverschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe gemäß § 61 Abs 3 EheG einwenden und entsprechendes Vorbringen erstatten müsste.
In der auf den 6. 7. 2018 verlegten Tagsatzung wurden nach Dartuung der Entscheidung des Berufungsgerichts vom 2. 3. 2018 die Schriftsätze vom 6. 6. 2018 und 12. 6. 2018 vorgetragen. Es folgte eine – hinsichtlich ihres Inhalts nicht näher protokollierte – Erörterung (§ 182a ZPO) des „bisher erstatteten Sach- und Rechtsvorbringens auch in rechtlicher Hinsicht“ durch das Gericht. Die Beklagte wiederholte hierauf ihre Ablehnung der Klagsausdehnung und ihren Standpunkt, dass sie „bei Zulassung der Klagsausdehnung“ genötigt wäre, den Verschuldensausspruch gemäß § 61 Abs 3 EheG zu beantragen „und umfassend zum Zerrüttungsverschulden des Klägers vorzubringen und Beweise anzubieten“. Sodann erklärte sie, für den Fall der rechtskräftigen Zulassung des Eventualbegehrens auf Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG den Verschuldensausspruch gemäß § 61 Abs 3 EheG bereits zu beantragen. Zudem beantragte sie die Einräumung eines Schriftsatzes binnen drei Wochen nach Rechtskraft der Zulassung des Eventualbegehrens und sie unter Hinzuziehung eines Dolmetschers einzuvernehmen. Der Kläger bestritt. Nach Legung der Kostenverzeichnisse wurde die Verhandlung geschlossen.
Das Erstgericht wies mit Urteil vom 28. 9. 2018 den „Antrag auf ergänzende Einvernahme der Beklagten zum Zerrüttungsverschulden unter Hinzuziehung eines Dolmetschers“ ab (Spruchpunkt 1) und ließ das „Eventualbegehren auf Scheidung der […] Ehe gem § 55 EheG“ zu (Spruchpunkt 2). Das Klagebegehren auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten wies es ab (Spruchpunkt 3) und schied die Ehe nach – aus Spruchpunkt 5 und den Entscheidungsgründen ersichtlich – § 55 EheG (Spruchpunkt 4). Der Antrag auf Ausspruch, dass der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet habe (§ 61 Abs 3 EheG), wurde abgewiesen (Spruchpunkt 5). In der Kostenentscheidung wurde der Kläger dazu verpflichtet, der Beklagten an Barauslagen 22,50 EUR zu ersetzen (Spruchpunkt 6).
Spruchpunkt 3 der Entscheidung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Gegen die Zulassung des Eventualbegehrens (Spruchpunkt 2) erhob die Beklagte Rekurs, gegen die Spruchpunkte 1, 4, 5 und 6 aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung Berufung.
Das Berufungs- und Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Hiergegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf gänzliche Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird beantragt, das Berufungsurteil dahingehend abzuändern, dass ausgesprochen werde, dass der Kläger die Zerrüttung der Ehe allein, hilfsweise überwiegend, verschuldet habe.
Der Kläger begehrt in der ihm vom Obersten Gerichtshof
freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil eine Nichtigkeit des Ersturteils aufzugreifen ist. Der Wahrnehmung einer Nichtigkeit kommt immer erhebliche Bedeutung zur Wahrung der Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RS0042743 [T2]).
1. Eine Erweiterung des Klagebegehrens stellt eine der Vorschrift des § 235 ZPO unterliegende Klagsänderung dar (arg Abs 1). Wird das Klagebegehren nachträglich um ein Eventualbegehren erweitert, so unterliegt dies jedenfalls dann § 235 ZPO, wenn das Eventualbegehren auf einen neuen Rechtsgrund gestützt und zu seiner Begründung auch neue rechtserzeugende Tatsachen vorgetragen werden (10 ObS 10/01w; RS0039393 [T5, T7]).
Dies war hier der Fall. Das Eventualbegehren wurde – anders als das erkennbar auf § 49 EheG fußende Hauptbegehren – auf § 55 EheG gegründet und, zumal letztere Vorschrift anders als erstere Vorschrift voraussetzt, dass die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben und eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten ist, vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 6. 6. 2018 ein entsprechendes Vorbringen erstattet.
2. Wird nach Eintritt der Streitanhängigkeit eine Klagsänderung vorgenommen, so bedarf es hiezu gemäß § 235 Abs 2 Satz 1 HalbS 1 ZPO der Einwilligung des Beklagten. Seine Einwilligung ist gemäß § 235 Abs 2 Satz 2 ZPO als vorhanden anzunehmen, wenn er, ohne gegen die Änderung eine Einwendung zu erheben, über die geänderte Klage verhandelt.
Verweigert der Beklagte seine Zustimmung, so kann das Gericht unter den in § 235 Abs 3 ZPO genannten Voraussetzungen die Klagsänderung dennoch zulassen. Das Gericht kann die Entscheidung über eine Klagsänderung in einem abgesonderten Beschluss treffen, sie als Beschluss mit in die Ausfertigung des Urteils aufnehmen oder sogar ohne darüber formell Beschluss zu fassen der Endentscheidung das geänderte Begehren „einfach“
(implizit) zu Grunde legen (RS0039450 [T3]).
Das Erstgericht fasste hier einen in das Urteil aufgenommenen Beschluss auf Zulassung der Klagsänderung. Das Berufungs- als Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss zur Gänze. Damit ist die Klagsänderung gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO rechtskräftig (RS0039450 [T4];
RS0039426 [T3]; Zechner in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze2 § 519 ZPO Rz 45). Sie ist der Revisionsentscheidung zu Grunde zu legen.
3. Über die geänderte Klage muss mündlich verhandelt werden. Auf die Notwendigkeit, vor der Urteilsfällung über die geänderte Klage dem Beklagten rechtliches Gehör zu gewähren, wurde bereits in der älteren Literatur hingewiesen (siehe Pollak, Zivilprozessrecht2 [1932] 403 sowie – die Nichtigkeitsfolge benennend – Wolff, Zivilprozessrecht2 [1947] 281). Zum selben Ergebnis kam der Oberste Gerichtshof in 4 Ob 176/07x = SZ 2008/6. In jenem Fall hatte, nachdem das Erstgericht in der Sache nur über das ursprüngliche Begehren entschieden hatte, erst das Berufungsgericht die Klagsänderung zugelassen und sogleich ohne mündliche Verhandlung das Urteil gefällt, welches aus diesem Grund vom Obersten Gerichtshof als nichtig aufgehoben wurde.
4.1. Nach der Entscheidung 8 Ob 142/70 = JBl 1971, 256 kann über einen später zusätzlich geltend gemachten weiteren Klagsgrund solange nicht sachlich verhandelt werden, als nicht über seine Zulassung mit Beschluss entschieden wurde, wenn der Gegner sich vor Einlassung in die Verhandlung darüber gegen seine Zulassung ausgesprochen hat. Diese Ansicht teilt auch die heutige Lehre. Über die geänderte Klage könne (Rechberger/Klicka in Rechberger, ZPO4 § 235 Rz 9) bzw dürfe (Klicka in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 235 ZPO Rz 38) erst dann verhandelt werden, wenn die Zustimmung des Beklagten oder deren Ersetzung durch das Gericht vorliegt.
4.2. Nach der herrschenden Rechtsprechung muss, wenn sich der Beklagte ausdrücklich gegen die Zulassung einer nach Eintritt der Streitanhängigkeit vorgenommenen Klagsänderung ausgesprochen hat, das Gericht über die Zulassung der Klagsänderung mit Beschluss entscheiden. Verhandelt das Gericht über die geänderte Klage ohne solche Beschlussfassung, so stellt dies aber bloß einen Verfahrensmangel dar (RS0039438). Wurde über die geänderte Klage bereits vor deren förmlicher, gegen den Willen des Beklagten erfolgenden Zulassung – faktisch verhandelt, wird dies also nicht als nichtigkeitsbegründend qualifiziert.
4.3. Dass über die geänderte Klage gar nicht verhandelt werden müsse, ist aber im Regelfall zu verneinen. Solches widerspräche der unter Punkt 3. dargelegten Rechtsprechung und Lehre. Solches kann auch nicht der Rechtsprechung entnommen werden, wonach die Entscheidung über eine Klagsänderung auch erst im Rahmen des Urteils erfolgen kann (vgl RS0039450 [T3]). Diese Rechtsprechung besagt allein, dass auch eine erst im Rahmen der Urteilsfällung erfolgte Zulassung der Klagsänderung (sei es, dass diese explizit erfolgt, sei es, dass sie implizit erfolgt, indem über die geänderte Klage entschieden wird) einen anfechtbaren Beschluss darstellt.
5. Im vorliegenden Fall war bis zur Klagsänderung allein entscheidungsrelevant, ob die Beklagte einen Scheidungsgrund nach § 49 EheG zu verantworten hatte und bejahendenfalls aufgrund ihres Mitverschuldensantrags nach § 60 Abs 3 EheG, ob der Kläger selbst eine Eheverfehlung begangen hatte, deretwegen die Beklagte ihn auf Scheidung wegen Verschuldens klagen hätte können (vgl Koch in KBB5 § 60 EheG Rz 3; Gruber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 60 EheG Rz 21 mwN). Durch die Klagserweiterung um ein hilfsweise erhobenes Scheidungsbegehren nach § 55 EheG wurde auch entscheidungsrelevant, ob die in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt sind (Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft seit drei Jahren; tiefgreifende unheilbare Zerrüttung der Ehe). Abgesehen davon wurde wegen des bereits für den Fall der Zulassung der Klagsänderung erhobenen Antrags nach § 61 Abs 3 EheG entscheidungsrelevant, ob dem Kläger ein Zerrüttungsverschulden trifft. Das – allein für eine auf § 55 EheG gestützte Scheidungsklage relevante – Verschulden an der Zerrüttung der Ehe iSd § 61 Abs 3 EheG ist von dem durch Eheverfehlungen bedingten Verschulden am Vorliegen eines Scheidungsgrundes iSd § 49 EheG zu unterscheiden (Gruber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 61 EheG Rz 10). Beim Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG kommt es nicht darauf an, ob der Kläger einen Scheidungstatbestand verwirklicht hat. Entscheidend ist nur, ob ihm eine Schuld an der
Zerrüttung der Ehe anzulasten ist und ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der
Zerrüttung vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt (RS0057256).
Bei der Beurteilung des Zerrüttungsverschuldens kann auch ein Verhalten Berücksichtigung finden, das den Schweregrad einer Eheverfehlung nach § 49 EheG nicht erreicht (Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 61 EheG Rz 5 mwN). Es genügt also für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG das wesentlich geringgradigere Zerrüttungsverschulden iSd § 55 EheG (RS0057262). Selbst bereits verziehene oder verfristete Eheverfehlungen können beim Zerrüttungs-verschulden geltend gemacht werden (4 Ob 31/08z EF-Z 2008/136 [Beck] mwN; Koch in KBB5 § 61 EheG Rz 3; Gruber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 61 EheG Rz 16).
5.1. Es lag damit keine Konstellation vor, in welcher es für den Fall der Zulassung der Klagsänderung klar war, dass über alles Relevante bereits verhandelt worden war. Vielmehr war insbesondere davon auszugehen, dass für den Fall der Zulassung der Klagsänderung die Beklagte weitere – allein für das Zerrüttungsverschulden relevante und deshalb nicht bereits ins Treffen geführte – Verfehlungen des Klägers vorbringen könnte. Die Beklagte hatte ein solches Vorbringen für den Fall der Zulassung der Klagsänderung sogar ausdrücklich angekündigt.
5.2. Es lag aber auch nicht die Konstellation vor, dass das Gericht zwar nach der Klagsänderung, aber noch vor deren expliziten oder impliziten Zulassung, bereits über die geänderte Klage faktisch verhandelte. In der Bestreitung der Zulässigkeit der Klagsänderung und den damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Ausführungen der Beklagten – mag dabei aus anwaltlicher Vorsicht auch bereits ein Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG beantragt worden sein – kann kein Verhandeln über die geänderte Klage iSd § 235 Abs 2 Satz 2 ZPO erblickt werden (vgl
RS0039475 [T3], wonach die Erklärung des Beklagten zu bestreiten und sich gegen die Klagsausdehnung auszusprechen, nicht als Verhandeln über das geänderte beziehungsweise ausgedehnte Klagebegehren beurteilt werden darf; vgl auch RS0039403). Der Ansicht des Berufungsgerichts, das Erstgericht habe bereits dadurch, dass es eine weitere Verhandlung anberaumte, das Eventualbegehren zugelassen, sodass auch das Eventualbegehren Gegenstand der letzten Tagsatzung gewesen sei (Berufungsurteil S 5), vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Die Ausschreibung der Tagsatzung ließ nicht erkennen, ob das Erstgericht allein über die Zulassung der Klagsänderung oder über die geänderte Klage selbst zu verhandeln beabsichtigte. Zudem hat sich die Beklagte in der Tagsatzung nicht nur gegen die Klagsänderung ausgesprochen, sondern auch ausgeführt, sie wäre bei deren Zulassung genötigt, umfassend zum Zerrüttungsverschulden des Klägers vorzubringen. Damit hat die Beklagte – zu Recht – das Stattfinden der Tagsatzung nicht als implizite Zulassung der Klagsänderung gewertet, sodass auch nicht davon gesprochen werden könnte, beide Parteien wären in der Tagsatzung übereinstimmend von der Zulassung der Klagsänderung durch das Gericht ausgegangen.
6. Ein Urteil ist gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO als nichtig aufzuheben, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde. Dies ist jedenfalls auch dann der Fall, wenn eine mündliche Verhandlung über das Klagebegehren selbst unterbleibt (4 Ob 176/07x).
Als das Erstgericht die Klagsänderung (erst) im Urteil – und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz – zuließ und über das Eventualbegehren sogleich erkannte, tat es dies, ohne über das Eventualbegehren und den damit in Verbindung stehenden Antrag nach § 61 Abs 3 EheG – zumindest faktisch – verhandelt zu haben. Das Ersturteil ist – insofern darin über das Eventualbegehren und (auch) damit Zusammenhängendes abgesprochen wurde – folglich mit dem Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO behaftet.
7. Hat das Berufungsgericht den nichtigkeitsbegründenden Umstand nicht von Amts wegen aufgegriffen und liegt auch keine andere bindende, die Nichtigkeit verneinende Entscheidung der Vorinstanzen vor, dann kann die Nichtigkeit auch erst in der Revision mit Erfolg geltend gemacht werden beziehungsweise sonst von Amts wegen berücksichtigt werden (
RS0042925 [T7]). Mangels einer die Nichtigkeit verneinenden Entscheidung war die Nichtigkeit vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen.
8. Die Kostenentscheidung ist in § 52 Abs 1 ZPO begründet, da die Kostenregel des §
51 ZPO nicht die Aufhebung einer Entscheidung allein, sondern die Aufhebung des Verfahrens betrifft (RS0035870).
Textnummer
E125630European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00016.19X.0625.000Im RIS seit
24.07.2019Zuletzt aktualisiert am
19.03.2021