Entscheidungsdatum
08.04.2019Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W247 2196753-1/7E
W247 2196753-2/5E
W247 2196753-3/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert-Peter HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , vom 28.05.2018 gegen die Anwendung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der Festnahme am 17.04.2018, die daran anschließende Anhaltung, die Anordnung der Schubhaft mit Bescheid vom 17.04.2018, sowie die darauf gegründete Anhaltung vom 17.04.2018 bis zum 19.04.2018 und die Abschiebung am 19.04.2018 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 34 Abs. 3 Z. 2 BFA-VG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Festnahme am 17.04.2018 und die anschließende Anhaltung bis zur Schubhaftverhängung rechtswidrig war.
II. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Schubhaftbescheid vom 17.04.2018 ersatzlos behoben. Unter einem wird die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 17.04.2018 bis zur Abschiebung am 19.04.2018 für rechtswidrig erklärt.
III. Hinsichtlich der Abschiebung vom 19.04.2018 wird der Beschwerde gemäß § 46 FPG 2005 iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und die Abschiebung für rechtswidrig erklärt.
IV. Gemäß § 35 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, in Verbindung mit § 1 VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Bund (Bundesminister für Inneres) der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei (im Folgenden BF) ist nigerianischer Staatsangehöriger. Der BF stellte nach illegaler Einreise am 10.12.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des (vormaligen) Bundesasylamtes vom 14.12.2012 gemäß §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen wurde und der BF unter einem nach Nigeria ausgewiesen wurde. Die dagegen am 18.12.2012 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.08.2016, GZ: XXXX , betreffend den Antrag auf internationalen Schutz als unbegründet abgewiesen; betreffend die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen (vgl. § 75 Abs. 20 AsylG).
2. Mit Bescheid vom 21.12.2017, Zahl XXXX , des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt II.) und festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 die Abschiebung gemäß § 46 FPG 2005 des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG 2005 nicht gewährt (Spruchpunkt IV.), einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) und gegen den BF gemäß § 53 Abs. 2 Z. 6 FPG 2005 ein vierjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
3. Der Bescheid wurde nach einem erfolglosen Zustellversuch am 27.12.2017, am 28.12.2017 an der Wohnsitzadresse des BF gem. § 17 ZustellG hinterlegt. Eine Zustellung mittels Hinterlegung ohne Zustellversuch gem. § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG wurde weder vorgenommen noch angeordnet.
4. Am 11.03.2018 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen eines Polizeieinsatzes festgenommen und ins Polizeianhaltezentrum HG, 1080 Wien zur Einvernahme gebracht. Im Anschluss an diese Einvernahme wurde mit Mandatsbescheid des BFA vom 12.03.2018, Zahl: XXXX , gemäß § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Dagegen erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.
5. Mit Erkenntnis vom 21.03.2018, GZ. XXXX , gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhobenen Beschwerde statt, indem es aussprach, dass der Bescheid "ersatzlos behoben" werde, und die Anhaltung des BF in Schubhaft für rechtswidrig erklärte. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG stellte es fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Anhaltung maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Dagegen erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Revision.
6. Mit Erkenntnis des VwGH vom 13.11.2018, Ra 2018/21/0064-13, wurde das Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Begründend hielt der VwGH fest, dass die Zustellung gem. § 17 ZustellG nicht rechtswirksam sei. Die vorliegenden Zweifel bezüglich dem Weiterbestehen der Abgabestelle hätte beim BFA - mangels ohne Schwierigkeiten feststellbarer neuer Abgabestelle - zu einer Zustellung durch Hinterlegung gem. § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustellG führen müssen. Dies sei nicht passiert, die Schubhaft sei somit rechtswidrig.
7. Der Bescheid des BFA vom 21.12.2017 betreffend die Rückkehrentscheidung wurde dem BF am 17.04.2018 persönlich zugestellt. Am 17.04.2018 um 17.23h wurde der BF aus der Schubhaft entlassen. Am 17.04.2018 um 17.23h wurde gegen den BF ein mündlicher Festaufnahmeantrag gemäß § 34 Abs. 3 Z. 2 BFA-VG erlassen. Der BF wurde am 17.04.2018 von 17.40h bis 18.10h zum Zwecke der Verhängung der Schubhaft niederschriftlich einvernommen. Mittels Schubhaftbescheid vom 17.04.2018 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt. Der Schubhaftbescheid wurde dem BF am 17.04.2018, um 18.06h persönlich zugestellt. Der BF wurde am 19.04.2018 nach Nigeria abgeschoben.
8. Dagegen erhob der BF am 28.05.2018 über seinen gewillkürten Vertreter gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG fristgerecht Beschwerde an das BVwG. Darin brachte der BF im Wesentlichen vor, dass die von der belangten Behörde angeordnete, formlose Aufhebung der Schubhaft am 17.04.2018 nur den Grund gehabt haben könne, dass zu diesem Zeitpunkt iSd. § 80 Abs. 1 zweiter Satz FPG der Grund für die Anordnung weggefallen war und es daher der belangten Behörde nicht möglich wäre, ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage, unmittelbar auf die Aufhebung der Haft, eine neue Schubhaft anzuordnen. Der BF sei sich der formlosen Aufhebung der Schubhaft zudem nicht bewusst gewesen. Die Beschwerde langte beim BVwG am 28.05.2018 ein.
9. Mit beschwerdeseitigem Schreiben vom 30.05.2018 erhob der BF über seinen gewillkürten Vertreter Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und Art. 132 Abs. 2 B-VG, § 7 Abs. 1 Z. 3 BFA-VG iVm § 46 FPG, § 7 Abs. 4 VwGVG iVm § 9 VwGVG gegen die am 19.04.2018 vorgenommene Abschiebung des BF nach Nigeria. Darin bracht der BF im Wesentlichen vor, dass er über einen gültigen von Italien ausgestellten Aufenthaltstitel verfügt habe und daher zunächst dazu verpflichtet hätte werden müssen in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates zurückzukehren. Erst bei Nichtentsprechung dieser Verpflichtung wäre Raum für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geblieben. Weiters habe die Abschiebung gegen § 16 Abs. 4 BFA-VG verstoßen, da die Rückkehrentscheidung erst nach Ablauf der in § 16 Abs. 4 BFA-VG genannten Umständen durchführbar wird. Die noch während offener Rechtsmittelfrist vorgenommenen Abschiebung des BF erweise sich demnach als rechtswidrig. Die Zustellung durch Hinterlegung gem. § 17 ZustellG sei nämlich nicht rechtswirksam; erst die persönliche Zustellung am 17.04.2018 setze die notwendige Zuhalte-Frist in Gang. Die Maßnahmenbeschwerde vom 30.05.2018 langte beim BVwG am 30.05.2018 ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitigen Beschwerden erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist nigerianischer Staatsangehöriger. Sein Antrag auf internationalen Schutz vom 10.12.2012 wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 17.08.2016, XXXX rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Die damit verbundene Rückkehrentscheidung samt Aberkennung von aufschiebender Wirkung vom 21.12.2017 wurde dem BF am 17.04.2018 persönlich zugestellt. Die zuvor vorgenommene Zustellung mittels Hinterlegung gem. § 17 ZustellG war rechtsunwirksam. Der BF wurde am 19.04.2018 nach Nigeria abgeschoben. Die erhobenen Beschwerden vom 28.05.2018 und 30.05.2018 waren rechtzeitig.
1.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt den Verfahrensgang fest, wie dieser unter Pkt. I wiedergegeben ist.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Vorbringen in der Beschwerde, welches sich mit der Einlassung der Behörde und dem Akteninhalt deckt, sowie der VwGH-Entscheidung vom 13.11.2018, Zl. Ra 2018/21/0064-13.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."
3.3. Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:
"§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."
Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.
Zu Spruchteil A)
3.4. Zur Frage der Rechtwidrigkeit der Festnahme am 17.04.2018 und der darauffolgenden Anhaltung bis zur Verhängung der Schubhaft:
3.4.1. Gemäß § 28 Abs. 6 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017 (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben, wenn im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 106/2016 (in Folge: B-VG), eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
3.4.2. Festnahme und Anhaltung sind Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (vgl. ausführlich VfGH vom 26.09.1985 B42/83). Festnahme und Anhaltung sind gerichtlich gesondert nachprüfbar, bilden also keine Überprüfungseinheit mit der Schubhaft (vgl. VwGH vom 31.08.2017, Zl. 2016/21/0014). Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde ist die Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. Dabei ist jene Sach- und Rechtslage maßgebend, die im Zeitpunkt der Setzung des Verwaltungsaktes maßgebend war. (vgl. VwGH vom 24.11.2015, Zl. 2015/05/0063). Eine Sanierungsmöglichkeit des Aktes besteht nicht (vgl. § 28 Abs. 6 VwGVG und VwGH vom 15.10.2017, Zl. Ro 2017/21/0007).
Eine einmal rechtswidrige Maßnahme kann daher nicht konvalidieren; reine Kontrolltätigkeit des BVwG (vgl. VwGH vom 05.10.2017 Ro 2017/21/0007). Ein Austausch der Rechtslage bzw. der Festnahmegründe ist ex post daher nicht mehr möglich (vgl. VwGH vom 14.11.2017, Zl. Ra 2017/21/0143).
Zur Frage der Ausreisepflicht eines BF aufgrund einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung: "Eine Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft oder im Falle des Nichtzukommens der aufschiebenden Wirkung durchsetzbar. Diesfalls müsste der Drittstaatsangehörige der Intention des Gesetzgebers nach umgehend das Land verlassen, sofern das BFA keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt hat. Die geht freilich im Sinn der Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes zu weit als im zweitgenannten Fall das BVwG einer Beschwerde noch aufschiebende Wirkung zuerkennen kann. [...]" (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer Kommentar Asyl- und Fremdenrecht § 52 K24).
3.4.3. Im gegenständlichen Fall wurde die Rückkehrentscheidung vom 21.12.2017 erst am 17.04.2018 dem Beschwerdeführer rechtswirksam zugestellt. Aufgrund des Spruchpunktes V. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG) wurde die Rückkehrentscheidung mit Zustellung durchsetzbar, über die Zuerkennung bzw. Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung war jedoch binnen der gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG festgelegten Entscheidungsfrist vom BVwG noch zu befinden, wodurch die auf Basis der durchsetzbaren Rückkehrentscheidung festgelegte Ausreiseverpflichtung für den BF in diesem Zeitraum nicht griff. Da in casu jedoch die Festnahme bereits am gleichen Tag wie die rechtswirksame Zustellung der Rückkehrentscheidung, nämlich am 17.04.2018, erfolgte, lag zum Festnahmezeitpunkt jedenfalls keine Verletzung der Ausreiseverpflichtung durch den BF vor.
3.4.4. Der Festnahmeauftrag vom 17.04.2018 stützt sich auch lediglich auf die Ziffer 2 des § 34 Abs. 3 BFA-VG (der BF sei Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen). Die Festnahme des BF am 17.04.2018, wie auch die anschließende Anhaltung bis zu Schubhaftverhängung, erweisen sich dadurch als rechtswidrig.
3.4.5. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.5. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft von 17.04.2018 bis 19.04.2018:
3.5.1. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Zl. 2017/21/0009 vom 05.10.2017 und Zl. 2016/21/0219 vom 14.11.2017) "[...]kommt die Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG gegenüber einem Asylwerber, der wie der Revisionswerber zunächst faktischen Abschiebeschutz genießt und dem gegenüber dann die Fristen des § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG noch nicht abgelaufen sind, nicht in Betracht. Das macht die gegenständliche, auf § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG gestützte, Schubhaft rechtwidrig. [...]".
Es wird angemerkt, dass es beim erwähnten § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG um jene Fassung geht, welche im Zeitraum 01.11.2017 bis 31.08.2018 in Kraft war.
3.5.2. In casu war der faktische Abschiebeschutz für den BF aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung gegeben und die Fristen des § 16 Abs.4 zweiter Satz BFA-VG noch nicht abgelaufen. Bereits aus diesem Grund erweist sich der am 17.04.2018 erlassene Bescheid - und damit auch die auf diesen gestützte Anhaltung in Schubhaft von 17.04.2018 bis 19.04.2018 - als rechtswidrig. Aus diesem Grunde musste auch auf das Vorbringen betreffend den angefochtenen Schubhaftbescheid und die darauf gestützte Anhaltung nicht näher eingegangen werden.
3.5.3. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die gesamte Zeit der auf ihn gestützten Anhaltung gelten (VwGH vom 11.06.2013, Zl. 2012/21/0014; VwGH vom 19.03.2013, Zl. 2011/21/025; VwGH vom 28.08.2012, Zl. 2010/21/0388).
3.5.4. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.6. Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Abschiebung:
3.6.1. Eine Abschiebung als Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ergeht in Ausübung von unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt und ist gerichtlich gesondert nachprüfbar (vgl. VwGH vom 20.10.2011, Zl. RA 2010/21/0056).
3.6.2. Die Rückkehrentscheidung vom 21.12.2017 wurde dem BF am 17.04.2018 persönlich zugestellt. Die unter Spruchpunkt V. dieser Entscheidung ausgesprochene Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung machte die Rückkehrentscheidung mit Zustellung durchsetzbar. Das Vorliegen einer durchsetzbaren Entscheidung bewirkt jedoch nicht, dass der BF sofort außer Landes gebracht werden dürfe. Wenn in der Beschwerdeschrift vom 30.05.2018 auf Seite 7 vorgebracht wird, dass die Rückkehrentscheidung erst nach Ablauf der in § 16 Abs. 4 BFA-VG angeführten Umstände durchführbar wird und sich eine noch während offener Rechtsmittelfrist vorgenommene Abschiebung des BF demnach als rechtswidrig erweisen würden, so vermag die Beschwerdeseite mit dieser Position durchzudringen. Gem. § 16 BFA-VG ist mit der Durchführung der mit einer abweisenden Asylentscheidung verbundenen aufenthaltsbeenden Maßnahme jedenfalls bis zum Ende der Rechtsmittelfrist zuzuwarten (vgl. VwGH vom 05.10.2017, Zl. Ro 2017/21/0009). Die Abschiebung vom 19.04.2018 war daher rechtswidrig.
3.6.3. Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
4. Entfall einer mündlichen Verhandlung
4.1. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
4.2. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.
5. Kostenersatz
5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
5.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Beschwerdeverfahren obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bzw. angefochtene Schubhaftverhängung und Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklärt werden, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
5.3. Dem Beschwerdeführer gebührt als obsiegende Partei daher Kostenersatz im beantragten Umfang.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Nach geklärter Rechtslage, bewirkt eine Durchsetzbarkeit einer Rückkehrentscheidung noch nicht, dass ein Fremder sofort außer Landes gebracht werden dürfe. Mit der Durchführung der Abschiebung ist nämlich jedenfalls bis zum Ende der Rechtsmittelfrist zuzuwarten (vgl. VwGH 05.10.2017 Ro 2017/21/0009). Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Anhaltung, Festnahme, Rechtswidrigkeit, Rückkehrentscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W247.2196753.1.00Zuletzt aktualisiert am
23.07.2019