TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/4 W103 1317367-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2019
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Entscheidungsdatum

04.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55

Spruch

W103 1317367-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.03.2019, Zl. 771200407/171235127, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, § 57 AsylG

2005, § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 5 und Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 53 Abs. 3 Z 5 FPG, § 55 FPG, jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein damals minderjähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste gemeinsam mit Familienmitgliedern illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 24.12.2007 durch seine gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 30.07.2008, Zahl 07 12.004-BAG, hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß §§ 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG wurde dem damals minderjährigen Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Im Rahmen der Entscheidungsbegründung hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen fest, der Vater des Beschwerdeführers habe mit Bescheid vom 30.01.2008 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt bekommen, weshalb auch dem Beschwerdeführer der gleiche Schutzumfang zu gewähren gewesen wäre. Der Beschwerdeführer habe Tschetschenien wegen des Bürgerkrieges und der mit diesem Bürgerkrieg direkt in Zusammenhang stehenden Folgen verlassen und keine anderen Gründe glaubhaft zu machen vermocht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätte.

3. Eine gegen Spruchpunkt I. des angeführten Bescheides eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.09.2008, Zahl D12 317367-2/2008/2E, als unbegründet abgewiesen.

4. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers wurde in der Folge verlängert.

Am 12.10.2010 wurden der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen auf dem Luftweg von Frankreich nach Österreich überstellt.

Am 28.12.2010 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen des in der Folge eingeleiteten Verfahrens zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

Mit Bescheid vom 20.01.2011 wurde dem Beschwerdeführer neuerlich eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt.

Zuletzt wurde eine bis 30.01.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

5. Mit Schreiben vom 17.02.2016 teilte das XXXX , mit, dass dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" mit Gültigkeit vom XXXX ausgestellt worden sei.

6. Mit Beschluss eines Landesgerichts vom XXXX wurde über den Beschwerdeführer aufgrund des dringenden Verdachtes, das Verbrechen des Mordes nach §§ 75, 15 StGB begangen zu haben, die Untersuchungshaft verhängt.

Am 05.03.2018 wurde der Beschwerdeführer zur Sachverhaltserhebung in Bezug auf eine mögliche Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Der Beschwerdeführer gab auf entsprechende Befragung hin zusammengefasst an, er stünde nicht in ärztlicher Behandlung, er habe ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Österreich bekommen, habe die Hauptschule sowie einen polytechnischen Lehrgang abgeschlossen und gearbeitet. Er sei ledig und habe keine Kinder. In Österreich würden sich seine Eltern und sechs Geschwister befinden. Im Oktober 2017 sei er einen Monat lang arbeitslos gewesen, im Anschluss sei er ins Gefängnis gekommen. Der Beschwerdeführer habe sieben Jahre lang geboxt und für Österreich internationale Wettkämpfe bestritten.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB sowie wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Oktober 2017

1.) eine namentlich angeführte Person getötet hat, indem er mit einem von ihm mitgeführten Springmesser mit einer Klingenlänge von ca. 10cm dem Opfer acht Stichverletzungen und eine Schnittverletzung im Bereich Hals, Brust, linker Oberarm, rechter Unterarm sowie im Bereich des Rückens zufügte, wobei insbesondere jene Stichverletzungen der rechten Lunge, der rechten Unterschlüsselbeinblutader sowie der linken Brusthöhle massiven Blutverlust mit einer akuten Sauerstoffunterversorgung der Herzinnenschicht verursachten, wodurch das Opfer in weiterer Folge an den Folgen seiner schweren Verletzungen verstarb; 2.) er eine namentlich genannte weitere Person zu töten versuchte, indem er dieser drei Messerstiche im Bereich des Brustkorbes und zwei Messerstiche im Bereich der rechten Achselhöhle versetzte, wobei die Stichverletzungen im Brustkorb die Eröffnung der rechten Brusthöhle mit Einblutung und Luftfüllung sowie die Beschädigung der rechten Lunge verursachten und das Opfer dadurch an sich schwere lebensbedrohliche Körperverletzungen erlitt.

Mit Schreiben vom 19.03.2019 informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführer über das gegen seine Person eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.

Am 26.03.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einvernommen. Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er sei gesund und stamme aus Tschetschenien, wo er die Volksschule besucht hätte; in Österreich habe er die Pflichtschule abgeschlossen und im Anschluss in einem Supermarkt gearbeitet. Im Heimatland hielten sich noch Onkeln, Tanten und Cousins auf. Auf die Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen erklärte der Beschwerdeführer, gegen ihn liege nichts vor, da er mit ungefähr zehn Jahren das Land verlassen hätte. Seine Familie sei gegen eine Abschiebung. Er wisse nicht, ob er in Tschetschenien leben könnte, viele würden sagen, dass es dort keine Arbeit gebe. Der Beschwerdeführer sei hier aufgewachsen, habe eine andere Mentalität und würde Russisch nicht perfekt beherrschen. Tschetschenisch könne er sprechen, aber nicht lesen und schreiben. In Österreich hielten sich seine Eltern und Geschwister, eine Freundin und ein paar Freunde auf. Der Beschwerdeführer befinde sich derzeit bis 2037 wegen Mordes und versuchten Mordes in Haft. Es habe sich dabei um seine erste Verurteilung gehandelt, er habe nicht gewollt, dass es so endet. Mit dem Beschwerdeführer wurden im Anschluss die relevanten Länderfeststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat erörtert; ihm wurde insbesondere vorgehalten, dass aus der allgemeinen Lage, ebenso wie aus seinen persönlichen Merkmalen, nichts abzuleiten sei, das auf eine Verfolgung oder eine Furcht vor einer solchen schließen ließe und ihm eine Rückkehr in sein Heimatland zumutbar wäre. Dem Beschwerdeführer sei es zumutbar, selbst unter durchaus schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung zu suchen und seinen Lebensunterhalt möglicherweise durch das Verrichten von Gelegenheitsarbeiten zu bestreiten. Hierzu gab der Beschwerdeführer an, mit einer Rückkehr einverstanden zu sein und keine weiteren Angaben tätigen zu wollen.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.03.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.07.2008 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt V.) und gemäß § 53 Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass im Falle des Beschwerdeführers niemals Voraussetzungen für eine Schutzgewährung angeführt worden seien und dieser den Status nur im Rahmen des Familienverfahrens gewährt bekommen hätte. Da dieser straffällig und volljährig geworden sei, könne das Familienverfahren nicht mehr angewandt werden. Der Beschwerdeführer habe im Zuge seiner Einvernahme vom 27.03.2019 in Bezug auf sein Heimatland keine glaubhaften, aktuellen individuellen Fluchtgründe vorgebracht, sondern nur gemeint, dass er schon lange nicht mehr dort gewesen wäre. Der Beschwerdeführer habe eine Bedrohung seiner Person niemals angeführt, der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei ihm bloß im Familienverfahren zugesprochen worden. Auch ginge aus dem Länderinformationsblatt hervor, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr keinerlei Diskriminierungen seitens der Behörden oder sonstigen Verfolgungshandlungen ausgesetzt wäre. Es bestünde kein Zweifel, dass der Beschwerdeführer als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit familiärem Rückhalt in der Heimat im Falle einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, umso mehr er die dortige Sprache spreche und mit der Kultur vertraut sei. Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG lägen nicht vor. Der Beschwerdeführer habe Verwandte in Österreich, zu denen er jedoch nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis stünde. Der Beschwerdeführer weise Deutschkenntnisse auf, ginge jedoch keiner Arbeit nach und habe auch keine sonstigen Bindungen zum Bundesgebiet angeführt, welche die Vermutung einer besonderen Integration rechtfertigen würden. Aufgrund der vorliegenden strafgerichtlichen Verurteilung wegen Mordes und versuchten Mordes sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Der Beschwerdeführer habe mit einem außergewöhnlich hohen Ausmaß an Gewalt aus völlig nichtigem Anlass gehandelt. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme einer von seiner Person ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt sei.

Verfahrensgegenständlicher Bescheid wurde dem gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers am 02.04.2019 zugestellt.

8. Mit am 25.04.2019 eingelangtem Schriftsatz wurde durch den gewillkürten Vertreter des Beschwerdeführers die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, dass der Verweis auf eine strafgerichtliche Verurteilung zur Begründung einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht als ausreichend erachtet werden könne, zumal darüber hinaus auf die konkreten Umstände, den Lebenswandel sowie die Zukunftsprognose Bedacht zu nehmen sei. Mit der Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes und der Abschiebung in sein Heimatland werde das Leben des Beschwerdeführers mithin in Gefahr gebracht. Im Rahmen seiner Einvernahme vom 27.03.2019 habe er angegeben, mit einer Rückkehr einverstanden zu sein; doch wolle er hiermit richtigstellen, dass er vor einer Abschiebung Angst habe. Der angefochtene Bescheid verletze ihn in seinem subjektiven Recht auf Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes gemäß § 37 AVG sowie der Begründungspflicht der Behörde iSd §§ 58 und 60 AVG.

9. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 30.04.2019 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist volljähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe und dem moslemischen Glauben angehört. Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht fest.

Der Beschwerdeführer gelangte im Alter von zwölf Jahren im Familienverband ins Bundesgebiet und suchte am 24.12.2007 durch seine gesetzliche Vertreterin um internationalen Schutz an. Individuelle Rückkehrbefürchtungen wurden im Verfahren des Beschwerdeführers nicht vorgebracht und auch von Amts wegen nicht festgestellt. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.07.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 8 Abs. 1 iVm 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig zuerkannt. Der Entscheidung lag zugrunde, dass dem Vater des Beschwerdeführers mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 29.01.2008, Zahl 253916/0-VII/19/04, der gleiche Schutzumfang zuerkannt worden war.

Der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Vater des Beschwerdeführers lag zugrunde, dass der Genannte im Zuge des ersten Tschetschenienkrieges Opfer eines Bombenangriffs geworden und damals so schwer verletzt worden sei, dass er mehrmals operiert werden habe müssen. Seit Beendigung des ersten Tschetschenienkrieges sei der Genannte in Tschetschenien jedoch persönlich keinerlei Verfolgungs- oder Bedrohungssituation ausgesetzt gewesen, zumal er von 1999 bis 2003 in Inguschetien gelebt hätte und sich am zweiten Tschetschenienkrieg nicht beteiligt hätte. Dieser leide laut vorgelegtem fachärztlichen Befund an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Wie aus den amtsbekannten aktuellen Länderfeststellungen zur Russischen Föderation hervorginge, sei die allgemeine - insbesondere medizinische - Versorgungslage in Tschetschenien für den Vater des Beschwerdeführers so prekär, dass eine diesem drohende Gefahr iSd Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen werden könne.

1.2. Es kann nicht erkannt werden, dass für den Beschwerdeführer als alleinstehenden gesunden leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf im Falle einer Niederlassung in seinem Herkunftsstaat eine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit bestehen würde. Dieser liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.3. Mit Urteil des Landesgerichts für XXXX vom XXXX Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB sowie wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Oktober 2017 1.) eine namentlich angeführte Person getötet hat, indem er dem Opfer mit einem von ihm mitgeführten Springmesser mit einer Klingenlänge von ca. 10cm acht Stichverletzungen und eine Schnittverletzung im Bereich Hals, Brust, linker Oberarm, rechter Unterarm sowie im Bereich des Rückens zufügte, wobei insbesondere jene Stichverletzungen der rechten Lunge, der rechten Unterschlüsselbeinblutader sowie der linken Brusthöhle massiven Blutverlust mit einer akuten Sauerstoffunterversorgung der Herzinnenschicht verursachten, wodurch das Opfer in weiterer Folge an den Folgen seiner schweren Verletzungen verstarb; 2.) er eine namentlich genannte weitere Person zu töten versuchte, indem er dieser drei Messerstiche im Bereich des Brustkorbes und zwei Messerstiche im Bereich der rechten Achselhöhle versetzte, wobei die Stichverletzungen im Brustkorb die Eröffnung der rechten Brusthöhle mit Einblutung und Luftfüllung sowie die Beschädigung der rechten Lunge verursachten und das Opfer dadurch an sich schwere lebensbedrohliche Körperverletzungen erlitt.

Ein weiterer Aufenthalt seiner Person würde eine erhebliche Gefährdung öffentlicher Interessen an der Verhinderung von Straftaten gegen die Rechtsgüter Leib und Leben und somit eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist.

1.4. Der wegen Mordes sowie versuchten Mordes vorbestrafte Beschwerdeführer verbüßt gegenwärtig eine unbedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Jahren. Der Beschwerdeführer war im Jahr 2007 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern ins Bundesgebiet gelangt, welche unverändert in Österreich leben. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den genannten Angehörigen liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet die Pflichtschule absolviert und sich im Anschluss in einem Arbeitsverhältnis befunden. Zuletzt war er arbeitslos. Er hat sich Deutschkenntnisse angeeignet, beherrscht jedoch unverändert ausreichend Russisch und Tschetschenisch. Er verfügt unverändert über zahlreiche verwandtschaftliche Bezugspersonen in seinem Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit, noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig.

Der Beschwerdeführer verfügte über einen von XXXX gültigen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU."

1.5. Zur Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

2. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

2.1. Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

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Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-

Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.eco

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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