TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/18 97/21/0097

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Veröffentlicht am 18.12.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §6;
AVG §13 Abs1;
AVG §13 Abs3;
AVG §13;
AVG §37;
AVG §38;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des am 18. Jänner 1971 geborenen MT in Zwettl, vertreten durch Dr. Clemens Schnelzer, Rechtsanwalt in 3910 Zwettl, Landstraße 46, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 9. Oktober 1996, Zl. 11AG-95-529, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte am 3. November 1995 bei der Bezirkshauptmannschaft Zwettl (der belangten Behörde) die "Verlängerung meiner Aufenthaltsbewilligung gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes". Die belangte Behörde wies diesen Antrag namens des Landeshauptmannes von Niederösterreich mit Bescheid vom 19. Februar 1996 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, gestützt auf die Verordnung des Landeshauptmannes von Niederösterreich über die Vollziehung des Aufenthaltsgesetzes, LGBl. Nr. 4020/1-0, ab.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und beantragte, den Bescheid der belangten Behörde vom 19. Februar 1996 abzuändern und seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung stattzugeben. Über diese Berufung erkannte der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 12. September 1996 spruchgemäß wie folgt:

"Ihrer Berufung gegen den Bescheid der BH Zwettl vom 19.2.1996 Zl. 11AG-95-529 wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 1 Abs. 3 Z 1 AufG stattgegeben und der Bescheid ersatzlos behoben."

Diesen Bescheid begründete der Bundesminister für Inneres unter Bezugnahme auf Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 damit, daß der Beschwerdeführer bereits seit einem Jahr ordnungsgemäß unselbständig erwerbstätig sei und in Beschäftigung stehe. Auf seinen Antrag finde das AufG somit keine Anwendung, weil gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG Fremde keine Bewilligung benötigten, wenn sie - wie der Beschwerdeführer infolge des genannten Assoziationsratsbeschlusses - aufgrund unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen. Über den Antrag des Beschwerdeführers sei daher "von einer unzuständigen Behörde entschieden worden und der gegenständliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos zu beheben". Der Antrag samt dem Verwaltungsakt hätte gemäß § 6 AVG an die nach § 65 FrG zuständige Behörde weitergeleitet werden müssen. (Nunmehr) werde der Antrag von der Berufungsbehörde direkt an diese Behörde zur weiteren Bearbeitung übermittelt.

Diese Entscheidung blieb unbekämpft. Mit Bescheid vom 9. Oktober 1996 sprach die belangte Behörde - im eigenen Namen - daraufhin aus, daß dem Beschwerdeführer die Erteilung eines gewöhnlichen Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG versagt werde. Dabei verwies die belangte Behörde auf den Kassationsbescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. September 1996 und führte aus, daß der Antrag des Beschwerdeführers vom 3. November 1995 um Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung von ihr als zuständiger Fremdenpolizeibehörde erster Instanz unbeschadet seiner formellen Bezeichnung als Sichtvermerksantrag gewertet werde. Die Erteilung eines Sichtvermerkes sei jedoch im Hinblick auf ein über den Beschwerdeführer rechtskräftig verhängtes fünfjähriges Aufenthaltsverbot zwingend zu versagen.

Gegen den letztgenannten Bescheid vom 9. Oktober 1996 richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, erkennbar in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer und die belangte Behörde gehen übereinstimmend davon aus, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 6 des schon genannten Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 erfülle. Er benötige daher gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG für seinen Aufenthalt im Inland keine Aufenthaltsbewilligung.

Die belangte Behörde folgerte daraus, daß der gegenständliche Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers vom 3. November 1995 in einen "Sichtvermerksantrag" umzudeuten sei. Auch der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, daß seinem Antrag entgegen dem Wortlaut ein anderer Inhalt beizumessen gewesen wäre; er hätte als Antrag auf Ausstellung eines Lichtbildausweises für Fremde nach § 64 Abs. 1 FrG, in eventu auf Ausstellung eines Fremdenpasses, in eventu als Antrag auf Feststellung seines Rechtes zum Aufenthalt im Bundesgebiet, verstanden werden müssen.

Eine Umdeutung des ausdrücklichen Antrages des Beschwerdeführers, seine Aufenthaltsbewilligung gemäß § 6 AufG zu verlängern, kommt indes, und zwar in welche Richtung auch immer, rechtens nicht in Betracht. Bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten ist es nämlich unzulässig, entgegen dem erklärten Willen einer Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar geschlossen werden kann, weil die Behörde nur über die im Antrag umschriebene "Angelegenheit" im Sinn des § 59 Abs. 1 AVG entscheiden darf (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 16. April 1997, Zl. 96/21/0716, und vom 5. November 1997, Zl. 96/21/0799). Wohl gilt der Grundsatz, daß bei der Beurteilung von Parteienvorbringen nicht auf Bezeichnungen und zufällige verbale Formen, sondern auf den Inhalt des Anbringens, das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes, abzustellen ist. Liegt wie hier jedoch eine ausdrückliche, widerspruchsfreie, eindeutige und insoweit nicht auslegungsbedürftige Parteienerklärung vor, so ist die Behörde weder berechtigt noch verpflichtet, eine von der Partei tatsächlich nicht abgegebene Erklärung aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, daß der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nicht abgegebenen Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lasse (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0306, m.w.N.). Im übrigen trifft es wohl zu, daß dem Beschwerdeführer, soweit er sich auf ein ihm zukommendes Recht zum Aufenthalt aufgrund des schon genannten Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, somit auf einen unmittelbar anwendbaren Rechtsakt der Europäischen Union beruft, ein solches Recht gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG unabhängig von einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 leg. cit. zustünde. Andererseits zeigt jedoch schon die Verordnungsermächtigung des § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG, welche die Bundesregierung berechtigt, Personen, die gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 leg. cit. aufenthaltsberechtigt sind, unter näher umschriebenen Voraussetzungen von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen auszunehmen, daß auch für Personen, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG erfüllen, eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. November 1997, Zl. 96/19/0962). Dabei kommt es allein darauf an, ob die Voraussetzungen nach dem Aufenthaltsgesetz vorliegen oder nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1997, Zl. 95/19/0897).

War nach dem eben Gesagten der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers vom 3. November 1995 gemäß seinem ausdrücklichen und unzweifelhaften Wortlaut als Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung zu verstehen und als solcher zu behandeln, so wäre es Aufgabe der Aufenthaltsbehörde gewesen, über diesen Antrag zu entscheiden. Indem demgegenüber die belangte Behörde im eigenen Namen als Fremdenpolizeibehörde erster Instanz die angefochtene Entscheidung getroffen hat, hat sie eine ihr nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß der Bundesminister für Inneres als Aufenthaltsbehörde zweiter Instanz mit Bescheid vom 12. September 1996 den zunächst von der belangten Behörde im Namen des Landeshauptmannes von Niederösterreich erlassenen Bescheid, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgewiesen worden war, mit der Begründung ersatzlos behoben hat, daß sie insoweit unzuständig gewesen sei und der Antrag gemäß § 6 AVG an die Behörde gemäß § 65 FrG weiterzuleiten gewesen wäre. Eine Bindung der belangten Behörde an diesen Bescheid in der Richtung, daß nunmehr die belangte Behörde im eigenen Namen (als Fremdenpolizeibehörde) zuständig geworden wäre, besteht nämlich nicht. Eine Bindung einer Behörde an rechtskräftige Bescheide anderer Behörden besteht nur, soweit deren Entscheidung (in der Hauptsache) eine Frage betrifft, die für die erstgenannte Behörde eine Vorfrage bildet oder wenn eine derartige Bindung im Gesetz angeordnet oder aus dem Gesetz erschließbar ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 1995, Zl. 94/10/0173). Beides liegt im Beschwerdefall nicht vor.

Da nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid an Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde leidet, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Dezember 1998

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der Rechtskraft Pflichten bei Erteilung des Verbesserungsauftrages Erforschung des Parteiwillens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997210097.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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