TE OGH 2019/5/29 7Ob84/19g

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Veröffentlicht am 29.05.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr.

 Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Unterbringungssache des Kranken Dr. F***** A*****, geboren am ***** 1939, *****, vertreten durch Dr. Angela Lenzi, Rechtsanwältin in Wien, Abteilungsleiter Prim. Dr. P***** S*****, wegen Unterbringung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Kranken gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 12. April 2019, GZ 16 R 122/19h-36, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Vom Rekursgericht – wie hier – bereits verneinte Mängel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz stellen – ohne eine hier nicht gegebene relevante Ausnahme – keinen Revisionsrekursgrund dar (RS0050037). Es ist notorisch, dass Manipulationen an Stromleitungen und -kreisen (beispielsweise das Hantieren mit Gegenständen in einer Steckdose oder ihr Herausreißen) – für die körperliche Integrität gefährlich sein und die Möglichkeit derartiger Manipulationen unabhängig von Alter, besonderen Kenntnissen und körperlichen Fähigkeiten vorgenommen werden können. Der Einholung eines Gutachtens dazu bedarf es nicht.

2.1 In einer psychiatrischen Abteilung darf unter anderem nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet (§ 3 Z 1 UbG). Unter einer ernstlichen Gefährdung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verstehen. Die Schädigung muss direkt aus der Krankheit drohen. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdschädigung ist nicht ausreichend. Die mit dem Aufenthalt im geschlossenen Bereich verbundenen Beschränkungen dürfen im Verhältnis zu der mit der Krankheit verbundenen Gefahr nicht unangemessen sein (RS0075921). Die Gefährdung muss sich nicht bereits realisiert haben, es reicht aus, wenn nach der Lebenserfahrung krankheitsbedingte Verhaltensweisen zur Gefährdung von Leben und Gesundheit führen (RS0075921 [T3], 7 Ob 157/14k). Bei besonders schwerwiegenden Folgen genügt bereits eine geringe Wahrscheinlichkeit (RS0075921 [T7, T9]).

Entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers lässt sich aus den erstgerichtlichen Feststellungen sehr wohl eine erhebliche Selbstgefährdung ableiten: Der Revisionsrekurswerber litt zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme an einem akut paranoid-wahnhaften Zustandsbild im Rahmen einer chronischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis F2. Es bestand eine Beeinträchtigung der Realitätstüchtigkeit sowie der Kritik- und Urteilsfähigkeit. Der vom Revisionsrekurswerber subjektiv erlebte Zustand einer ernsten Bedrohung (über Lautsprecher eingespielte Töne, die den Schlaf stören, Überwachungskameras in den Zimmern und an der Kleidung), dem er mit der bereits angekündigten und durch sein Verhalten manifestierten Absicht, die Stromleitungen und -kreise zu manipulieren, begegnen wollte, lässt jedenfalls auf eine potenzielle Selbstgefährdung mit ernsten und erheblichen Verletzungsfolgen schließen. Es ist nicht vorhersehbar, wann und unter welchen Umständen der Kranke die subjektive Bedrohung als derart massiv ansieht und die angekündigten Abwehrhandlungen setzt, die nach der Lebenserfahrung zur Gefährdung von Leben und Gesundheit führen können. Aufgrund der fehlenden Krankheits- und Behandlungseinsicht sowie der nicht ausreichenden Paktfähigkeit waren keine Alternativen zur Unterbringung gegeben.

Das Vorgehen der Vorinstanzen, vor diesem Hintergrund die Unterbringung bereits aufgrund des Vorliegens von Selbstgefährdung als zulässig anzusehen, ist nicht zu beanstanden. Auf eine Fremdgefährdung kommt es daher nicht an.

3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E125590

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00084.19G.0529.000

Im RIS seit

22.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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