Entscheidungsdatum
05.06.2019Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VwGVG §17Text
Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seinen Richter MMag. Dr. Böhm-Gratzl über den Antrag der A. B., geb. 1996, kosovarische Staatsangehörige, C., D., Republik Kosovo, vom 13.5.2019 (Datum des hg. Einlangens) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, vom 7.11.2018, …, mit welchem der Antrag der Einschreiterin vom 1.8.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Student“ gemäß § 64 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich – NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, idF BGBl. I Nr. 56/2018 abgewiesen wurde, den
BESCHLUSS
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Begründung
Die Einschreiterin beantragte am 1.8.2018 die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Student“. Mit behördlicher Eingabe vom 9.10.2018 legte sie eine – beglaubigt in die deutsche Sprache übersetzte – mit 26.9.2018 datierte Vollmachtsurkunde vor, der zu Folge sie ihren Onkel, E. F., bevollmächtigte, dass jener – so wörtlich –
„in meinem Namen und ohne meine Anwesenheit alle Verwaltungsverfahrensgesetze zur Vervollständigung alle meine persönlichen erforderlichen Unterlagen bei den zuständigen österreichen Behörden durchzuführen, um mein Visum zum Studium zu beantragen.
Der Bevollmächtigte kann auch alle erforderlichen Massnahmen durchführen, die nicht in dieser Vollmacht angegeben sind, dass alle erforderlichen Unterlagen zu meiner Angelegenheit zu beantragen und entgegenzunehmen. Er ist auch befugt, alle anderen Schritte und Handlungen, die er zur Vervollständigung des Verfahrens bei den österreichen Behörden meiner Angelegenheit notwendig sind, vorzunehmen.“
(Unkorrigiertes Originalzitat)
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, vom 7.11.2018 wurde der Antrag vom 1.8.2018 mit näherer Begründung abgewiesen. Dieser Bescheid wurde an die Adresse des o.a. Bevollmächtigten expediert und am 19.11.2018 durch postalische Hinterlegung zugestellt.
Am 15.1.2019 (Datum des behördlichen Einlangens) erhob die Einschreiterin hiegegen das Rechtmittel der Beschwerde.
Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte den bezughabenden Verwaltungsakt dem erkennenden Gericht (einlangend am 28.1.2019) vor.
Mit Verfügung des Präsidenten des Verwaltungsgerichtes Wien vom 16.4.2019 wurde die gegenständliche Rechtsache der Gerichtsabteilung 076 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung 016 übertragen.
Mit hg. Schreiben vom 24.4.2019 wurde der Beschwerdeführerin die Verspätung der Beschwerdeerhebung vorgehalten.
Mit Eingabe vom 13.5.2018 brachte die Beschwerdeführerin daraufhin den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein und begründete diesen wie folgt:
„Das VwG Wien versteht die [obzitierte; Anm. des erkennenden Richters] Vollmacht […] offenbar dahingehend, dass diese auch eine Zustellvollmacht für den verfahrensabschließenden Bescheid umfasst, sodass die Zustellung an Herrn Mag. F. die Beschwerdefrist auslöste. Aus diesem Grund stelle ich - innerhalb offener Frist - den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bei dieser Auslegung der von mir erteilten Vollmacht handelt es sich um ein für mich unvorhergesehenes bzw unabwendbares Ereignis iSd § 33 Abs 1 VwGVG. Zumal ich mich bemüht habe, diese Tatsache durch die Formulierung der Vollmachtsurkunde hinreichend deutlich zu umschreiben, trifft mich an der von meiner Intention abweichenden Auslegung kein Verschulden oder allenfalls ein geringerer Grad des Versehens.“
(Unkorrigiertes Originalzitat)
Diese Feststellungen gründen sich auf dem vorliegenden Akteninhalt.
Das Verwaltungsgericht Wien hat hiezu erwogen:
Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Verfahrenspartei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn jene glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Gemäß Abs. 3 par. cit. ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
Gemäß Abs. 4 par. cit. hat über den Antrag bis zur Vorlage der Beschwerde die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden.
Den Antragsteller trifft die Obliegenheit, im Antrag jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Eine amtswegige Prüfung, ob andere – vom Antragsteller nicht relevierte – Umstände die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, hat nicht zu erfolgen (vgl. zB VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0209).
Im konkreten Fall bringt die Antragstellerin – zusammengefasst – vor, dass es sich bei der hg. Auslegung der von ihr erteilten, obzitierten Vollmachtsurkunde um ein für sie „unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis“ im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGVG handle.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist als „Ereignis“ in diesem Sinne jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (vgl. zB VwGH 3.10.1977, 2583/76; 21.9.1982, 81/11/0105; 21.5.1985, 84/04/0229; 26.6.1985, 83/03/0134).
„Unvorhergesehen“ ist ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme von zumutbarer Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (vgl. etwa VwGH 26.6.1985, 83/03/134; 15.9.2005, 2004/07/0135).
Ein „unabwendbares“ Ereignis in diesem Sinne liegt vor, wenn sein Eintritt vom Willen des Betroffenen nicht verhindert werden kann (vgl. zB VwGH 24.1.1996, 94/12/0179; 31.3.2005, 2005/07/0020).
Aus Sicht des Verwaltungsgerichtes Wien stellt die Formulierung der Vollmachtsurkunde durch die Antragstellerin und deren hg. Auslegung weder ein unvorhergesehenes noch ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGVG dar. Zum einen hätte die Antragstellerin die hg. Auslegung der von ihr gewählten Formulierung in der Vollmachtsurkunde bei Aufwendung der zumutbaren Aufmerksamkeit und Vorsicht erwarten können. Zum anderen wurde diese Formulierung von der Antragstellerin willentlich gewählt.
Für die Rechtswirksamkeit einer Prozesshandlung ist im Übrigen alleine der Inhalt der Erklärung – ihr objektiver Erklärungswert – und nicht ein konkludentes Verhalten oder ein allenfalls einer Erklärung zu Grunde liegender Beweggrund maßgebend (vgl. VwGH 27.10.1999, 98/09/0318).
Die vorgebrachte Begründung vermag den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand daher nicht zu tragen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien konnte gemäß § 24 VwGVG abgesehen werden, zumal eine solche nicht beantragt wurde, die Durchführung derselben eine weitere Klärung der Rechtsache nicht erwarten lässt und dem Entfall der Verhandlung hier weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen, zumal im Lichte des Antragsvorbringens und vor dem Hintergrund der obzitierten höchstgerichtlichen Judikatur bloß Rechtsfragen ohne besondere Komplexität zu klären waren (vgl. zB EGMR 5.9.2002, Appl. Nr. 42.057/98, Speil [ÖJZ 2003, 117]; 7.3.2017, Appl. Nr. 24.719/12, Tusnovics).
Zum Revisionsausspruch:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (obzitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche, über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung der hier zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal auch die Gesetzeslage eindeutig ist (vgl. etwa VwGH 28.5.2014, Ro 2014/07/0053; 3.7.2015, Ra 2015/03/0041).
Schlagworte
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Beschwerdefrist; unvorhersehbares Ereignis; unabwendbares Ereignis; Vollmachtsurkunde; Auslegung; objektiver ErklärungswertEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.V.016.6995.2019Zuletzt aktualisiert am
19.07.2019