Entscheidungsdatum
11.03.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I408 2148746-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. KAMERUN, vertreten durch: SUMMEREDER AIGNER Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich BAL vom 07.02.2017, Zl. 1015261701-14540358, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. beschlossen:
Das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.
II. zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
2. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 und § 54 Abs. 1 Z 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
3. In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt IV. ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 15.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 07.02.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Es wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Kamerun zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise beträgt 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Am 13.04.2017 sowie am 02.10.2018 fanden mündliche Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.
In der mündlichen Verhandlung zog der Beschwerdeführer nach Rücksprache mit seinem Rechtsvertreter seine Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. zurück.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist volljährig und Staatsbürger von Kamerun.
Er hält sich nach illegaler Einreise seit April 2014 in Österreich auf. Er ist strafgerichtlich unbescholten, gesund, arbeitsfähig und arbeitswillig.
Bis 04.09.2017 war er in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht und seither lebt er mit seiner österreichischen Lebensgefährtin, die er beide bereits 2016 kennengelernt hat, und deren Sohn, für den er zwischenzeitlich die Vaterrolle übernommen hat, in einem gemeinsamen Haushalt.
Er bezieht, abhängig vom Verdienst seiner Lebensgefährtin, Leistungen der Grundversorgung. Mit finanzieller Hilfe seiner Lebensgefährtin hat er bereits 2016 in Österreich die Lenkerberechtigung erworben und wird aktiv vom Obmann-Stellvertreter des Fußballvereines ASK Linz unterstützt, den der Beschwerdeführer als "seinen Papa" bezeichnet. Er würde ihm zudem eine Arbeit bei der Strabag besorgen.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer seit Beginn seines Aufenthaltes rasch die deutsche Sprache zu erlernen, die er zwischenzeitlich auf sehr gutem Niveau beherrscht. Er besuchte dazu mehrere Sprachkurse und hat schon im Oktober 2015 die Deutschprüfung B1 bestanden. Beim Roten Kreuz hat er sich in der Flüchtlingsbetreuung engagiert und dazu an der Workshop-Reihe "Engagementfit" für Freiwillige mit Migrationsgeschichte teilgenommen. Wenn Bedarf besteht, steht er für Dolmetschertätigkeiten zur Verfügung. Er ist schon seit Jahren im Fußballverein ASK Linz als Fußballer tätig. Sein Engagement und seine Mitarbeit, Neuankömmlinge aus Afrika in Österreich zu unterstützen, ist auch in Tirol bei einem Fußballverein positiv aufgefallen. Er hat sich bei der Eingliederung eines afrikanischen Spielers in diesen Verein aktiv eingebracht.
Nach der Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. bezieht sich die Beschwerde nur mehr auf die Spruchpunkte III. und IV.
2. Beweiswürdigung:
Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und den vom Beschwerdeführer im Zuge des Verfahrens vorgelegten Unterlagen und wurden im Rahmen von zwei mündlichen Verhandlungen ausführlich erörtert. Auffallend dabei war, dass er in seinem gesamten Vorbringen zu seiner stimmig und nachvollziehbar war.
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere zu dessen Staatsangehörigkeit, beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers während des gesamten Verfahrens.
Die Feststellungen zur Integration und dem sozialen Engagement des Beschwerdeführers basieren auf seinen vor dem BVwG getätigten Aussagen sowie den dazu vorgelegten Empfehlungsschreiben und Integrationsunterlagen.
Das betrifft auch die Feststellungen, dass sich der Beschwerdeführer seit April 2014 durchgehend in Österreich befindet, 2016 seine Lebensgefährtin kennengelernt hat und seit September 2017 mit ihr und ihrem Sohn in Lebensgemeinschaft lebt. Bestätigt werden diese Angaben nicht nur durch eine aktuelle ZMR-Abfrage, sondern vor allem vom persönlichen Eindruck, den sich der erkennende Richter vom Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin machen konnte, die gemeinsam und ohne Ladung mit einigen Mitgliedern des Fußballvereines an der ersten mündlichen Verhandlung persönlich teilgenommen hatte, machen konnte.
Die weiteren Feststellungen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus seinen glaubhaften und stringenten Angaben in beiden mündlichen Verhandlungen, die durch entsprechende Dokumente, an denen kein Grund zu zweifeln besteht, bestätigt werden. Bestärkt wurde dieser Eindruck durch die die Anwesenheit des Obmann-Stellvertreters des Fußballvereines, der den Beschwerdeführer seit Anbeginn persönlich unterstützt und der vom Beschwerdeführer liebevoll und dankbar "als sein Papa" bezeichnet wird. In diesem Zusammenhang erscheint auch dessen, in der Verhandlung mündlich vorgebrachte Arbeitsplatzzusage völlig glaubhaft, zumal der Beschwerdeführer selbst während seines gesamten Aufenthaltes alles unternommen hat, um auf eigenen Beinen zu stehen und so bemüht ist, sich eine gesicherte Zukunft aufzubauen. Die vom Beschwerdeführer angeführte Unterstützungsleistung für einen Tiroler Fußballverein wurde vom erkennenden Richter über ein Telefongespräch mit dem Trainer dieses Vereines verifiziert und in der mündlichen Verhandlung dargelegt.
Dass der Beschwerdeführer gesund ist, gab er selbst mehrfach an. Überdies wurden im Verfahren keine Unterlagen vorgelegt, aus denen ein gegenteiliger Schluss zu ziehen wäre.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug, der anteilige Bezug der Grundversorgung, abhängig vom laufenden Einkommen seiner Lebensgefährtin, aus einem aktuellen Auszug aus dem GVS System und seinen diesbezüglichen Angaben.
Die Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. sind zweifelsfrei im Verhandlungsprotokoll vom 02.10.2018 dokumentiert.
3. Rechtliche Beurteilung:
A 1) Zur Einstellung des Verfahrens (Spruchpunkte I. und II.)
Der Verwaltungsgerichtshof stellte mit Beschluss vom 29.04.2015, Zl. 2014/20/0047, klar, es sei gesetzlich geboten, dass das Bundesverwaltungsgericht bei ihm anhängige Verfahren über Beschwerden infolge rechtswirksam erklärter Beschwerdezurückziehung mit Beschluss einstelle.
Aufgrund der Zurückziehung der Beschwerdepunkte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 02.10.2018 sind sie Spruchpunkte I. (Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) und II. (Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten) rechtskräftig geworden und es waren daher die diesbezüglichen Verfahrensteile mit Beschluss einzustellen.
A 2) Zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.):
2.1 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Da das Verfahren hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten infolge der Zurückziehung der Beschwerde rechtskräftig ist, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG jedoch im Spruchpunkt III. ausgesprochen wurde und die Beschwerde dagegen vollinhaltlich aufrecht erhalten wurde, ist auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG amtswegig zu prüfen. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der BF befindet sich seit April 2014 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies auch weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet worden ist.
2.2 Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Kamerun kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen ("marriage-based relationships") beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen ("de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, Zl. 2011/23/0097, und vom 8. September 2010, Zl. 2008/01/0551, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR). Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. dazu etwa das Urteil des EGMR vom 2. November 2010, Serife Yigit gegen die Türkei (Große Kammer), Beschwerde Nr. 3976/05, Rdnr. 93 und 96).
Der Beschwerdeführer lernte seiner österreichischen Lebensgefährtin und deren Sohn bereits 2016 kennen und verfügt mit beiden seit 2017 über einen gemeinsamen Wohnsitz. Die Beziehung zeigt sich als beständig und beim Sohn seiner Lebensgefährtin ist er zwischenzeitlich in die Vaterrolle hineingewachsen. Eine Rückkehrentscheidung stellt daher einen Eingriff in sein Familienleben dar.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit beinahe 5 Jahren im Bundesgebiet. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist. Allerdings hat er auch betont, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070).
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Aus folgenden Gründen handelt es sich um einen unzulässigen Eingriff in das schützenswerte Privatleben des Beschwerdeführers:
Zugunsten des Beschwerdeführers ist sein hervorragender Grad an Integration zu berücksichtigen. So hat er mehrere Deutschkurse absolviert, spricht Deutsch auf sehr gutem B1 Niveau und kann sich problemlos im Alltag verständigen. Sein besonderer Integrationswille zeigt sich auch daran, dass er von sich aus alles unternimmt, um in Österreich Fuß zu fassen und auf eigenen Beinen zu stehen. Er hat von Angang an begonnen Deutsch zu lernen und sein Privatleben darauf ausgerichtet, die Sprache rasch und auf hohen Niveau zu erlernen. Er sucht aktiv Kontakte zu Österreichern und ist seit Jahren in einem Fußballverein tätig. Seine Deutschfähigkeiten nutzte der Beschwerdeführer auch, indem er sich beim Roten Kreuz in Flüchtlingsbetreuung als Dolmetscher für andere Fremde engagierte aber auch aus Afrika kommenden Fußballern bei ihren ersten Schritten in Österreich unterstützte, worin sich wiederum sein Integrationswille und das soziale Engagement manifestiert. Im stellvertretenden Obmann seines Fußballvereines hat der Beschwerdeführer einen väterlichen Unterstützer gefunden, der ihn bei der Integration begleitet, bei seinen diesbezüglichen Aktivitäten bestärkt und ihm im Anschluss an dieses Verfahren auch eine Arbeit bei der Strabag besorgen würde.
Hinzu kommt, dass die der Beschwerdeführer nichts dazu beigetragen hat, um die Aufenthaltsdauer zu verzögern, sondern von Anbeginn an von sich aus einer erfolgversprechenden Integration arbeitete.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nun nicht, dass grundsätzlich ein hohes öffentliches Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen besteht (VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023), dass das Privatleben während des unsicheren Aufenthaltsstatus entstand, dessen sich der Beschwerdeführer auch bewusst sein musste und der Umstand, dass er nicht straffällig geworden ist, keine Erhöhung des Gewichts der Schutzwürdigkeit der persönlichen Interessen bewirkt (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112), doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privatlebens des Beschwerdeführers- in Österreich dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an einer Rückkehrentscheidung.
Wie dargestellt, beruhen die drohenden Verletzungen des Privat- und Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides war daher stattzugeben und festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
A2a) Zur Zuerkennung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten
Es ist daher nach § 58 Abs. 2 AsylG von Amts wegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist nach § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen
Der BF übt keine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, sodass die zweite Alternative des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht vorliegt. Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist nach § 9 Abs. 4 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z 1); einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen (Z 5).
Gegenständlich kommen nur Z 1 oder 2 in Frage. Nach § 11 Abs. 2 umfasst die Prüfung des Moduls 1 Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden.
Der Beschwerdeführer hat zwar eine Prüfungsbestätigung über einen B1 Kurs (AS 113) vorgelegt, allerdings keine Prüfung über Werteinhalte abgelegt, sondern nur an einem Kurs über Engagement - Workshop-Reihe für Freiwillige mit Migrationsgeschichte (AS 117) teilgenommen. Da auch kein gleichwertiger Nachweis nach § 11 Abs. 4 IntG vorgelegt wurde, war dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
A3) Zur Behebung des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheids
Aufgrund der auf Dauer unzulässigen Rückkehrentscheidung und dem erteilten Aufenthaltstitel liegt die Voraussetzung für eine Fristsetzung für eine freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht mehr vor. Spruchpunkt IV. war daher aufzuheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Abschiebung, Asylverfahren, Aufenthaltsberechtigung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I408.2148746.1.00Zuletzt aktualisiert am
19.07.2019