TE Bvwg Beschluss 2019/3/15 L527 1434760-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2019
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Entscheidungsdatum

15.03.2019

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L527 1434760-4/10E

BESCHLUSS

Im amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019, Zl. XXXX, XXXX, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX alias XXXX alias XXXXalias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX, geb. XXXX alias XXXX, alias XXXX, StA. Pakistan, beschließt das Bundesverwaltungsgericht durch den Richter MMag. Christian Aufreiter, LL.B.:

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 01.10.2012 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der im Jahr 2013 rechtskräftig abgewiesen wurde.

Den zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz (gestellt am 01.08.2013) wies die zuständige Behörde gemäß § 68 Abs 1 AVG zurück. Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

Am 07.02.2014 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge [belangte] Behörde) wies den Antrag mit Bescheid vom 18.05.2015 gemäß § 68 Abs 1 AVG zurück (Spruchpunkt I) erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, sprach die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan aus und legte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I dieses Bescheids wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 1XXXX als unbegründet ab, die Beschwerde gegen Spruchpunkt II wies es mit Erkenntnis XXXX ebenfalls als unbegründet ab.

Bis 23.09.2015 war der Beschwerdeführer in Österreich gemeldet. Am 16.02.2019 wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in einem Bus von Paris nach Wien angetroffen. Am selben Tag stellte er den vierten Antrag auf internationalen Schutz und es fand die Erstbefragung nach dem AsylG 2005 statt. Am 01.03.2019 vernahm die belangte Behörde den Beschwerdeführer ein.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 und § 15a AsylG 2005 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, es sei beabsichtigt, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben.

Nach einer Rechtsberatung am 05.03.2019 wurde der Beschwerdeführer am 11.03.2019 erneut von der belangten Behörde einvernommen. Im Anschluss hob die Behörde mit dem verfahrensgegenständlichen, mündlich verkündeten Bescheid vom 11.03.2019 (auf dem Bescheid offensichtlich irrtümlich 11.03.2018 angegeben) den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 auf. Sie begründete dies damit, dass sich an den Fluchtgründen des Beschwerdeführers nichts geändert habe. Der Beschwerdeführer habe den vierten Antrag auf Basis der Angaben aus seinem Erstverfahren gestellt. Er habe nicht glaubhaft machen können, im Jahr 2015 nach Pakistan zurückgekehrt zu sein. Es bestehe eine aufrechte Rückkehrentscheidung und aufgrund der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne davon ausgegangen werden, dass ihm keine Verletzung nach § 12a Abs 2 Z 3 AsylG 2005 drohe.

Die Akten der belangten Behörde langten am 13.03.2019 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts ein, wovon die belangte Behörde am selben Tag verständigt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 01.10.2012:

Der Beschwerdeführer stellte am 01.10.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 09.04.2013, Zahl XXXX wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung sowohl des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigen ab (Spruchpunkt I und II) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 AsylG 2005 idF vor dem BGBl I 87/2012 nach Pakistan aus (Spruchpunkt III). Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 12.04.2013 zugestellt und erwuchs in der Folge mangels - rechtzeitiger - Erhebung einer Beschwerde in Rechtskraft. Der Asylgerichtshof wies die Beschwerde mit Beschluss XXXX, als verspätet zurück.

1.2. Zum Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 01.08.2013:

Diesen - den zweiten - Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wies die zuständige Behörde gemäß § 68 Abs 1 AVG zurück. Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde XXXX, als unbegründet ab.

1.3. Zum Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 07.02.2014:

Am 07.02.2014 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren (den dritten) Antrag auf internationalen Schutz. Die belangte Behörde wies den Antrag mit Bescheid vom 18.05.2015 gemäß § 68 Abs 1 AVG zurück (Spruchpunkt I) erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung (§ 52 Abs 2 Z 2 FPG), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan aus und legte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt II). Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I dieses Bescheids wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis XXXX, als unbegründet ab, die Beschwerde gegen Spruchpunkt II wies es mit Erkenntnis XXXX, ebenfalls als unbegründet ab. Beide Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts wurden dem Beschwerdeführer zugestellt und sind rechtskräftig (OZ 9; Akt des Bundesverwaltungsgerichts zur Zahl XXXX, insbesondere die dortige OZ 12).

1.4. Zum weiteren, insbesondere zum gegenständlichen Verfahren:

1.4.1. Am 23.09.2015 war der Beschwerdeführer zuletzt in Österreich gemeldet (OZ 8). Am 16.02.2019 wurde er im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in einem Bus von Paris nach Wien angetroffen. Am selben Tag stellte er den vierten Antrag auf internationalen Schutz.

1.4.2. Im behördlichen Verfahren gab der Beschwerdeführer an, er habe im August 2015 Österreich verlassen (AS 37, 111 f des Verwaltungsverfahrensakts zum vierten Antrag [VA 4]). Er sei über Kroatien, Serbien und Mazedonien nach Griechenland gereist. Dort habe er sich ca. fünf Tage aufgehalten. Danach sei er drei Tage in der Türkei gewesen. Von der Türkei sei er in den Iran gereist, wo ihn Sicherheitsbehörden festgenommen und für 72 Stunden inhaftiert haben. Dann sei er pakistanischen Behörden übergeben worden. Auch in Pakistan sei er in Haft gewesen, ca. zwei bis drei Monate. Der Beschwerdeführer gab einerseits an, im Jänner oder Februar 2016 sei er in Pakistan eingereist (AS 37, 113 VA 4), andererseits sagte er, er sei im Jänner oder Februar 2016 in Pakistan aus der Haft entlassen worden (AS 119 VA 4). Im Juli 2018 habe er Pakistan wieder verlassen. Über den Iran und die Türkei sei er nach Griechenland, dann nach Paris. Er habe zwar nach Italien reisen wollen, doch der Schlepper habe ihm gesagt, dies sei nicht möglich. Von Paris sei er mit dem Bus Richtung Wien gefahren; hier habe ihn die Polizei kontrolliert (AS 37, 117 VA 4).

1.4.3. Mit dem verfahrensgegenständlichen, mündlich verkündeten Bescheid vom 11.03.2019 (auf dem Bescheid offensichtlich irrtümlich 11.03.2018 angegeben [AS 235 VA 4]) hob die belangte Behörde den faktischen Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 auf. In diesem Bescheid führt die belangte Behörde u. a. aus:

"Nach rechtskräftiger Entscheidung in II. Instanz zu Ihrem dritten Asylantrag sind Sie wiederum in die Anonymität abgetaucht. Seit dem 23.09.2015 bis zu Ihrem Aufgriff in einem XXXX von Frankreich kommend am 16.02.2019, waren Sie unbekannten Aufenthalts." (AS 223 VA 4)

"Sie konnten nicht glaubhaft machen, im Jahr 2015 nach Pakistan zurückgekehrt zu sein." (AS 224 VA 4)

"Ihre Identität und Staatszugehörigkeit beziehen sich auf die Zustimmung zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch die pakistanische Botschaft in Wien vom XXXX." (AS 225 VA 4)

"Die gegen Sie ausgesprochene Rückkehrentscheidung ist aufrecht, zumal Sie zwischenzeitlich das Bundesgebiet noch nicht verlassen haben, bzw. 18 Monate ab einer Ausreise noch nicht verstrichen sind." (AS 233 VA 4)

1.4.4. Die belangte Behörde hat - abgesehen von der Befragung des Beschwerdeführers - nicht ermittelt oder sich anderweitig damit befasst, wo sich der Beschwerdeführer zwischen 24.09.2015 und dem Aufgriff im Bus von Paris nach Wien am 16.02.2019 aufgehalten hat. Aus den vorliegenden Akten geht auch sonst nicht hervor, wo sich der Beschwerdeführer in dieser Zeit aufgehalten hat.

Warum aus ihrer Sicht nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2015 nach Pakistan zurückgekehrt sei, hat die Behörde im gegenständlichen Bescheid näher dargelegt. (AS 225 ff VA 4).

Die Behörde hat sich mit der Frage, ob und auf welcher Grundlage gegen den Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt eine Rückkehrentscheidung bestehe, insbesondere ob und weshalb die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts XXXX, bestätigte Rückkehrentscheidung noch aufrecht sei, nicht oder zumindest nicht hinreichend auseinandergesetzt. Der Bescheid und die vorgelegten Akten enthalten keinerlei Ermittlungsergebnisse, sonstige Informationen oder Anhaltspunkte, die die Auffassung der Behörde, die Rückkehrentscheidung sei noch aufrecht, tragen können. Mit der Aussage, der Beschwerdeführer habe das Bundesgebiet noch nicht verlassen, widerspricht die Behörde ihrer eigenen Feststellung und dem Akteninhalt (auf den Beschwerdeführer ausgestelltes Busticket für die Fahrt von Paris nach Wien, Abfahrt: XXXX, in französischer Sprache; AS 79 ff VA 4). Zur Beurteilung, ob "18 Monate ab einer Ausreise noch nicht verstrichen sind", fehlen hinreichende und taugliche Ermittlungen sowie Feststellungen.

Im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister findet sich ein Eintrag mit der Verfahrensart "HRZ - Heimreisezertifikat", "Änderungsgrund Verfahrensstatus Zustimmung XXXX - XXXX(OZ 8). Die von der belangten Behörde vorgelegten Akten enthalten keine derartige Zustimmung. Auf Nachfrage (OZ 4 bis OZ 7) übermittelte die belangte Behörde den Auszug aus einer Tabelle, in der Daten des Beschwerdeführers sowie ein Eintrag in der Spalte mit dem Titel "Embassy's Ref No." und der Status "Verified" finden. Ein Heimreisezertifikat oder eindeutig von der pakistanischen Botschaft ausgestelltes Dokument, der sich die genannte Zustimmung entnehmen ließe, übermittelte die Behörde nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen waren auf Grundlage der von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten zum ersten, zweiten, dritten und vierten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie der Akten des Asylgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zu den angegebenen Verfahren und Entscheidungen zu treffen. Vgl. die jeweils angegebenen Aktenseiten (AS) und (Ordnungs-)Zahlen (OZ). Feststellungen zur Rechtskraft von Entscheidungen fußen insbesondere auf den in den Akten enthaltenen unbedenklichen Urkunden über Zustellvorgänge und knüpfen an dem Beschwerdeführer zugestellte (Rechtsmittel-)Entscheidungen an. Die Feststellungen unter 1.4.2., was der Beschwerdeführer angab, konnten ohne Weiteres auf die Niederschriften im Verwaltungsverfahren (Urkunden) gestützt werden.

Dass der Bescheid, konkret das Ende der Amtshandlung (Verkündung und Beurkundung derselben; AS 235 VA 4) offensichtlich irrtümlich mit 11.03.2018 datiert wurde, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Gesamtzusammenhang (insbesondere Zeitpunkt der Antragstellung und des daran anschließenden Verfahrens). Die Niederschrift zur vorangegangenen Einvernahme ist zudem korrekt mit 11.03.2019 datiert (AS 173 VA 4; siehe auch AS 203 VA 4).

Einwände, dass die Akten unvollständig oder unrichtig wären, wurden nicht erhoben. Dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Hinweise aufgefallen, dass die Akten unvollständig oder bedenklich wären.

Dass das Bundesverwaltungsgericht dem gegenständlichen Bescheid und dem entsprechenden Verfahrensakt nicht entnehmen konnte, dass sich die Behörde mit oben näher bezeichneten Fragen und Thematiken befasst hat, deutet nicht auf die Unvollständigkeit des Aktes hin, sondern liegt vielmehr daran, dass sich die Behörde damit offensichtlich tatsächlich nicht (ausreichend) befasst hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung des Bescheids:

3.1. Voraussetzungen für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:

3.1.1. Gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 kann das Bundesamt, wenn der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs 1 Z 23 leg cit) gestellt hat und kein Fall des § 12a Abs 1 AsylG 2005 vorliegt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn 1.) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht, 2.) der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und 3.) die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 12a Abs 6 AsylG 2005 bleiben Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn, es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs 2 und 3 FPG festgesetzt.

3.1.2. Nach der Judikatur des Asylgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ist die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes außerdem nach § 12a Abs 2 AsylG 2005 nur zulässig, wenn die faktische Durchführung der Abschiebung alsbald nach Aberkennung möglich erscheint.

Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016), K12 zu § 12a AsylG 2005.

3.2. Zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts in Verfahren, in denen es über die Rechtsmäßigkeit von Bescheiden gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 abzusprechen hat, ist grundsätzlich festzuhalten: Entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nicht bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu übermittelnden Verwaltungsakten, hat dies weitreichende Konsequenzen für die betroffenen Antragsteller bzw. Beschwerdeführer; ihre Abschiebung kann jederzeit erfolgen. Dabei ist dem Bundesverwaltungsgericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Anwendung des § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG untersagt (§ 22 BFA-VG). Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus ein in mehrfacher Hinsicht erheblich eingeschränkter Beurteilungsspielraum, wobei zudem die kurze Entscheidungsfrist der Nachholung von Ermittlungen entgegensteht. Es ist daher lediglich aufgrund der Verwaltungsverfahrensakten zu entscheiden, die die Behörde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt hat.

3.3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.02.2019 ist ein Folgeantrag, da ihn der Beschwerdeführer, wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, nach einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag gestellt hat.

3.4. Zur Frage, ob die Voraussetzungen des § 12a Abs 2 Z 1 AsylG 2005 erfüllt sind:

3.4.1. § 12a Abs 2 Z 1 AsylG 2005 ist erfüllt, wenn eine von mehreren (alternativen) tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegt. Von diesen Voraussetzungen kann gegenständlich überhaupt nur das Bestehen einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in Betracht kommen. Wie oben festgestellt, wurde (zuletzt) eine solche Rückkehrentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht getroffen, indem es die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des Bescheids der belangten Behörde vom 18.05.2015 mit Erkenntnis XXXX, als unbegründet abgewiesen hat. Diese Rückkehrentscheidung wäre gemäß § 12a Abs 6 AsylG 2005 noch aufrecht, sollte der Beschwerdeführer seither überhaupt nicht ausgereist sein. Sie wäre weiters noch aufrecht, sollten seit einer allfälligen Ausreise nicht mehr als 18 Monate vergangen sein.

3.4.2. Ob die belangte Behörde davon ausgeht, der Beschwerdeführer sei überhaupt nicht ausgereist, oder ob sie davon ausgeht, dass 18 Monate seit einer allfälligen Ausreise noch nicht verstrichen sind, lässt sich dem Bescheid nicht eindeutig entnehmen. Die Behörde hat nämlich, wie festgestellt, ausgeführt: "Die gegen Sie ausgesprochene Rückkehrentscheidung ist aufrecht, zumal Sie zwischenzeitlich das Bundesgebiet noch nicht verlassen haben, bzw. 18 Monate ab einer Ausreise noch nicht verstrichen sind." (AS 233 VA 4)

"Bzw." ist die Abkürzung für "beziehungsweise". Dieses Wort hat erstens die Bedeutung "oder; oder vielmehr, genauer gesagt" und zweitens die Bedeutung "und im anderen Fall" (https://www.duden.de/rechtschreibung/beziehungsweise; 13.03.2019). Die Behörde hätte für eine nachvollziehbare und eindeutige rechtliche Subsumtion eine andere sprachliche Formulierung wählen müssen; der Bescheid ist jedenfalls insofern mangelhaft.

3.4.3. Davon unabhängig zeigt sich freilich, dass das von der Behörde geführte Verfahren (insbesondere die Ermittlungen) und der Akteninhalt (insbesondere der Bescheid) ohnedies nicht die Feststellung oder rechtliche Beurteilung zulassen, gemäß § 12a Abs 2 Z 1 iVm Abs 6 AsylG 2005 bestehe gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung.

3.4.3.1. Eine Ausreise iSd § 12a Abs 6 AsylG 2005 liegt vor, wenn ein Fremder das Bundesgebiet verlässt oder verlassen hat. Dies folgt unmissverständlich aus den Materialien zu § 10 Abs 6 AsylG 2005 (eingeführt durch BGBl I 122/2009), welche für die Auslegung des § 12a Abs 6 AsylG 2005 deshalb maßgeblich sind, weil § 12a Abs 6 AsylG 2005 dem früheren § 10 Abs 6 AsylG 2005 entspricht (so ausdrücklich die ErlRV 1803 BlgNR XXIV. GP, 39):

"Mit dem neu geschaffenen Abs. 6 soll künftig ein zeitliches Element für asylrechtliche Ausweisungen festgelegt werden. Durch die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet wird eine asylrechtliche Ausweisung nicht mehr sofort konsumiert. Damit wird der zielstaatsbezogenen Ausweisung gemäß § 10 mehr Nachdruck verliehen und eine aus systematischen Gründen sachlich gerechtfertigte Abgrenzung zur fremdenpolizeilichen Ausweisung vorgenommen, welche lediglich den Auftrag enthält, das Bundesgebiet zu verlassen und sich auf keinen bestimmten Staat bezieht. Die Ausweisung soll demnach 18 Monate ab Ausreise aufrecht bleiben und erst dann als konsumiert gelten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ausreise freiwillig oder im Rahmen einer Abschiebung erfolgt ist. Weiters ist unbeachtlich, ob der Fremde nur einmal oder mehrmals ausgereist und wieder nach Österreich zurückgekehrt ist. Auch ein zwischenzeitlicher Aufenthalt im Herkunftsstaat schadet nicht. Selbstverständlich bleiben Ausweisungen weiterhin ohne Befristung gültig, wenn der Fremde seit Erlassung der Ausweisungsentscheidung das Bundesgebiet nicht verlassen hat. [...]" (ErlRV 330 BlgNR XXIV. GP, 10; siehe z. B. auch VwGH 25.03.2010, 2010/21/0006, und VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0131)

Wenn selbst im Zusammenhang mit einer asylrechtlichen zielstaatsbezogenen (!) Ausweisung nach alter Rechtslage eine Ausreise bereits mit dem Verlassen des Bundesgebietes bewirkt war, kann im Hinblick auf eine Rückkehrentscheidung nach geltendem Recht nichts anderes gelten. Wenn der Gesetzgeber betont, dass ein zwischenzeitlicher Aufenthalt im Herkunftsstaat nicht schade, muss das umgekehrt bedeuten, dass eine Ausreise iSd § 12a Abs 6 AsylG 2005 keinesfalls voraussetzt, dass der Fremde in seinen Herkunftsstaat zurückkehrt (oder in einen bestimmten anderen Staat reist).

Die Verwaltungsakten enthalten eindeutige Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer seit der (Rechtskraft der) Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts XXXX, iSd § 12a Abs 6 AsylG 2005 ausgereist ist, wurde der Beschwerdeführer doch in einem Bus, der von Paris nach Wien fuhr, von Organen der österreichischen Polizei angetroffen. Der Beschwerdeführer hatte auch ein entsprechendes Busticket und gab selbst an, mit dem Bus von Paris nach Wien gefahren zu sein. Auch die belangte Behörde ging, wie aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Bescheidinhalt ersichtlich ist, davon aus, dass der Beschwerdeführer in Paris war; er musste demnach das österreichische Bundesgebiet verlassen haben, ausgereist sein. Ob der Beschwerdeführer im Jahr 2015 (oder zu einem anderen Zeitpunkt) nach Pakistan gereist ist, ist hingegen in diesem Zusammenhang rechtlich ohne Belang. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Beweiswürdigung der belangten Behörde insofern schlüssig ist und die Feststellungen zutreffend sind.

Der angefochtene Bescheid und die Verwaltungsakten können also die Auffassung, der Beschwerdeführer sei (seit (Rechtskraft) der (Rückkehr-)Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts XXXX,) nicht iSd § 12a Abs 6 AsylG 2005 ausgereist, nicht tragen.

3.4.3.2. Zur Frage, wann der Beschwerdeführer ausgereist ist und ob seither 18 Monate vergangen sind, enthalten die von der belangten Behörde vorgelegten Akten nur die Angaben des Beschwerdeführers, er habe Österreich im August 2015 verlassen. Ginge man davon aus, wären seit der Ausreise fraglos wesentlich mehr als 18 Monate verstrichen. Aber selbst wenn man die Datumsangabe des Beschwerdeführers in Zweifel zieht, kann im gegebenen Fall nicht begründet werden, dass seit der Ausreise 18 Monate noch nicht vergangen sind. Die belangte Behörde hat es nämlich, obwohl sie davon ausging, dass der Beschwerdeführer ausgereist sei, gänzlich unterlassen, zu ermitteln und festzustellen, wann die Ausreise war. Deshalb kann auf Grundlage der Verwaltungsakten - entgegen der Auffassung der Behörde - keineswegs ausgeschlossen werden, dass seit der Ausreise des Beschwerdeführers mehr als 18 Monate vergangen sind.

3.4.3.3. Im Ergebnis lässt sich daher auf Grundlage der dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Akten nicht verifizieren, dass gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 12a Abs 2 Z 1 iVm Abs 6 AsylG 2005 besteht, zumal sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine Grobprüfung beschränken muss. Der Akteninhalt trägt damit eine der wesentlichen Voraussetzungen, von denen die Behörde im Bescheid vom 11.03.2019 für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ausgeht, nicht.

Selbst die belangte Behörde nimmt - aus guten Gründen - an, der Beschwerdeführer sei ausgereist. Und anhand der Akten, insbesondere anhand des gegenständlichen Bescheids, kann gerade auch nicht festgestellt oder geschlossen werden, der Beschwerdeführer sei nicht ausgereist. Ebenso wenig kann den Akten entnommen werden, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer jedenfalls deshalb noch aufrecht ist, weil nach einer Ausreise keinesfalls mehr als 18 Monate vergangen sein können.

Das Bundesverwaltungsgericht kann daher nicht erkennen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen - namentlich § 12a Abs 2 Z 1 AsylG 2005 - für die Erlassung des gegenständlichen Bescheids erfüllt sind oder waren. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes erweist sich damit als rechtswidrig.

3.5. Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass das Bundesverwaltungsgericht die von der Behörde mit Bescheid vom 11.03.2019 verfügte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtswidrig zu erklären und den Bescheid aufzuheben hatte. Es war daher spruchgemäß (Spruchpunkt A) zu entscheiden. Darauf, ob die übrigen Voraussetzungen des § 12a Abs 2 AsylG 2005 erfüllt sind, war nicht mehr einzugehen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies folgt schon daraus, dass gegenständlich - im Zusammenhang mit der (Tatsachen-)Frage einer Ausreise des Beschwerdeführers - eine auf das konkrete Verfahren beschränkte Einzelfallentscheidung zu treffen war. Die maßgebliche Rechtsfrage, namentlich die Auslegung des Begriffs "Ausreise" iSd § 12a Abs 6 AsylG 2005, ist, wie sich aus den relevanten parlamentarischen Materialien unzweifelhaft ergibt, klar; vgl. zudem die zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß (Spruchpunkt B) zu entscheiden.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung, Behebung der Entscheidung,
faktischer Abschiebeschutz, faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung
nicht rechtmäßig, Folgeantrag, Identität der Sache, Kassation,
Privat- und Familienleben, real risk, reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L527.1434760.4.00

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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