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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
StVO 1960 §16 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des R in Linz, vertreten durch Dr. Peter Banwinkler, Rechtsanwalt in Linz, Dinghoferstraße 21, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 31. März 1993, Zl. VwSen-100702/12/Sch/Rd, betreffend Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 31. März 1993 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 18. März 1991 um 7.10 Uhr an einem näher bezeichneten Ort als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten PKWs stadtauswärts fahrend mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern 1. beim Überholen den entgegenkommenden Fahrzeuglenker zum Abbremsen und Ablenken genötigt und diesen hiebei gefährdet und behindert und 2. beim Fahrstreifenwechsel einen anderen Fahrzeuglenker gefährdet und behindert, da ein überholter Fahrzeuglenker sein Fahrzeug habe abbremsen und auf das Straßenbankett ablenken müssen. Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen zu 1. nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 und zu 2. nach § 11 Abs. 1 leg. cit. begangen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2 lit. c StVO Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt wurden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 11 Abs. 1 StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.
Nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO darf der Lenker eines Fahrzeuge nicht überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist.
Die besondere Rücksichtslosigkeit nach § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 ist nach der ständigen hg. Rechtsprechung im Verhalten des Täters gegenüber anderen Straßenbenützern begründet und liegt dann vor, wenn zu einem Tatbestand der StVO 1960, der eine mangelnde Rücksichtnahme gegenüber anderen Straßenbenützern beinhaltet, ein besonderes Übermaß mangelnder Rücksichtnahme hinzutritt (vgl. die Erkenntnisse vom 9. Juli 1964, Slg. Nr. 6409/A, und vom 25. September 1986, Zl. 86/02/0058).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Spruch betreffend eine in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 begangene Verwaltungsübertretung jene zum Tatbild dieser Übertretung zählenden konkreten Umstände zu enthalten, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bzw. die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern ausmachen (vgl. das Erkenntnis vom 20. Juni 1990, Zl. 90/02/0035). Diesem Erfordernis wird der Spruch des angefochtenen Bescheides nicht gerecht. Der Umstand, daß der entgegenkommende Lenker zum Abbremsen und Ablenken genötigt wurde bzw. ein überholter Fahrzeuglenker sein Fahrzeug habe abbremsen und auf das Straßenbankett ablenken müssen, ist im gegebenen Zusammenhang nicht ausreichend. Es fehlen somit im Spruch die zum Tatbild einer derartigen Übertretung zählenden konkreten Umstände, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse ausmachen (vgl. etwa die bei Gaisbauer, "Besonders gefährliche Verhältnisse" und "besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern" im Straßenverkehrsrecht, ZVR 1991, S. 73 ff., wiedergegebene hg. Rechtsprechung; das hg. Erkenntnis vom 31. Juli 1998, Zl. 96/02/0566, u.v.a.). Der angefochtene Bescheid ist daher wegen mangelhafter Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a Z. 1 VStG inhaltlich rechtswidrig und schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Im übrigen ist folgendes anzumerken: Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde begründe nicht, warum und vor allem wie er den Überholvorgang hätte abbrechen müssen. Hätte dies die belangte Behörde nicht unterlassen, wäre sie zur Überzeugung gelangt, daß der Abschluß des Überholmanövers dem Abbruch desselben vorzuziehen gewesen sei, weil die Tiefenabstände der Kraftfahrzeuge für einen Abbruch nicht ausgereicht hätten.
Die belangte Behörde traf - der Zeugenaussage des Anzeigers folgend - nachstehende Feststellungen:
"Der Berufungswerber begann seinen Überholvorgang etwa am Beginn der im Sinne der Kilometrierung vor der Kreuzung (wird näher ausgeführt) angebrachten Sperrlinie. Zu diesem Zeitpunkt fuhren vor ihm zwei PKW's, denen das Überholmanöver galt, und der Zeuge in seinem PKW hinter dem Fahrzeug des Berufungswerbers mit einer Fahrgeschwindigkeit von etwa 50 km/h. Als der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug ca. auf gleicher Höhe mit dem ersten überholten Fahrzeug bzw. geringfügig weiter vorne war, erschien im Gegenverkehr ein PKW. Es konnte im Rahmen der Verhandlung geklärt werden, bei welcher Örtlichkeit sich das Fahrzeug des Berufungswerbers gerade befand, als der Gegenverkehr in Sicht kam. Nach den Angaben des Zeugen A. S. war dies im Kreuzungsbereich der obzitierten Straßen. Der Berufungswerber brach seinen Überholvorgang nicht ab, obwohl er den Gegenverkehr wahrgenommen haben mußte, sondern versuchte, was ihm letztlich auch gerade noch gelang, auch das vordere Fahrzeug zu überholen. In der Zwischenzeit hatte sich das entgegenkommende Fahrzeug bereits soweit angenähert, daß der Lenker zu einem Brems- und Ausweichmanöver genötigt war, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Gleichzeitig 'zwängte' sich der Berufungswerber vor dem zweiten überholten Fahrzeug nach rechts auf den dortigen Fahrstreifen und nötigte hiedurch diesen Fahrzeuglenker zum Abbremsen und Ablenken des Fahrzeuges auf das Straßenbankett."
Zu diesen Feststellungen gelangte die belangte Behörde, wie erwähnt, aufgrund der Aussage des Anzeigers, ohne sich allerdings mit dem Inhalt des im Zuge des Berufungsverfahrens eingeholten Gutachtens des technischen Amtssachverständigen auseinanderzusetzen, wonach ausgehend von den Angaben dieses Zeugen und den technischen Gegebenheiten dem Beschwerdeführer nach Auftauchen des Gegenverkehrs der Überholvorgang ohne Gefährdung und Behinderung des Gegenverkehrs innerhalb der Sichtweite möglich war.
Bei dieser Beweislage hätte die belangte Behörde darzulegen, warum sie dennoch der Darstellung des Anzeigers und nicht jener des Beschwerdeführers folgte, daß es weder zu einer Gefährdung des Gegenverkehrs noch der überholten Fahrzeuglenker gekommen sei. Auch hätte sich die belangte Behörde, wenn sie schon der Darstellung des Anzeigers folgte, mit dem weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, der erforderliche Überholweg habe sich für ihn unvorhergesehen dadurch verlängert, daß die überholten Fahrzeuge während des Überholvorganges ihre Fahrgeschwindigkeit unzulässigerweise erhöht hätten, sodaß ihn an einer allenfalls eingetretenen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer jedenfalls kein Verschulden getroffen habe.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 18. Dezember 1998
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1993020153.X00Im RIS seit
12.06.2001