TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/17 W155 2181272-1

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Veröffentlicht am 17.06.2019
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Entscheidungsdatum

17.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W155 2181268-1/8E

W155 2181275-1/8E

W155 2181272-1/8E

W155 2181182-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3.

XXXX , geb. XXXX und 4. XXXX , geb. XXXX , alle StA: Afghanistan, alle vertreten durch RA Edward W. DAIGNEAULT, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2017, Zahlen: 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX und 4. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden wird Folge gegeben.

II. XXXX wird gemäß §§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

III. XXXX , XXXX und XXXX wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 34 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

IV. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

V. Die Spruchpunkte II. bis IV. der angefochtenen Bescheide werden behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet stellten der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin am 06.10.2015 für sich und ihre beiden mit ihnen gemeinsam eingereisten minderjährigen Kinder, den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag gab der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass in Afghanistan damals Krieg geherrscht habe, im Iran sei er illegal gewesen. Es habe die Gefahr bestanden, dass er nach Afghanistan abgeschoben werde. In Afghanistan sei sein Leben in Gefahr wegen der schlechten Sicherheitslage.

Im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag gab die Zweitbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie von Afghanistan vor dem Krieg geflohen seien. Im Iran hätten sie illegal gelebt. Sie hätten jederzeit nach Afghanistan abgeschoben werden können, dort sei aber ihr Leben in Gefahr. Sie fürchte um ihr Leben und um das ihrer Familie.

2. Im Rahmen von Einvernahmen durch die belangte Behörde am 13. und 14.11.2017 gaben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen übereinstimmend an, dass es zirka 2003 einen großen Grundstücksstreit zwischen ihnen und den Cousins gegeben habe: die Cousins hätten mehr von den geerbten Grundstücken haben wollen. Kurz vor dessen Hochzeit sei der Bruder des Erstbeschwerdeführers verschwunden, der Cousin sei zur Rede gestellt worden, habe jedoch jegliche Beteiligung abgestritten. Die Familie sei gerade in Ghazni gewesen, als am Nachhauseweg kurz vor dem Haus ein Nachbar auf sie gewartet und ihnen erzählt habe, dass der Cousin mit bewaffneten Männern (wahrscheinlich Taliban) Vater, Mutter und den 8jährigen Sohn des Erstbeschwerdeführers umgebracht habe. Die Beschwerdeführer hätten nicht persönlich gesehen, dass die Familie umgebracht worden sei. Die Beschwerdeführer hätten sich ein paar Stunden im Haus des Nachbars versteckt, dieser habe das Geld der Beschwerdeführer aus deren Haus geholt und sie seien in den Iran geflohen.

3. Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Asylanträge (Spruchpunkte I.) und die Anträge auf Gewährung von subsidiärem Schutz ab (Spruchpunkte II.), erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III.) und stellte fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage betrage (Spruchpunkte IV.)

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass Fluchtgründe nicht hätten plausibel gemacht werden können, auch bei Rückkehr nach Afghanistan sei mit keiner Verfolgung zu rechnen. Auch sei im Rahmen des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet ein verfestigtes Privatleben nicht dergestalt begründet worden, dass durch eine Abschiebung nach Afghanistan in dieses Grundrecht in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen würde.

4. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen vorgebracht wird, dass den Beschwerdeführern Verfolgung aus religiösen Gründen bzw. auf Grund ihrer westlichen Lebenseinstellung drohe. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei nicht überzeugend, eine Schutzfähigkeit des afghanischen Staates sei bezüglich der geltend gemachten Verfolgungshandlungen nicht gegeben. Die Zweitbeschwerdeführerin sei bereits in Österreich "heimisch" geworden, sie habe die Rechte sowie die Lebensweise von Frauen in Österreich als selbstverständliche angenommen und wisse dies zu schätzen. Im Übrigen werden verschiedene Quellen zu Afghanistan zitiert.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.04.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer den Beschwerdeführern - in Anwesenheit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und einer Dari-Dolmetscherin - Gelegenheit geboten wurde, Vorbringen zu erstatten und auf Fragen bzw. Vorhalte des Gerichts zu antworten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin, der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer sind deren leibliche minderjährige Kinder.

2. Die Beschwerdeführer sind nicht vorbestraft.

3. Der Auftritt der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung war selbstbewusst und selbstbestimmt. Sie war in der mündlichen Verhandlung nicht traditionell afghanisch bekleidet, insbesondere trug sie nicht einmal ein Kopftuch.

Die Zweitbeschwerdeführerin regelt die finanziellen Belange der Familie, ihr Ehemann, der Erstbeschwerdeführer, besitzt kein eigenes Bankkonto.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist sich der sozio-kulturellen Unterschiede zwischen der Stellung der Frau in Afghanistan und in Österreich bewusst und lehnt die Einschränkung auf die afghanische sozio-kulturelle Rolle ab. In Österreich hat sie im Juli 2018 eine eintägige Fortbildung zum Thema "Sexuelle Bildung und Wertevermittlung" absolviert.

Die Zweitbeschwerdeführerin geht in Österreich einer Tätigkeit nach. Sollte sie hier arbeiten dürfen, hat sie bereits einen Berufswunsch, sie möchte in einem Altersheim arbeiten. Sie besorgt die Einkäufe grundsätzlich alleine.

Sie verbringt viel Freizeit mit ihrer Freundin Brigitte. Bei gemeinsamen, auch mehrtägigen Unternehmungen, übernachten die beiden auch gelegentlich auswärts, auch gehen sie beide öfters schwimmen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist Muslima, seitdem ihr bewusst ist, dass man in Österreich als Muslima ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit nicht belästigt wird, trägt sie kein Kopftuch mehr. Sie betet zuhause. Weil sie keine Zeit dafür hat, geht sie nicht in die Moschee. Den Ramadan hält sie nicht immer ein und begründet dies mit ihrem Lebensstil, der zu einem Großteil draußen stattfindet, weshalb es für die Zweitbeschwerdeführerin nach eigenen Angaben schwer ist, zu fasten.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Akten der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführer in den Erstbefragungen und vor der belangten Behörde, in die bekämpften Bescheide, in die Beschwerdeschriftsätze sowie durch Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

1. Die Feststellungen ergeben sich aus den diesbezüglich unbedenklichen Angaben der Beschwerdeführer.

2. Die Feststellungen ergeben sich aus Auszügen aus dem Strafregister der Republik Österreich vom 17.06.2019.

3. Die Feststellungen ergeben sich aus den Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung zum sozio-kulturellen Bewusstsein ergibt sich insbesondere aus folgenden Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung:

"Seit ich weiß, dass ich deswegen hier nicht belästigt werde, trage ich kein Kopftuch. Es macht hier keinen Unterschied, ob man ein Top mit einer Short trägt oder vollständig verschleiert ist." (VP Seite 25 vorletzter Absatz)

"Ich möchte sehr gerne arbeiten, da ich das in Afghanistan nicht durfte." (VP Seite 26 unten)

"In Afghanistan hatte ich nur das Recht, mich um meine Kinder zu kümmern und um den Haushalt. Hier darf ich alles machen. Ich möchte arbeiten, solange ich lebe." (VP Seite 26 vorletzter Absatz)

Relevant ist auch folgende Aussage des Viertbeschwerdeführers:

"Früher hatte sie ein Kopftuch getragen, sie war schüchtern. Jetzt ist sie nicht mehr schüchtern und tragt kein Kopftuch. Sie hat geile Haare, aber zuvor hat sie das immer versteckt. Im Iran und in Österreich hat sie es noch versteckt, seit ungefähr einem Jahr nicht mehr." (VP Seite 35 erster Absatz).

Aus den dargestellten Aussagen ergibt sich aus Sicht des Gerichts, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin der unterschiedlichen Rollen der Frau in Afghanistan und Österreich bewusst ist bzw. bereits in Afghanistan oder im Iran bewusst war, dass sie diese Rolle ablehnt und - nunmehr in Österreich angekommen - ihre Rechte als in Österreich lebende Frau wahrnimmt. Dass dies nicht nur ein Habitus sondern eine innere Einstellung darstellt, ergibt sich aus den Aussagen des Viertbeschwerdeführers, der das im Laufe des Aufenthalts in Österreich, der Zweitbeschwerdeführerin, zunehmende Selbstbewusstsein seiner Mutter beschreibt.

Die Feststellung zum Auftritt der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung ergibt sich aus dem klaren und nachhaltigen Bild, das ihr Verhalten bei der erkennenden Richterin hinterlassen hat. Sie gab ohne zu zögern bzw. ohne Scheu, ihre Meinung zu äußern, überlegte und gut formulierte Antworten.

Die Feststellung zu den finanziellen Angelegenheiten ergibt sich daraus, dass das Taschengeld der Grundversorgung zwar bar ausbezahlt wird und somit der Erstbeschwerdeführer über sein eigenes Taschengeld verfügt, für die allermeisten finanziellen Belange ist heutzutage jedoch ein Bankkonto notwendig, über welches nur die Zweitbeschwerdeführerin verfügt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide

Asyl

3.1.1. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I 2005/100, lautet auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[...]

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat;

dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

[...]"

"2. Hauptstück

Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten

1. Abschnitt

Status des Asylberechtigten

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt."

"4. Abschnitt

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), BGBl. 1955/55, lautet auszugsweise:

"Kapitel I

Allgemeine Bestimmungen

Artikel 1

Definition des Ausdruckes "Flüchtling"

A. Als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens ist anzusehen, wer:

[...]

2. sich infolge von vor dem 1. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Falls jemand mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, ist unter dem Heimatland jedes Land zu verstehen, dessen Staatsangehöriger er ist; wenn jemand ohne triftige, auf wohlbegründeter Furcht beruhende Ursache sich des Schutzes eines der Staaten, dessen Staatsangehöriger er ist, nicht bedient, soll er nicht als eine Person angesehen werden, der der Schutz des Heimatlandes versagt worden ist."

Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren.

Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994-1000).

In der Rechtsprechung des VwGH ist keine (Mindest-)Dauer festgelegt worden, während derer eine Asylwerberin einen "westlichorientierten" Lebensstil gelebt haben muss, um davon ausgehen zu können, dass dieser ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Diese Beurteilung erfordert stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles.

Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. idS VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388).

(VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301)

3.1.2. Das Beweisverfahren hat ergeben, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin der sozio-kulturellen Unterschiede zwischen der Stellung der Frau in Afghanistan und in Österreich bewusst ist, sie lehnt diese ab und artikuliert ihre Meinung hierüber auch öffentlich. Im Gegensatz zu den stark patriarchalen afghanischen Gesellschaftsstrukturen regelt in ihrer Familie die Zweitbeschwerdeführerin die finanziellen Belange. Die Zweitbeschwerdeführerin geht derzeit einer Tätigkeit nach und hat bereits einen klar umrissenen Berufswunsch in der Altenpflege. Ihre Freizeit gestaltet die Zweitbeschwerdeführerin zu einem erheblichen Teil ohne ihren Mann gemeinsam mit einer Freundin, wandern und schwimmen sind einige der Freizeitaktivitäten. Eine Freizeitgestaltung im Freien ohne Beteiligung bzw. Aufsicht von Männern steht mit den afghanischen Traditionen und dem afghanischen Rollenverständnis der Frau im unvereinbaren Widerspruch.

Die Zweitbeschwerdeführerin kleidet sich weder traditionell afghanisch noch auf eine Art und Weise, die mit den Kleidungsusancen in den afghanischen Großstädten nicht in Widerspruch steht. Sie ist Muslima, hält aber weder den Ramadan konsequent ein, noch geht sie in die Moschee. Die Begründung, dass sie für Moscheebesuche keine Zeit habe, lässt sich mit afghanischen Traditionen nicht in Einklang bringen. Sie nimmt also für sich in Anspruch, den Islam autonom zu interpretieren und zu leben.

Die Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin spiegelt somit ihre Anerkennung und Ausübung ihrer Grundrechte, insbesondere der Gedanken- und Gewissensfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der persönlichen Freiheit und der Erwerbsfreiheit wider. Insbesondere das erstarkte Selbstbewusstsein der Zweitbeschwerdeführerin ist ein deutlicher Hinweis daraus, dass die in Österreich gelebte Praxis eben nicht nur eine geänderte habituelle Praxis ist, sondern die Lebensführung in Österreich zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität der Zweitbeschwerdeführerin geworden ist.

In Afghanistan wäre die in Österreich praktizierte Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin keinesfalls aufrechtzuerhalten. Für afghanische Frauen ist die Teilnahme am öffentlichen Leben nach wie vor in rechtlicher, beruflicher, politischer oder sozialer Hinsicht mit Diskriminierungen, (sexuellen) Belästigungen, Gewalt und Drohungen verbunden. Hinzu kommt, dass kulturelle und gesellschaftliche Sitten sowie auch strenge Kleidervorschriften nach wie vor die Bewegungsfreiheit von Frauen und zwar auch in den Städten einschränken und überdies gerade für Frauen ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich bzw. gemeinhin unvorstellbar ist.

Diese mit einer selbstbestimmten Lebensweise einer Frau - wie von der Zweitbeschwerdeführerin praktiziert - verbundene ständige Bedrohung ist in ihrer Gesamtheit zweifellos als von asylrelevanter Intensität zu beurteilen (vgl. EGMR 20.07.2010, 23505/09, wonach für Frauen, welche sich nicht in die ihnen von der Gesellschaft, der Tradition und dem Rechtssystem zugewiesene Geschlechterrolle einfügen, eine besondere Gefahr misshandelt zu werden, besteht). Die demgegenüber stehende (einzig denkbare) Alternative der Unterdrückung dieser Lebensweise kann aus asylrechtlicher Sicht nicht gefordert werden, bzw. wäre eine solche den eigenen Prinzipien widerstrebende Anpassung - wie oben ausgeführt - ohnedies einer Verfolgung in asylrechtlicher Intensität gleichzusetzen (vgl. VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994).

Der Zweitbeschwerdeführerin war somit gemäß § 3 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.1.3. Der Erstbeschwerdeführer als Ehemann, die Dritt- und Viertbeschwerdeführer als leibliche minderjährige Kinder sind Angehörige der Zweitbeschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 2 Z 22 AsylG 2005. Sie sind nicht vorbestraft und es läuft auch kein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten, weshalb die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 AsylG 2005 gegeben sind und dem Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer gemäß §§ 3 und 34 Abs. 2 AsylG 2005 Asyl zu gewähren war.

3.1.4. Da der Zweitbeschwerdeführerin bereits aus dem Titel der "westlichen Orientierung" und in der Folge den übrigen Beschwerdeführern gemäß § 34 Abs. 1 und 2 AsylG Asyl zu gewähren war, war auf das übrige asylrelevante Fluchtvorbringen nicht weiter einzugehen (vgl. VwGH 15.11.2018, 2018/19/0004).

3.2. Spruchpunkte II. bis IV. der angefochtenen Bescheide

Durch die Asylgewährung bleibt für eine Gewährung subsidiären Schutzes bzw. eine Rückkehrentscheidung kein Platz, weshalb die Spruchpunkte II. bis IV. der angefochtenen Bescheide zu beheben waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es liegt auch dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn die Rechtslage eindeutig ist (VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W155.2181272.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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