Entscheidungsdatum
15.05.2019Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art 130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwältin, gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Verhängung eines Betretungsverbotes gegen ihn für die Schule seines Kindes und die Wohnung der Kindesmutter am 16.10.2018 in Wien, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 06.05.2019 zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Betretungsverbot für rechtswidrig erklärt.
II. Der Rechtsträger der belangten Behörde hat dem Beschwerdeführer
EUR 737,60 für Schriftsatzaufwand und EUR 922,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin EUR 1.659,60 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu leisten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
1. Mit Schriftsatz vom 27.11.2018, zur Post gegeben am selben Tag und sohin rechtzeitig, erhob der Einschreiter durch seine rechtsfreundliche Vertreterin Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin er zum Sachverhalt vorbringt:
„Der Beschwerdeführer war mit Frau C. B. verheiratet. Aus der Ehe stammte der gemeinsame Sohn, D. B., geb. 2009. Die Eltern sind gemeinsam obsorgeberechtigt und haben mit Vergleich vom 25.11.2015 vor dem Bezirksgericht J. zur GZ ... das Kontaktrecht des Beschwerdeführers dergestalt geregelt, dass das Doppelresidenz-Modell verwirklicht wird. D. ist nach dieser Vereinbarung in den geraden Kalenderwochen beim Beschwerdeführer und in den ungeraden Kalenderwochen bei der Kindesmutter. Dies hat seitdem im Großen und Ganzen auch gut funktioniert.
Noch vor der Regelung der Doppelresidenz gab es immer wieder Probleme mit dem Kontaktrecht des nunmehrigen Beschwerdeführers. Die Kindesmutter setzte dies hin und wieder aus und gab unter anderem Gewalt des Kindesvaters als Grund an. Dieser Verdacht bestätigt sich jedoch nicht. Nach wie vor benutzt die Kindesmutter die Obsorge bzw den Entzug der Obsorge des Kindesvaters als Druckmittel zur Durchsetzung finanzieller Forderungen.
Das damals zuständige Bezirksgericht J. hat im anhängigen Pflegschaftsverfahren eine fachliche Stellungnahme der Familiengerichtshilfe eingeholt. D. erwähnte damals (auch im Einzelgespräch) mit keinem Wort, dass der Beschwerdeführer gegen ihn gewalttätig wäre. Vielmehr gab er an, dass er gern bei seinem Vater sei und ihn lieb habe. Auch von Seiten des Kindergartens wurde damals nicht vorgetragen, dass der Eindruck bestünde, dass D. Gewalt ausgesetzt sei.
Auch das Amt für Jugend und Familie gab in seiner Stellungnahme vom 10.2.2015 an: „Aus sozialarbeiterischer Sicht kann auf Grund der Gespräche mit allen Beteiligten die vom Vater beantragte Kontaktregelung befürwortet werden, es konnten auch keine Gründe, die gegen eine weitere gemeinsame Obsorge sprechen, gefunden werden. Der Antrag der Mutter auf Übertragung der alleinigen Obsorge auf sie, kann somit seitens des Amtes für Jugend und Familie nicht unterstützt werden. Auch in dieser Einschätzung der zuständigen Sachbearbeiterin findet sich kein Wort darüber, dass D. den Eindruck mache, vom Vater geschlagen oder sonst wie unter Druck gesetzt zu werden.
In der Tagsatzung am 25.11.2015 beim Bezirksgericht J. waren auch zwei Mitarbeiter der Familiengerichtshilfe anwesend und gab Frau DSA E. an: „Wie gesagt, die Gewaltvorwürfe konnten wir nicht verifizieren. Wir haben die Beziehung der Eltern zu D. als eine sehr harmonische erlebt. Zum Anti-Aggressionstraining geben wir auch noch an, dass es wichtig ist, das destruktive Verhalten in der Paarbeziehung aufzuarbeiten und dafür auch die Erziehungsberatung da sein sollte. Zusätzliches Anti-Aggressionstraining des Kindesvaters halten wir nicht für zielführend.
In keinen der aus dem Jahr 2015 stammenden Erhebungen der Fachleute von Familiengerichtshilfe, Jugendamt und Kindergarten findet sich der Verdacht, dass D. körperlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Keiner der Fachleute hat den Eindruck, dass D. in Bezug auf seinen Vater eingeschüchtert ist oder eine angstbesetzte Beziehung vorliegen würde. Im Gegenteil: die Vater-Sohn-Beziehung ist stets positiv konnotiert.
Wenn D. tatsächlich regelmäßig Hämatome gehabt hätte, die von einer Gewalteinwirkung durch den Kindesvater herrühren würden, wäre dies auch dem Kindergarten aufgefallen. Es ist jedoch nicht bekannt, dass dieser eine Gefährdungsmeldung gemacht hat. Weiters erscheint es auch nicht nachvollziehbar, dass die Kindesmutter über einen derart langen Zeitraum von vier Jahren regelmäßige Hämatome durch Gewalteinwirkung durch den Kindesvater einfach so hingenommen hat. Sie hat kein einziges Mal den Kindesvater mit diesem angeblichen Verdacht konfrontiert.
Nunmehr wird von der Kindesmutter erneut eine Gewalttätigkeit durch den Beschwerdeführer in den Raum gestellt und erging nun die Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen § 107b StGB. Im Zuge dessen wurde das hier bekämpfte Betretungsverbot bzw die hier bekämpfte Wegweisung verhängt.
Zum Zeitpunkt der Verhängung des Betretungsverbots und der Wegweisung gab es keinen objektivierten Beweis für allfällige Verletzungen von D.. Die Kindesmutter selbst gesteht zu, nie Hämatome festgestellt zu haben.
Der Polizeibeamte F. gab im Telefonat gegenüber dem journalhabenden Staatsanwalt auch an, dass der Beschwerdeführer einen besonnenen Eindruck macht und die Tat glaubwürdig leugnet.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen, die der Beschwerdeführer mit der Kindesmutter gemacht hat, muss er annehmen, dass finanzielle Motive dazu geführt haben, dass D. leider entsprechend beeinflusst wurde. Anders kann sich der Beschwerdeführer das Verhalten seines Sohnes nicht erklären.
Obwohl die Situation derart inszeniert und die Verdachtslage erdenklich dünn war, wurde gegen den Beschwerdeführer in der Polizeiinspektion Wien, G.-gasse am 16.10.2018 um 15:50 Uhr ein Betretungsverbot für die Wohnung der Kindesmutter in Wien, H.-gasse und für die Schule von D. in Wien, I.-gasse, verhängt bzw die Wegweisung ausgesprochen.“
In rechtlicher Hinsicht wird auf die Judikatur verwiesen, wonach es nicht genüge, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit nicht auszuschließen gewesen wäre. Es müsse schon mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff bevorstehe. Mangels derartiger Anhaltspunkte, die eine Gefährdungsprognose nach § 38a SPG stützen würden, sei das Betretungsverbot nicht rechtskonform gewesen. Darüber hinaus halte sich der Beschwerdeführer gar nicht in der Wohnung der Kindesmutter auf, weshalb das für diese Wohnung verhängte Betretungsverbot jedenfalls überschießend gewesen sei. Er habe gegenüber seinem Sohn D. niemals einen gefährlichen Angriff oder sonstige Gewaltakte gesetzt, aufgrund deren anzunehmen gewesen wäre, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorstehe, und sei vom einschreitenden Polizeibeamten als besonnen und glaubwürdig beschrieben worden. Es wird daher beantragt, die Maßnahme kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.
Der Beschwerde liegen bei ein Schreiben der MA 11, Amt für Jugend und Familie, an das Bezirksgericht J. vom 10.2.2015, ein Protokoll des Bezirksgerichtes vom 15.11.2015 samt Vergleichsausfertigung, ein Amtsvermerk im Journaldienst der StA Wien vom 16.10.2018 sowie eine an das Bezirksgericht K. gerichtete Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 30.10.2018 zum Antrag der Kindesmutter auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung.
2. Mit Schriftsatz vom 11.1.2019 legte die belangte Behörde auftragsgemäß den Verwaltungsakt zu GZ: ... und den Strafrechtsakt zu GZ: ... vor.
2.1. Unter einem erstattete sie zu ihrer GZ: … eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt im Wesentlichen auf den im vorgelegten Akt enthaltenen Bericht des SPK J. vom 16.10.2018 und den Abschluss-Bericht des SPK K. an die Staatsanwaltschaft Wien verweist und vorbringt, im gegenständlichen Fall habe die Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers am 16.10.2018 die PI G.-gasse aufgesucht, um gegen den Beschwerdeführer Anzeige zu erstatten, da dieser ihren 8-jährigen gemeinsamen Sohn geschlagen habe. In der Folge sei der Sohn der Beschwerdeführerin in Anwesenheit seiner Mutter und deren Lebensgefährten befragt worden, dabei habe der Sohn der Beschwerdeführerin im Wesentlichen geschildert, dass ihm der Beschwerdeführer mit Schlägen drohe und ihn auch tatsächlich immer wieder schlage, weshalb er sich bereits seit längerem vor dem Beschwerdeführer fürchte.
Dazu befragt, habe die Ex-Ehefrau und Mutter des Sohnes eingeräumt, dass sie selbst zwar nie auffällige blaue Flecken wahrgenommen hätte, die Schule aber mitgeteilt habe, dass eine Gefährdungsmeldung an das Jugendamt verfasst worden sei, da ihr Sohn seit Sommer immer zurückgezogener werde. Der Beschwerdeführer habe gegen die Anschuldigungen im Wesentlichen vorgebracht, dass seine Frau den gemeinsamen Sohn seit Monaten instrumentalisiere und es seiner Ex-Frau in Wirklichkeit nur um einen weiteren finanziellen Vorteil gehe.
In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, aufgrund des sich den Polizeibeamten bietenden Gesamtbildes erweise sich der Schluss, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit gefährdeter Personen bevorstehe oder bevorstehen könne, nicht als unschlüssig oder verfehlt. Dass der Beschwerdeführer von den einschreitenden Beamten im Zeitpunkt seiner Befragung als kooperativ, höflich und freundlich beschrieben werde, stehe nicht im Widerspruch zu der getroffenen Gefahrenprognose. Laut Judikatur setze die Annahme einer „Tatsache“ nach § 38a Abs. 1 nicht voraus, dass die einschreitenden Beamten den Gefährder bei einer als Anlasstat herangezogenen Aggressionshandlung auf frischer Tat betreten müssen oder er sich in diesem Zeitpunkt noch aggressiv verhalten müsste. Vielmehr sei es geradezu typisch, dass die Anlasstat im Zeitpunkt des Einschreitens der Polizei bereits abgeschlossen sei und es folglich regelmäßig Indizien seien, die auf den Hergang der relevanten Vorgänge schließen lassen. Weiters bestimme sich der räumliche Schutzbereich im Sinne des § 38a Abs. 1 SPG nach Maßgabe der Erfordernisse eines wirkungsvollen vorbeugenden Schutzes, weshalb es für die Rechtmäßigkeit des ausgesprochenen Betretungsverbotes (entgegen dem Argument in der Beschwerde) eben nicht relevant sei, ob sich der Beschwerdeführer noch [sic!] in der Wohnung der Kindesmutter aufhalte oder nicht.
Es wird daher beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
2.2. Dazu nahm der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertreterin mit Schriftsatz vom 14.2.2019 Stellung, indem er darauf verwies, dass der einvernehmende Polizist nicht den Eindruck gehabt habe, dass der Sohn voll Angst vor einem gefährlichen Angriff gewesen sei. Überdies gebe er zwar an, dass er von seinem Vater geschlagen werde, wenn er bei ihm sei, behaupte jedoch mit keinem Wort, dass er Angst hätte, der Vater würde plötzlich vor der Wohnung der Kindesmutter auftauchen oder ihm vor der Schule auflauern. Eine derartige Gefahrensituation sei auch von der Kindesmutter nicht behauptet worden. Es sei die Maßnahme jedenfalls überschießend, da die Gefahrenlage, welche durch das Betretungsverbot verhindert werden solle, nicht bestanden habe und nicht einmal von D. oder seiner Mutter behauptet worden sei. Mit dem Aussetzen des Kontaktrechts wäre das gewünschte Ergebnis auch erzielt worden und wäre daher keine weitere polizeiliche Maßnahme notwendig gewesen.
Überdies wird darauf verwiesen, dass die im Anschluss an das Betretungsverbot vom Bezirksgericht K. verhängte einstweilige Verfügung mittlerweile vom Landesgericht für Zivilrechtssachen aufgehoben worden sei. Das Rekursgericht halte fest, dass sich keine Hinweise dafür finden, dass bzw. weshalb der Vater bei aufrechter Kontaktregelung seinen Sohn künftig im Lebensumfeld von Mutter und Sohn (Wohnung von Mutter und Sohn) oder in der Schule bzw. im Gehsteigbereich misshandeln sollte. Insgesamt stelle die angefochtene Entscheidung auch kein probates Mittel dar, um den Schutz des Kindes vor körperlichen Übergriffen zu sichern. Es wird daher auf die bisher gestellten Anträge verwiesen.
3. Am 6.5.2019 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, zu der der Beschwerdeführer mit seiner rechtsfreundlichen Vertreterin, die Zeugin C. B. und die Zeugen
Insp. L. und GrI F. ladungsgemäß erschienen sind. Die belangte Behörde war durch Frau Mag. M. vertreten. Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde das Erkenntnis verkündet.
3.1. Aufgrund des Akteninhaltes und der vorgelegten Unterlagen, der Angaben der genannten Zeugen und der Parteienvernehmung hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:
Im Jahr 2013 wurde die Ehe des Beschwerdeführers mit der Zeugin C. B. geschieden. Für den im Jahr 2009 geborenen gemeinsamen Sohn D. wurde ab 2015 eine geteilte Obsorge in der Form vereinbart, dass der Sohn eine Woche bei der Mutter und eine Woche beim Vater sei und vom jeweiligen Elternteil betreut werde. Mit dieser Regelung kamen beide Elternteile bis ins Jahr 2018 gut zurecht. Im Frühjahr 2018 wurde die Mutter durch Äußerungen des gemeinsamen Sohnes beunruhigt, wonach dieser von seinem Vater immer wieder geschlagen werde, wenn er sich in dessen Obsorge aufhalte. Jedoch konnte sie zu diesem Zeitpunkt weder Misshandlungsspuren feststellen noch schien ihr ihr Sohn psychisch belastet. Im Herbst 2018 wiederholte der Sohn jedoch diese Vorwürfe, und kurz vor dem gegenständlichen Vorfall wurde die Kindesmutter auch von der Schule verständigt, dass sich der Sohn auffallend zurückziehe und von Misshandlungen durch seinen Vater spreche. Ihr wurde angeraten, sich an ein Krisenzentrum für Kinder zu wenden, welches aber der Mutter mitteilte, sie müsse sich jedenfalls zuerst ans Jugendamt wenden. Das Jugendamt verwies die Mutter wiederum ans Familiengericht, welches eine Änderung der Obsorgeregelung herbeiführen oder diesbezüglich auch einstweilige Verfügungen erlassen könne.
Daraufhin wandte sich die Zeugin C. B. am folgenden Tag an das Bezirksgericht K., welches seit ihrem Umzug in den ... Bezirk örtlich zuständig war, wurde von dort jedoch an das Bezirksgericht J. verwiesen, weil dieses noch im Besitz sämtlicher Akten betreffend die Obsorgefrage des gemeinsamen Sohnes sei.
Die dort befasste Richterin riet der Kindesmutter, mit dem Beschwerdeführer zu vereinbaren, er möge beim nächsten anstehenden Wechsel das gemeinsame Kind nicht übernehmen und seine Obsorge bis zur Klärung der Sachlage ruhen lassen. Die Kindesmutter kontaktierte daraufhin den Beschwerdeführer, welcher dies aber als Kindesvater nicht akzeptieren wollte. Als sich die Beschwerdeführerin daraufhin wieder an die Richterin im Bezirksgericht J. wandte, gab ihr diese zu verstehen, dass sie als Richterin nur teilzeitbeschäftigt sei, keine Zeit mehr habe und im Übrigen auch nicht mehr für den Fall zuständig sei. Sie riet ihr aber, zur Polizei zu gehen und ein Betretungsverbot zu verlangen, ohne dies näher zu präzisieren.
Die Zeugin B. ging daraufhin noch am selben Tag, an dem sie das Gericht kontaktiert hatte, zu Mittag in die Polizeiinspektion G.-gasse und gab an, ihr Sohn habe ihr berichtet, er werde von ihrem Ex-Mann geschlagen, und sie wolle Anzeige erstatten. Sie wurde daraufhin angewiesen, ihren Sohn von der Schule abzuholen und mit ihm wiederzukommen, was sie innerhalb kurzer Zeit durchführen konnte. In der Folge wurde der Sohn D. dann von Insp. L. in Gegenwart der Mutter einvernommen. Dabei fiel dem Beamten auf, dass das Kind überhaupt nicht ängstlich wirkte, obwohl es behauptete, vor seinem Vater Angst zu haben, und dass die Antworten nicht in der erwarteten kindgemäßen Weise vorgebracht wurden, sondern schon fertig formuliert waren. Der Beamte versuchte stereotypen Antworten durch wiederholte Fragestellung unter Umformulierung der Fragen entgegen zu wirken. Dabei gab der Junge Antworten, die zum Teil auch seiner Mutter noch unbekannt schienen, wie der Beamte aus ihrer Reaktion annehmen konnte, jedoch in der erwähnten, nahezu druckreifen Ausdruckweise. Dies fand der Zeuge L. so sonderbar, dass er GrI F. – welcher in der Folge die Kindesmutter und den Bf. zu den Vorwürfen zu vernehmen hatte – darüber informierte, was diesem immerhin so wesentlich erschien, dass er die Passage in seinem Anlass-Bericht in Fettdruck hervorhob. Beide Beamte waren sich bewusst, dass die Vorwürfe vor dem Hintergrund eines Obsorgestreites erhoben wurden. Die Zeugin B. hatte bei ihrer Ankunft auch angegeben, dass ihr die Richterin gesagt habe, sie solle ein Betretungsverbot verlangen.
Inhaltlich gab der achtjährige D. an, er werde seit ca. 4 Jahren von seinem Vater geschlagen, und zwar zwei bis drei Mal die Woche. Das letzte Mal habe ihn der Vater letzte Woche in der N. geschlagen, allerdings nicht sehr fest. Der Beschwerdeführer drohe ihm immer mit Schlägen, wenn er keine Ruhe gebe, auch wenn er etwas darüber erzähle, und habe ihm auch schon einmal mit dem Totschlagen gedroht. Die Mutter verwies im Wesentlichen auf die Mitteilungen ihres Sohnes und auf die Gefährdungsmeldung der Schule. Der Beschwerdeführer gab an, er habe dem Sohn nur letzte Woche im Schwimmbad eine Ohrfeige gegeben, weil D. ein Mädchen, welches nicht schwimmen konnte, ins Schwimmbecken gestoßen habe, sodass der Bf. das Mädchen retten musste. In dieser Ausnahmesituation sei es zu einer Ohrfeige gekommen. Ansonsten schlage er den Sohn nie; entsprechende Behauptungen seiner Frau stünden immer im Zusammenhang mit teils unbegründeten Geldforderungen, obwohl er trotz geteilter Obsorge und geteilten Unterhalts weiterhin Zahlungen an sie leiste.
Nach Einvernahme des Sohnes des Bf. und nach Anhörung des Bf. sowie der Kindesmutter verhängte der Zeuge Insp. L. um 15.50 Uhr ein Betretungsverbot für die Wohnung der Kindesmutter und die Schule des Kindes sowie einen 50 Meter umliegenden Bereich.
3.2. Diese Feststellungen gründen sich auf vorliegende Beweisergebnisse:
Der Sachverhalt ist im Wesentlichen unstrittig, der festgestellte Hergang von der Anzeige bis zur Erlassung des Betretungsverbotes stützt sich daher auf die Angaben aller einvernommenen Personen. Im persönlichen Eindruck wirkten sowohl der Beschwerdeführer als auch die Kindesmutter glaubwürdig; es wird daher auch die von letzterer geschilderte unmittelbare Vorgeschichte der Anzeige in den festgestellten Sachverhalt aufgenommen, zumal diese bereits alle rechtlichen Fragen aufwirft, die bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Betretungsverbotes zu lösen waren.
Glaubhaft und nachvollziehbar waren auch die Angaben der beiden Beamten, welche bestätigten, dass der obsorgerechtliche Hintergrund offenkundig war, nachvollziehbar auch das Gewicht, das beide der aus der Sicht Insp. L.s sonderbaren Ausdrucksweise des achtjährigen Sohnes beigemessen hatten, wobei Insp. L. einräumte, dass von zumindest einer Angabe des Sohnes auch dessen Mutter überrascht zu sein schien. Insp. L. gab an, er hätte eine Wegweisung des Beschwerdeführers aus seiner eigenen Wohnung für unverhältnismäßig gehalten, zumal der achtjährige Sohn eine Wohnmöglichkeit bei seiner ebenfalls obsorgeberechtigten Mutter gehabt habe. Zwar habe er keinen Hinweis gehabt, dass der Sohn auch dort durch seinen Vater gefährdet sein könnte, bzw. in der Umgebung der Schule, aber er habe etwas unternehmen müssen, man könne ja in die Leute nicht hineinschauen. Deshalb habe er sich zur Verhängung eines Betretungsverbots für diese Bereiche entschlossen.
3.3. In rechtlicher Hinsicht wurde erwogen:
Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei Gefährdung des Kindeswohls, hat das zuständige Gericht für das Kind gemäß § 181 ABGB die nötigen Verfügungen zu treffen, und kann die Obsorge entziehen. Bei Gefahr im Verzug kann aufgrund des § 211 Abs. 1 zweiter Satz ABGB der Jugendwohlfahrtsträger die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung als Sachwalter vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen, wenn er unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von acht Tagen, die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen beantragt.
Wie bereits die Vorgeschichte der erstatteten Anzeige zeigt, wurde die Kindesmutter zunächst ohnehin an die richtigen Stellen – nämlich Jugendamt und Familiengericht – geleitet. Da die Kindesmutter vom Jugendamt zum Familiengericht verwiesen wurde, hat offenbar das Jugendamt nicht jene Dringlichkeit angenommen, die es selbst zum Handeln veranlasst hätten, sondern hat es für ausreichend befunden, dass das zuständige Zivilgericht in dieser Sache tätig werde.
Tatsächlich waren die behaupteten wiederholten Schläge, welche den Anlass der Anzeige bildeten, die zu dem Betretungsverbot geführt hat, offenbar ohne sichtbare Folgen geblieben und offensichtlich nicht geeignet, eine drohende Gefährdung der physischen Integrität des Kindes befürchten zu lassen. Zwar wären sie zutreffendenfalls sicherlich geeignet gewesen, das Kindeswohl zumindest mittelfristig zu gefährden, nicht zuletzt im Hinblick auf die daraus resultierenden psychischen Folgen, jedoch handelt es sich dabei nach Auffassung des Gerichtes um eine Frage des Kindeswohls und damit des Jugendwohlfahrtträgers und der Familiengerichte, nicht aber um eine Frage der polizeilichen Gefahrenabwehr.
Gerade im Bereich der elterlichen Obsorge – welche ebensosehr, oder sogar noch vermehrt eine Verpflichtung wie ein Recht darstellt – würde ein Betretungsverbot in das zivile Rechtsverhältnis eingreifen bzw. dieses beseitigen, was im gegenständlichen Fall nur deshalb nicht so auffallen mag, weil es noch eine weitere obsorgeberechtigte und -verpflichtete Person neben dem Beschwerdeführer gegeben hat. Existierte nur ein obsorgeberechtigter Elternteil, so würde dessen Wegweisung dem betroffenen Kind die Obsorge entziehen, ohne ihm eine ersatzweise Obsorge angedeihen zu lassen (wenn nicht gleichzeitig das Jugendamt intervenierte). Das gleiche Problem stellte sich bei einer Wegweisung eines gewalttätigen, aber noch nicht volljährigen Kindes zum Schutz der obsorgeberechtigten und -verpflichteten Eltern.
Wie daraus erhellt, wäre in solchen Fällen primär die Obsorgefrage zu klären, und kann die Verhängung eines Betretungsverbots kein Ersatz für die Klärung dieser Frage aufgrund der neu eingetretenen Fakten seien. Allenfalls mag sich bei unmittelbar drohender Gefährdung der körperlichen Integrität – nicht aber bei schleichender Gefährdung des Kindeswohls – die Frage nach zusätzlichen Maßnahmen neben der Neuregelung oder provisorischen Neuregelung der Obsorge stellen. Ein solcher Fall liegt aber nach Ansicht des Gerichts im Gegenstand nicht vor.
Vielmehr hat sich die Kindesmutter im Gegenstand – verständlicherweise, weil die zuständigen Stellen nicht ausreichend reagiert haben – im Endergebnis an die Polizei gewendet, wobei sie dem Rat der letzten, sich für unzuständig haltenden Richterin gefolgt ist. Das Dilemma einer ersatzweisen Heranziehung eines Betretungsverbots anstelle einer zumindest provisorischen Intervention in der Obsorgefrage zeigt sich auch daran, dass das Betretungsverbot für solche Orte verhängt worden ist, für die es keine Hinweise auf eine Gefährdung des Kindes gegeben hat, nicht aber für den Ort, an dem das Kind allenfalls gefährdet gewesen wäre, nämlich die Wohnung des Beschwerdeführers. Dort wäre – wie der Zeuge Insp. L. zutreffend eingeschätzt hat – die Wegweisung des Vaters aus seiner eigenen Wohnung unverhältnismäßig gewesen. Zu ergänzen ist, dass im Falle alleiniger Obsorge des Vaters diese Obsorge damit unterbunden worden wäre. Gleichzeitig zeigt die Rechtfertigung des Zeugen Insp. L., wonach es auch noch eine andere obsorgeberechtigte Person und deren Wohnung gegeben habe, dass das Betretungsverbot hier tatsächlich als Vehikel dienen sollte, die Obsorgefrage provisorisch neu zu regeln, was jedoch nicht Aufgabe der in § 38a SPG festgelegten Sicherheitsmaßnahme ist.
Was den eigentlichen Angelpunkt, die Gefährdungsprognose – hier im Hinblick auf die körperliche Sicherheit des als gefährdet bezeichneten Jungen – betrifft, so ist aus der Formulierung des § 38a Abs. 1 SPG zwar nicht ausdrücklich, aber jedenfalls implizit abzuleiten, dass ein gefährlicher Angriff gerade auch im Bereich der Wohnung, auf die sich das Betretungsverbot bezieht, bzw. im Umkreis der unmündig besuchten Schule als bevorstehend anzunehmen sein müsste. Diese Annahme war beim Gegenstand mangels irgendeines Hinweises darauf nicht vertretbar. Darüber hinaus reicht der Verdacht, der Beschwerdeführer würde sein Kind im Rahmen seiner Obsorge immer wieder durch Schläge – wenngleich ohne objektivierbare Folgen – misshandeln, noch nicht aus, das Bevorstehen eines gefährlichen Angriffs auf die Gesundheit des Kindes vertretbar annehmen zu können. Vielmehr gehören derartige Fragen, wie bereits eingangs erwähnt, in den Bereich des Kindeswohls, wo sowohl das Familiengericht als auch der Jugendwohlfahrtsträger ausreichende rechtliche Instrumente zum raschen Handeln vorfinden, welche allerdings durch ein ersatzweise verhängtes Betretungsverbot konterkariert oder in unsachlicher Weise präjudiziert werden könnten.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG in Verbindung mit der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013.
5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Betretungsverbot; Wegweisung; Sicherungsmaßnahme; Präventivcharakter; Kindeswohl; Obsorge; JugendwohlfahrtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.102.013.15849.2018Zuletzt aktualisiert am
18.07.2019