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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Quasianlaßfall; Anlaßfallwirkung der Aufhebung der Wortfolge "in Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete" in §99 Abs6 litc StVO 1960 idF der 19. StVO-Novelle, BGBl 518/1994, mit E v 05.12.96, G9/96 ua.Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Hopfgarten vom 4. August 1995 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung gemäß §88 Abs1 StGB für schuldig erkannt, weil er am 16. April 1995 als Lenker eines PKW Personen fahrlässig am Körper verletzt hat.
Überdies wurde er mit dem (mit der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde bekämpften) Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 9. Juli 1996, Z2/23-4/1996, gemäß §5 Abs1 in Verbindung mit §99 Abs1 lita StVO 1960, in der Fassung BGBl. 518/1994, bestraft, weil er am 16. April 1995 (im Zuge derselben Fahrt) seinen PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt hat. Bei Erlassung dieses Bescheides wandte der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol §99 Abs6 litc StVO 1960, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, an, wonach eine Verwaltungsübertretung nicht vorliegt, "wenn eine in Abs2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht".
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Mit Erkenntnis vom 5. Dezember 1996, G9/96 ua., hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "in Abs2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete" in §99 Abs6 litc StVO 1960, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, als verfassungswidrig auf.
1.2. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
1.3. Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde) sind alljene Fälle gleichzuhalten, die mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
Die nichtöffentliche Beratung im Verfahren zur Prüfung des §99 Abs6 litc StVO 1960, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, begann am 5. Dezember 1996; mit Erkenntnis vom 5. Dezember 1996 wurde diese Vorschrift als verfassungswidrig aufgehoben.
Die vorliegende Beschwerde langte beim Verfassungsgerichtshof am 11. September 1996 - also vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren - ein.
1.4. Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Nach der Lage des Falles ist es nicht ausgeschlossen, daß die Anwendung des §99 Abs6 litc StVO 1960, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
1.5. Es ist daher auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt wurde; der Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-
enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B2867.1996Dokumentnummer
JFT_10038789_96B02867_00