TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/14 W191 2135377-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2019
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Entscheidungsdatum

14.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §13
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch

W191 2135377-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2016, Zahl 1096345910-151846016, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.05.2019 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 13 und 57 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-Verfahrensgesetz sowie §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Z 1 FPG wird gegen

XXXX ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 25.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 24.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes des PAZ (Polizeianhaltezentrum) 1080 Wien, Breitenfelder Gasse, gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus Qarabagh, Kabul, Afghanistan, sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem und verheiratet. Er habe zwei Jahre die Grundschule besucht.

Sein Vater, seine Ehefrau, sein Sohn und seine zwei Schwestern lebten noch zu Hause, sein Bruder sei unbekannten Aufenthaltes. Der BF gab seinen Reiseweg an.

Als Fluchtgrund gab er an, dass sein Bruder als Fahrer bei der Regierung tätig gewesen sei. Er sei von unbekannten Personen entführt worden, er wisse nicht, ob es die Taliban oder die Daesh gewesen seien. Weil auch sein Leben in Gefahr gewesen sei, habe er die Flucht ergriffen.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 05.08.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Wien, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und gab weiters an, dass seine Familie zu seinem Schwiegervater in XXXX gezogen sei. Seit seiner Ausreise habe er keinen Kontakt mehr zu ihnen und wisse nicht, wo sie sich aufhielten. Sein Vater sei ca. 70 Jahre alt und arbeite nicht mehr, seine Mutter sei verstorben.

Der BF nannte den Namen seiner Frau. Er habe sie im August oder September 2014 nach islamischem Recht geheiratet. Sein Sohn sei ca. zwei Jahre alt. Er habe viele Verwandte (zahlreiche Onkel und Tanten, alle in Kabul), die ihm aber nicht geholfen hätten, als sein Bruder verschwunden sei. Er sei gezwungen gewesen, seine Familie zum Schwiegervater zu bringen.

Sein Bruder habe als Fahrer Benzin oder Panzer für die Regierung - für welche Behörde, wisse er nicht - transportiert. Er selbst habe von 2009 bis 2015 Teppiche gewebt und als Hilfsarbeiter in Gärten gearbeitet.

Zum Fluchtvorbringen gab der BF lediglich an, dass ca. zwei Tage nach dem Verschwinden seines Bruders zwei Personen zu ihnen nach Hause gekommen seien, sich offenbar unzutreffend als die Freunde des Bruders ausgegeben hätten und nach diesem gefragt hätten. Sie hätten seine Einladung auf Tee nicht angenommen und per Handy ein Foto von ihm gemacht. Deshalb habe er Angst bekommen, seine Frau habe geweint und daher sei er geflüchtet.

Auf Nachfrage gab der BF an, er vermute, dass der Bruder von den Taliban oder dem IS oder den Arbaki geköpft worden oder ihm die Kehle durchgeschnitten worden sei. Er verdächtige sogar den Staat. Er sei mehrmals bei der Polizei gewesen, habe aber keine Bestätigung bekommen.

Seine Ausreise habe er damit finanziert, dass sein Vater ein Grundstück verkauft habe, sie hätten das Gold seiner Frau verkauft und sein Vater habe Geld von jemandem geborgt.

Laut Niederschrift verzichtete der BF auf die Übersetzung "der Feststellungen des BFA/Staatendokumentation zu Afghanistan".

1.4. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17.06.2016, 143 HV 22/2016b, wurde der BF rechtskräftig wegen der Begehung des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83, 84 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 26.08.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 25.10.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte V.).

In Spruchpunkt IV. wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und in Spruchpunkt VI. festgestellt, dass der BF gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 sein Recht im Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 17.06.2016 verloren habe.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Seine Fluchtgeschichte habe der BF durchgehend sehr vage, unplausibel und unstimmig dargelegt - wofür Auszüge aus seinen Angaben zitiert wurden - und eine relevante Verfolgung daher nicht glaubhaft machen können.

Er sei jung, gesund und habe Berufserfahrung sowie familiäre/soziale Bezugspunkte in der Stadt Kabul, sodass es bei einer Rückkehr des BF nicht zu einer Verletzung der Art. 2 bzw. 3 EMRK kommen werde.

Die Erlassung des Einreiseverbotes stützte das BFA auf die strafgerichtliche Verurteilung des BF.

1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit von seinem Rechtsberater unterstützt erstelltem Schreiben vom 12.09.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen "Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung der Verfahrensvorschriften" ein.

In der Beschwerdebegründung wurde lediglich ausgeführt:

"Da ich der deutschen Sprache nicht mächtig bin, lasse ich meine Beschwerdegründe von meinem Rechtsberater niederschreiben.

Ich werde alles beantworten, wenn ich die Möglichkeit bekomme, zu einer Verhandlung geladen zu werden. Was meine Straffälligkeit betrifft, es war ein Fehler. Ich bitte das Gericht zu entscheiden. Ich bin unschuldig gewesen, die Polizei hat mich festgenommen. Ich will nicht zurück nach Afghanistan."

1.7. Das BFA legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor und beantragte, den Bescheid zu bestätigen.

1.8. Mit weiterem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 09.08.2017,143 Hv 65/17b, rechtskräftig am 15.08.2017, wurde der BF wegen des (versuchten) Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift (Marihuana) gemäß § 27 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

1.9. Mit Eingabe vom 23.10.2018 legte der BF einen medizinischen Befundbericht des Psychosozialen Dienstes Wien (PSD) vom 11.10.2018 sowie einen fachärztlichen Kurzbefund des PSD vom 13.09.2018 vor, wonach bei ihm eine "Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, ICD 10 F33.1", vorliege und eine Medikation von Psychopharmaka verordnet werde. Laut Psychiatrischer Diagnose lag ein "Schädl. Gebrauch von Cannabis bei depressiver Episode, ICD 10 F12,1, F32.1" vor.

Mit Eingabe vom 03.05.2019 legte der BF zwei Deutschkurs-Bestätigungen (Teilnahme A1 und A2) sowie eine Einladung der Wiener Gebietskrankenkasse zur medizinischen Begutachtung des BF für 26.02.2019 ein, nachdem er seit 18.02.2019 arbeitsunfähig krank gemeldet sei.

1.10. Das BVwG führte am 12.11.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich im Beisein seiner gewillkürten Vertreterin und einer Vertrauensperson (Mitarbeiterin in seiner Grundversorgungsunterkunft) sowie eine Vertreterin des BFA erschienen.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Paschtu. Ich spreche darüber hinaus auch Dari.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Paschtu.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Ich habe nervliche Probleme.

BFV [Vertreterin des BF] legt vor: Einen fachärztlichen Befundbericht vom 30.04.2019, wonach der BF an einer depressiven Symptomatik leidet und regelmäßig Medikamente nimmt.

RI: Wie wirkt sich dies für Ihr Leben aus, können Sie morgens aufstehen?

BF: Ich bin körperlich schwach und geistig etwas vergesslich geworden. Ich habe Schlafstörungen und stehe morgens nicht sofort auf. Ich habe den Sprachkurs A2 abgeschlossen und besuche derzeit A2 plus.

[...]

Der BF hat bisher keine Bescheinigungsmittel bezüglich seiner Identität und seines Fluchtvorbringens vorgelegt und legt auch heute keine vor.

Bezüglich seiner Gesundheit hat er Belege vorgelegt und legt heute den genannten fachärztlichen Befundbericht zusätzlich vor.

Bezüglich seiner Integration hat er Belege vor. Heute legt er weiters vor: Eine Seminar- bzw. Kursbestätigung und einen Sozialbericht vom 04.05.2019 (Samariterbund), in dem das soziale Verhalten des BF gelobt und auf seine psychischen Probleme hingewiesen wird.

Die Belege werden in Kopie zum Akt genommen.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Paschtune.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin sunnitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ja, ich habe in Kabul geheiratet, als ich 21 Jahre alt war.

RI: Aber Sie haben doch angegeben, dass Sie im Jahr 2014 geheiratet haben?

BF: Ich bin jetzt 26 Jahre alt.

Auf Vorhalt, dass dieses Jahreszahlen und das Alter nicht zusammenpassen:

BF: Ich weiß es nicht genau.

RI: Haben Sie Kinder?

BF (teilweise auf Deutsch): Ja. Ich habe einen Sohn, er muss jetzt ca. fünf Jahre alt sein.

RI: Wo leben jetzt Ihre Frau und Ihr Sohn?

BF (teilweise auf Deutsch): Ich habe seit meinem Aufenthalt in Österreich keinen Kontakt mit ihnen und weiß es nicht.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich bin zwei Jahre in Afghanistan in die Schule gegangen.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF: Mein Bruder hat als Fahrer gearbeitet und hat meinen Lebensunterhalt bestritten. Mein Vater war alt und nur zu Hause.

RI: Sie haben doch gesagt, dass Ihr Bruder entführt worden sei. Wenn Sie dann weggegangen sind, wer kümmert sich dann um Ihre Familie?

BF: Mein Vater und meine Frau haben mir gesagt: "Dein Bruder wurde entführt, höchstwahrscheinlich wirst du auch entführt oder ermordet. Es wäre besser, wenn du das Land verlässt und dein Leben rettest."

D: Der BF hat zusätzlich erklärt, dass der Bruder verschwunden ist, er wisse nicht, wie dies geschehen sei.

RI: Wann haben Sie Afghanistan verlassen?

BF: Ich war drei Monate unterwegs im Jahr 2015 und bin auch im selben Jahr - hier in Österreich - angekommen.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Unsere Verwandten leben zum Teil in Kabul und zum Teil in Ghazni.

Nach etwas heftigem Disput mit dem D: Meine Familie lebt in Kabul, meine Verwandten leben zum Teil in der Provinz Kabul, im Distrikt Qarabagh und in Ghazni.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie engere soziale Kontakte zu Österreichern?

BF: Ich habe Kontakt mit meinen Betreuern. Ich habe auch deswegen weniger soziale Kontakte, weil ich gesundheitliche (psychische) Probleme habe.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF (auf Deutsch): Zu 50 %.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF: Ich besuche derzeit einen Deutschkurs A2 plus.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Ich helfe ca. einmal monatlich in meiner Unterkunft (beim Arbeiter-Samariterbund) bei Reinigungstätigkeiten.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Ich gehe oft ins Fitnesscenter, derzeit komme ich nicht dazu.

RI: Wieso haben Sie zwei Straftaten begangen?

BF: Als ich nach Österreich kam, waren mir die Gesetze hier nicht gut bekannt. Ich war in Kontakt mit Landsleuten. Ich war mit ihnen unterwegs, dann hat es Schlägereien gegeben, dann sind wir ins Gefängnis gekommen.

RI: Und der Suchtgifthandel?

BF (teilweise auf Deutsch): Ich wurde gemeinsam mit anderen Leuten untersucht. Andere haben Suchtgift verkauft, ich habe nur welches zum Eigengebrauch bei mir gehabt. Man hat mir nicht geglaubt und ich wurde zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF (in gebrochenem Deutsch): Nein. Ich habe keine Nummer, ich habe meine Tasche mit all meinen Sachen (Handy) in Österreich verloren.

RI ersucht den BF, auf einer Karte des Distrikts Qarabagh seinen Heimatort zu zeigen.

RI: Wie heißt Ihr Heimatort?

BF: Logari-Qala.

Festgehalten wird, dass der BF auf einer Karte die beiden Ort namens Logari zeigen kann.

BF: Mein Heimathaus liegt etwa zwischen diesen beiden Logari, es nicht weit.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Ich kann mich erinnern, es stimmt. Ich habe aber glaube ich nicht gesagt, dass mein Bruder entführt worden ist, er ist verschwunden.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Ich werde sehr viele Schwierigkeiten bekommen. Vor ca. einem Jahr hat es bei unserem Heimatort militärische Auseinandersetzungen gegeben. Ich weiß nicht, ob meine Familie noch zu Hause ist oder nach Ghazni gegangen ist. Wenn sie nach Ghazni gegangen sind, dann sind sie wahrscheinlich umgebracht worden.

RI: Können Sie zu dem Vorfall, dass der Bruder verschwunden sei, irgendetwas Näheres angeben oder es belegen?

BF: Ich weiß darüber nichts Näheres.

RI an BFA: Wollen Sie dazu Fragen stellen?

BFA: Nein.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt Parteien Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihnen die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFA: Seit wann nehmen Sie die in Ihrer Bestätigung vom 30.04.2019 angeführten Benzodiazepine und wie oft, und wurden Sie diesbezüglich bereits im Heimatland behandelt?

BF: Von den beiden Medikamenten nehme ich von dem ersten die verordnete Dosis, von dem zweiten nehme ich vier Stück am Tag. Der Arzt hat mir gesagt, ich solle etwas mehr nehmen. Dann ist es mir zu viel geworden, ich konnte morgens nicht gut aufstehen, deshalb habe ich das dann wieder reduziert.

Auf Grund von Verständnisproblemen bezüglich der Anzahl wird der BF von RI, BFA und BFV zusätzlich auf Deutsch nachgefragt.

BF (auf Deutsch): Ich habe am Anfang zwei Seroquel genommen (so wie im vorgelegten Bericht angegeben), dann habe ich auf Rat meiner Ärztin auf vier erhöht. Das war mir zu viel, ich hatte gesundheitliche Probleme und habe es wieder auf zwei reduziert.

BFA: Wann sind Sie zum Arzt wiederbestellt?

BF: Am 25.05. habe ich den nächsten Termin.

BFA: Können Sie das belegen?

BF zeigt seine Ambulanzkarte, auf der angetragen ist: "nT. 21.05.19, 15 Uhr".

BFA: Fühlen Sie sich in die österreichische Gesellschaft integriert?

BF: Ja, ich fühle mich hier in Österreich sehr gut, ich habe alles. Das Problem ist, dass ich nicht arbeiten kann.

BFA: Welche Schritte haben Sie gesetzt, um sich zu integrieren, wie äußert sich die Integration?

BF: Ich habe jetzt gelernt, wie man sich in Österreich verhält, wie man die Gesetze einhält.

BFA: Interessieren Sie sich kulturell, politisch?

BF: Ja, die kulturellen Veranstaltungen in Österreich gefallen mir, für Politik interessiere ich mich nicht. Ich weiß auch nichts darüber.

BFA: Wissen Sie z.B., wer von den Parteien zur Zeit in Österreich an der Macht ist und wer Bundespräsident ist?

BF: Wenn ich zB. den Bundespräsidenten im Fernsehen sehe, erkenne ich ihn, aber ich kann ihn nicht politisch zuordnen.

BFA: Keine weiteren Fragen an den BF.

BFV: Keine Fragen an den BF.

BFV: Zur Auskunft der SFH-Länderanalsyse vom 05.04.2017 zum Thema:

"Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung" möchte angeben, dass psychische Erkrankungen von der Gesellschaft auch als Bestrafung für Sünden angesehen werden. In der afghanischen Gesellschaft werden auch Menschen mit psychischer Behinderung als schutzbedürftig gesehen. Sie werden von der Familie versorgt und gepflegt. Daher müssen diese Personen eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung haben. Der BF gab an, dass er seit vier Jahren keinen Kontakt zu seiner Familie hat. Er weiß nicht einmal, wo sie sich befinden. Im Falle einer Rückkehr wäre er daher alleine auf sich gestellt und ohne familiäre Unterstützung und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Außerdem gibt es in Afghanistan kaum Kapazitäten zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Es gibt nur einzige Gesundheitseinrichtung, das ist "Kabul Mental Health Hospital", wo ungefähr drei ausgebildete Psychiater und zehn Psychologen für eine Bevölkerung von 30 Millionen Menschen arbeiten. Der BF wäre daher nicht in der Lage, seine Behandlung fortzusetzen, und eine Rückkehr würde ihn psychisch noch mehr belasten und in eine schwierige Lage bringen.

BFA: Ausgehend von der persönlichen Unglaubwürdigkeit des BF hat der BF nach Rechtsansicht der belangten Behörde seine Chancen, sich wirtschaftlich, sozial und beruflich zu integrieren, trotz seines vierjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht genützt.

Diesbezüglich wird auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen:

Erkenntnis des VwGH vom 06.11.2009, 2008/18/0720, sowie vom 25.02.2010, 2010/18/0029, wonach selbst die Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht und vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt.

Es ergaben sich keine substantiierten bzw. ausreichenden Beweggründe im bisherigen Verfahren, welche die Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig erklären lassen würden und wird daher beantragt, den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde zu bestätigen. Überdies zum Beweis der Tatsache, dass der BF nicht willens und imstande ist, sich an die nationale Rechtsordnung zu halten, wird beantragt, das Einreiseverbot auf acht Jahre zu erhöhen, da - wie die zweite Verurteilung zeigt - ein positiver Gesinnungswandel des BF nicht zu erwarten ist.

RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will.

BF: Das, was in der Vergangenheit passier ist, ist passiert, aber in Zukunft will ich alles richtig machen und hier gut leben.

RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe.

BF (auf Deutsch): Ja, ich habe verstanden. [...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.). Den Verfahrensparteien wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen in Kopie ausgefolgt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 24.11.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 05.08.2016 sowie die Beschwerde vom 12.09.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 121 bis 138)

* Einsicht in die Strafregisterauskunft

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.05.2019 sowie Einsichtnahme in die im Verfahren vorgelegten Belege des BF zu seiner Gesundheit und zu seiner Integration

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat und zur Provinz Kabul sowie zur medizinischen Versorgung (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019)

o Auszug aus einer Auskunft der SFH-Länderanalsyse vom 05.04.2017 zum Thema: "Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung"

o Auszug aus einer gutachtlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 13.06.2012 im Verfahren C15 410.319-1/2009

o Auszug aus dem Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann sowie

o Auszüge aus dem EASO (European Asylum Support Office) - Bericht vom Juni 2018 betreffend Leitlinien zu Afghanistan (insbesondere zu Subsidiärschutz und innerstaatliche Schutzalternative)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und ist nach seinen Angaben seit 2012 bzw. 2014 verheiratet und hat einen Sohn. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch Dari.

Der BF besuchte zwei Jahre die Schule und war dann als Teppichweber und Gartenhilfe erwerbstätig.

3.1.2. Lebensumstände:

Der BF stammt aus Qarabagh, Provinz Kabul, und ist nach seinen Angaben nach dem angegebenen Verschwinden seines Bruders mit seiner Familie zu seinem Schwiegervater in XXXX verzogen, von wo er aus angegebenen Gründen Afghanistan verließ.

3.1.3. Der BF leidet an psychischen gesundheitlichen Problemen ("Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, ICD 10 F33.1", "Schädl. Gebrauch von Cannabis bei depressiver Episode, ICD 10 F12,1, F32.1."). Eine Medikation von Psychopharmaka wurde verordnet.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF konnte nicht glaubhaft vermittelt, dass er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt gewesen wäre. Er hat sein Vorbringen, dass sein Bruder verschwunden sei - dieser sei wegen seiner Tätigkeit als Fahrer für die Regierung von den Taliban, von den Daesh oder von der Regierung selbst verfolgt worden - und daher auch der BF selbst in Gefahr sei, nicht glaubhaft gemacht.

3.2.2. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat nicht inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nicht politisch tätig und gehörte nicht einer politischen Partei an.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre, zumal er in Afghanistan über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, mit deren Unterstützung ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage auch in Kabul, in Herat oder in Mazar-e Sharif möglich wäre und ihm aufgrund seiner individuellen Situation zumutbar ist.

3.4. Zu den Lebensumständen des BF in Österreich:

Der BF ist seit Oktober 2015 in Österreich aufhältig. Ihm steht kein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylrechtes zu, und er hatte niemals ein anderes als das vorübergehende Aufenthaltsrecht als Asylwerber in Österreich. Auch dieses Recht steht ihm seit 17.06.2016 wegen Begehung einer qualifizierten gerichtlichen Straftat nicht mehr zu.

Der BF hat keine hinsichtlich Art. 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) relevanten Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Allfällige freundschaftliche Beziehungen in Österreich sind erst zu einem Zeitpunkt entstanden, an dem sich der BF seiner unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein musste.

Der BF besucht in Österreich keine Schulen. Er spricht etwas Deutsch, hat aber keine Belege über eine allfällig abgelegte Deutschprüfung vorgelegt. Er wohnt in einer Einrichtung für Flüchtlinge und geht keiner erlaubten regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach.

Der BF ist irregulär in das Bundesgebiet eingereist.

Eine Integration des BF in Österreich in besonderem Ausmaß liegt nicht vor.

3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen.

Auf Grund der Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF steht fest, dass es in diesem Staat die Todesstrafe gibt. Dass der BF einem diesbezüglich real bestehenden Risiko unterliegen würde, hat sich jedoch auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht ergeben und wurde vom BF auch nicht behauptet.

3.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 26.03.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschü

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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