TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/15 W148 2195430-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch

W148 2195430-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. KEZNICKL als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX (alias XXXX ), geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, vom 10.04.2018 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach schlepperunterstützter und unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 20.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) gestellt.

2. Bei seiner niederschriftlichen Erstbefragung am 21.12.2015 brachte der BF zu seinem Fluchtgrund befragt vor, dass er Afghanistan wegen den Taliban verlassen habe. Sein Vater habe in Afghanistan Feindschaften gehabt, die auch mit den Taliban zusammengearbeitet hätten, diese hätten seinen Vater getötet. Aus Angst habe seine Mutter ihn nach Europa geschickt, damit ihm dort nichts passiere.

3. Aus einem Aktenvermerk des Landesamts Verfassungsschutz der LPD

XXXX vom 27.06.2016 geht hervor, dass der BF bei einer Kontrolle am 26.06.2016 angegeben habe, dass er über zwei andere Afghanen Geld aus Afghanistan, welches er telefonisch bei seiner Mutter anfordere, erhalte. Der BF bekomme dabei teilweise größere Geldbeträge, da seine Eltern reich seien.

4. Am 05.07.2016 wurde an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX , (in Folge: BFA) ein Abtretungsbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX übermittelt. Laut diesem wurde gegen den BF, wegen Verdachts auf Verstoß gegen das § 27 Abs. 2 SMG, ermittelt. Der BF zeigte sich zum Erwerb, Besitz und Konsum von Marihuana geständig.

5. Am 06.09.2016 wurde an das BFA ein Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX - XXXX übermittelt. Laut diesem wurde gegen den BF und andere wegen Verdachts auf Hehlerei ermittelt.

6. Am 29.09.2016 wurde an das BFA ein Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX übermittelt. Laut diesem wurde der BF am 28.09.2016, wegen Verdachts auf Verstoß gegen § 27 Abs. 2a SMG, festgenommen. Der BF zeigte sich geständig, unmittelbar vor der Kontrolle einmalig zwei Klemmsäckchen Marihuana einem Buben im Alter von 16 bis 17 Jahren, welcher in Begleitung eines etwa gleichaltrigen Mädchens gewesen sei, um den Preis von 20 EUR weitergegeben zu haben. Außerdem wurden bei einer Zimmerkontrolle zwei Klemmsäckchen mit brutto jeweils ca. 20 Gramm Marihuana, ein Klemmsäckchen mit vierzehn Stück rosa-herzförmigen Tabletten "LOVE" sowie ein Klemmsäckchen mit geringer Menge eines weißen Pulvers im Kasten des BF vorgefunden. De BF zeigte sich zum Besitz der Suchtmittel geständig.

7. Am 09.12.2016 langte beim BFA die Meldung der Polizeiinspektion

XXXX - XXXX ein, dass der BF beschuldigt werde, am 10.09.2016 beim Raufhandel im Bahnhofsbereich tätlich mitgewirkt zu haben, jedoch keine Körperverletzung beim Opfer hervorgerufen zu haben.

8. Am 29.12.2016 langte beim BFA die Meldung des Stadtpolizeikommando XXXX über die Straftat des BF gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG ein. Zwischen dem BF und einer anderen Person sei es zu einer Rauferei gekommen, bei der beide verletzt worden seien.

9. Am 09.01.2017 langte beim BFA die Meldung des Stadtpolizeikommando XXXX über die Straftat des BF gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG ein. Der BF und zwei weitere Täter wurden beschuldigt am 17.12.2016 am XXXX das Opfer durch Schläge gegen den Kopf verletzt zu haben. Dabei hätten die Zeugen und das Opfer angegeben, dass der BF ein Messer in der Hand gehabt habe. Die Schläge gegen den Kopf des Opfers habe er dann mit dem Griffstück des Messers ausgeführt.

10. Am 13.01.2017 wurde an das BFA ein Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX übermittelt. Laut diesem wurde gegen den BF, wegen Verdachts auf gefährliche Drohung, ermittelt. Der BF werde beschuldigt und sei nicht geständig die beiden Opfer mit einem Springmesser gefährlich bedroht zu haben.

11. Am 13.02.2017 wurde das BFA von der Beendigung eines Strafverfahrens benachrichtigt. Diese Benachrichtigung betrifft bezüglich den BF den Verdacht der (wechselseitigen) Körperverletzung des BF und einer anderen Person. Hinsichtlich der Körperverletzung wurde gegen den BF das Verfahren (unter Vorbehalt späterer Verfolgung) mit Blick auf das beim LG XXXX zu XXXX anhängige Verfahren eingestellt.

12. Am 14.03.2017 langte beim BFA die Verständigung der Polizeiinspektion XXXX - XXXX von einer Amtshandlung gegen den BF ein.

13. Am 16.03.2017 wurde an das BFA ein Abtretungsbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX übermittelt. Laut diesem wurde gegen den BF, wegen Verdachts auf Besitz von verbotenen Suchtmitteln nach § 27 Abs. 2 SMG, ermittelt. Der BF war im Hinblick auf den Besitz und Konsum des Crystal Meth geständig. Er gab weiters an Marihuana zu konsumieren, da er Probleme habe.

14. Am 11.04.2017 wurde dem BFA vom Stadtpolizeikommando XXXX der Verdacht gemäß § 27 Abs. 2 SMG gegen den BF gemeldet. Er habe sich geständig gezeigt regelmäßig Metamphetamin sowie Marihuana zu konsumieren.

15. Bei seiner Einvernahme am 18.04.2017 gab der BF vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu an, dass seine bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen.

Der BF führte zu seinen Fluchtgründen aus, dass sein Großvater von seinen Großcousins umgebracht worden sei. Sein Vater habe daraufhin einen von den Großcousins getötet, um Rache zu nehmen. Danach hätten die Reichen des Dorfes für Frieden zwischen der Familie des BF und der Familie des Großcousins gesorgt. Als die Taliban in ihrer Ortschaft an Macht gewonnen hätten, hätten die Großcousins angefangen mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Taliban hätten gesagt, dass sein Vater für die Regierung arbeite und wenn er nicht aufhöre, würden sie auch den BF töten. Der BF, seine Mutter und seine Geschwister seien zuerst zu seinem Onkel in die Hauptstadt von Laghman geflüchtet. Dann habe sein Vater ein Haus in Nangarhar gekauft und sie seien dorthin übersiedelt. Sein Vater sei kurz darauf umgebracht worden. Ihre Feinde seien immer noch bei den Taliban. Sie wollten den BF umbringen, da sie selbst Angst hätten, dass er einmal einen von ihnen umbringe. Sie suchten ihn auch jetzt, deshalb habe er das Land verlassen.

16. Der BF gab am 28.04.2017 eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt vom 02.03.2017 ab. Außerdem wurden von ihm diverse Unterlagen zur Untermauerung seines Fluchtvorbringens beigelegt.

17. Am 10.05.2017 wurde an das BFA ein Abtretungsbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX übermittelt. Laut diesem wurde gegen den BF, wegen Verdachts auf Verstoß gegen § 27 Abs. 2 SMG, ermittelt. Der BF war im Hinblick auf den Besitz und Konsum von Crystal Meth, Metamphetamin und Marihuana geständig.

18. Am 11.05.2017 wurde dem BFA im Nachhang zur Abschlussberichterstattung vom 28.09.2016 mitgeteilt, dass der BF verdächtigt werde, einer Minderjährigen Anfang September 2016 eine geringe Menge von Marihuana überlassen zu haben.

19. Aus der Benachrichtigung von der Einstellung des Verfahrens der Staatsanwaltschaft XXXX vom 11.04.2017, welche dem BFA am 11.05.2017 übermittelt wurde, geht hervor, dass gegen den BF wegen der Verletzung von zwei Personen bei einem Vorfall vom 18.02.2017 ein Strafantrag beim Bezirksgericht XXXX eingebracht worden sei.

20. Am 11.05.2017 langte auch ein Abschlussbericht des Stadtpolizeikommando XXXX , zum Verdacht auf schwere Körperverletzung gegen den BF und zwei weitere Personen wegen des Vorfalls am 17.12.2016, beim BFA ein.

21. Am 16.05.2017 wurde dem BFA die gekürzte Urteilsausfertigung des LG XXXX GZ XXXX vom 20.10.2016 übermittelt. Der BF wurde aufgrund des Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften wegen des ersten Sachverhalts nach §§ 27 Ab. 1 Z 1 1. und 2. Fall, 27 Abs. 2a SMG und wegen des zweiten Sachverhalts nach § 27 Ab. 1 Z 1 1. und 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt (rechtskräftig).

22. Aus einem Abschlussbericht vom 30.06.2017 geht hervor, dass gegen den BF und einen weiteren Verdächtigten, wegen Verdachts auf Vergewaltigung, schweren Diebstahl, Urkundenunterdrückung und Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, ermittelt wurde.

23. Mit Verfahrensanordnung vom 10.07.2017 wurde dem BF der Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG wegen der Verhängung der Untersuchungshaft mitgeteilt.

24. Am 07.11.2017 wurde dem BFA die gekürzte Urteilsausfertigung des BG XXXX GZ XXXX vom 07.09.2017 übermittelt. Der BF wurde aufgrund des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen verurteilt (rechtskräftig).

25. Am 05.03.2018 langte beim BFA die Meldung des Stadtpolizeikommando XXXX über die Straftat des BF gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG ein. Aus einer verbalen Auseinandersetzung ist zwischen den Insassen der JVA XXXX - darunter der BF - eine körperliche entstanden, dabei gab es leichte Verletzungen.

26. Am 30.03.2018 langte beim BFA die Meldung des Stadtpolizeikommando XXXX über eine weitere Straftat des BF gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG ein. Der BF sei verdächtigt mit zwei weiteren Häftlingen Suchtgift konsumiert zu haben.

27. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 08.05.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III). Weiter wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Der Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI.) und festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.). Es wurde festgestellt, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 20.10.2016 verloren habe (Spruchpunkt VIII.). Zuletzt wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IX.).

Die Abweisung des Status eines Asylberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass sie aufgrund der nicht plausiblen Angaben des BF davon ausgehe, dass es sich bei seinem Fluchtvorbringen um ein Konstrukt handle, welches zur Gewährung von internationalem Schutz führen sollte. Die Abweisung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ließe sich damit begründen, dass dem BF zwar aufgrund der volatilen Sicherheitslage in Laghman bzw. Nangarhar eine Rückkehr dorthin nicht möglich erscheint, jedoch zum Beispiel die großen Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif eine Schutzalternative bieten. Er sei jung, gesund und verfüge über eine achtjährige Schulbildung. Bei einer Rückkehr könne er anfänglich bei dem Schwager seines Onkels in Kabul unterkommen. Seine Mutter und sein Onkel könnten ihn anfänglich finanziell unterstützen. Er könne auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Es lägen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhalts vor, der die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Auch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei gerechtfertigt, wobei die belangte Behörde die kurze Aufenthaltsdauer, die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit sowie die rechtskräftigen Verurteilungen in die Interessenabwägung besonders einfließen ließ. Das Einreiseverbot begründete die belangte Behörde im Wesentlichen ebenfalls mit der mehrfachen rechtskräftigen Verurteilung wegen diverser Delikte. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des BF davon auszugehen, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Auch eine Verletzung von Art. 8 EMRK liege nicht vor. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung führte die belangte Behörde aus, dass die rechtskräftigen Verurteilungen wegen Körperverletzung und Suchtgiftdelikten sowie ein noch offenes Verfahren wegen des Verdachts der Vergewaltigung, des schweren Diebstahls, der Urkundenunterdrückung und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel die Annahme rechtfertigten, dass er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Er sei keiner realen Gefahr einer Menschenrechtsverletzung bei Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt. Der Verlust des Aufenthaltsrechtes gründe sich auf die Verurteilung am 20.10.2016 wegen Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz.

28. Mit Verfahrensanordnung wurde dem BF ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

29. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die beim BFA fristgerecht eingelangte und mit 08.05.2018 datierte Beschwerde des BF an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde versucht die Beweiswürdigung des Bescheids der belangten Behörde zu entkräften.

30. Am 18.05.2018 wurde telefonisch eine Haftauskunft bei der Justizanstalt (JA) XXXX eingeholt. Es ließ sich ermitteln, dass der BF in Haft ist und diese planmäßig bis Juni 2020 dauert. Der Zeitpunkt einer frühzeitigen Haftentlassung sei frühestens der 20.12.2018.

31. Mit (Teil)Erkenntnis vom 22.05.2018, Zl. W148 2195430-1/4Z, wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. (Spruchpunkt über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) mit folgender Begründung als unbegründet abgewiesen: Gemäß § 59 Abs. 4 FPG 2005 ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben. Im Entscheidungszeitpunkt drohten die vom BF geltend gemachten Umstände (potentielle Verletzung von Rechten im Fall der Rückführung) nicht in absehbarer Zeit, und jedenfalls nicht vor dem 20.12.2018. Schon aus diesem Grund kam eine Abänderung des Abspruchs über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung derzeit nicht in Betracht.

32. Am 17.05.2018 wurde an das BFA ein Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX übermittelt. Laut diesem wurde gegen den BF, wegen Verdachts auf falsche Beweisaussage, versuchte Begünstigung und Verleumdung ermittelt.

33. Am 23.05.2018 wurde das (rechtskräftige) Urteil des LG XXXX vom 12.04.2018, GZ XXXX , an das BVwG übermittelt. Darin wurde der BF wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 und 2 1. Fall StGB, wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1 StGB, wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe im Umfang von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

34. Am 28.05.2018 wurde das BVwG von der Staatsanwaltschaft XXXX von der Anklagerhebung gegen den BF wegen falscher Beweisaussage gemäß § 288 Abs. 1 StGB, versuchter Begünstigung gemäß §§ 15 iVm 299 Abs. 1 StGB und Verleumdung gemäß § 297 Abs. 1 2. Fall StGB informiert.

35. Mit rechtskräftigem Urteil des LG XXXX vom 17.07.2018, GZ XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB, wegen des Vergehens der versuchten Begünstigung nach §§ 15 Abs. 1 iVm 229 Abs. 1 StGB und wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt.

36. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 20.03.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der ein Vertreter der belangten Behörde und der BF im Beisein seiner Rechtsvertreterin persönlich teilnahmen.

Der BF legte zwei Teilnahmebestätigungen über Deutschkurse aus dem Jahr 2016 vor. Er wurde ausführlich zu seinem Fluchtvorbingen befragt. Durch den erkennenden Richter wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 11.03.2019, in das Verfahren eingebracht.

Der Vertreter der belangten Behörde merkte an, dass der BF in Afghanistan keiner asylrelevanten Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt sei. In Bezug auf die Rückkehrsituation des BF sei aufzuführen, dass es sich bei ihm um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann handle. Er verfüge über eine achtjährige Schulausbildung, eine Rückkehr in die laut Länderinformationen als sicher und stabil geltenden Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat sei möglich. Diese Städte seien sehr gut mit dem Flugzeug erreichbar, im Fall der freiwilligen Rückkehr könnte durch die Republik Österreich Rückkehrhilfe gewährt werden. Auch auf die bestehenden afghanischen Rückkehrprojekte von IOM und RESTART II werde hingewiesen. Bei diesen Projekten könne Rückkehrern bei der Wiederansiedelung geholfen werden, es könnten aber auch Berufsmöglichkeiten ausgelotet werden. Der BF habe den Großteil seines Lebens in Afghanistan verbracht und sei somit auch mit dem afghanischen Kulturkreis bestens vertraut. Er spreche auch mit Dari und Paschtu die Landessprachen. Auch Verwandte des BF lebten in Afghanistan und könnten zumindest anfangs auch finanzielle Unterstützung gewähren. Festzuhalten sei, dass eine schwierige Lebenssituation, die der BF bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht bei der Rückführung in das als IFA-geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreiche, um eine IFA zu verneinen (Erkenntnis des VWGH vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Bezüglich des Privat- und Familienlebens sei anzumerken, dass für den BF mangels Familienangehöriger in Österreich kein Familienleben in Österreich bestehe. Das Privatleben bestehe erst seit kurzer Zeit, seit 20.12.2015. Der Aufenthalt des BF gründe zudem letztlich lediglich auf einem unberechtigten Asylantrag. Diesbezüglich werde auf die Rechtsprechung des VWGH verwiesen, der betont, dass: Bei Aufenthalten bei unberechtigten Asylanträgen unter 5 Jahren, grundsätzlich das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiege (Erkenntnis des VWGH vom 23.06.2015, Ra 2015/22/0026). Eine besondere Integrationsverfestigung sei beim BF nicht erkennbar, im Gegenteil der BF sei in Österreich massiv straffällig geworden. Er sei zuletzt vom LG XXXX wegen des Verbrechens der Vergewaltigung zu einer Zusatzstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten zu der bereits bestehenden Strafe von sechs Wochen wegen Körperverletzung, verurteilt worden. Weiters liege noch eine Verurteilung wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage, der versuchten Begünstigung und der Verleumdung vor, zu der er ebenfalls zu sechs Monaten unbedingt verurteilt worden sei. Anhand dieser strafgerichtlichen Verurteilungen, des immensen Unrechtsgehaltes der Taten und der zutreffenden negativen Zukunftsprognose stelle er daher den Antrag, dass anstelle des zehnjährigen Einreiseverbotes ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen werde. Ansonsten beantrage er die Beschwerde des BF in allen Spruchpunkten als unbegründet abzuweisen.

Die Rechtsvertreterin des BF führte am Ende der Verhandlung aus, dass Afghanistan nach wie vor ein instabiles und unsicheres Land sei. Laut den neuen UNHCR-RL werde folgendes gesagt: Die Sicherheitslage in Kabul weise einen negativen Trend auf, wodurch Angehörige der zivilen Bevölkerung, die am alltäglichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leben teilnehmen, einem Risiko ausgesetzt seien, der allgemeinen Gewalt zum Opfer zu fallen, von der die Stadt betroffen sei. Hinsichtlich der Zumutbarkeit von Kabul als mögliche Flucht- oder Neuansiedlungsalternative wird besonders auf die Grenzen der Aufnahmefähigkeit der Stadt hingewiesen. Zugleich wiesen Studien darauf hin, dass Kabul überproportional von der steigenden Armut im Land betroffen sei und besonders in Slums und anderen informellen Siedlungen, also keine gesicherte Versorgung mit Nahrungsmitteln gegeben sei. Vor diesem Hintergrund komme UNHCR nun zu diesem Ergebnis, dass in Kabul im Allgemeinen keine interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative zur Verfügung stehe.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a) Zur Person und zum Vorbringen des BF

1. Der Name des BF ist XXXX (alias XXXX ), er wurde am XXXX im Dorf

XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Laghman (Afghanistan) geboren und dort aufgewachsen. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist er Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, außerdem spricht er Dari, Urdu, Englisch und Deutsch. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

2. Der BF ist Ende 2011 bzw. Anfang 2012 zu seinem Onkel mütterlicherseits in die Distriktshauptstadt der Provinz Laghman gezogen. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan hat er zuletzt einige Zeit in XXXX in der Provinz Nangarhar gelebt. Er hat acht Jahre lang die Schule besucht. Die Familie des BF besitzt landwirtschaftliche Grundstücke und ein Hotel in der Provinz Laghman. Sie vermieten auch ein Haus in Laghman.

3. Die Mutter, die beiden Schwestern und die beiden Brüder des BF leben in XXXX in der Provinz Nangarhar in einem Eigentumshaus. Seine Mutter lebt von den Einnahmen des Hotels und der Landwirtschaft. Die Einnahmen aus der Verpachtung der landwirtschaftlichen Grundstücke betragen monatlich etwa 10.000 AFN. Aus dem Hotelbetrieb lukriert die Mutter des BF monatlich Einnahmen in der Höhe von 50 bis 60.000 AFN. Zu seiner Mutter steht der BF in regelmäßigem Kontakt. Außerdem wohnen noch sein Onkel väterlicherseits und seine Tante mütterlicherseits in der Provinz Nangarhar. Sein Onkel mütterlicherseits und seine Tante väterlicherseits wohnen in der Provinz Laghman. Seine Onkel und Tanten besitzen ebenfalls Grundstücke. Der BF stand früher in Kontakt zu seinen Onkeln mütterlicher- und väterlicherseits sowie seiner Tante väterlicherseits. Dieser Kontakt ist erneut herstellbar. Der Schwager des Onkels des BF wohnt in Kabul.

Es kann nicht festgestellt werden, dass einer seiner Brüder Afghanistan verlassen hat und in der Türkei aufhältig ist.

4. Der BF hat im Herbst 2015 Afghanistan verlassen und ist über Pakistan, den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Kroatien bis nach Österreich gereist, wo er nach unrechtmäßiger Einreise am 20.12.2015 den gegenständlichen Antrag gestellt hat. Seine Ausreise wurde durch seinen Onkel mütterlicherseits finanziert.

5. Der BF wurde in Österreich mehrfach strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt:

5.1. Er wurde mit Urteil des LG XXXX , GZ XXXX , vom 20.10.2016 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften wegen des ersten Sachverhalts nach §§ 27 Ab. 1 Z 1 1. und 2. Fall, 27 Abs. 2a SMG und wegen des zweiten Sachverhalts nach § 27 Ab. 1 Z 1 1. und 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Als mildernd wurde sein Alter unter einundzwanzig Jahren, die bisherige Unbescholtenheit und das umfassende Geständnis gewertet. Als erschwerend wurden der Verkauf und die Weitergabe an Minderjährige sowie das Zusammentreffen von zwei Vergehen angesehen.

5.2. Er wurde weiters mit Urteil des BG XXXX GZ XXXX vom 07.09.2017 wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen verurteilt. Als mildernd wurde ein objektives Teilgeständnis gewertet. Als erschwerend wurden die Faktenhäufung und eine einschlägige Vorstrafe angesehen.

5.3. Am 12.04.2018 wurde der BF mit Urteil des LG XXXX , GZ XXXX , wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 und 2 1. Fall StGB, wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1 StGB, wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe im Umfang von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mildernd war kein Umstand. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit mehreren Vergehen, eine Vorstrafe wegen dem SMG, der Umstand, dass die Vergewaltigung sowohl mit Gewalt als auch durch gefährliche Drohung vonstatten ging und die Tätermehrheit angesehen.

5.4. Mit Urteil des LG XXXX vom 17.07.2018, GZ XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB, wegen des Vergehens der versuchten Begünstigung nach §§ 15 Abs. 1 iVm 229 Abs. 1 StGB und wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt. Als mildernd wurde das Geständnis, der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und sein Alter unter einundzwanzig gewertet. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen von Verbrechen mit Vergehen angesehen.

6. Der BF hält sich seit Dezember 2015 in Österreich auf. Er hat keine Familienangehörigen in Österreich, er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Im Jahr 2016 besuchte er zwei Deutschkurse A1 Teil 1 und Teil 2. Er war nie Mitglied in einem Verein und hat sich auch nicht ehrenamtlich engagiert. Er lebte während seines laufenden Asylverfahrens von der Grundversorgung und ist keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen, er befand bzw. befindet sich auch in Haft. Die Mutter des BF hat ihm 1.900 EUR geschickt, die an seinen damaligen gesetzlichen Vertreter ausgefolgt wurden.

Er befindet sich seit 29.06.2017 planmäßig bis 10.12.2020 erneut in Strafhaft. In der Haft wurde der BF im Oktober und Mai 2018 lediglich viermal von einer österreichischen Bekannten besucht. Ansonsten pflegt er keine sozialen Kontakte zu Personen außerhalb der Haft. Seit acht Monaten arbeitet der BF im Unternehmensbetrieb der Justizanstalt. Dort bearbeitet er Kunststoffholkammerplatten mit einer Stanzmaschine, die als Verpackungsmaterial für einen KFZ-Hersteller verwendet werden.

7. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

8. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er wegen der Ermordung seines Vaters durch die Taliban und der Feindschaft seines Vaters mit seinen Großcousins von den Taliban bzw. seinen Großcousins einer Bedrohung oder einer Verfolgung ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre. Daher kann nicht festgestellt werden, dass er aus einer ihm, von den Taliban unterstellten politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie von diesen bedroht wurde bzw. im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer solchen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Der BF konnte somit nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

9. Dem BF würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinzen Laghman und Nangarhar ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK drohen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e-Scharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Dem BF steht somit eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e-Scharif zur Verfügung.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation hinzugefügt am 01.03.2019):

1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation hinzugefügt am 01.03.2019:

KI vom 01.03.2019, Sicherheitslage in Afghanistan

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefägnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technische Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Milionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Milionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Anmerkung: Weiterführende Informationen über den Wahlprozess in Afghanistan können der KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018 entnommen werden.

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenlis

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten