TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/17 W137 2140066-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.05.2019
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Entscheidungsdatum

17.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W137 2140066-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter Hammer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst / ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2016, Zl. 11084930510/151220685/BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.01.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 34 Abs. 1 und 2 iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte in Österreich nach illegaler Einreise am 29.08.2015 durch seine Eltern XXXX (VZ 2140071) und XXXX (VZ 2140064) den gegenständlichen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Anträge auf internationalen Schutz wurden auch von der Eltern und für seine Schwestern XXXX (VZ 2140069) und XXXX (VZ 2140067) gestellt.

2. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am nächsten Tag gab der Vater an, afghanischer Staatsangehöriger muslimischen/sunnitischen Glaubens zu sein und der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören. Er werde verfolgt, weil sein Schwager (der Bruder seiner Frau) mit einem paschtunischen Mädchen vorehelichen Geschlechtsverkehr gehabt habe. Er habe als Fliesenleger gearbeitet.

Die Mutter brachte ein gleichlautendes Fluchtvorbringen vor. Ein individuelles Vorbringen betreffend die Kinder wurde nicht erstattet.

3. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2016 wurde dieses Vorbringen ausführlicher geschildert. Dabei erklärte der Vater des Beschwerdeführers auch, es sei gedroht worden, ihn zu töten "und auch meine Frau oder meine Kinder zu vergewaltigen". Nach Rückübersetzung bestätigte er mit seiner Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit des Einvernahmeprotokolls.

Die - zu diesem Zeitpunkt schwangere - Mutter (nach eigenen Angaben Analphabetin ohne Schulbildung) erklärte, einen Deutschkurs zu besuchen und sich um Integration zu bemühen. Im Übrigen verweise sie auf die Angaben ihres Mannes.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2016, Zl. 11084930510/151220685/BMI-BFA_STM_AST_01, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von internationalem Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 100/2005 abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

5. Gegen diesen Bescheid wurde mittels eines vom, unter einem zur Vertretung bevollmächtigten, Rechtsberater verfassten Schreibens (einheitlich für die gesamte Familie) rechtzeitig Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt worden sei. Ausführlich wurde zu den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung genommen. Vorgelegt wurden auch Berichte betreffend die Sanktionierung von außerehelichem Geschlechtsverkehr (insbesondere bei Männern). Schließlich sei den Beschwerdeführern auch die Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht zuzumuten.

In diesem Schriftsatz fand sich - ohne besondere Hervorhebung - auch die Ausführung, die Nachbarfamilie habe gedroht, die Frau "und ihre Kinder zu vergewaltigen".

6. Am 18.11.2016 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Verwaltungsakt ein. Eine Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen wurde nicht eingebracht.

7. Mit Schreiben vom 08.03.2017 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer_innen mit, dass aus verfahrensökonomischen Gründen eine Verhandlung erst nach der Entbindung (unter Einbeziehung des Verfahrens des dann Neugeborenen) erfolgen werde.

Mit Schreiben des bevollmächtigten Vertreters vom 04.04.2017 wurde dieses Vorgehen ausdrücklich begrüßt. Unter einem wurden die Geburtsurkunde des jüngsten Kindes, XXXX (VZ 2157802), und die Anerkennung der Vaterschaft übermittelt. Das Bundesamt hat den für die Neugeborene (durch die gesetzliche Vertreterin) gestellten Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 01.05.2017 in gleicher Weise wie über jenen der übrigen Familienmitglieder entschieden und zur Begründung auf diese Entscheidungen verwiesen. Mit Schreiben vom 16.05.2017 wurde auch für sie eine Beschwerde eingebracht und im Wesentlichen auf die gemeinsame Beschwerde der übrigen Familienmitglieder verwiesen.

8. Am 07.06.2017 übermittelten die Beschwerdeführer_innen Unterlagen betreffend ihre Integrationsbemühungen sowie eine Stellungnahme eines Kinderschutzzentrums betreffend die älteste Tochter. Unter Zugrundelegung des Fluchtvorbringens (das mit der Minderjährigen und dem Vater exploriert worden sei) wurde darin der Schluss gezogen, dass "aus klinisch-psychologischer Sicht der Schutz des Kindeswohles bei einer Rückführung in das Herkunftsland nicht anzunehmen" sei.

Am 27.06.2017 langten beim Bundesverwaltungsgericht weitere Unterlagen zur Integration der Beschwerdeführer_innen ein. Überdies wurden Schulbesuchsbestätigungen und Zeugnisse der beiden schulpflichtigen Kinder, weitere Unterlagen zu den Integrationsbestrebungen der Eltern und mehrere Unterstützungsschreiben vorgelegt.

9. Am 13.11.2017 konnte die geplante Verhandlung aufgrund einer kurzfristigen Erkrankung der Dolmetscherin nicht durchgeführt werden. Aufgrund der Anwesenheit eines Vertreters und der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers konnte abgeklärt werden, dass die Ehefrau und seine älteste Tochter wegen Depressionen behandelt würden. Andere Gründe für den Asylantrag als die bereits vorgebrachten gebe es nicht. Allerdings seien hinsichtlich der Frau und der ältesten Tochter geschlechtsspezifische Elemente im erstinstanzlichen Verfahren zu kurz gekommen. Den Beschwerdeführer_innen wurden abschließend aktuelle Berichte zur Situation in Afghanistan übergeben und dazu eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen eingeräumt. Anschließend wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

10. Mit Schreiben vom 14.11.2017 erstatteten die Beschwerdeführer_innen durch den bevollmächtigten Vertreter eine Stellungnahme zu den Länderberichten, in der auf die Problematik der Blutrache und das Institut des "badal" (Austausch - etwa von Frauen - zwischen Familien zur Bereinigung einer Ehrverletzung). Zudem liege bei der Frau des Beschwerdeführers und ihrer ältesten Tochter ein gelebter "westlich" orientierter Lebensstil vor, der - auch in Verbindung mit der "hervorragenden Integration" der Beschwerdeführer_innen - zu einer Asylgewährung führen müsse. Schließlich handle es sich um eine Familie mit besonders vulnerablen Personen, darunter einem Säugling. Überdies handle es sich bei Kabul "momentan um den für Zivilisten gefährlichsten Landesteil ganz Afghanistans. Hinsichtlich der Integration der Beschwerdeführer_innen wurde abschließend ausgeführt, dass die beiden ältesten Kinder in Österreich die Schule besuchen würden und die älteste Tochter sich zu einem "selbstständigen, selbstbestimmten und gebildeten 10-jährigen Mädchen entwickelt" habe. Der Familienvater habe bereits die Deutschprüfung auf Niveau B1 absolviert und sei auf freiwilliger Basis beim Roten Kreuz engagiert.

Vorgelegt wurden zudem die Dokumentationen/Berichte:

Schweizerische Flüchtlingshilfe "Schnellrecherche zu Afghanistan:

Blutrache und Blutfehde" (07.06.2017)

Schweizerische Flüchtlingshilfe "Afghanistan-Update: Die aktuelle Sicherheitslage" (14.09.2017)

Amnesty International "Forced back to Danger" - Auszug (Oktober 2017)

11. Am 02.01.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung mit den Beschwerdeführer_innen in Anwesenheit des bevollmächtigten Vertreters statt. Befragt wurden die Eltern des Beschwerdeführers (jeweils getrennt voneinander), deren älteste Tochter (in Anwesenheit des Vaters) und die anwesende Vertrauensperson der Familie. Auf eine Befragung der übrigen Kinder - somit auch des damals neunjährigen Beschwerdeführers - wurde im Einvernehmen mit den Eltern und dem bevollmächtigten Vertreter verzichtet.

12. Mit Schreiben vom 23.08.2018 (schriftliches Parteiengehör) brachte das Bundesverwaltungsgericht aktualisierte Berichte zur Situation in Afghanistan in das Verfahren ein und setzte eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme. Eine solche wurde bis zum heutigen Tag nicht abgegeben.

13. Am 19.09.2018 erklärte sich der Leiter der im gegenständlichen Verfahren zuständigen Gerichtsabteilung für die Verfahren der weiblichen Familienmitglieder unter Verweis auf § 20 AsylG unzuständig.

14. Mit Erkenntnis vom 23.04.2019, W119 2140064-1/30E, hat das Bundesverwaltungsgericht der Mutter des Beschwerdeführers wegen deren "persönlicher Wertehaltung" den Status der Asylberechtigten zuerkannt. Mit Erkenntnissen vom selben Tag wurde auch - unter Anwendung von § 34 AsylG in Bezug auf die Entscheidung bezüglich ihrer Mutter - den Schwestern des Beschwerdeführers der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist ein minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger mit tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit. Er verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul, wo er unter gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen aufwuchs.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Das vom Vater des Beschwerdeführers erstattete Vorbringen bezüglich der Probleme in Afghanistan und der aus diesem Grunde befürchteten Verfolgung erwies sich als zur Gänze nicht glaubhaft. Für eine drohende Verfolgung (oder die begründete Furcht vor einer solchen) aus ethnischen, politischen oder religiösen Gründen gibt es keinerlei Hinweis.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner afghanischen Staatsangehörigkeit und seiner familiären Situation in Afghanistan ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben seiner Eltern im Verlauf des Verfahrens.

2.2. Hinsichtlich der fehlende Glaubhaftigkeit des Verfolgungsvorbringens wird auf die entsprechenden Ausführungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag (W137 2140071-1/31E) verwiesen. Ein davon abweichendes individuelles Vorbringen betreffend den minderjährigen Beschwerdeführer wurde nicht erstattet.

Eine (drohende) Verfolgung aus ethnischen, politischen oder religiösen Gründen wurde vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nie behauptet.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Trennung des Familienverfahrens unter Anwendung des § 20 AsylG:

§ 20 AsylG enthält eine Schutzbestimmung für Asylwerber_innen, die einen (drohenden) Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung geltend machen. Im gegenständlichen Fall wurden im Verfahren sowohl die drohende Vergewaltigung einer verheirateten Frau, (zumindest) zweier weiblicher Minderjähriger aber auch eines männlichen Minderjährigen behauptet. Der Beschwerdeführer sprach in diesem Zusammenhang stets von "meine Kinder".

Damit steht - zumindest für diese Fallkonstellation - die Bestimmung des § 20 AsylG in einem Spannungsverhältnis zur einheitlichen Verfahrensführung der Familie gemäß § 34 AsylG. Angesichts der einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes kann allerdings kein Zweifel bestehen, dass in dieser Spannungssituation § 20 AsylG vorgeht, weshalb (ausschließlich) die Verfahren der weiblichen Familienmitglieder an eine von einer Frau geleitete Gerichtsabteilung abgetreten werden mussten.

3.2. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 38/2011) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Zu A)

3.2. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (§ 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.3. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat (hier Schläge, Ziehen an den Haaren, Begießen mit kaltem Wasser) spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Auch unbestrittenen Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, Zl. 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, Zl. 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH vom 23.01.1997, Zl. 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des BFs in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, Zl. 2001/20/0457).

Die amtswegigen Ermittlungspflichten im Asylverfahren sind im § 18 Abs. 1 AsylG 2005 geregelt, der inhaltlich nahezu wortgleich der Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997 entspricht. Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. AsylG 1997 folgend stellt diese Gesetzesstelle eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht (vgl. VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). Grundsätzlich obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (Vgl. VwGH 31.05.2001, Zl. 2001/20/0041; VwGH 23.07.1999, Zl. 98/20/0464). Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 28 AsylG 1997 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (Vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222). Die Ermittlungspflicht der Behörde geht auch nicht soweit, den Asylwerber zu erfolgversprechenden Argumenten und Vorbringen anzuleiten (vgl. VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

3.4. Das von den Eltern erstattete Vorbringen bezüglich einer Verfolgung durch eine Nachbarfamilie in Afghanistan hat sich - wie im Erkenntnis betreffend den Vater ausführlich dargelegt - als nicht glaubhaft erwiesen.

3.5. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Der Beschwerdeführer ist Familienangehöriger seiner Mutter, der der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden ist (siehe oben I.14). Ihm ist daher ebenfalls der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wobei nochmals zu betonen ist, dass er selbst keinerlei Gründe betreffend seine Person für die Statuszuerkennung glaubhaft machen konnte.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W137.2140066.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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