TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/31 W182 1253646-3

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Veröffentlicht am 31.05.2019
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Entscheidungsdatum

31.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W182 1253646-3/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2019, Zl. 741768809 - 15179361 / BMI-BFA_SZB_RD, gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen

Bescheides wird insofern stattgegeben, als gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, die Dauer des Einreiseverbotes auf 10 Jahre herabgesetzt wird.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sowie § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 46 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 55 Abs. 1 - 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Muslim, reiste am 01.09.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Seinen Antrag begründete der BF in einer Einvernahme beim Bundesasylamt am 06.12.2006 im Wesentlichen damit, dass er in Tschetschenien bei einer russischen Polizeieinheit gearbeitet, diese jedoch nach sechs Monaten verlassen habe, da es zu gefährlich gewesen sei. Nachdem er dort aufgehört habe zu arbeiten, sei er eines Nachts im Frühjahr 2002 entführt, misshandelt und in ein Erdloch gesetzt worden. Er habe nur durch Zufall überlebt. In weiterer Folge sei er von der Polizei einvernommen worden, die ihn verdächtigt habe, in der Nähe von Panzerfahrzeugen Sprengsätze versteckt zu haben. Der BF sei, nachdem er den Verdacht ausräumen habe können, freigelassen worden. Bei zahlreichen Straßenkontrollen habe er aber immer Angst gehabt, da bei dem beschriebenen Vorfall seine Personaldaten aufgenommen worden seien und er immer nervös gewesen sei. Er sei jedoch seither nie mehr festgenommen worden. Er habe aber ständig Angst gehabt und habe im Juni 2004 das Herkunftsland verlassen. Er verspüre immer noch Angst, wenn er daran denke, dass er wieder in Tschetschenien sein müsste.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.02.2007, Zl. 04 17.688-BAS, wurde dem Asylantrag des BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl I 1997/76 idF BGBl I 101/2003, stattgegeben und ihm Asyl gewährt und gemäß § 12 leg.cit. festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Dazu wurde festgestellt, dass der BF Staatsangehöriger von Russland sei und einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorgebracht habe, dem keine Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahrens entgegenstehen, sodass dieser als Feststellung dem vorliegenden Verfahren zugrunde gelegt werden könne. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesasylamt aufgrund des amtswegigen Ermittlungsverfahrens zur Ansicht gelange, dass alle Voraussetzungen zur Asylgewährung vorliegen. Da dem Antrag auf Asylgewährung vollinhaltlich Rechnung getragen werde, könne gemäß § 58 Abs. 2 AVG eine nähere Begründung entfallen.

Der Bescheid wurde dem BF am 20.02.2007 zugestellt und wurde rechtskräftig.

1.2. Der BF wurde im Bundesgebiet wiederholt wegen Straftaten rechtskräftig gerichtlich verurteilt.

Erstmals wurde der BF mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom Oktober 2010 wegen des Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz gemäß § 27 Abs. 1/1 (2. Fall) SMG und wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat rechtskräftig verurteilt, wobei die Vollstreckung bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde.

Der Verurteilung lag u.a. zugrunde, dass der BF im März 2010 eine Person am Körper verletzte, indem er diese mit mehreren Faustschlägen verletzte, wodurch diese XXXX erlitt.

Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom Jänner 2011 wurde der BF wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß §§ 15, 127 bedingt zu einer Freiheitsstrafe von 10 Wochen unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes vom selben Tag wurde die Probezeit hinsichtlich seiner ersten Verurteilung auf 5 Jahre verlängert.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom April 2011 wurde der BF wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 127 und 129 Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten rechtskräftig verurteilt. Der BF wurde am 23.11.2011 bedingt unter Verhängung einer Probezeit von 3 Jahren und der Anordnung von Bewährungshilfe aus der Freiheitsstrafe entlassen.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom April 2012 wurde der BF wegen des Vergehens des Diebstahls und der Sachbeschädigung gemäß §§ 15, 127 und 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom Juli 2012 wurde der BF wegen des Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz gemäß §§ 15, 27 Abs. 1 Z 1

8. Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom Juli 2013 wurde der BF wegen des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom April 2014 wurde der BF wegen des Vergehens des Diebstahls und der Körperverletzung sowie schweren Körperverletzung gemäß §§ 15, 127, 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt.

Der Verurteilung lag u.a. zugrunde, dass der BF im September 2013 einer Person mehrere Faustschläge versetzte, wodurch diese eine an sich schwere Verletzung, nämlich XXXX erlitten habe.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom Juli 2014 wurde der BF wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß §§ 127, 130 1. Fall, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF im Juni 2014 in Geschäften Waren an sich genommen und damit den Kassabereich passiert hat, sowie im Mai und Juni 2014 versucht hat, Waren wegzunehmen, wobei er beobachtet und nach der Kassa angehalten wurde. Als "mildernd" wurden das reumütige Geständnis, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und trotz teilweiser Vollendung kein Schaden aufgrund der Sicherstellung entstanden ist, als "erschwerend" wurden 5 einschlägige Vorstrafen, der rasche Rückfall nach der letzten Verurteilung im Wissen, dass eine offene Strafhaft besteht, sowie das Vorliegen der Voraussetzung nach § 39 StGB sowie die Tatwiederholung gewertet.

Laut Urteil ist es dem BF bei jeder Tat darauf angekommen, sich durch wiederkehrende Begehung dieser Straftaten eine fortlaufende, beträchtliche Einnahme zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes über zumindest einige Wochen zu verschaffen. Die Taten standen nicht im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln, ein diversionelles Vorgehen kam aufgrund der Vorstrafenbelastung nicht in Betracht.

1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.06.2016, Zl. 741.768.809, wurde der dem BF mit Bescheid vom 06.02.2007 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde dem BF unter Spruchpunkt II. der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt. Gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 5 FPG wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung wurde im Wesentlichen mit den strafrechtlichen Verurteilungen des BF begründet, und dazu weiter festgestellt, dass somit ein Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 vorliegen würde, da es sich bei den vom BF verübten Delikten im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zweifellos um als besonders schwer einzustufende Delikte handle, wobei die Zukunftsprognose jedenfalls negativ ausfalle.

Einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.07.2017, Zl. W182 1253646-2/4E, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt keine nachvollziehbare Subsumption des festgestellten Sachverhaltes unter einer der in Art. 1 Abschnitt C der GFK genannten Voraussetzungen vorgenommen habe und die tragenden Begründungselemente sich im bekämpften Bescheid als unklar und kaum nachvollziehbar erwiesen haben. Im Ergebnis habe das Bundesamt hinsichtlich der getroffenen Feststellungen und Begründung offenbar das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 angenommen, wobei die Straftaten des BF ungeachtet der hohen Rückfälligkeit für sich genommen weder objektiv noch subjektiv als besonders schwere Verbrechen im Sinne der der höchstgerichtlichen Judikatur zu werten seien. Hinsichtlich der Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 habe das Bundesamt, das nicht einmal eine Einvernahme des BF durchgeführt habe, keine aussagekräftigen Ermittlungen angestellt, weshalb diesbezüglich von besonders gravierenden Ermittlungssäumnissen der Behörde im Sinne von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG auszugehen gewesen sei. Da dem bekämpften Bescheid kein Antrag einer Partei zugrunde liege und angesichts der krassen Ermittlungssäumnisse im Hinblick auf § 7 Abs. 2 AsylG auch keine Grundlage für eine geeignete Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ermittelt worden sei, sei die Entscheidung ersatzlos zu beheben gewesen. Ungeachtet dessen wurde das Bundesamt angewiesen, im Hinblick auf § 7 Abs. 2 AsylG 2005 auf der Grundlage des ursprünglichen Vorbringens des BF, das zur Asylgewährung geführt habe, unter Einbeziehung relevanter Länderinformationen im Wege einer Einvernahme des BF zu prüfen, ob eine entsprechende Wahrscheinlichkeit im Sinne des zweiten Halbsatzes nach § 7 Abs. 2 AsylG 2005 bestehe.

2. Der BF wurde mit Urteil eines Landesgerichts vom November 2018 wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß §§ 15, 83 Abs. 1 StGB, der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB, des Diebstahles gemäß §§ 15, 127 StGB sowie des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von 4 Jahren rechtskräftig verurteilt. Der Verurteilung lag u.a. zugrunde, dass der BF im September 2018 eine Person am Körper zu verletzen versucht hat, indem er mit seiner Hand auf deren Kopf geschlagen hat, am Folgetag derselben Person, nachdem er deren Wohnungstür durch Fußtritte beschädigt hat, dadurch eine schwere Körperverletzung herbeizuführen versucht hat, indem er ihr

XXXX erlitten hat. Zudem hat er im Jänner 2018 versucht, in einer Geschäftsfiliale Waren im Gesamtwert von über € 300 zu stehlen. Zur Person des BF wurde u.a. ausgeführt, dass er geschieden ist, Sorgepflichten für vier Kinder hat, kein Vermögen hat und zuletzt ohne Beschäftigung gewesen ist sowie Einkommen aus der Sozialhilfe bezogen hat. Er hat elf Klassen Allgemeinschule in Russland besucht. Das Gericht wertete als erschwerend die sieben einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen von drei Vergehen mit einem Verbrechen, den raschen Rückfall im Hinblick auf den Vorwurf des Diebstahles, die Begehung von Straftaten in Kenntnis eines laufenden Strafverfahrens sowie das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 StGB, als mildernd das reumütige Geständnis, sowie dass es überwiegend beim Versuch geblieben ist. Aufgrund der Gefährlichkeit des BF in Bezug auf sein durch sieben einschlägige Vorstrafen getrübtes Vorleben, war auch im Hinblick auf die Schwere der Tathandlung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu verhängen, um den BF das Unrecht seiner Taten eindrucksvoll vor Augen führen zu können sowie auch der Begehung weiterer solcher strafbaren Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

3. In einer Einvernahme beim Bundesamt am 12.11.2018 erklärte der BF auf die Frage, ob ihm sein Asylstatus im Zusammenhang mit dem Tschetschenienkrieg zuerkannt worden sei, dass er sich daran nicht mehr erinnern könne. Befragt, warum er in Österreich um Asyl angesucht habe bzw. was seine Fluchtgründe gewesen seien, gab er an, dass es viele Gründe gegeben habe und er sich nicht an alles erinnern könne. Die Frage, was passieren würde, wenn er nach Russland abgeschoben werden, beantwortete er dahingehend, dass er es nichts wisse und daher nichts sagen könne. Im Herkunftsland würden sich noch Onkel, Tanten Cousins und Cousinen aufhalten, er habe jedoch keinen Kontakt mehr. Der BF sei gesund, geschieden und alleinstehend. In Österreich würden seine Mutter, seine Schwestern, seine Ex-Frau sowie vier minderjährige Kinder leben. Die Obsorge hinsichtlich seiner Kinder sei ihm nicht entzogen worden, er dürfe seine Kinder sehen und besuchen, sie würden allerdings bei der Kindesmutter wohnen. Er habe sie vor der Haft regelmäßig gesehen, das letzte Mal sei dies vor ca. 2 Monaten gewesen. Auf Vorhalt, dass er laut Versicherungsdatenauszug in Österreich (zumindest in den letzten fünf Jahren) nie gearbeitet habe, erklärte der BF lediglich, dass es ihm nicht gelungen sei. Vor der Inhaftierung habe er Mindestsicherung bezogen. Er habe keine Freunde in Österreich. Der BF war nicht in der Lage, die Einvernahme in Deutsch durchzuführen, sondern bedurfte der Beiziehung eines Dolmetschers der russischen Sprache. Dem BF wurden aktuelle Länderfeststellungen zur Situation im Herkunftsland zu Kenntnis gebracht und ihm dazu die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme binnen 2 Wochen eingeräumt, wovon kein Gebrauch gemacht wurde.

4.1. Mit dem im Spruch genannten, angefochtenen Bescheid vom 24.01.2019 erkannte das Bundesamt dem BF den mit Bescheid vom 16.02.2007, Zl. 04 17.688-BAS, zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesamt dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG idgF wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

4.2. Darin wurde u.a. festgestellt, dass die Identität des BF feststehe, er russischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Tschetschenen angehöre und moslemischen Glaubens sei. Er beherrsche die tschetschenische sowie die russische Sprache auf ausgezeichnetem Niveau. Er leide an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankungen und sei arbeitsfähig. Dem BF sei der Status des Asylberechtigten aufgrund der Kriegssituation in Tschetschenien zum Zeitpunkt der Ausreise zuerkannt worden. Er sei niemals politisch tätig gewesen. Auch sei er niemals aufgrund der Tradition der Blutrache gefährdet gewesen. Er sei einmal über Nacht angehalten und misshandelt worden. Die Lage in seinem Herkunftsstaat habe sich seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich und nachhaltig geändert. Er müsse nicht befürchten, Opfer etwaiger gegen ihn persönlich gerichteter Verfolgungshandlungen zu werden. Darüber hinaus sei er mehrmals von österreichischen Strafgerichten verurteilt worden, weshalb ihm die Ablaufhemmung nach § 7 Abs 3 AsylG 2005 nicht zukomme. Der BF sei in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und sei in die russische bzw. tschetschenische Gesellschaft integriert. Er verfüge über Angehörige zweiten und entfernteren Grades in der Russischen Föderation. Ihm drohe im Falle einer Rückkehr nicht im gesamten russischen Staatsgebiet, in eine aussichtslose Lage zu geraten, oder hinsichtlich seines Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit verletzt zu werden, auch drohe ihm im russischen Staatsgebiet weder Folter, noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Er sei keinen Verfolgungshandlungen seitens der russischen Behörden oder Dritter ausgesetzt. Die Wiedereinreise in die Russische Föderation könne gefahrlos erfolgen. Der BF sei seit dem Jahr 2004 in Österreich aufhältig. Seine Ex-Frau sowie seine vier Kinder seien in Österreich aufhältig. Er sei seit mehreren Jahren geschieden und zumindest seit 2012 verfüge er über keinen gemeinsamen Haushalt. Er sei in Österreich neun Mal gerichtlich vorbestraft. Daneben sei er auch von Verwaltungsbehörden bestraft worden und sei ihm der Führerschein entzogen worden. Er gehe keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nach. Er verfüge nur über marginale Kenntnisse der deutschen Sprache. Er habe keinen österreichischen Freundeskreis. Eine nennenswerte Integration in die österreichische Gesellschaft sei für die erkennende Behörde nicht ersichtlich, seine familiären bzw. privaten Interessen haben hinter jenen der Öffentlichkeit zurückzutreten. Eine Fortsetzung seines Aufenthalts stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

Zum Herkunftsstaat bzw. Tschetschenien wurden folgende Feststellungen getroffen:

"[...]

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation

übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2.

Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter

Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des

tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen

Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora

im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die

hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der

Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des

Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen

emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche

allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen

Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die

Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

? ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

2 . P O L I T I S C H E L A G E

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine

Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive

Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf

Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die

Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt

mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und

erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl

ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als

politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die

Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe

Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung

von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl

teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018,

FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land

führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da

es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl.

OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die

Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch

verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist

Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die

Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den

Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist

in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das

Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten:

Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat.

Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten

gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland

(Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000

Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die

Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die

populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum

Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten

Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und

die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma

nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands

(42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1

Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen

Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem

Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete,

Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl.

AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion

der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier

vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga,

Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der

Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu

aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der

Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim

gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und

wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der

Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und

kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/

russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

? CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors

of Protection,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-ofprotection.

pdf, Zugriff 1.8.2018

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland,

Geschichte und Staat,

https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland,

Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic

Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation

Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff

29.8.2018

? Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesstsich-

um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

? Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff

1.8.2018

? Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russlandwahl-

putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

2.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647

km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018

beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen

Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan

Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der

Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während

der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um

Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien,

teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den

arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit

der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im

Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der

Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische

Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%.

Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen,

Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen

Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine

eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB

Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts

Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter

grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die

Zahl: 1224741802 - 190341543

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 17 von 62

FrÄG 2015 - § 33 AsylG + § 3 AsylG neg + § 8 AsylG neg + § 57 AsylG neg amtsw - BE-0311-538

tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im

Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene

Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom

18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow

wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere

Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in

deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers

berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber

dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von

Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen

vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros

vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau

als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von

Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert

worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau

12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan

Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist

Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen

Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen

Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits

hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung

des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale

Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor

allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer

beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands

hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-

Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser

Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme

sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen

Föderation

? GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

? Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation

n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen

Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale,

https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

3 . S I C H E R H E I T S L A G E

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in

Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein

Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung

vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018,

GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen

werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge

gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und

Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen

Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75

größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten.

Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus.

Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51%

zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich

diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen,

afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen

nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36).

Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS)

Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs

über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer

Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von

diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau

appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus

Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt

(Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff

28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reiseaufenthalt/

reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.

724. de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise

für Russland,

https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/

russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland,

Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld

des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

3.1. Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den

Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche

Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie

Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen

und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen

sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level

insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus

koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum

sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte

2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die

Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23.

Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz

Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht

bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der

aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im

Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische

Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen

und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im

Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen,

Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der

Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in

Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den

vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen

Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen

Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig

verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im

Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im

Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees

dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800

erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW

25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen

Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen

Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken

Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente

(ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten

Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41

Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot

29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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