TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/22 W184 2199400-1

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Veröffentlicht am 22.01.2019
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Entscheidungsdatum

22.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W184 2199400-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2018, Zl. 1113341103/160612154, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005, §§ 52, 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 30.04.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:

"I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

V. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

"A) Verfahrensgang

...

Bei der niederschriftlichen Befragung ... am 30.04.2016 gaben Sie

zum Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes an:

Sie hätten neben der Schule auch eine Koranschule besucht. Von Ihrem Koranlehrer, welcher ein Mullah gewesen wäre, wären Sie aufgefordert worden, sich für einen Selbstmordanschlag vorzubereiten. Nachdem Sie dies Ihrem Vater erzählt hätten, hätte Ihr Vater ihn bei der Polizei angezeigt. Daraufhin wäre dieser Mullah von der Polizei verhaftet worden. Sie wären dann von den Anhängern des Mullahs mit dem Umbringen bedroht worden. Daher hätte Ihr Vater beschlossen, dass Sie Afghanistan verlassen sollten.

...

Am 12.03.2018 wurden Sie beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ... im Beisein Ihrer rechtlichen Vertreterin niederschriftlich einvernommen. Die wesentlichen Passagen gestalteten sich wie folgt (F = Frage, A = Antwort, V = Vorhalt):

...

F: Welche Sprachen sprechen Sie?

A: Paschtu, ich verstehe auch Dari. Ich spreche auch ein wenig Englisch und ein wenig Deutsch.

...

F: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

A: Mir geht es gut, danke.

F: Nehmen Sie Medikamente oder sind Sie in ärztlicher Behandlung?

A: Nein.

F: Haben Sie irgendwelche Dokumente oder Beweismittel, die Sie vorlegen möchten?

Der Asylwerber legt folgende Unterlagen vor: Nachweis freiwilliges Engagement, Kursbestätigung B1, Teilnahmebestätigungen, ÖSD-Zertifikat A2, Schulbesuchsbestätigung, Empfehlungsschreiben, Vollmacht, Entscheidungsgrundlage Hilfestellung Kinder- und Jugendhilfe ...

...

F: Haben Sie in Afghanistan schon gearbeitet?

A: Nein, ich habe nur die Schule besucht.

F: Wann waren Sie das letzte Mal in der Schule?

A: Im Jahr 1395. Ich war in der sechsten Klasse.

F: Wie lange waren Sie noch in Afghanistan, nachdem Sie mit der Schule aufhörten?

A: Ungefähr eine Woche und drei Tage.

F: Wo haben Sie die letzte Nacht vor Ihrer Ausreise verbracht?

A: In Laghman, bei mir zuhause.

F: Können Sie bitte einen kurzen Lebenslauf bezüglich Ihrer Person schildern? Z. B.: Wo sind Sie aufgewachsen, welche Schulausbildung haben Sie absolviert, welchen Beruf haben sie ausgeübt, etc.?

A: Ich bin in XXXX , Laghman, geboren. Ich habe mit zehn Jahren begonnen, die Schule zu besuchen. Vorher war ich zuhause. Ich habe die Schule bis zur sechsten Klasse besucht. Ich bin sowohl zur Schule als auch zur Koranschule gegangen.

F: Was haben Sie sonst noch so gemacht?

A: Ich habe meinen Eltern zuhause geholfen, ich bin nach der Schule in die Moschee gegangen und anschließend habe ich Cricket gespielt.

...

F: Sind Sie verheiratet und haben Sie Kinder?

A. Nein.

F: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

A: Paschtune, XXXX .

F: Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?

A: Moslem, Sunnit.

...

F: Haben Sie immer in diesem Dorf gewohnt?

A: Ja. Nachgefragt gebe ich an, dass ich immer im selben Haus gewohnt habe. Es gab auch ein Grundstück. Nachgefragt gebe ich an, dass es 1-2 Jerib waren.

...

F: Wem hat das Haus gehört?

A: Es hat uns gehört.

F: Welche Personen haben zum Zeitpunkt der Ausreise dort noch gelebt?

A: Mein Vater, meine Mutter, meine drei Schwestern und ein Bruder sowie ein Onkel väterlicherseits.

F: Leben diese Personen immer noch dort?

A: Das weiß ich nicht, zum Zeitpunkt meiner Ausreise haben sie sich dort aufgehalten.

F: Haben Sie irgendwelche Hinweise, dass sie sich nicht mehr dort aufhalten?

A: Ich hatte dort viele Probleme, deshalb kann es sein, dass sie von dort weggegangen sind. Egal, wo sie hingegangen sind, sie hätten überall die Probleme.

...

F: Haben Sie noch weitere Verwandte in Afghanistan?

A: Ich habe zwei Onkel mütterlicherseits ... und eine Tante

mütterlicherseits in (meinem Heimatdorf). Ich habe auch noch drei Tanten väterlicherseits in (meinem Heimatdorf).

F: Wie groß ist (Ihr Heimatdorf) ungefähr?

A: Es sind ca. 40-50 Häuser.

F: Wie würden Sie die finanzielle Situation Ihrer Familie einschätzen?

A: Es war mittelmäßig, es hat gereicht.

F: Wovon lebt Ihre Familie?

A: Mein Vater hat ein Bekleidungsgeschäft.

F: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Ihren Angehörigen?

A: Vor ungefähr eineinhalb Jahren war das letzte Mal.

F: Haben Sie seither Kontakt zu Personen, die in Afghanistan leben?

A: Nein, mit niemandem.

F: Wann haben Sie beschlossen, Afghanistan zu verlassen?

A: Vor etwas über zwei Jahren.

...

F: Wann und wie haben Sie Afghanistan tatsächlich verlassen?

A: Ich bin von (meinem Heimatdorf) mit dem Auto des Schleppers losgefahren, ich wurde in einen mir unbekannten Ort gebracht, von dort fuhr ich weiter in den Iran.

...

F: Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit "ja" oder "nein". Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

Sind Sie vorbestraft oder waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?

A: Dreimal nein.

F: Bestehen gegen Sie aktuell staatliche Fahndungsmaßnahmen, wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc.?

A: Nein.

F: Sind oder waren Sie politisch tätig bzw. Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses bzw. Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme?

A: Nein.

F: Hatten Sie größere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte, etc.)?

A: Nein.

F: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

A: Nein.

F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig, detailliert und wahrheitsgemäß ...

A: Ich hatte in Afghanistan ein einfaches Leben, ich bin zur Schule und in die Moschee gegangen, ich habe Cricket gespielt. Eines Tages hat der Mullah angefangen, uns zu sagen, dass wir uns ihm anschließen sollen, um gemeinsam in den Jihad zu gehen. Das ging ungefähr eine Woche, in dieser Zeit habe ich meiner Familie nichts erzählt. Mein Vater hat allerdings gemerkt, dass ich Sorgen habe, und fragte mich, was los wäre. Ich habe meinem Vater erzählt, was der Mullah von uns will. Mein Vater hat Soldaten angerufen bzw. das Militär verständigt, der Mullah wurde dann verhaftet. Wir wussten nicht, dass der Mullah noch weitere Leute hat. Diese Leute haben uns dann bedroht. Sie wollten, dass ich mich ihnen anschließe und ich mit ihnen in den Jihad gehe. Mein Vater hat daraufhin erneut Soldaten um Hilfe gebeten, diese haben aber nichts gemacht bzw. konnten nichts machen. Daraufhin hat mein Vater gesagt, dass diese Leute uns nicht in Ruhe lassen und nicht aufgeben werden. Meine Familie hatte sehr große Angst um mich, ich blieb dann noch circa zehn Tage zuhause. Anschließend bin ich dann geflüchtet. In dieser Moschee waren wir ca. 13-14 Jungs, davon waren drei oder vier noch sehr jung. Uns Junge hat der Mullah versucht zu überreden, mit ihm in den Jihad zu gehen. Ich weiß nicht, ob die anderen Betroffenen auch geflüchtet sind.

F: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben?

A: Nein.

F: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

A: Egal, wo ich in Afghanistan wäre, würden mich die Leute, wenn sie mich finden würden, entweder zwingen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, oder sie würden mich töten. Ich will nicht mit ihnen zusammenarbeiten, deshalb bin ich geflüchtet.

F: Warum sollte man Sie suchen?

A: Weil mein Vater dafür gesorgt hat, dass der Mullah verhaftet wird, und, wie gesagt, ich will nicht mit ihnen arbeiten.

F: Könnten Sie - wenn die geschilderten Probleme nicht wären - in einer der größeren Städte Afghanistans (Kabul, Mazar-e Sharif, Herat, Jalalabad) leben?

A: Hätte ich diese Probleme nicht, wäre ich zuhause geblieben und nicht nach Europa gekommen.

F: Haben Sie Verwandte oder sonstige Angehörige in Österreich?

A. Nein.

F: Besuchen Sie eine Schule oder einen Kurs?

A: Ja, die Unterlagen habe ich schon vorgelegt. Ich gehe zur Schule.

F: Wie sieht ein typischer Tag von Ihnen in Österreich aus? Was machen Sie da?

A: Ich gehe zur Schule, Montag bis Freitag, nach der Schule esse ich zuhause, vorher hatte ich nach der Schule immer Deutschkurs, der ist aber mittlerweile abgeschlossen. Nach dem Essen mache ich meine Hausaufgaben und lerne. Anschließend spiele ich Cricket. Nachgefragt gebe ich an, dass ich mit anderen Afghanen Cricket spiele, die Österreicher kennen es nicht. Zweimal die Woche spiele ich in der Schule Fußball, am Donnerstag spiele ich mit Österreichern Volleyball.

...

F: Wer ging in die Moschee zum Koranunterricht?

A. Ich.

F: Gingen da alle Kinder, nur die Buben? Wer?

A: Es waren Jungs aus dem Dorf, es waren ca. 13-14. Der Mullah hat vor allem uns jüngere versucht zu überreden.

F: Wie alt waren die Kinder? Wer waren die Jüngeren?

A: Es waren ungefähr drei oder vier weitere, ich war ca. 16 Jahre alt und die anderen waren so 14-15.

F: Wie alt waren die Älteren?

A: 17-18 Jahre alt.

F: Waren nur drei bis vier zwischen 14-16 und die anderen zehn waren 17 oder 18 Jahre alt?

A: Ja, ungefähr, die Älteren waren neun oder zehn.

F: Von wann bis wann war dieser Unterricht?

A: Ungefähr von 14:00 bis 15:00 oder 15:30.

F: Wann haben die Rekrutierungsversuche begonnen?

A: Ungefähr eine Woche, bevor ich es meinem Vater erzählt habe.

F: Wie hat sich die Rekrutierung durch den Mullah abgespielt?

A: Zuerst haben wir gelernt und anschließend sagte er, dass die Zeit gekommen wäre, dass wir uns ihm anschließen und ihm helfen müssen.

F: Wie läuft der Koranunterricht ab? Könnten Sie mir das etwas plastischer schildern?

A: In der Regel werden einzelne Verse vom Mullah vorgelesen und von ihm übersetzt.

F: Und die Jugendlichen sitzen alle dort und hören sich das alle an.

A: Wir sind alle in einem Raum gesessen und der Mullah holt dann immer einzelne nach vor. Er liest uns das vor und wir müssen es wiederholen.

F: Die anderen hören sich das an oder kriegen sie es nicht mit?

A: Sie sitzen dort, aber sie lernen selber.

F: Wie lernen sie das selber?

A: Das, was sie bereits wissen, lernen sie auswendig.

F: Wie kam es dann zur konkreten Rekrutierung?

A: Nach dem Unterricht hat der Mullah die Älteren schon gehen lassen und er hat sich noch mit uns befasst und gesagt, dass jetzt die Zeit wäre, um in den Jihad zu ziehen.

F: Wann wurde der Mullah verhaftet?

A: Der Mullah hat uns gesagt, dass wir es nicht erzählen sollen, das habe ich auch nicht gemacht, weil ich Angst hatte. Aber ich habe dann meinem Vater davon erzählt und dann wurde er verhaftet.

F: Wie lange, nachdem Sie es Ihrem Vater erzählt haben, kam es zur Verhaftung?

A: Ungefähr einen Tag später.

F: Was soll "ungefähr ein Tag" sein?

A: Es war am nächsten Tag, ich habe es am sechsten Tag meinem Vater gesagt und am siebten Tag wurde der Mullah verhaftet.

F: Wie heißt der Mullah?

A: Wir nannten ihn Mullah, er hieß aber XXXX .

F: Woher war er?

A: Er hat in (meinem Heimatdorf) gelebt. Nachgefragt gebe ich an, dass er auch aus (meinem Heimatdorf) stammt, wir wussten aber nicht, dass er mit den Taliban zu tun hat.

F: Wie oft in der Woche gingen Sie in den Koranunterricht?

A: Fünfmal die Woche.

F: Hat es in den Folgetagen nach der ersten Rekrutierung ähnliche Versuche gegeben?

A: Ja, jeden Tag, immer ein wenig. Er hat uns auch gesagt, wir sollen es zuhause nicht sagen, das würde uns schaden.

F: Haben Sie darüber nachgedacht, nicht mehr hinzugehen?

A: Ich hatte große Angst und der Mullah hat uns auch gezwungen, dass ich in die Moschee gehe. Nach einigen Tagen hat mein Vater auch gemerkt, dass ich sehr ängstlich bin. Nachgefragt gebe ich an, dass er uns gezwungen hat, indem er sagte, dass wir kommen müssten, sonst würde es uns schaden.

F: Sind alle Jugendlichen zwischen 14-18 Jahren zum Unterricht gegangen?

A: Ja, aber nachdem ich meinem Vater das erzählt habe, ging ich nicht mehr aus dem Haus, danach weiß ich nichts.

F: Was meinen Sie damit, dass Sie nicht mehr aus dem Haus gingen?

A: Meine Familie hatte Angst, dass mir etwas passiert. Nachdem der Mullah verhaftet wurde und wir Drohungen bekamen, ging ich nicht mehr aus dem Haus.

F: Wann haben die Drohungen nach der Verhaftung begonnen?

A: Zwei Tage nach der Verhaftung.

F: Und in diesen beiden Tagen waren Sie auch schon zuhause?

A: Ja.

F: Warum?

A: Aus Vorsicht, damit mir nichts passiert.

V: Sie haben vorhin gemeint, dass Sie nicht gewusst hätten, dass er noch andere Verbündete hat. Dann hätte für sie doch keine Gefahr bestanden.

A: Die ersten beiden Tage war ich unter Schock und hatte Angst. Nach den Drohungen wollte die Familie nicht mehr, dass ich hinausgehe.

F: Wie haben sich die weiteren Drohungen abgespielt?

A: Es waren Briefe. Mein Vater hat diese bekommen. Er hat mir nicht genau gesagt, was drinnen steht.

F: Was hat er Ihnen erzählt?

A: Er hat mir gesagt, dass ich nicht weiter in Afghanistan bleiben kann, weil mein Leben in Gefahr ist, mehr hat er mir nicht gesagt.

F: Wie kommen Sie dann darauf, dass man Sie rekrutieren möchte?

A: Mein Vater hat es gesagt, er meinte, da einer von ihnen wegen uns inhaftiert wurde, müsste ich jetzt mit ihnen zusammenarbeiten.

F: Was hat Ihnen Ihr Vater genau erzählt?

A: Mein Vater hat mir gesagt, dass mein Leben in Gefahr ist, außerdem, dass diese Leute zu dem Mullah gehören und dass sie wollen, dass ich mit ihnen zusammenarbeite. Und dass der Mullah bereits verhaftet wurde und sie mich deshalb fassen wollen, damit ich mit ihnen zusammenarbeite.

V: Ich verstehe nicht, weshalb man weiterhin versuchen sollte, Sie zu rekrutieren. Sie haben den ersten, der es versuchte, an die Regierung verraten, warum sollte man es neuerlich versuchen?

A: Erstens, weil der Mullah wegen uns inhaftiert wurde, deshalb müsste ich mit ihnen mitgehen. Ich hatte ein ganz normales Leben in Afghanistan und war glücklich.

F: Was hätten Sie für die Taliban tun sollen?

A: Ich hätte das tun müssen, was sie mir gesagt hätten. Egal, was es gewesen wäre, ich hätte es tun müssen.

F: Was glauben Sie, was Sie hätten machen müssen?

A: Ich hätte in den Jihad ziehen müssen, und das bedeutet, dass ich unschuldige Leute umbringe, Anschläge verübe.

V: Warum kann Ihr Vater weiterhin in dem Dorf leben? Er war es doch, der den Mullah beim Militär angezeigt hat. Müsste nicht er viel gefährdeter sein als Sie?

A: Ich war das eigentliche Ziel, sie wollten ja nicht meinen Vater rekrutieren. Er war auch gefährdet, aber nicht so wie ich.

F: Warum sollte man Sie rekrutieren?

A: Weil ich sehr jung war und sie Jüngere rekrutieren.

V: Das trifft vermutlich auf ein paar Millionen Afghanen zu. Warum sollte man Sie rekrutieren?

A: Ich bin ja nicht der einzige, den die Taliban versuchen zu rekrutieren. Ich war auch bei uns nicht der einzige, wir waren ja zu dritt oder viert in der Moschee.

...

Rechtsvertreter: Sie haben bei den Ja/Nein-Fragen angegeben, dass Sie keine Probleme mit Privatpersonen hatten. Haben Sie die Taliban nicht als Privatpersonen gesehen?

A: Ich habe die Taliban nicht als Privatpersonen gesehen. Es sind Terroristen. Auf Nachfrage gebe ich an, dass, wenn man die Taliban als Privatpersonen bezeichnen würde, dann hätte ich Probleme mit den Taliban.

...

B) Beweismittel

Die Behörde zog die folgenden Beweismittel heran:

Von Ihnen vorgelegte Beweismittel:

Entscheidungsgrundlage Hilfeleistung der Stadt ...;

Vereinbarung zwischen Ihnen und der Stadt ... vom 05.01.2018;

Betreuungsvereinbarung vom 05.01.2018;

Vollmacht ...;

Schreiben des Kulturvereins ...;

Empfehlungsschreiben;

Schulbesuchsbestätigung;

Teilnahmebestätigungen für diverse Kurse;

Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit;

ÖSD-Zertifikat A2;

Stellungnahme vom 19.03.2018.

...

C) Feststellungen

Der Entscheidung liegen folgende Feststellungen zugrunde:

Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht nicht fest. Sie sind Staatsangehöriger von Afghanistan, gehören dem moslemisch-sunnitischen Glauben und der Volksgruppe der Paschtunen an. Sie stammen aus der Provinz Laghman. Sie haben mehrere Jahre die Schule besucht. Sie leiden an keiner schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Nicht festgestellt werden konnte, dass Ihnen von Seiten der Anhänger des Mullahs XXXX eine Gefahr droht. Festgestellt wird, dass Sie in Afghanistan weder vorbestraft noch inhaftiert waren oder Probleme mit den Behörden haben. Auch bestehen keine Fahndungsmaßnahmen gegen Sie und Sie waren weder politisch tätig noch Mitglied einer Partei. Auch aus den sonstigen Umständen konnte eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung nicht festgestellt werden.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sind. Nicht festgestellt werden kann, dass Sie im Fall der Abschiebung nach Afghanistan im Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es liegt in Ihrem Fall eine relevante Gefährdungslage in Bezug auf die Provinz Laghman - nicht aber Afghanistan allgemein - vor. Die Sicherheitslage in Kabul ist ausreichend sicher. Kabul verfügt über einen Flughafen. Sie können Kabul erreichen, ohne einer besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Ihre Familie kann Sie auch von Laghman aus unterstützen.

Sie sind ein junger, arbeitsfähiger Mann. Sie können daher Ihren Lebensunterhalt bei Ihrer Rückkehr durch Arbeitsaufnahme in Kabul bestreiten, zudem wäre es Ihnen auch zumutbar, wenn auch vorübergehend, mit Gelegenheitsarbeiten Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Es konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Afghanistan dort einer realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung oder der Gefahr der Folter ausgesetzt sind bzw. Ihr Leben auf sonstige Weise gefährdet wäre.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie haben keine Verwandten oder sonstigen Angehörigen in Österreich. Sie befinden sich seit April 2016 in Österreich. Sie befinden sich in Österreich in Grundversorgung. Sie werden weiterhin von der Stadt ... unterstützt. Sie haben bereits Deutsch gelernt. Sie haben in Österreich die Schule besucht. Sie haben mehrere Kurse besucht. Sie spielen in Österreich Cricket und Volleyball. Sie haben ehrenamtlich gearbeitet. Sie sind strafrechtlich unbescholten.

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

Kurzinformation vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul ...

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2018

Am Montag, den 29.1.2018, attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnte. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Experten sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag, den 27.1.2018, ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen genannt (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer und vier Afghanen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u. a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

Quellen:

Asia Pacific (30.1.2018): Taliban and IS create perfect storm of bloodshed in Kabul ...;

BBC (29.1.2018): Kabul military base hit by explosions and gunfire

...;

BBC (24.1.2018): Save the Children offices attacked in Jalalabad, Afghanistan ...;

BBC (21.1.2018): Kabul: Afghan forces end Intercontinental Hotel siege ...;

DW - Deutsche Welle (21.1.2018): Taliban militants claim responsibility for attack on Kabul hotel ...;

NYT - The New York Times (28.1.2018): Attack Near Kabul Military Academy Kills 11 Afghan Soldiers ...;

NYT - The New York Times (21.1.2018): Siege at Kabul Hotel Caps a Violent 24 Hours in Afghanistan;

Reuters (28.1.2018): Shock gives way to despair in Kabul after ambulance bomb ...;

Reuters (24.1.2018): Islamic State claims attack on Jalalabad in Afghanistan ...;

Reuters (20.1.2018): Heavy casualties after overnight battle at Kabul hotel ...;

The Guardian (29.1.2018): Afghanistan: gunmen attack army post at Kabul military academy ...;

The Guardian (28.1.2018): 'We have no security': Kabul reels from deadly ambulance bombing ...;

The Guardian (27.1.2018): Kabul: bomb hidden in ambulance kills dozens ...;

The Guardian (24.1.2018): Isis claims attack on Save the Children office in Afghanistan ...

Kurzinformation vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 ...

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierenden Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilisten und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurückzuführen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen, um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurden in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilisten

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilisten um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilisten um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilisten fielen Selbstmordattentaten sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017).

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannte sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina in der westlichen Provinz Ghor wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: Je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurden im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: Ein militärisches Gelände, eine Polizeistation und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte, in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf die Angreifer überwältigen. Der IS bekannte sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017).

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele veranlassten die afghanische Regierung, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: Landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierten die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnte großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihren Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben: Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um 3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurden die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin, von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich, kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen, und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften, die Taliban zurückzudrängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriffen auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe, zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten, hielt das die Gruppierungen nicht davon ab, ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

Quellen:

al Jazeera (20.10.2017): Deadly attacks hit mosques in Kabul and Ghor ...;

BBC (31.10.2017): Kabul Green Zone attacked by suicide bomber ...;

BBC (21.10.2017): Afghan suicide mosque attacks kill scores of worshippers ...;

BS - Business Standard (24.11.2017): Key Haqqani network leader among dozens killed in Afghanistan ...;

Guardian (7.11.2017): Kabul TV station defiantly resumes broadcasting moments after Isis attack ends ...;

Handelsblatt (20.12.2017): Afghanistan stürzt in politische Krise

...;

KUNA - Kuwait News Agency (15.12.2017): Security operations kill 12 rebels in Afghanistan ...;

Independent (20.10.2017): Kabul attack: Isis claims responsibility for Shia mosque suicide bombing killing at least 30 in Afghan capital ...;

INSO - International NGO Safety Organisation (o.D.): Afghanistan - Total incidents per month for the current year to date ...;

INSO - The International NGO Safety Organisation (2017): Afghanistan - Gross Incident Rate ...;

NYT - The New York Times (11.12.2017): Hunting Taliban and Islamic State Fighters, From 20,000 Feet ...;

NYT - The New York Times (7.11.2017): A Leading Afghan TV Station Is Attacked in Kabul ...;

NYT - The New York Times (20.10.2017): Twin Mosque Attacks Kill Scores in One of Afghanistan's Deadliest Weeks ...;

NZZ - Neue Züricher Zeitung (18.12.2017): Palastintrige in Kabul

...;

Pajhwok (1.12.2017): 31 militants eliminated in security operations, says MoD ...;

Reuters (1.12.2017): Islamic State seizes new Afghan foothold after luring Taliban defectors ...;

Reuters (23.11.2017): Islamic State beheads 15 of its own fighters:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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