TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/14 W261 2213759-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

14.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2213759-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin Gastinger, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Noah Sozialbetriebe GmbH, Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 13.12.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 10.04.2019 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis 14.05.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Gang des Verfahrens:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 15.01.2018 in die Republik Österreich als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling gemeinsam mit seinem ebenfalls mj. Bruder, XXXX , geb. XXXX , IFA Zl. XXXX , ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 15.01.2018 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und eines Rechtsberaters an, dass er aus der Provinz Nangarhar stamme, und sein Vater für eine staatliche Behörde gearbeitet und zwei Drohbriefe erhalten habe. Darin sei gestanden, dass er seine Arbeit aufgeben solle, falls er dies nicht mache, würden seine Söhne entführt und getötet werden. Aus diesem Grund habe sein Vater ihn auf die Reise geschickt.

Aufgrund von Zweifeln am Alter des BF veranlasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) eine Bestimmung des Knochenalters des BF. In dem aufgrund der Untersuchung des BF erstellten Befundes Dris. XXXX vom 31.01.2018 liege beim BF das Ergebnis Schmeling 3. GP25. vor. Damit würden sich die Angaben des Alters des BF bestätigen.

Am 27.11.2018 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor der belangten Behörde im Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin der NOAH Sozialbetriebe GmbH und einer Vertrauensperson, sowie eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu. Er gab an, er habe bei seinen Eltern gewohnt und habe drei Jahre lang die Schule besucht. Er habe keine Berufsausbildung und auch keine Berufserfahrung. Sein Vater arbeite für das Bildungsministerium in Nangarhar, und die Familie lebe nach wie vor in deren Heimatort. Er wiederholte im Wesentlichen das Fluchtvorbringen, das er schon bei seiner Erstbefragung ausgeführt hatte. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Seine gesetzliche Vertreterin gab am 11.12.2018 eine Stellungnahme zum Ergebnis der Ersteinvernahme ab, wonach die von der belangten Behörde vorgelegten Länderinformationen zu den Taliban zu ungenau seien, um sinnvoll dazu Stellung nehmen zu können. Es werde angeregt, vertiefte Länderinformationen heranzuziehen. Der BF legte mit dieser Stellungnahme weitere Integrationsunterlagen vor.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Der BF könne zwar aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht in seine Herkunftsprovinz Nangarhar zurückkehren, es bestehe für ihn jedoch eine taugliche innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in der Stadt Herat. Der BF habe auch Familienmitglieder in Afghanistan und könne zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten. Auch seinem Bruder werde weder der Status des Asylberechtigten, noch des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden, ebenso wenig werde ihm eine Aufenthaltsberechtigung erteilt werden, vielmehr werde auch dieser eine Rückkehrentscheidung erhalten.

Der BF erhob mit Eingabe vom 16.01.2019 durch seine gesetzliche Vertreterin gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass der BF erst 14 Jahre alt sei, und der Aufenthaltsort der Eltern des mj. BF in Nangarhar sei. Die belangte Behörde habe die Minderjährigkeit des BF gänzlich außer Acht gelassen. Allfällige Unstimmigkeiten beim Vorbringen des BF seien auf sein kindliches Alter zurückzuführen, so sei der BF zum Zeitpunkt der Einreise erst ca. 12 Jahre alt gewesen. Dies hätte die belangte Behörde bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen des BF zu seinem Fluchtvorbringen zu berücksichtigen gehabt. Insbesondere sei das Ausmaß der individuellen Gefährdung des BF nach wie vor ungeklärt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht, da es dem BF mit 14 Jahren nicht zumutbar sei, sich in Herat neu anzusiedeln, dies gelte auch für den Fall, dass er von seinem ebenfalls minderjährigen, 16 Jahre alten Bruder, begleitet werde. Die belangte Behörde habe auch bei der Frage der Gewährung des subsidiären Schutzes die Frage des Alters des BF gänzlich außer Acht gelassen. Es würden im angefochtenen Bescheid jegliche Feststellungen zur Situation im Falle einer Rückkehr eines Minderjährigen in die Stadt Herat fehlen. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und habe demgemäß die unrichtigen rechtlichen Schlüsse gezogen. Es werde beantragt, der Beschwerde Folge zu geben, und dem BF Asyl, in eventu subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und die Rückkehrentscheidung bzw. die Abschiebung nach Afghanistan auf Dauer für unzulässig zu erklären, in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben, und die Asylsache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 29.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Die Landespolizeidirektion Oberösterreich übermittelte eine Sachverhaltsdarstellung, wonach der BF in der Zeit vom 11.02.2019 bis 14.02.2019 von seiner Unterkunft abgängig gewesen sei.

Die belangte Behörde übermittelte dem BVwG mit Nachricht vom 25.02.2019 einen Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 22.02.2019, wonach der BF am 17.02.2019 um 00:15 Uhr in einen Vorfall verwickelt gewesen sei, und gegen ihn wegen des Verdachtes der schweren Nötigung ermittelt werde.

Der BF gab durch seine gesetzliche Vertreterin mit Eingabe vom 05.04.2019 eine umfangreiche Stellungnahme zu Länderinformationen zu Afghanistan ab.

Das BVwG führte am 09.04.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 15.01.2018 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Aus dem vom BvWG am selben Tag eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Das BVwG führte am 10.04.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seines Vertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 26.03.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018, Auszüge aus den aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018, den Landinfo report Afghanistan zum Thema "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 28.07.2016 zum Thema "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, die Noah Sozialbetriebe GmbH, führte in seiner Stellungnahme vom 24.04.2019 im Wesentlichen aus, dass eine Rückkehr für den minderjährigen BF nach Afghanistan und vor allem in seine Heimatprovinz Nangarhar aufgrund der Bedrohungs- und schlechten Sicherheitslage absolut ausgeschlossen sei. Eine IFA sei aufgrund fehlender familiärer Anknüpfungspunkte, sowie fehlender sozialer Netzwerke und seiner Minderjährigkeit absolut unmöglich.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der mj. BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , im Dorf XXXX , im Distrikt Surkhrod, in der Provinz Nangarhar, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Moslem, gesund und ledig. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Der BF ist Zivilist.

Der mj. BF wuchs in seinem Heimatdorf im Kreis seiner Familie auf.

Der mj. BF besuchte drei Jahre lang die Schule.

Der Vater des BF heißt XXXX , er ist ca. 42 Jahre alt. Seine Mutter heißt XXXX , sie ist ca. 40 Jahre. Der BF hat Geschwister, vier Brüder und drei Schwestern. Die Eltern und die Geschwister des BF, mit Ausnahme seines Bruders XXXX , leben nach wie vor im Heimatdorf des BF. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie.

Der Vater des mj. BF ist als Fahrer für das afghanische Bildungsministerium tätig. Die Mutter des mj. BF ist Hausfrau.

Die Familie des mj. BF ist Eigentümerin eines Hauses in der Ortschaft XXXX .

Der mj. BF hat zwei Onkel väterlicherseits und vier Onkel mütterlicherseits. Von den Onkeln mütterlicherseits leben drei in Kabul, ein Onkel mütterlicherseits verstarb vor einigen Monaten. Von den Onkeln väterlicherseits lebt ein Onkel in Kabul und ein Onkel in Pakistan.

Der mj. BF reiste im Herbst 2017 aus Afghanistan aus und gelangte über den Iran, die Türkei über Bulgarien und weitere Staaten nach Österreich, wo er am 15.01.2018 illegal einreiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, ist nicht glaubhaft.

Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der BF wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische und/oder physische Gewalt von staatlicher Seite, und/oder von Aufständischen, und/oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Jänner 2018 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF besuchte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau A1, und verfügt über geringe Kenntnisse der deutschen Sprache. Er besucht in Österreich die Neue Mittelschule XXXX . Der BF hat in Österreich einen Bruder, XXXX , geb. XXXX , IFA Zl. XXXX mit welchem er in einer gemeinsamen Flüchtlingsunterkunft lebt. Auch sein Bruder hat vor dem BVwG ein Beschwerdeverfahren anhängig, über welches noch keine Entscheidung getroffen wurde. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Dem mj. BF ist eine Rückkehr und (Wieder-)Ansiedlung in ihre Herkunftsprovinz Nangarhar aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich, eine Neuansiedlung in eine andere Provinz Afghanistans ist dem mj. BF aufgrund seiner individuellen Umstände nicht zumutbar. In Afghanistan befinden sich zwar Onkel mütterlicherseits und Onkle väterlicherseits, die zum Großteil in Kabul leben, es besteht jedoch kein Kontakt mit diesen Verwandten. Auch die Stadt Kabul ist für Zivilisten, insbesondere für Minderjährige, nicht hinreichend sicher, um nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen zu müssen, dass der mj. BF dort Opfer von willkürlicher Gewalt werden könnte.

Der mj. BF ist als Minderjährige besonders vulnerable Personen. Er läuft im Falle einer Rückkehr Gefahr, Opfer von Zwangsarbeit und Ausbeutung zu werden. Der mj. BF ist zum Zeitpunkt der Entscheidung 15 Jahr alt und hat bisher keinerlei Berufserfahrung gesammelt. Bedingt durch seine Minderjährigkeit wird es für ihn, im Vergleich zur übrigen dort lebenden Bevölkerung, ungleich schwieriger sein, eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu finden, und sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.

Die bei dem mj. BF vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan Fuß zu fassen, und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefen der mj. BF vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 26.03.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018, im Landinfo Report Afghanistan zum Thema "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 und in Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 28.07.2016 zum Thema "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.5.1.1 Herkunftsprovinz Nangarhar

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden. Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.573.973 geschätzt.

Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar.

Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion (UNODC 11.2017).

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert; Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten. Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war. In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen. Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt. Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt.

Im Zeitraum 01.01.2017 bis 30.04.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. So war Nangarhar die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz, wobei zu diesen mehrere südliche Distrikte gezählt werden. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren. Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium. In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden.

Die Provinz Nangarhar zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass im Einzelfall nur minimale Teilvoraussetzungen erfüllt sein müssen, um berechtigten Grund für die Annahme zu liefern, dass Zivilisten, welche in die betreffende Provinz rückgebracht würden, eine reele Gefahr, ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen, zu gewärtigen hätten.

1.5.1.2 Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt, die Stadt, in der Verwandte des mj. BF leben. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt.

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. In den letzten Jahren kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich.

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Die Provinz Kabul zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

Laut der aktuellen UNHCR Richtlinie vom 30.08.2019 ist aufgrund der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar.

1.5.2 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.5.3 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.

1.5.4 Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch der BF ist.

1.5.5 Kinder und Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern. Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren.

Kinder, vor allem Buben, sind als Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt. In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen. Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt.

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg. Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Kinderarbeit bleibt daher ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt.

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt. Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5.2018).

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet.

Die Lebensbedingungen für Kinder in Waisenhäusern sind schlecht. Berichten zufolge sind 80% der Kinder zwischen vier und 18 Jahren in den Waisenhäusern keine Waisenkinder, sondern stammen aus Familien, die nicht die Möglichkeit haben, für Nahrung, Unterkunft und Schulbildung zu sorgen. Quellen zufolge werden Kinder in Waisenhäusern mental, physisch und sexuell misshandelt; auch sind sie manchmal Menschenhandel ausgesetzt. Der Zugang zu fließendem Wasser, Heizung, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Freizeiteinrichtungen und Bildung wird nicht regelmäßig gewährleistet.

Mit dem Begriff "unbegleitete Minderjährige" werden Personen bezeichnet, die unter 18 Jahre alt sind bzw. das nationale Volljährigkeitsalter nicht erreicht haben und getrennt von ihren Eltern bzw. ohne die Obhut eines Vormundes leben.

Ca. 58% der nach Afghanistan zurückkehrenden Jugendlichen sind minderjährig. Besonders gefährdet sind aus dem Iran kommende unbegleitete Minderjährige, deren Anzahl im Jahr 2017 auf ca. 2.000 geschätzt wurde. Schätzungen zufolge waren ungefähr 15% der aus dem Iran zurückgeführten Afghanen zum Zeitpunkt ihre Rückkehr zwischen 15 und 17 Jahre alt, dennoch gab es auch einige Zehnjährige darunter. Die Rückkehr ist oft nicht freiwillig und zahlreiche Heimkehrer sind unbegleitete Buben, die willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt sind. Schätzung von IOM zufolge ist die Anzahl der nach Afghanistan zurückkehrenden unbegleiteten Minderjährigen von 2.110 im Jahr 2015 auf 4.419 im Jahr 2017 gestiegen.

Einer Aussage des Direktors der Afghanistan Migrants Advice and Support Organisation aus dem Jahr 2015 zufolge gibt es in Afghanistan keine auf UMF spezialisierten Reintegrationsprogramme. Wegen der hohen Zahl an Rückkehrern und Rückkehrerinnen beschränken sich die Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen auf die Bereitstellung von Grundversorgungsdiensten wie Unterkunft, Essen und Transport. Unbegleitete Minderjährige werden durch Vormundschaftsvereinbarungen von IOM versorgt. Kinder sind gefährdet, sexuell durch Mitglieder der Sicherheitskräfte missbraucht zu werden.

Quellen zufolge entscheidet meist der weitere Familienkreis, ein minderjähriges Familienmitglied nach Europa zu schicken. Ohne familiäre Unterstützung wäre es dem Minderjährigen meistens gar nicht möglich, die Reise nach Europa anzutreten; dies ist eine wichtige Netzwerkentscheidung, die u.a. die Finanzen der Familie belastet. Jedoch gibt es auch Fälle, in denen der Minderjährige unabhängig von seiner Familie beschließt, das Land zu verlassen und nach Europa zu reisen. Meist sind dies junge Leute aus gebildeten, wohlhabenden Familien. Dies wird oft durch den Kontakt zu Freunden und Bekannten im Ausland, die über soziale Medien ein idealisiertes Bild der Lebensbedingungen in Europa vermitteln, gefördert. Eine größere Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen ist auf der Suche nach Arbeit in den Iran, nach Pakistan, Europa und in urbane Zentren innerhalb Afghanistans migriert; viele von ihnen nutzten dafür Schlepperdienste.

1.5.6 Taliban und Aufständische

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Mitarbeiter der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Personen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Namen, zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Muttersprache, zum Familienstand, zu den Aufenthaltsorten seinem Leben in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seiner Ausreise aus Afghanistan gründen sich auf seine diesbezüglichen Angaben im gegenständlichen Verfahren. Die Angaben sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen plausibel. Die hierzu getätigten Angaben waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei. Das BVwG sieht keine Veranlassung, an diesen Aussagen des mj. BF zu zweifeln.

Die Reiseroute, der Zeitpunkt des Verlassens Afghanistans, der Zeitpunkt der Einreise in Österreich und der Zeitpunkt der Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2 Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Es wird seitens des BVwG unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. hierzu u.a. VwGH 06.09.2018, 2018/18/0150) nicht verkannt, dass der BF zum Zeitpunkt der von ihm geschilderten Ereignisse noch minderjährig war bzw. weiterhin ist und die geschilderten Ereignisse bereits mehrere Jahre zurückliegen. Dennoch geht die zur Entscheidung berufene Richterin des BVwG auf Grund ihres in der mündlichen Verhandlung erhaltenen persönlichen Eindrucks, der im Akt einliegenden niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde sowie der Ersteinvernahme des mj. BF davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens (betreffend die Gefahr, aufgrund der Tätigkeit seines Vaters für die Regierung von den Taliban verfolgt und getötet zu werden) keine Glaubwürdigkeit zukommt:

Der Vater des mj. BF ist als Fahrer für das Afghanische Bildungsministerium tätig. Wie den Länderberichten zu entnehmen ist, könnte der Vater des mj. BF als Mitarbeiter der Afghanischen Regierung grundsätzlich ins Visier der Taliban geraten. Dass die Taliban dem Vater des BF gedroht haben, seine Arbeit niederzulegen ist daher im Lichte der Länderinformationen zwar grundsätzlich möglich, im gegenständlichen Fall jedoch aufgrund der vagen und unplausiblen Schilderungen des mj. BF nicht glaubhaft: Der mj. BF bestätigte in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG, dass sein Vater nach wie vor für die Regierung arbeitet (vgl. S 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 10.04.2019) und seine Eltern, drei Brüder und drei Schwestern weiterhin unbehelligt im Heimatdorf leben (vgl. S 6 und 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 10.04.2019). Vor der belangten Behörde gab der mj. BF jedoch ebenso an, dass in seinem Dorf die Taliban an der Macht seien (vgl. S 6 der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 27.11.2018 "Die Polizei kann nichts machen, in unserem Dorf sind nur die Taliban."). Da keine Hinweise vorliegen, dass der Vater oder der Rest der Familie derzeit gefährdet sind, obwohl der Vater weiterhin für die Regierung arbeitet, ist eine Verfolgung des Vaters durch die Taliban nicht plausibel.

Der mj. BF versuchte das Nichtbestehen einer Verfolgung des Vaters in der Beschwerdeverhandlung insoweit zu relativieren, dass sein Vater nur sehr selten nach Hause komme, da er ein Zimmer in der Stadt Jalalabad habe. Diese Erklärung vermag jedoch nicht zu überzeugen, da sein Vater einerseits trotzdem weiterhin im Heimatdorf lebt und zumindest zeitweise anzutreffen ist, andererseits im Falle einer tatsächlichen Verfolgung durch die Taliban auch in Jalalabad gefunden werden könnte, zumal der BF selbst angab, die Taliban seien "überall in Afghanistan, in Kabul, in Nangarhar." (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 10.04.2019). Darüber hinaus widerspricht der mj. BF damit seinen eigenen Angaben vor der belangten Behörde, wonach sich das Zimmer seines Vaters in der Stadt Nangarhar befinde (vgl. S 7 der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 27.11.2018). Auf weitere Nachfrage, warum der mj. BF, welcher nicht unmittelbar Ziel der Drohung durch die Taliban war, Verfolgung zu befürchten habe, wenn auch seinem Vater nichts passiert, obwohl dieser der angeblichen Aufforderung der Taliban, seine Tätigkeit aufzugeben, nicht nachgekommen ist, konnte der der mj. BF keine plausible Erklärung bieten (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung BF: "Mein Vater kann seinen Job nicht aufgeben, was kann er sonst machen?" "RI: "Ihm ist in den letzten Jahren auch nichts passiert, die Taliban wollen ja primär Ihren Vater und nicht Sie." BF: "Ich weiß es nicht.")

Das Vorbringen gewinnt auch durch die in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten und übersetzten Drohbriefe nicht an Glaubhaftigkeit. Der dem mj. BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausgehändigten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" vom 28.07.2016 zufolge können gefälschte Drohbriefe für etwa US$ 1.000 gekauft werden. Den Quellen kann auch entnommen werden, dass die Taliban es größtenteils aufgegeben haben, mit Drohbriefen vorzugehen. Auch der Umstand, dass die beiden vorgelegten Briefe nahezu denselben Inhalt und idente Formulierungen aufweisen, wird als Indiz dafür angesehen, dass es sich bei diesen Drohbriefen um Fälschungen handelt, die dazu dienen sollen, das Fluchtvorbringen des mj. BF zu untermauern.

Selbst bei Annahme einer tatsächlichen Bedrohung seines Vaters konnte der mj. BF keine gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgung glaubhaft machen. Der mj. BF war bei seiner Flucht etwa 12 Jahre alt und bis dahin in Afghanistan Schüler; als Zivilist war er somit in keiner exponierten Position. Abgesehen von den beiden Drohbriefen verneinte er sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem BVwG persönlich bedroht worden zu sein. Vor dem Hintergrund des Landinfo-Berichts betreffend das Vorgehen der Taliban bei der Einschüchterung von Zielpersonen (vgl. die Arbeitsübersetzung "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017) haben die Taliban klare Zielgruppen, in welche zwar der Vater des mj. BF als "Regierungsbeamter und Mitarbeiter westlicher und anderer 'feindlicher' Regierungen" fallen würde, nicht jedoch der mj. BF selbst. Gelegentlich werden zwar auch Familienangehörige zu Zielpersonen, im Fall des mj. BF gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, gab er doch selbst an, abgesehen von den nicht glaubhaften Drohbriefen, persönlich nicht bedroht worden zu sein.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist daher nicht davon auszugehen, dass dem mj. BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch die Taliban drohen.

2.3 Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Feststellungen zu ihrer Antragstellung, ihren Aufenthaltstiteln in Österreich und zu den Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus den eingeholten Auszügen aus dem Betreuungsinformationssystem vom 09.04.2019.

Die Feststellungen zu den Schulbesuchen und ihrem Privatleben beruhen auf den glaubhaften Angaben des mj. BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und auf die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten unbedenklichen Integrationsunterlagen.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des mj. BF ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug vom 09.04.2019.

2.4 Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat (innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative)

Die Feststellungen zur Rückkehr des mj. BF nach Afghanistan ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung der vom mj. BF in seiner Beschwerde und in seinen Stellungnahmen zur Gefährdungslage in Afghanistan diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den von ihm im Rahmen des Verfahrens glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

Eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Nangarhar ist dem mj. BF aufgrund der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage nicht möglich, wie dies auch die zitierten EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 bestätigen.

Der BF ist als Minderjähriger ohne Berufserfahrung, dem eine Rückkehr in seine Heimatprovinz aufgrund der schlechten Sicherheitslage nicht möglich ist, als besonders vulnerable Person anzusehen. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde ist es ihm daher aufgrund seiner individuellen Situation nicht möglich, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, insbesondere ist es dem mj. BF nicht zumutbar, in eine ihm völlig fremde Stadt, Herat, als Minderjähriger ohne jegliches familiäre oder soziale Netzwerk zurückzukehren. Wie der BF selbst angibt, hat er Onkel in Kabul, jedoch erlaubt in diesem speziellen Einzelfall die gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul keine Neuansiedlung des mj. BF in der Stadt Kabul. Im Hinblick darauf, dass er als Minderjähriger nach den zitierten Länderinformationen ohnehin besonders gefährdet für Kinderarbeit und Ausbeutung ist, ist es ihm nicht zuzumuten, nach Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative zurückzukehren.

Der mj. BF würde, wie dies auch die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationen belegen, bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Der mj. BF wird in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Lebensgrundlage vorfinden, die es ihm ermöglichen wird, die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz zu decken.

Beim mj. BF handelt es sich demgemäß eindeutig um eine vulnerable Person, die besonderen Schutzes bedarf.

2.5 Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch Gebrauch gemacht. Jene Länderinformationen, die der mj. BF mit seiner Stellungnahme in der Beschwerdeverhandlung dem BVwG vorlegte, decken sich im Wesentlichen mit den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen. Im Ergebnis lässt sich aus allen in dieses Verfahren eingebrachten Länderinformationen ableiten, dass Minderjährige, die weder ein soziales oder familiäres Netz in Afghanistan und auch keine Berufserfahrung haben, als vulnerable Personen anzusehen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1 Zu Spruchteil A I - Abweisung des Antrages auf internationalen Schutzes laut Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides:

Die maßgeblichen Bestimmungen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) lauten wie folgt:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten