Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §17 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Richard Soyer und Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwälte in Wien I, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 27. Jänner 1997, Zl. MA 61/IV - C 96/96, betreffend Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaftsverleihung und Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 5. Jänner 1995 hat die Wiener Landesregierung dem Beschwerdeführer, einem am 1. Jänner 1957 geborenen türkischen Staatsangehörigen, die Verleihung der Staatsbürgerschaft sowie seiner Gattin und den beiden minderjährigen Kindern die Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 - StbG, BGBl. Nr. 311, zugesichert.
Am 15. Februar 1996 legte der Beschwerdeführer der belangten Behörde die Bewilligung des Innenministeriums der Türkischen Republik zum Austritt aus dem türkischen Staatsverband vor.
Im Zuge der ergänzenden Erhebungen teilte das Bundesministerium für Inneres der belangten Behörde mit, daß der Beschwerdeführer als Aktivist der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gelte und daher Bedenken gegen die Verleihung der Staatsbürgerschaft an diesen bestünden. Über Ersuchen der belangten Behörde , die gegen den Beschwerdeführer bestehenden Verdachtsmomente zu konkretisieren, teilte der Bundesminister für Inneres am 22. August 1996 mit, daß der Beschwerdeführer zufolge vertraulicher Hinweise für die Rekrutierung des Nachwuchses der PKK zuständig sei. Eine weitere Konkretisierung sei nicht möglich. Daraufhin ersuchte die belangte Behörde den Bundesminister für Inneres, bekanntzugeben, von wann die gegen den Beschwerdeführer sprechenden Hinweise stammten und um wieviele Hinweise es sich hiebei handle sowie ob gegen den Beschwerdeführer Ermittlungen durchgeführt würden. Weiters erging die Anfrage, ob "einschlägiges Aktenmaterial" vorhanden sei und der belangten Behörde zur Verfügung gestellt werden könne. Der Bundesminister für Inneres beantwortete dies mit Schreiben vom 29. Oktober 1996 wie folgt:
"Erste Hinweise, wonach der Genannte die Rekrutierung von Jugendlichen für die PKK vorantreibt, ergaben sich im Sommer 1995. Zwei derartige Fälle vom Herbst 1995 und Frühjahr 1996 sind ho. konkret bekannt. Auf diese kann jedoch aus Gründen des Quellenschutzes nicht näher eingegangen werden.
Es kann davon ausgegangen werden, daß Genannter im Bereich Wien zu den engagiertesten Aktivisten der PKK zählt. Bezüglich durchgeführter Ermittlungen wird ausgeführt, daß die gesamte türkisch/kurdisch extremistische Szene einer ständigen Beobachtung unterliegt. ... Die ho. Unterlagen können nicht zur Verfügung gestellt werden, da durch das Bekanntwerden der darin enthaltenen Informationen die weitere Durchführung der ho. Aufgabe erheblich gefährdet wäre."
Der Inhalt dieses Schreibens wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Er erklärte dazu, daß er weder Mitglied noch Aktivist der PKK sei und daher auch nicht die Rekrutierung von Jugendlichen für die PKK vorantreibe. Mangels Konkretisierung der gegen ihn bestehenden Vorwürfe könne er dazu nicht konkret Stellung nehmen.
Mit Bescheid vom 27. Jänner 1997 hat die belangte Behörde die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer und die Zusicherung der Erstreckung der Staatsbürgerschaftsverleihung an die Gattin und die Kinder des Beschwerdeführers gemäß § 20 Abs. 2 StbG widerrufen und den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 und Z. 8 StbG abgewiesen.
In der Begründung gab die belangte Behörde den Inhalt der Mitteilung des Bundesministers für Inneres vom 29. Oktober 1996 wieder und führte aus, daß dem Gedanken des Quellenschutzes im öffentlichen Interesse ein hoher Stellenwert zuzumessen sei. Im Hinblick auf den sich aus der erwähnten Mitteilung des Bundesministers für Inneres ergebenden Sachverhalt könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bilde und eine Verleihung der Staatsbürgerschaft an ihn die Interessen und das Ansehen der Republik Österreich nicht schädigen werde. Die Verleihungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 und Z. 8 StbG seien daher nicht erfüllt.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete, vom Verfassungsgerichtshof unter gleichzeitiger Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluß vom 23. Februar 1998, B 802/97, abgetretene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 20 Abs. 2 StbG ist die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft (Erstreckung der Verleihung) erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden (u.a.) verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet (Z. 6) und nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen oder das Ansehen der Republik schädigen würde (Z. 8).
Gemäß § 37 AVG ist es der Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Das Ermittlungsverfahren ist also auf solche Weise durchzuführen und das Parteiengehör, das zu den fundamentalen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit der Hoheitsverwaltung gehört, so einzuräumen, daß es der Partei ermöglicht wird, ihre Rechte ausreichend wahrzunehmen. Die Partei muß insbesondere in die Lage versetzt werden, die gegen sie erhobenen Vorwürfe durch ein konkretes Gegenvorbringen zu entkräften (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 1997, Zl. 95/01/0051 und die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 2 zu § 37 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Es ist daher mit den ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren tragenden Grundsätzen unvereinbar, einen Bescheid auf Beweismittel zu stützen, die der Partei nicht zugänglich sind (vgl. die bei Walter/Thienel a.a.O., E 320 zu § 45 AVG wiedergegebene hg. Judikatur).
Vorliegend hat die belangte Behörde ihre Ansicht, daß der Beschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 und Z. 8 StbG nicht mehr erfülle, lediglich darauf gestützt, daß der Beschwerdeführer nach Mitteilung des Bundesministers für Inneres in Verdacht stehe, einer der engagiertesten Aktivisten der PKK zu sein und für die Rekrutierung von Jugendlichen als Nachwuchs für diese Organisation zuständig zu sein; "derartige Fälle" vom Herbst 1995 und Frühjahr 1996 seien bekannt.
Da es sich hiebei um Anschuldigungen handelt, die außer durch zwei ungefähre Zeitangaben in keiner Weise konkretisiert wurden, hatte der Beschwerdeführer keine Möglichkeit, ein konkretes Gegenvorbringen zu erstatten. Es ist nämlich nahezu unmöglich, den Beweis darüber zu führen, eine vorgeworfene, nur allgemein umschriebene Aktivität nicht entfaltet zu haben. Ein gegen eine derartige Anschuldigung gerichtetes Vorbringen muß sich - wie das vorliegend vom Beschwerdeführer erstattete - notgedrungen allgemein halten und im wesentlichen darauf beschränken, die Vorwürfe zu bestreiten.
Der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt (Vorliegen einer Verdachtslage gegen den Beschwerdeführer entsprechend der Mitteilung des Bundesministers für Inneres vom 29. Oktober 1996) beruht daher auf einem infolge Beeinträchtigung der grundlegenden Parteienrechte des Beschwerdeführers mangelhaften Ermittlungsverfahren.
Überdies ist dieser Sachverhalt auch zu wenig konkretisiert, um eine Überprüfung der Rechtsansicht der belangten Behörde, die Verleihungshindernisse des § 10 Abs. 1 Z. 6 und Z. 8 StbG seien gegeben, durch den Verwaltungsgerichtshof zu ermöglichen.
Soweit sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf beruft, daß dem Gedanken des "Quellenschutzes" bei staatspolizeilichen Erhebungen ein hoher Stellenwert zukomme und in der Gegenschrift auf die Bestimmung des § 17 Abs. 3 AVG verweist, wonach zur Vermeidung einer Gefährdung von behördlichen Aufgaben Aktenbestandteile von der Einsichtnahme durch die Parteien auszunehmen sind, ist ihr zu entgegnen, daß auch die genannten öffentlichen Interessen nicht dazu führen dürfen, einen Bescheid ausschließlich auf eine nicht konkretisierte Verdachtslage zu stützen, die weder der Partei die Möglichkeit des konkreten Entgegentretens bietet noch eine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zuläßt (vgl. dazu auch die bei Walter/Thienel a.a.O., E 40 zu § 17 AVG, zitierte
hg. Rechtsprechung).
Da das Ermittlungsverfahren somit in einem wesentlichen Punkt mangelhaft geblieben ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 24 Abs. 3 und 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. Jänner 1999
Schlagworte
Sachverhalt Beweiswürdigung Sachverhalt VerfahrensmängelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998010231.X00Im RIS seit
20.11.2000