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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des S in A, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in 4470 Enns, Bräuergasse 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. März 1998, Zl. 200 469/0-IV/10/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 20. März 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Er wurde am 21. März 1997 niederschriftlich einvernommen.
Hiebei gab er an, er stamme aus dem Kosovo, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens.
Der Beschwerdeführer habe im April 1993 den ersten Einberufungsbefehl erhalten. Diesem habe er keine Folge geleistet, weil er nicht an der Front in Bosnien habe kämpfen wollen. Die Polizei habe zu Hause nachgefragt, warum er den Einberufungsbefehl nicht befolgt habe. Der Beschwerdeführer sei bei Verwandten gewesen. Er sei in der Folge noch einige Male gesucht worden, zum Glück aber nie zu Hause gewesen. Am 15. Mai 1996 habe er wieder einen Einberufungsbefehl erhalten. Er habe keine Folge geleistet, weil er aus Erzählungen gehört habe, daß man jetzt bei Nichtbefolgung des ersten Einberufungsbefehles zu zehn Jahren Haft verurteilt werden könne. Auf Vorhalt, daß eine mehrjährige Freiheitsstrafe nur im Falle der Generalmobilmachung verhängt werde, antwortete der Beschwerdeführer, er wisse nicht, zu welcher Strafe er verurteilt würde. Er könne sich nur auf Erzählungen berufen. Den Vorhalt, es habe sich nur um einen Einberufungsbefehl und nicht um eine Ladung zu Gericht gehandelt, stimmte der Beschwerdeführer zu. Er wisse nicht, warum er gesagt habe, er würde zu einer Strafe verurteilt.
Am 1. Juli 1996 hätten er und sein Cousin eine Ladung zur Polizeistation für den nächsten Tag erhalten, in den Ladungen sei kein Grund vermerkt gewesen. Der Beschwerdeführer habe die Ladung auf Grund seines nicht abgeleisteten Militärdienstes nicht befolgt. Sein Cousin habe seinen Militärdienst bereits abgeleistet, weshalb er die Ladung befolgt habe. Er sei des illegalen Waffenbesitzes beschuldigt worden. Nachdem man drei Tage nichts vom Cousin gehört habe, habe der Onkel des Beschwerdeführers Nachschau bei der Polizeistation gehalten. Man habe ihn dort in den Keller geführt, wo er seinen Sohn schwer mißhandelt liegen gesehen habe. Man habe seinem Onkel gesagt, daß er den Revolver seines Sohnes abgeben solle, ansonsten werde man den Cousin des Beschwerdeführers töten. Man habe seinem Onkel gesagt, daß auch der Beschwerdeführer seinen Revolver abgeben solle. Keine der Familien habe aber jemals Waffen besessen. Es sei ein generelles Problem für die Albaner, daß die serbische Polizei Waffen verlange. Der Onkel sei am nächsten Tag wieder hingegangen. Man habe ihm ins Gesicht geschlagen und gesagt, daß man den Beschwerdeführer finden werde. Außerdem werde man den Cousin so lange mißhandeln, bis der Onkel die Waffe abgebe. Der Onkel habe gesagt, daß beide Familien nie Waffen besessen hätten. Trotzdem sei der Cousin nach zwei Tagen freigelassen worden. Er sei so mißhandelt gewesen, daß man nicht einmal sein Gesicht erkennen habe können. Er habe ein Monat lang nicht auf seinen eigenen Füßen stehen können. Man habe ihm mit Wiederholung des Vorganges gedroht, wenn er gesund sei. Die Polizei habe zum Cousin gesagt, daß der Beschwerdeführer nicht den Militärdienst geleistet habe und auch nicht der Ladung zur Polizeistation nachgekommen sei und der Beschwerdeführer daher schwerer mißhandelt werden würde als der Cousin.
Der weitere Inhalt der Niederschrift lautet folgendermaßen:
"Ich begab mich deshalb nach zwei bis drei Tagen zu Verwandten und am 15.3.1997 bin ich geflüchtet.
Frage: Warum erst jetzt"
Antwort:
Ca. eine Woche nach der Freilassung umstellte die Polizei mein Haus und durchsuchte es. Ich war zum Glück nicht zu Hause. Ich besuchte dann - wie auch öfters zwischendurch - meine Mutter zu Hause und erzählte mir das. Sie sagte, daß die Polizisten das ganze Haus durchsuchten und ihr sagten, daß ich derart verprügelt werden würde, daß ich daran sterben werde. Ich bin deshalb erst jetzt geflüchtet, weil ich erst das Geld für die Flucht zusammenbekommen mußte. Im Februar 1997 wurde ich das letzte Mal gesucht. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde ich ca. siebenmal bei meinen Verwandten gesucht. Ich war aber zum Glück auch dort nicht zu Hause, wenn die Polizei kam.
Frage: Nachdem Sie seit Februar 1997 nicht mehr gesucht wurden, warum sind Sie dann überhaupt noch geflüchtet?
Antwort:
Ich wollte meinen Bekannten und Verwandten keine weiteren Schwierigkeiten machen.
Frage: Warum war die Polizei in Ihrem Fall derart hartnäckig?
Antwort:
Weil ich im Kosovo war.
Die Frage wird wiederholt.
Antwort:
Das weiß ich nicht. Sie werden halt zornig gewesen sein, weil sie mich nicht gefunden haben. Sie wollten mich wahrscheinlich genauso mißhandeln wie meinen Cousin.
Frage: Welche Polizeistation haben Sie zu Hause und bei Ihren
Verwandten und Bekannten gesucht?
Antwort:
Es war für alle Wohnorte die Polizeistation LIPJAN zuständig.
Ich möchte nur dann in mein Heimatland zurückkehren, wenn sich die Situation eines Tages bessern sollte."
Die Behörde erster Instanz führte in der Begründung ihres den Asylantrag abweisenden Bescheides einerseits an, daß in Anbetracht des Strebens der Bevölkerung des Kosovo nach absoluter Selbständigkeit in der Suche nach Waffen prinzipiell ein Vorgehen im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit liege. Daß es anläßlich der Waffensuche wie vom Beschwerdeführer behauptet zu Übergriffen der Polizei komme, könne nicht als konkret gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Verfolgung gewertet werden. Es handle sich hiebei um eine zu verurteilende, aber allgemein übliche Vorgangsweise, von der sehr viele Bewohner des Kosovo in ähnlicher Weise betroffen seien.
Andererseits führte die Behörde erster Instanz zur "Frage der Glaubwürdigkeit" der Angaben des Beschwerdeführers aus:
"Nach Ansicht der erkennenden Behörde haben Sie jedoch selbst in Ihrem Heimatland nichts mehr befürchtet, da Sie als Grund für Ihre verspätete Ausreise lediglich den Umstand anführten, für die Flucht genügend Geld zusammenbekommen zu müssen. Das von Ihnen ins Treffen geführte Ereignis fand im Juli 1996 statt, Ihre Ausreise jedoch erst am 15.03.1997. Wenn Sie nämlich tatsächlich eine Verfolgung in Ihrem Heimatland befürchtet hätten, dann hätten Sie mit Sicherheit nicht diese Überlegung als Kriterium für Ihren Ausreisezeitpunkt herangezogen, sondern hätten Ihr Heimatland wesentlich früher verlassen.
Es erscheint der erkennenden Behörde weiters zweifelhaft, daß die Polizei Sie über einen derart langen Zeitraum und derart intensiv gesucht haben soll und daß Sie ausgerechnet jedesmal, wenn die Polizei Sie bei Ihren Verwandten gesucht haben soll, Sie nicht anwesend gewesen sein sollen. Eine derartige Zufälligkeit erscheint der erkennenden Behörde eher konstruiert zu sein. Es ist als sehr unwahrscheinlich anzusehen, daß die Behörden Ihres Heimatlandes Sie tatsächlich über einen derart langen Zeitraum gesucht haben sollen und diese Aktivitäten nicht schon längst aufgrund der Erfolglosigkeit eingestellt haben. Der hierbei entstandene Aufwand würde in keinem Verhältnis zu dem sich nicht eingestellten Erfolg stehen."
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer in kürzester Weise den anläßlich der Aufnahme der erstinstanzlichen Niederschrift vorgebrachten Sachverhalt. In rechtlicher Sicht brachte er vor, daß das Amnestiegesetz nicht beachtet werde und legte hiezu einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe bei. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17. März 1998 wies die belangte Behörde die Berufung ab. Die belangte Behörde übernahm die Feststellungen der Behörde erster Instanz zur Frage der Flüchtlingseigenschaft, "die richtige Würdigung des Asylvorbringens und die richtige rechtliche Beurteilung", letztere mit der Maßgabe der Änderung der Rechtssituation durch Inkrafttreten des Asylgesetzes 1997, "als Grundlage" des angefochtenen Bescheides. Ergänzend führte die belangte Behörde unter anderem aus, daß der Asylwerber noch eine "beachtliche Zeitspanne in seiner Heimat unbeanstandet verbringen" habe können. In der Sache der Wehrdienstverweigerung seien außer einer Nebenbemerkung anläßlich der gegen den Cousin des Beschwerdeführers geführten Amtshandlung keine Ladungen in einem Verfahren erfolgt. Es seien keine ernsthaften Anstrengungen der Behörde (z.B. eine Fahndung) erkennbar geworden, eine strafrechtsrelevante Verfolgung aus dem Gesichtspunkt der Wehrdienstverweigerung in Gang zu setzen. Aus dem Gesichtspunkt der vorgebrachten Waffensuche seien keine individualisierten, den Beschwerdeführer spezifisch betreffenden, objektiv nachvollziehbaren Gründe für eine Verfolgung glaubwürdig vorgebracht worden. Dem Beschwerdeführer sei mangels Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention die Asylgewährung zu versagen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der belangten Behörde ist im Ergebnis zuzustimmen, daß mangels zeitlichen Konnexes zwischen der vorgebrachten Ladung vom Juli 1996 und der Ausreise des Beschwerdeführers keine asylrechtlich relevante Furcht vor Verfolgung gegeben ist. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer in schlüssiger Weise die Glaubwürdigkeit zumindest in jenen Passagen seiner Darstellung abgesprochen, in welchen er die oftmalige Suche durch die Polizisten nach ihm behauptet. Es entspricht nicht den logischen Denkgesetzen, daß eine Person, die der Festnahme aus Furcht vor Verfolgung entgehen möchte und sich zwei bis drei Tage nach der Entlassung des Cousins aus der Haft (das heißt um den 9. Juli 1996) von zu Hause zu Verwandten wegbegibt, trotzdem in der Folge "öfters zwischendurch" seine Mutter zu Hause besucht. Aus dem gleichen Grund ist es nicht verständlich, daß der Beschwerdeführer immer wieder zu seinen - namentlich nicht genannten - Verwandten zurückkehrte, bei denen nach seinen Angaben bis zum Februar 1997 ca. siebenmal nach ihm gesucht worden sei. Der Beschwerdeführer hat nie behauptet, daß er sich versteckt gehalten habe oder daß er besondere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen habe, um der befürchteten Verhaftung zu entgehen. Er ist auch den Zweifeln an der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens in der Berufung nicht entgegengetreten und läßt diese Ausführungen der belangten Behörde auch in der Beschwerde unbekämpft.
Durfte die belangte Behörde aber zu Recht davon ausgehen, daß die behaupteten zahlreichen Suchen der Polizei nach ihm an bekannten Adressen, bei denen er sich aufgehalten hat, nicht der Wahrheit entsprechen, so verbleibt als letzte vom Beschwerdeführer behauptetete Verfolgungshandlung, hinsichtlich derer die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit nicht versagt hat, die Vorladung vom 1. Juli 1996 und die seinem Cousin und Onkel in den folgenden fünf Tagen widerfahrene Behandlung, in deren Zuge auch Äußerungen betreffend den Beschwerdeführer durch die Polizisten abgegeben wurden.
Der belangten Behörde ist im Ergebnis zuzustimmen, daß die im Asylverfahren glaubhaft zu machende Gefahr einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe bis zur Ausreise andauern muß und Vorgänge, die bereits längere Zeit zurückliegen, in der Regel keine ausreichende Asylrelevanz mehr aufweisen; solche Umstände können bloß zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer nach wie vor gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung herangezogen werden. Daher ist zunächst zu prüfen, inwieweit die begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auch im Zeitpunkt der Flucht (Ausreise am 15. März 1997) vorlag. Weder anläßlich seiner Vernehmung noch in seinen Berufungsausführungen noch auch in der Beschwerde gibt der Beschwerdeführer eine schlüssige Erklärung dafür, aus welchen Gründen ihm ein früheres Verlassen seines Heimatlandes angesichts der letzten behaupteten Verfolgungshandlung in der Woche nach dem 1. Juli 1996 unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Im Ergebnis kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, daß unter Zugrundelegung der Darstellung des Beschwerdeführers diesem die Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor konkret ihn betreffender aktueller Verfolgung nicht gelungen sei (vgl. zum zeitlichen Konnex aus vielen das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1081). An dieser Beurteilung vermag das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe "das Geld für die Flucht zusammenbekommen" müssen, angesichts seines unbesorgten Verhaltens nichts zu ändern.
Weder im Beschwerdepunkt (Verletzung im Recht auf Asylgewährung) noch im sonstigen Beschwerdevorbringen ist die im Spruch des angefochtenen Bescheides enthaltene Zurückweisung des Eventualantrages auf "befristete Aufenthaltsberichtigung im Falle der Berufungsabweisung" enthalten, weshalb dieser Spruchteil unbekämpft geblieben ist.
Insoweit die Beschwerde Ausführungen darüber enthält, daß der Beschwerdeführer in Ungarn oder Mazedonien nicht sicher vor Verfolgung gewesen wäre, geht sie schon deshalb ins Leere, weil im angefochtenen Bescheid ausdrücklich eine etwaige Sicherheit vor Verfolgung in einem Drittland nicht herangezogen wird.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. Jänner 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998010361.X00Im RIS seit
20.11.2000