TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/11 G314 2212263-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.01.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.01.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs5
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch

G314 2212263-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Serbien, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), der über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, wurde im Bundesgebiet drei Mal strafgerichtlich verurteilt, zuletzt mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX2018, XXXX Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.10.2018 wurde er aufgefordert, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots zu äußern. Der BF erstattete eine entsprechende Stellungnahme und legte Unterlagen vor.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 5 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Dies wurde mit den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF und der Wirkungslosigkeit der bisherigen Sanktionen begründet. Mit der Rückkehrentscheidung sei wegen der überwiegenden öffentlichen Interessen an Ordnung und Sicherheit kein (unverhältnismäßiger) Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden, zumal der BF nicht selbsterhaltungsfähig sei und keine nachhaltige berufliche Integration vorliege.

Dagegen richtet sich die Beschwerde, mit der der BF eine Verletzung seines subjektiven Rechts auf Aufenthalt in Österreich sowie eine unverhältnismäßige und rechtswidrige Interessenabwägung iSd Art 8 MRK geltend macht. Er lebe seit seiner Geburt rechtmäßig in Österreich, wo er die Schule absolviert habe und in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seiner Zwillingsschwester lebe. Er habe hier Freunde und führe eine Beziehung. Er habe nur geringe Serbischkenntnisse und in seinem Herkunftsstaat abgesehen von einem Onkel keine Bezugspersonen. Zwei Drittel der zuletzt verhängten Freiheitsstrafe seien bedingt nachgesehen worden, was für eine positive Zukunftsprognose spreche. Der BF gehe einer Beschäftigung nach und absolviere ein Antigewalttraining. Er beantragte, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Hilfsweise werden die Reduktion der Dauer des Einreiseverbots beantragt und ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 07.01.2019 einlangten. Der Bewährungshelfer des BF erstattete eine Stellungnahme zur Beschwerde und übermittelte eine Bestätigung.

Feststellungen:

Der BF wurde am XXXX in Salzburg geboren. Er ist Staatsangehöriger von Serbien und spricht Deutsch, verfügt aber auch über Grundkenntnisse der serbischen Sprache. Er lebt seit seiner Geburt in Österreich und verfügt zumindest seit 2010 über einen Daueraufenthaltstitel. Zuletzt wurde ihm am 24.05.2018 ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" ausgestellt. Der BF besuchte in Österreich die Volks- und Hauptschule sowie die Polytechnische Schule, absolvierte aber keine weitere (Berufs-) Ausbildung.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er war im Bundesgebiet von Dezember 2014 bis Februar 2015 geringfügig beschäftigt; einer vollversicherten Tätigkeit ging er lediglich für knapp ein Monat im Jänner 2017 nach. Im September 2014, im April, Mai und Juni 2016, im Juli und August 2018 sowie ab September 2018 bezog er Arbeitslosengeld. Seit Juli 2018 nimmt er an dem sozialpädagogischen Beschäftigungsprojekt XXXX in XXXX teil, wo er in einer Fahrradwerkstatt tätig ist.

Der BF ist ledig und kinderlos. Seine nahen Angehörigen und seine Freunde leben in Österreich, ebenso die Frau, mit der er liiert ist. In Serbien lebt nur ein Onkel des BF, zu dem wenig Kontakt besteht. Der Vater und die drei Geschwister des BF sind serbische Staatsangehörige, seine Mutter ist österreichische Staatsbürgerin. Der BF lebt in XXXXin einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seiner Zwillingsschwester.

Der BF wurde in Österreich drei Mal strafgerichtlich verurteilt. Mit dem seit XXXX2017 rechtskräftigen Urteil des LandesgerichtsXXXX vom XXXX2016, XXXX, wurde er wegen einer Jugendstraftat (Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB idF vor 01.01.2016) - ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe - zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Die zunächst mit drei Jahren bestimmte Probezeit wurde anlässlich seiner Folgeverurteilung 2018 auf fünf Jahre verlängert. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am XXXX2015 in XXXX versuchte, einem anderen absichtlich eine schwere Körperverletzung zuzufügen, indem er diesem einen Faustschlag ins Gesicht und, nachdem dieser dadurch zu Boden gegangen war, einen Fußtritt gegen den Körper und einen gegen den Hals-/Kopfbereich versetzte. An Milderungsgründen lagen die Unbescholtenheit und der Umstand, dass es beim Versuch blieb, vor. Besondere Erschwerungsgründe waren nicht zu berücksichtigen.

Am XXXX2016 wurde der BF verhaftet und bis XXXX2016 in der Justizanstalt XXXX Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX2016, XXXX, wurde gegen ihn wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB eine fünfmonatige Freiheitsstrafe verhängt, die zunächst für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Gleichzeitig wurde dem BF die Weisung erteilt, ein Antigewalttraining zu absolvieren. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er am XXXX2016 als junger Erwachsener seine Mutter, seinen Bruder und seine Schwester durch die Ankündigung "Ich bringe euch alle um!" gefährlich mit dem Tod bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei er die Drohung dadurch untermauerte, dass er ihnen ein Messer vorhielt und damit gegen die Wohnungstüre stach. Als Milderungsgründe wurden die Unbescholtenheit (zumal die Vorverurteilung noch nicht rechtskräftig war), das Geständnis und das Alter unter 21 Jahren gewertet, erschwerend wirkte sich das Zusammentreffen von mehreren Vergehen aus. Aufgrund dieser Verurteilung wurde mit Beschluss vom XXXX2016 nachträglich die Bewährungshilfe angeordnet. Der BF hielt sich in der Folge nicht an die gerichtlichen Anordnungen, sodass die bedingte Strafnachsicht im August 2017 widerrufen werden musste. Der BF wurde daher am XXXX2017 verhaftet und verbüßte einen Teil der Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX, bis er am XXXX2017 unter Anordnung der Bewährungshilfe bedingt entlassen wurde. Anlässlich der Folgeverurteilung wurde die zunächst dreijährige Probezeit der bedingten Entlassung auf fünf Jahre verlängert.

Im März 2017 wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX ein Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen des Vergehens nach § 27 Abs 2 SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften zum persönlichen Gebrauch) gemäß § 35 Abs 9 SMG vorläufig eingestellt.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX2018, XXXX, folgte eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB, der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB und des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB, wobei ein Strafteil von 18 Monaten für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dem BF wurde die Weisung erteilt, seine Beschäftigung bei XXXX fortzusetzen. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er als junger Erwachsener am 10.03.2018 einem anderen mit Gewalt, indem er ihn stieß, seinen Kopf gegen eine Stahlkante schlug, ihn zu Boden trat und mehrere Schläge ins Gesicht versetzte, ein Mobiltelefon und eine Geldbörse mit EUR 5 an Bargeld, Urkunden (zwei Ausweise und eine E-Card) sowie eine Bankomatkarte mit den Worten "Das gibst du mir jetzt; die gehört jetzt auch mir" mit Bereicherungsvorsatz wegnahm. Er warf die Urkunden und die Bankomatkarte (ein unbares Zahlungsmittel) weg und unterdrückte sie so mit Gebrauchsverhinderungsvorsatz. Außerdem nahm er am XXXX2018 einen PKW ohne Einwilligung des Berechtigten in Gebrauch. Als mildernd wurden das umfassende und reumütige Geständnis und das Alter unter 21 Jahren berücksichtigt, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit fünf Vergehen, die beiden Vorstrafen, der rasche Rückfall nach der bedingten Entlassung und die Tatbegehung am 26.04.2018 trotz eines anhängigen Verfahrens dagegen als erschwerend.

Dem BF wurde für den Vollzug des unbedingten Strafteils ein Strafaufschub bis Ende April 2019 gewährt. Seit Oktober 2018 nimmt er regelmäßig und pünktlich an einem Antigewalttraining teil, das voraussichtlich im Februar 2019 endet; im Rahmen der Bewährungshilfe verhält er sich nunmehr verlässlich, kooperativ und problemeinsichtig. Mit seinen Familienmitgliedern, die er 2016 bedroht hatte, hat er sich mittlerweile wieder versöhnt.

Er hat in Österreich keine weiteren familiären oder nennenswerten privaten Anknüpfungen; es liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme einer weitergehenden Integration in Österreich vor.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungserhebliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren ebenfalls auf dem Akteninhalt, insbesondere auf den vom BF vorgelegten Urkunden. Seine Geburtsurkunde und sein Aufenthaltstitel, der auch im Fremdenregister gespeichert ist, wurden vorgelegt. Seine Darstellung, wonach er in erster Linie Deutsch spreche und nur geringe Serbischkenntnisse habe, ist glaubhaft, weil er von Geburt an in Österreich lebt und hier seine gesamte Schulzeit verbrachte. Eine weitere Berufsausbildung nach dem Abschluss der Pflichtschule ist nicht nachvollziehbar, zumal der BF laut Vollzugsinformation keinen Beruf erlernt oder ausgeübt hat.

Der BF ist laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) seit Dezember 2000 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des BF ergeben. Seine Arbeitsfähigkeit ergibt sich aus der aktuell ausgeübten Tätigkeit bei einem Beschäftigungsprojekt und seinem berufsfähigen Alter. Seine Erwerbstätigkeit im Inland sowie der Bezug von Arbeitslosengeld ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug. Die Tätigkeit bei XXXX ergibt sich aus der vorgelegten Teilnahmebestätigung vom 12.10.2018; dies wird auch durch die Stellungnahme des Bewährungshelfers untermauert.

Der ledige Familienstand des BF ergibt sich aus seine Angaben, die mit dem ZMR übereinstimmen. Es gibt keine Anhaltspunkte für Kinder oder Unterhaltspflichten. Es ist aufgrund des langjährigen Inlandsaufenthalts nachvollziehbar und plausibel, dass seine Bezugspersonen vorwiegend in Österreich leben. Die Staatsangehörigkeit seiner Eltern und Geschwister wird anhand der Angaben des BF festgestellt, die im Einklang mit dem ZMR stehen, aus dem auch der gemeinsame Haushalt mit Eltern und Schwester hervorgeht. Der BF gab in seiner Stellungnahme an, dass er abgesehen von einem Onkel, zu dem er seit fünf Jahren keinen Kontakt habe, keine Bezugspersonen in seinem Herkunftsstaat habe. Dem ist mangels entgegenstehender Beweisergebnisse grundsätzlich zu folgen, zumal dies bei einem Aufenthalt im Inland von Geburt an plausibel und lebensnah ist. Die Beziehung des BF wird anhand seiner Angaben dazu festgestellt, die durch die Stellungnahme des Bewährungshelfers ("... lebt in einer stabilen Beziehung ...") untermauert werden. Ein gemeinsamer Haushalt des BF mit seiner Freundin wird nicht einmal behauptet.

Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf den vorliegenden Strafurteilen. Die Rechtskraft der Verurteilungen und die Feststellungen zur nachträglichen Anordnung der Bewährungshilfe, zu den Probezeitverlängerungen und zur bedingten Entlassung ergeben sich aus dem Strafregister, in dem keine weiteren Verurteilungen des BF aufscheinen. Die Untersuchungshaft und der Strafvollzug gehen aus der Vorhaftanrechnung laut Strafurteil und aus der Vollzugsinformation hervor und decken sich mit entsprechenden Nebenwohnsitzmeldungen in der Justizanstalt XXXX. Da die Ende 2016 gewährte bedingte Strafnachsicht unabhängig von einer Folgeverurteilung widerrufen wurde, ist davon auszugehen, dass der Grund dafür war, sich der BF nicht an die gerichtlichen Anordnungen (Bewährungshilfe, Weisung Antigewalttraining) hielt, wofür auch die Bestätigung des Bewährungshelfers spricht.

Die Feststellung zur vorläufigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften basiert auf dem Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX vom 20.03.2017.

Der Strafaufschub ergibt sich aus der Stellungnahme des Bewährungshelfers und dem Umstand, dass der unbedingte Strafteil offenbar noch nicht in Vollzug gesetzt wurde. Aus der Stellungnahme und der Bestätigung gehen auch die Teilnahme am Antigewalttraining, die Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer und die Versöhnung des BF mit seinen Angehörigen hervor. Für letzteres spricht nicht zuletzt, dass er nach wie vor mit ihnen zusammenlebt, wobei keine Anhaltspunkte für eine weitere Eskalation erkennbar sind.

Für weitere private oder familiäre Anknüpfungen oder zusätzliche Integrationsmomente gibt es weder im Akteninhalt noch im Vorbringen des BF Hinweise.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Der BF ist als Staatsangehöriger von Serbien Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Da er über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, setzt eine Rückkehrentscheidung gegen ihn nach § 52 Abs 5 FPG voraus, dass die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass sein weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Dies ist (soweit hier relevant) gemäß § 53 Abs 3 Z 1 FPG dann der Fall, wenn er von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, vgl § 53 Abs 3 erster Satz FPG) gerechtfertigt ist. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101).

Der BF erfüllt den Tatbestand des § 53 Abs 3 Z 1 zweiter und dritter Fall FPG, weil er mehr als einmal wegen Aggressionsdelikten (Körperverletzung, gefährliche Drohung, Raub) rechtskräftig verurteilt wurde, zuletzt zu einer zweijährigen teilbedingten Freiheitsstrafe.

Die vom BF in der Beschwerde bekundete Reue, die nunmehr gute Zusammenarbeit mit seinem Bewährungshelfer und die Teilnahme am Antigewalttraining (die vom Gericht bereits Ende 2016 aufgetragen worden war) führen noch nicht zum Wegfall oder zur maßgeblichen Minderung der von ihm ausgehenden, durch die wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen indizierten Gefährlichkeit, weil es dafür nicht nur der erfolgreichen Absolvierung einer Therapie, sondern auch eines entsprechend langen Zeitraums des Wohlverhaltens bedarf (siehe VwGH 08.11.2018, Ra 2017/22/0207), die letzten Straftaten und Verurteilungen des BF noch nicht lange zurückliegen, die bisherigen Sanktionen wirkungslos blieben, sodass bereits mehrmals Probezeiten verlängert und einmal eine bedingte Strafnachsicht widerrufen werden musste, und er im raschen Rückfall nach seiner bedingten Entlassung sogar in gesteigerter Intensität weiter delinquierte.

Einschränkungen der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen den BF ergeben sich aus § 9 BFA-VG. Erweist sich demnach eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 5 FPG - aus welchem Grund auch immer - als unzulässig, besteht das Aufenthaltsrecht aufgrund des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" weiter. Allenfalls kann nach § 28 Abs 1 NAG von der Niederlassungsbehörde eine "Rückstufung" vorgenommen werden (siehe VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).

Da die Rückkehrentscheidung massiv in das Privat- und Familienleben des BF eingreift, dessen Lebensmittelpunkt seit seiner Geburt in Österreich liegt, ist unter dem Gesichtspunkt von Art 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach § 9 Abs 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist hier zu berücksichtigen, dass der BF von Geburt an in Österreich niedergelassen war, sich hier seit vielen Jahren rechtmäßig aufhält und daueraufenthaltsberechtigt ist. Er hat in Österreich die Schule absolviert; danach gelang es ihm aber nicht nachhaltig, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Seit mehreren Monaten ist er nunmehr bei einem Beschäftigungsprojekt tätig.

Aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts des BF in Österreich und seiner Sozialkontakte, insbesondere zu seinen hier lebenden Angehörigen und Freunden, hat er ein erhebliches privates und familiäres Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Er ist im Inland aufgewachsen und hier durch seine Deutschkenntnisse auch sprachlich verankert. Die Rückkehrentscheidung greift - auch aufgrund der gelockerten Bindung zu seinem Herkunftsstaat, in dem er nie länger gelebt und wo er keine nahen Bezugspersonen hat - trotz der fehlenden Unbescholtenheit und der Wirkungslosigkeit strafgerichtlicher Sanktionen unverhältnismäßig in seine Rechte nach Art 8 EMRK ein.

Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Aggressions- und Vermögenskriminalität sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist angesichts der Integration des BF während seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen. Sein privates Interesse an einem Verbleib überwiegt (auch bei Bedachtnahme auf die wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen) das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist.

In der Folge wird allenfalls die Niederlassungsbehörde zur Prüfung einer allfälligen "Rückstufung" gemäß § 28 Abs 1 NAG zu befassen sein, zumal der BF trotz Ausstellung eines Daueraufenthaltstitels mehrfach straffällig wurde.

Sollte der BF wieder straffällig werden, wird das BFA die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.

Da über die Beschwerde innerhalb der Wochenfrist des § 18 Abs 5 BFA-VG entschieden werden konnte, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob die aufschiebende Wirkung zu Recht aberkannt wurde und ob das BVwG sie hätte zuerkennen müssen.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig, weil das BVwG grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht zu lösen hatte.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Einreiseverbot, Interessenabwägung,
private Interessen, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2212263.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten