TE Vwgh Beschluss 1999/1/14 AW 98/08/0081

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Veröffentlicht am 14.01.1999
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §25 Abs2;
B-VG Art129a Abs1;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
VwGG §30 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der M in W, vertreten durch Dr. Charlotte BÖHM, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Museumstraße 3 B/12 A, der gegen den Bescheid der Landesgeschäftstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 20. Oktober 1998, Zl. LGSW/Abt 10-AlV/1218/56/1998-1320, betreffend Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gem. § 25 Abs. 2 AlVG, erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluß zuzuerkennen, insoweit dem zwingende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde das der Beschwerdeführerin ausbezahlte Arbeitslosengeld für die Dauer vom 26.9.1997 bis 30.4.1998 widerrufen und ein Betrag von S 61.961,-- als unberechtigt empfangen zurückgefordert, sowie der Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25.5.1998 bis 19.7.1998 ausgesprochen. Nach der Begründung dieses Bescheides sei die im Bezug von Arbeitslosengeld stehende Beschwerdeführerin am 12.5.1998 bei der Ausübung einer Tätigkeit als Kellnerin betreten worden. Aus einer Bescheinigung des Dienstgebers gehe hervor, daß die Beschwerdeführerin vom 26.9.1997 bis 24.5.1998 geringfügig beschäftigt gewesen sei. Dieses Dienstverhältnis sei dem AMS nicht gemeldet worden. Für die Beschwerdeführerin gelte daher gemäß § 25 Abs. 2 AlVG die unwiderlegliche Rechtsvermutung, daß die Beschäftigung über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt sei. Die Leistung sei zurückzufordern und der Arbeitslose verliere darüberhinaus für die Dauer von acht Wochen ab Beendigung der Tätigkeit den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.

§ 25 Abs. 2 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung des Art. 23 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 201/1996, lautet:

"(2) Wird ein Empfänger von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) bei einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 betreten, die er nicht unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle angezeigt hat (§ 50), so gilt die unwiderlegliche Rechtsvermutung, daß diese Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt ist. Das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) für zumindest zwei Wochen ist rückzufordern. Darüber hinaus verliert der Arbeitslose für die Dauer von acht auf die Beendigung der verschwiegenen Tätigkeit folgenden Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld (Notstandshilfe). Erfolgte in einem solchen Fall keine zeitgerechte Meldung durch den Dienstgeber an den zuständigen Träger der Krankenversicherung, so ist dem Dienstgeber von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ein Sonderbeitrag in der doppelten Höhe des Dienstgeber- und des Dienstnehmeranteiles zur Arbeitslosenversicherung (§ 2 des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 315/1994) für die Dauer von sechs Wochen vorzuschreiben. Als Bemessungsgrundlage dient der jeweilige Kollektivvertragslohn bzw., falls kein Kollektivvertrag gilt, der Anspruchslohn. Die Vorschreibung gilt als vollstreckbarer Titel und ist im Wege der gerichtlichen Exekution eintreibbar."

Die Beschwerdeführerin begründet den vorliegenden Antrag, ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, damit, daß sie nur über ein monatliches Einkommen von S 8.000,-- verfüge und als Alleinerzieherin für ein Kind sorgepflichtig sei. Die belangte Behörde hat sich in ihrer Stellungnahme zu diesem Antrag gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ausgesprochen.

Der Verwaltungsgerichtshof sah sich aus folgenden Gründen veranlaßt, dem Antrag der Beschwerdeführerin Folge zu geben:

Die Regelung des § 25 Abs. 2 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung wurde zur Vermeidung von Mißbräuchen geschaffen, die - so die Erläuterungen zur RV, 72 Blg. NR XX. GP, 236 - dadurch entstünden, daß ein Arbeitsloser neben dem Bezug von Arbeitslosengeld unangemeldet beschäftigt sei. Als zusätzliche Sanktion würden dabei für den Arbeitnehmer eine Aberkennung des Arbeitslosengeldes für die Dauer von acht Wochen und eine Rückforderung der Leistung für zumindest zwei Wochen vorgesehen, sodaß insgesamt zehn Wochen kein Anspruch bestehe. Zugleich werde die unwiderlegliche Rechtsvermutung aufgestellt, daß jede nicht zeitgerecht gemeldete unselbständige oder selbständige Tätigkeit die Geringfügigkeitsgrenze überschreite.

§ 25 Abs. 2 AlVG scheint dem Charakter nach eine Strafnorm zu sein, wie auch aus den Erläuterungen zur RV hervorgeht, wenn darin wiederholt von "Sanktionen" gesprochen wird, weshalb die Zuständigkeit der belangten Behörde vor dem Hintergrund des Art. 129a Abs. 1 B-VG fraglich erscheint. Überdies steht die Bestimmung im Verdacht, in ihrer Rigorosität weit übers Ziel zu schießen, sodaß zu prüfen sein wird, ob nicht gleichheitsrechtliche Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen sein werden (vgl. dazu etwa Dirschmied, AlVG, § 25 2.7.). Klärungsbedürftig ist weiters, ob - bei verfassungskonformer Interpretation der Bestimmung des § 25 Abs. 2 AlVG - die nicht näher begründete Annahme der belangten Behörde zutrifft, daß die gesetzliche Vermutung einer Beschäftigung mit Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze auch außerhalb der Regelsanktion von zwei Wochen Rückforderung und acht Wochen Anspruchsverlust greift, insbesondere aber auch, ob die Vermutung der Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze auch in einem Falle Platz greifen kann, in welchem - wie die Beschwerdeführerin bisher unwidersprochen behauptet - die geringfügige Beschäftigung nach den Bestimmungen des ASVG ordnungsgemäß gemeldet gewesen ist.

Bei dieser Sachlage und dem sich daraus ergebenden Grad an Wahrscheinlichkeit, daß der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet ist, hält es der Verwaltungsgerichtshof für nicht zumutbar, der Beschwerdeführerin die Last einer auch im Falle einer Ratenzahlung ihre Lebensführung beeinträchtigenden Rückzahlung während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens tragen zu lassen; dies umso mehr, als es sich - anders als die belangte Behörde meint - nicht um Beitragsleistungen handelt, die im Umlagewege der Finanzierung von Leistungen dienen müssen, sondern um die Rückforderung bereits erbrachter Geldleistungen. Die Abwägung der beteiligten Interessen schlägt hier zu Gunsten der Beschwerdeführerin aus. Der von der belangten Behörde ins Treffen geführte Umstand, daß eine zu Unrecht erbrachte Leistung möglichst rasch wieder zurückfließen sollte, um die Mittel wieder dem vom Gesetz vorgesehenen Zweck zuführen zu können, steht dem nicht als zwingendes öffentliches Interesse entgegen, da dieser Gesichtspunkt ein ganz allgemeiner, in jedem Fall zutreffender ist, der daher als Interesse in die Abwägung einzubeziehen ist, nicht aber als "zwingendes Interesse" der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung von vornherein entgegensteht.

Wien, am 14. Jänner 1999

Schlagworte

Interessenabwägung Unverhältnismäßiger Nachteil Zwingende öffentliche Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:AW1998080081.A00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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