TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/23 W112 2129559-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.2019
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Entscheidungsdatum

23.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W112 2129559-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2016, Zl. 1046943308-140240783, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.08.2018 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 50, 52 Abs. 2, 55 FPG AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat:

"IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der RUSSISCHEN FÖDERATION und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte hier am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion XXXX am XXXX gab die Beschwerdeführerin befragt zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, in ihrem Heimatland keine Angehörigen mehr zu haben: Ihre Eltern, ihr Mann und VIER ihrer FÜNF Söhne seien verstorben. Ihr Sohn XXXX (auf Grund des Bescheides des XXXX vom 15.11.2011 gemäß §§ 1, 2 Abs. 1 Z 3 NÄG nunmehr: XXXX ) lebe seit XXXX in Österreich; sie wolle ihn besuchen und bei ihm und seiner Familie leben. Andere Fluchtgründe habe sie nicht. Im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat habe sie Angst, dort alleine zu sein.

3. Die Beschwerdeführerin wurde am 16.06.2016 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Hierbei gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in XXXX geboren, in TSCHETSCHENIEN in XXXX aufgewachsen und aufgrund ihrer Heirat in das Dorf XXXX gezogen sei. Sie habe dann im Bezirk

XXXX im Dorf XXXX gelebt.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin, XXXX , sei am XXXX aufgrund eines XXXX verstorben. Sie habe VIER Söhne im Krieg verloren. Nach dem Tod ihres Mannes habe die Beschwerdeführerin zuerst vom Einkommen ihrer Kinder gelebt, danach habe sie eine Alterspension erhalten. Sie habe im Herkunftsstaat in einem Haus gelebt und ein Sohn habe nebenan in einem eigenen Haus gewohnt. Das Haus habe sie mittlerweile ihrem Enkelsohn gegeben, der nach wie vor dort lebe und mit dem die Beschwerdeführerin noch in Kontakt stehe. Dieser sei verheiratet, habe drei Kinder und werde von den Behörden in Ruhe gelassen, weil sein Vater im Zuge der Kriegsgeschehnisse ums Leben gekommen sei. Ebenso leben eine Schwester und ein Bruder der Beschwerdeführerin im Dorf XXXX , mit denen sie ebenfalls telefonisch in Kontakt sei. Die Schwester habe XXXX , sie wohne mit dem Bruder zusammen. Ihr Bruder arbeite, er habe für sie eine kleine Hütte gebaut, setze Gemüse an und verkaufe es am Markt. Abgesehen von ihrem Sohn lebe auch eine ihrer Schwiegertöchter in Österreich, in derselben Stadt wie ihr Sohn; diese habe einen "negativen Bescheid" bekommen.

Es gehe ihr gesundheitlich abgesehen von hin und wieder zu XXXX gut. Sie nehme deswegen Tabletten.

Einer ihrer Söhne sei am XXXX im Zuge der Kriegsgeschehnisse durch einen XXXX getötet worden, einer zwei Jahre später. Die Beschwerdeführerin sei im Herkunftsland nicht politisch interessiert gewesen, und sei weder persönlich festgenommen noch bedroht worden. Sie sei vom russischen und tschetschenischen Militär zusammen zum Aufenthaltsort ihres in Österreich lebenden Sohnes befragt worden; sie sei jeden Monat gefragt worden. Sie seien meistens zum Jahreswechsel gekommen, weil sie Schichtwechsel gehabt haben. Bezüglich ihrer Fluchtgründe brachte sie vor ihre letzten Lebensjahre mit ihrem in Österreich aufhältigen Sohn verbringen zu wollen. Zwar lebe sie derzeit nicht mit ihrem Sohn zusammen, da sie selbst in einem Quartier der Grundversorgung lebe, doch fahre sie jeden Tag ihren Sohn besuchen. Im Fall einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat habe die Beschwerdeführerin Angst, erneut nach ihrem Sohn befragt und beschimpft zu werden.

In der Einvernahme legte die Beschwerdeführer einen Befund des XXXX vor, demzufolge die Gespräche mit der Beschwerdeführerin auf RUSSISCH geführt werden und die Beschwerdeführerin an XXXX , XXXX , XXXX und XXXX leide, weiters die Verordnung des Instituts für Gefäßmedizin, wonach die Beschwerdeführer abgesehen von einem Magenschutz und einem XXXX ein XXXX und ein XXXX Präparat einnimmt. Zudem legte die Beschwerdeführer in einen unauffälligen Röntgenbefund vom 18.06.2015 und den Befund einer Pulmologin vor, wonach sie an XXXX leide und Ausdauertraining machen solle. Schließlich legte die Beschwerdeführerin ein Zertifikat über die Teilnahme am Projekt "FAIR FUTURE - XXXX " vor.

4. Das Bundesamt wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 17.06.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf ihren Herkunftsstaat RUSSISCHE FÖDERATION (Spruchpunkt II.) ab und erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Unter einem erließ es gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass die Beschwerdeführerin durch ihre Angabe, ihren im Bundesgebiet lebenden Sohn besuchen bzw. bei ihm leben zu wollen, keine asylrelevanten Gründe geltend gemacht habe. Ebenso drohe der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde, da die Beschwerdeführerin weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen außergewöhnlichen Umstand behauptet habe und darüber hinaus über Angehörige im Herkunftsstaat verfüge. Die Rückkehrentscheidung greife nicht in das Familienleben der Beschwerdeführerin ein, da die Beschwerdeführerin nicht mit ihrem im Bundesgebiet asylberechtigten Sohn und dessen Familie im gemeinsamen Haushalt lebe. Ferner bestehe kein Hinweis auf eine Pflegebedürftigkeit oder einem Unterhaltsverhältnis, dem nicht auch durch regelmäßige Geldüberweisung in das Herkunftsland nachgekommen werden könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihr Sohn erwachsen seien, und somit die Beziehung nicht so eng wie bei einer Kernfamilie, sondern als lose zu bezeichnen sei. Auch habe der Sohn die Russische Föderation mindestens zehn Jahre vor der Beschwerdeführerin verlassen, und habe die Beschwerdeführerin somit viele Jahre ohne ihn im Herkunftsland gelebt. Ebenso greife die Rückkehrentscheidung auch nicht in das Recht der Beschwerdeführerin auf Achtung des Privatlebens ein. Sie halte sich erst seit einem kurzen Zeitraum in Österreich auf und habe den Großteil ihres Lebens im Herkunftsland verbracht, wovon sie ca. zehn Jahre bereits als alleinstehende Witwe gelebt habe. Sie sei der deutschen Sprache nicht mächtig, übe keine regelmäßige, legale Beschäftigung aus und sei daher nicht selbsterhaltungsfähig. Auch sei die Beschwerdeführerin weder Mitglied in einem Verein, noch in einer Organisation ehrenamtlich tätig. Sie habe in ihrem Herkunftsland eine Pension bezogen und es sei ihr jedenfalls bisher möglich gewesen damit ihr Auslangen zu finden. Die Bindung der Beschwerdeführerin zum Herkunftsstaat sei wesentlich stärker als zu Österreich, da die Beschwerdeführerin den überwiegenden Teil ihres Lebens in Russland verbracht habe, dort sozialisiert worden sei und die dort vorherrschende Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau beherrsche. Auch leben nahe Verwandte der Beschwerdeführerin, wie ihr Bruder und ihr Enkelsohn, nach wie vor im Herkunftsland. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass es der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsberater als gewillkürten Vertreter fristgerecht Beschwerde und focht den Bescheid wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang an.

Die Beschwerdeführerin beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und der Beschwerdeführerin den Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 zuerkennen; in eventu möge das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 feststellen, dass der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zukommt; in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen; zudem möge das Bundesverwaltungsgericht feststellen, dass die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen ist; in eventu feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen und der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz von Amts wegen erteilen; jedenfalls möge das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchführen.

Begründend führte die Beschwerde aus, dass eine wohlbegründetet Furcht vor Verfolgung vorliege und die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland aufgrund ihres hohen Alters und ihrer gesundheitlichen Probleme dem realen Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt sei. Die Beschwerdeführerin sei XXXX Jahre alt, habe (altersbedingte) gesundheitliche Probleme und es könne ihr nicht zugemutet werden, sich in ihrem Heimatland in Zukunft selbst zu versorgen. Die Beschwerdeführerin habe große Angst in ihr Heimatland zurückzukehren, da sie dort von den Verfolgern ihres Sohnes, die auch sie verfolgen, gesucht werde und sie bei einer Rückkehr mit großer Wahrscheinlichkeit gefoltert und misshandelt werde. Die belangte Behörde hätte Feststellungen treffen müssen, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatstaat von "KADYROV-Leuten" wegen ihres Sohnes verfolgt werde - dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Sohn der Beschwerdeführerin wegen seiner Verfolgung durch gerade diese Männer Asyl gewährt bekommen habe. Die Behörde hätte daher auch zu dem Schluss kommen müssen, dass im Fall der Beschwerdeführerin aufgrund der Verfolgung durch die tschetschenischen Behörden eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vorliege.

Die belangte Behörde habe das Verfahren auch deshalb mit Mangelhaftigkeit belastet, da die Einvernahme der Beschwerdeführerin in Russischer Sprache durchgeführt worden sei, obwohl die Beschwerdeführerin fast kein Russisch spreche.

Basierend auf dem Vorbringen der Beschwerdeführerin hätte das Bundesamt weitergehende Ermittlungen zur Schutzfähigkeit der tschetschenischen Sicherheitsbehörden und zur allgemeinen Situation in Tschetschenien durchführen müssen. Auch relevante Recherchen im Heimatland seien seitens des Bundesamtes unterlassen worden. Ebenso sei das Bundesamt dazu verpflichtete gewesen, nähere Ermittlungen zu den konkreten Leistungen des Heimatlandes für Pensionisten und pflegebedürftige Personen anzustellen. Ferner seien die dem Bescheid zugrundeliegenden Länderfeststellungen als veraltet anzusehen und nicht dazu geeignet, eine abschließende Grundlage für die Beurteilung der Situation der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation darzustellen.

Die Beschwerdeführerin habe bei einem Verbleib im Österreich künftig vor, bei ihrem Sohn und dessen Familie zu leben und dort auch versorgt und gepflegt zu werden. Es sei für ihren Sohn kein Problem, die Beschwerdeführerin auch finanziell zu unterstützten. Die Beschwerdeführerin verfüge somit insgesamt über wesentlich stärkere, insbesondere familiäre Bindungen zu Österreich als zu ihrem Heimatland. In der Russischen Föderation würden lediglich der Bruder und die Schwester sowie ein Enkelsohn der Beschwerdeführerin leben. Die Beziehung zu ihrem in Österreich lebenden Sohn sei sehr eng und es bestehe auch in emotionaler Hinsicht eine starke Bindung. Die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit der Verfolgung der Beschwerdeführerin als verwitwete, kranke, pflegebedürftige Frau, deren Familie sie in ihrem Heimatland nicht versorgen könne, auseinander zu setzen.

6. Am 21.08.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, an der die Beschwerdeführerin und ihr gewillkürter Vertreter sowie ihr Sohn XXXX und ihre Schwiegertochter

XXXX als Zeugen teilnahmen. Das Bundesamt nahm an der Verhandlung nicht teil.

Die Befragung der Beschwerdeführerin gestaltete sich wie folgt:

"R: Ich entnehme dem Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass Sie XXXX heißen, geb. am XXXX in XXXX , XXXX , Staatsangehörigkeit: Russische Föderation, Volksgruppe:

Tschetschenin, muslimischer Glaube, verwitwet seit XXXX . Ist das korrekt?

BF: Ja.

R: Was wollten Sie sagen?

BF: Wir wurden dorthin deportiert und ich bin deswegen dort geboren worden.

R: Gibt es Beweismittel oder sonstige Unterlagen, zu Ihrem Privat- und Familienleben und Ihren Lebensumständen sowie Ihrem Gesundheitszustand, die Sie bislang im Verfahren nicht vorgelegt haben und heute vorlegen möchten?

BFV legt folgende Kopien vor:

-

Psychologische Stellungnahme vom 18.08.2018

-

Eine Deutschkursbestätigung vom März 2018

-

Eine Deutschkursbestätigung vom 09.07.2018

R: Diese werden zum Akt genommen.

R: Wie ist Ihr Gesundheitszustand? Benötigen Sie aktuell Medikamente oder Therapien?

BF: Ja. Wenn ich ein bisschen aufgeregt bin, dann steigt der XXXX sehr stark.

R wiederholt die Frage.

BF: Ja. Ich habe eine Behandlung gegen XXXX und wegen meinem XXXX und fürs XXXX , dass es flüssiger wird und gegen XXXX , weil ich so einen hohen XXXX haben. Ich habe auch sehr wenig Eisen, deshalb muss ich auch noch Eisen einnehmen.

R: Wurden diese Erkrankungen auch schon in der Russischen Föderation behandelt?

BF: Dort hatte ich schon den XXXX und ich hatte auch Herzschmerzen. Der Arzt hier sagte aber, dass es nicht das Herz ist, welches schmerzt. Er sagte mir, dass ich einen sehr hohen XXXX habe.

R: Meine Frage war, wie lief die Behandlung ab?

BF: Ich nahm Tabletten, aber sie waren nicht wirksam.

R: Seit wann haben Sie den XXXX und die anderen Probleme?

BF: Seitdem meine Kinder umgebracht wurden.

R: Gab es andere Behandlungen, die Sie in der Russische Föderation in Anspruch genommen haben?

BF: Ich wusste nicht, dass ich so XXXX habe. Ich dachte, dass das vielleicht Stress ist, weil ja meine Kinder verstorben ist, deshalb ging ich nicht zum Arzt.

R: Das heißt, dass Sie in der Russische Föderation sonst keine Behandlungen in Anspruch nahmen?

BF: Ja, das ist korrekt.

R: Laut dem Schreiben von Dr. XXXX leiden Sie an einer XXXX , XXXX , XXXX und XXXX . Waren Sie diesbezüglich in der Russischen Föderation in Behandlung?

BF: Ja, ich habe mir selbst Arzneimittel gekauft.

R: Sie legten sowohl in der Einvernahme am 16.06.2016 als auch in der Beschwerde vom 04.07.2018 den Befund vom 06.08.2015 vor. Wie oft waren Sie in Österreich beim Psychiater?

BF: Zweimal.

R: Also 2015 und wann war das zweite Mal?

BF: Ich weiß es nicht. Ich war dort einmal oder zweimal, an mehr kann ich mich nicht erinnern.

R: Haben Sie Österreich seit Ihrer Asylantragstellung einmal verlassen?

BF: Nein. Ich habe gleich eine Beschwerde gegen den Bescheid eingelegt.

R: Ich wollte wissen, ob Sie einmal ausgereist sind?

BF: Nein.

R: Besitzen Sie außer den asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht, z.B. ein Visum?

BF: Nein, niemals.

R: Haben Sie in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb Ihres Herkunftsstaates noch Verwandte? Geben Sie Vorname, Nachname, Verwandtschaftsverhältnis und Wohnort an.

BF: Ich habe keine anderen Verwandten. Zuhause ist noch ein kranker Bruder geblieben.

R: Ich habe Sie gefragt, außerhalb der Russischen Föderation?

BF: Ein Sohn lebt hier und zwei Schwiegertöchter von Söhnen, die ums Leben gekommen sind.

R wiederholt die Frage.

BF: Es leben hier in XXXX zwei Kinder von XXXX , sie heißen XXXX und XXXX . In XXXX habe ich noch einen Enkel, er heißt XXXX , er ist der Sohn von XXXX , meinem Sohn, der ums Leben gekommen ist. Mein Sohn, der als Zeuge geladen ist, hat sechs Kinder.

R: Haben Sie sonst noch Verwandte?

BF: Nein.

R: Sie zählen ausschließlich männliche Verwandte auf, haben Sie keine weiblichen Verwandte[n]?

BF: Die zwei Schwiegertöchter, die Frauen meiner verstorbenen Söhne leben hier, haben aber wieder geheiratet.

R: Wer sind die beiden?

BF: Ich weiß die Familiennamen von ihnen nicht. Aber ich habe noch eine Verwandte. Die Tochter von meiner Schwester lebt hier.

R: Die heißt wie?

BF: Sie heißt XXXX , aber ich weiß den Familiennamen nicht.

R: Die Frau, die ich als Zeugin geladen habe, ist wer?

BF: Das war die Frau von XXXX .

R: Seit wann leben diese Verwandten in Österreich?

BF: Ich weiß es nicht, mein Kopf arbeitet nicht mehr, ich vergesse alles.

R: Zählen Sie mir Ihre Söhne auf, wie viele Frauen und Kinder sie hatten?

BF: Der erste Sohn heißt XXXX , er ist ums Leben gekommen. Er war mit einem Auto unterwegs.

R wiederholt die Frage.

BF: Eine Frau, sie ist von dort geflüchtet und ist hierhergekommen. Sie wurde dort beleidigt und ist hierhergekommen.

R wiederholt die Frage.

BF: Meine Söhne hatten jeweils eine Frau. Der ältere hatte ein Kind, der Zweite zwei Kinder und die leben in XXXX . Der dritte Sohn hat einen Sohn. Er hatte deswegen nur einen Sohn, weil der erst XXXX Jahr war, als er umgekommen ist. Der vierte Sohn ist mit mir hierhergekommen und hat sechs Kinder und der fünfte Sohn war erst XXXX Jahre alt. Er war noch nicht verheiratet, er hat es nicht geschafft. Er hieß XXXX .

R: Wie viele Geschwister haben Sie?

BF: Alle sind ums Leben gekommen, nur ich, ein Bruder und eine an XXXX erkrankte Schwester sind übriggeblieben.

R: Wo leben Ihr Bruder und Ihre Schwestern?

BF: Sie leben zusammen. Meine Schwester bekommt eine XXXX Behandlung am XXXX . Mein Bruder wurde während des Krieges wegen meinen Kindern gefoltert und geschlagen und sein Kopf ist seitdem nicht normal.

R: Ich habe Sie gefragt, wo die Geschwister wohnen?

BF: Sie leben im Dorf XXXX . Dort gibt es viele andere Dörfer und dann kommt XXXX . Der Rayon heißt XXXX .

R: Haben Sie sonst noch Verwandte in der Russischen Föderation?

BF: Nein. Mein Vater war ein Einzelkind. Auch meine Mutter war ein Einzelkind, deswegen habe ich keine Verwandten mehr. Alle sind ums Leben bekommen.

R: Wie gestaltet sich der Kontakt zu Ihren Verwandten in Österreich?

BF: Wir schreiben uns SMS.

R: Sie besuchen Ihre Verwandten in Österreich nicht?

BF: Wie kann ich sie besuchen, ich darf ja nirgends rausgehen.

R: Was meinen Sie damit?

BF: Ich bin hier und meine Verwandten sind weit weg. Ich bin hier bei meinem Sohn.

R wiederholt die Frage.

BF: Die Enkel kommen zu mir, zu meinem Sohn meine ich, dort treffen wir uns.

R: Wie oft treffen Sie Ihre Enkel?

BF: Nicht oft, sie lernen.

R: Was ist nicht oft?

BF: Zu Feiertagen oder wenn Ferien sind.

R: Wie oft sehen Sie Ihren Sohn?

BF: Mir ist langweilig in der Pension, deswegen fahre ich zu meinem Sohn.

R: Das heißt, Sie fahren täglich zu Ihrem Sohn?

BF: Ich vermisse meine Enkel sehr, ich habe sonst niemanden.

R: Ich habe Sie gefragt, fahren Sie täglich zu Ihrem Sohn?

BF: Wenn ich mich nicht gut fühle, bleibe ich in der Pension. Aber wenn es mir besser geht, gehe ich zu ihm.

R: Besteht ein Pflegschafts- oder ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Sohn?

BF: Mein Sohn hilft mir immer sehr, ich verstehe nichts, ich kenne mich nicht aus, mein Kopf arbeitet nicht richtig.

R: Hatten Sie bereits Kontakt zu ihnen, als sie in Österreich lebten und Sie in der Russischen Föderation?

BF: Mein Sohn hat mir SMS geschrieben, wie es mir geht, wie es mit meiner Gesundheit ausschaut.

R: Meinen Sie mit SMS wirklich short message oder einen anderen Messangerdienst?

BF: Das verstehe ich nicht.

R: In welchem Programm kommen die SMS?

BF: Die kamen aufs Telefon, aber er hat die Nachrichten gesprochen, weil ich nicht lesen kann.

R: Meinen Sie damit Festnetz oder Handy?

BF: Handy.

R: Sie haben bei der Einreise angegeben, dass Sie kein Mobiltelefon haben!

BF: Ich hatte auch kein Handy. Ich bin zu meinem Bruder gegangen und die Frau von meinem Bruder hatte ein Handy.

R: Sie gaben bei der Erstbefragung an, dass Sie bei der Ausreise bei der Busstation in XXXX die Familie XXXX kennengelernt haben. Ihr Sohn gab in seiner Erklärung vom XXXX , AS 7 an, dass es sich bei XXXX um seine Cousine handelt. Können Sie mir diese Divergenz erklären?

BF: Können Sie das wiederholen, ich habe das nicht verstanden.

R wiederholt die Frage.

BF: Wie heißt der Familienname?

R: XXXX .

BF: Ich kenne sie nicht. Der Familienname ist mir unbekannt.

R: Sie gaben in der Einvernahme am 16.06.2016 an, dass Ihre Schwiegertochter XXXX heißt, aber Sie nicht wissen, wie sie Ihrem Pass zufolge heißt. Können Sie das erklären?

BF: Welchen Pass meinen Sie jetzt?

R wiederholt die Frage.

BF: Das ist die Frau von XXXX . Ich weiß, dass Sie XXXX heißt, von anderen Vor- oder Familiennamen weiß ich nichts.

R: In der Erstbefragung gaben Sie als Flucht[g]rund an, nach dem Tod Ihrer Mutter zwei Jahre zuvor Angst gehabt zu haben, allein zu sein, weil Sie keine Verwandten mehr in der Russischen Föderation haben. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt gaben Sie aber an, dass Ihr Enkelsohn auf Ihrem Grundstück wohnt, verheiratet ist, drei Kinder hat und Ihnen Sprachnachrichten schickt; weiters leben Ihr Bruder und Ihre Schwester in der Russischen Föderation, mit denen Sie über Telefon Kontakt halten. Einen Enkel mit Familie in der Russischen Föderation erwähnen Sie heute nicht mehr. Können Sie das erklären?

BF: Ich habe immer gesagt, dass ich in der Russischen Föderation einen Enkel habe, der vier Kinder hat. Er heißt XXXX , er ist XXXX Jahre alt.

R: Sie haben bereits 2016 angegeben, dass er XXXX Jahre alt ist, war er es damals oder ist er es heute?

BF: Er heißt XXXX und ist heute XXXX Jahre alt.

R: Ich habe mich verlesen.

R: Ihre Schwiegertochter XXXX gab in Ihrem Verfahren an, dass keine männlichen Verwandten ihres Mannes mehr in der Russischen Föderation leben! Gibt es jetzt den Enkel, ja oder nein?

BF: Der Enkel wurde dort zusammengeschlagen, er wurde gequält. Er wurde schon dreimal verschleppt und geschlagen. Er ist von dort geflüchtet und hat eineinhalb Jahre in XXXX gelebt. Ich weiß nicht, wo er sich derzeit befindet.

R: Wann ist er nach XXXX geflüchtet?

BF: Vor eineinhalb Jahren.

R: Wann ist er aus XXXX weggegangen?

BF: Ich weiß den Monat nicht.

R: Das verstehe ich nicht!

BF: Er ist vor eineinhalb Jahren von dem Dorf nach XXXX gefahren. Er hat dort eine Zeit lang gelebt, er wollte aber von dort weg, er wollte aus Russland flüchten, aber das ist ihm nicht gelungen.

R: Wann wollte er aus XXXX flüchten?

BF: Das Datum weiß ich nicht. Er ist von XXXX irgendwohin gefahren, wahrscheinlich ist er irgendwo in XXXX , ich weiß es nicht.

R: Zuvor sagten Sie, er hat XXXX verlassen, jetzt sagen Sie, er ist vielleicht noch in XXXX .

BF: Ich habe gesagt, dass er XXXX verlassen hat.

R: Woher wissen Sie das?

BF: Er wollte hierherkommen, aber es ist nicht gelungen, er ist irgendwohin ausgereist.

R: Wann wurde er verprügelt?

BF: Woher soll ich das wissen? Ich weiß das Datum nicht.

R: Geben Sie mir das Jahr an?

BF: Jetzt ist 2018, also muss es XXXX oder XXXX gewesen sein. Er wurde XXXX geboren, während des Krieges war er noch klein.

R: Wie halten Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in der Russischen Föderation, Ihrem Bruder, Ihrer Schwester, Ihrer Schwägerin?

BF: Jetzt habe ich ein Handy. Ich schicke Ihnen Sprachnachrichten, dass alles gut ist, dass es mit der Gesundheit ein bisschen besser ist und dass sie keine Sehnsucht nach mir haben sollen.

R: Haben Sie in Österreich enge Freunde, wenn ja, wie ist der Kontakt mit diesen?

BF: Keine[...].

R: Ihr Sohn XXXX wurde Ihren Angaben in der Einvernahme zufolge als er XXXX Jahre alt war mit seiner Frau nach XXXX geschickt, also XXXX . Seit wann haben Sie mit Ihrem Sohn XXXX nicht mehr zusammengelebt?

BF: Er lebte mit uns bis XXXX .

R wiederholt die Frage. Waren Sie auch in XXXX ?

BF: Er hatte damals eine Frau XXXX . Er ist mit ihr nach XXXX gefahren. Wir haben Geld bereitgestellt, um ihm die Ausreise zu ermöglichen, wir dachten, dass der Krieg bald zu Ende sein wird.

R: Wann ist er also nach XXXX gefahren, XXXX oder XXXX ?

BF: Als der erste Krieg zu Ende war, haben wir ihn verheiratet. Und dann begann der zweite Krieg. Er war krank und konnte sich nicht verstecken.

R: Haben Sie in der Russischen Föderation enge Freunde? Wenn ja, wie gestaltet sich der Kontakt zu diesen?

BF: Niemanden. Vor dem Krieg hatte ich schon Freunde, aber seit dem Krieg, seit KADYROW an der Macht ist, wurden wir verfolgt und unsere Freunde hatten Angst, mit uns in Kontakt zu treten.

R: Leben Sie in Österreich allein oder mit jemandem zusammen?

BF: In der Pension gibt es Doppelzimmer, ich lebe gemeinsam mit XXXX , sie ist sehr lustig, sie macht immer Witze, aber ich höre sie ja nicht.

R: Welche Sprache sprechen Sie?

BF: Tschetschenisch. Sie spricht auch Tschetschenisch, sie ist aus

XXXX .

R: Sprechen Sie sonstige Sprachen?

BF: Nein.

R: Besuchen Sie in Österreich Deutschkurse oder Berufsqualifizierungsmaßnahmen?

BF: In die Pension kommen zwei Lehrerinnen. Eine kommt am Donnerstag, eine am Freitag, dann gehe ich hin.

R: Unterhalten wir uns mal auf Deutsch.

BF: Ich verstehe nichts, aber die Lehrerin sagt manchmal einzelne Wort wie Glas oder so. Am nächsten Tag weiß ich es nicht.

R: Haben Sie Prüfungen abgeschlossen?

BF: Ja, aber ich vergesse sogar die Vornamen meiner Enkel. Ich verwechs[...]le auch die Namen der Kinder und der Enkel.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) in Österreich Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

BF: Ich bin krank, ich bin nicht gesund genug, um arbeiten zu können. Der Krieg hat mich fertiggemacht.

R: Haben Sie in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt?

BF: Zu uns in die Pension wurde XXXX gebracht und dann habe ich diesen saubergemacht. Einmal 2, einmal 4 kg.

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt, seit Sie in Österreich leben?

BF: Ich lebe in der Pension, ich arbeite doch nicht.

R: Wie nehmen Sie am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaft bei Vereinen, Organisationen, ehrenamtliches Engagement, etc.)?

BF: Ich bin Muslima, aber kein Mitglied.

R: Wie verbringen Sie den Alltag in Österreich?

BF: Ich bete immer an Gott. Dass meine Kinder gute Menschen sind. Deswegen bitte ich immer Gott, dass meine Kinder gute Kinder sind.

R wiederholt die Frage.

BF: Ich wende mich immer an Allah.

R wiederholt die Frage.

BF: Ich bete und dann gehe ich zu meinem Sohn, zu meinen Enkeln. Das ist alles, sonst mache ich nichts. Ich habe keinen Fernseher, eigentlich habe ich dort gar nichts.

R: Schildern Sie Ihren Lebenslauf bis zur Ausreise aus der Russischen Föderation! Wo sind Sie geboren, wo und mit wem zusammen haben Sie gelebt, welche Ausbildung haben Sie gemacht und wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt bestritten?

BF: Als ich noch jung war, habe ich gearbeitet, das waren verschiedene Arbeiten. Ich habe meine Söhne großgezogen. Meine Söhne habe ich auch gezwungen zu arbeiten, dass sie ihr Brot selbst verdienen. Ich habe Gemüse im Garten angebaut und ich habe auch acht Jahre lang in einer XXXX in dem XXXX dort gearbeitet. Welche Ausbildung? Ich weiß gar nicht...

R: Sie geben an, Ihre Kindheit in der Sowjetunion verbracht zu haben, aber keine Schulbildung absolviert zu haben. Das ist ungewöhnlich! Warum?

BF: Mein Vater litt an XXXX und meine Mutter war mit der Erziehung überfordert. Als ich zehn Jahre alt war, bin ich mit meiner Mutter arbeiten gegangen, bei Weintrauben. Deswegen hatte ich keine Zeit, eine Schule zu besuchen.

R: Laut der Einvernahme am 16.06.2016 lebten Sie nach dem XXXX tod Ihres Gatten XXXX bis zu Ihrer Ausreise von der Alterspension, mit der Sie das Auslangen fanden, Ihren Garten gaben Sie XXXX auf. Trifft das zu?

BF: Das mit dem Garten stimmt nicht, den Garten gibt es. Ich habe die ganze Zeit im Garten gearbeitet.

R wieder holt die Frage nach den Wohnorten.

BF: Als ich 19 Jahre alt war, habe ich geheiratet.

R: Beginnen wir von vorne.

BF: Ich bin in XXXX geboren, XXXX sind wir nach Hause geboren. Bis dahin haben wir in XXXX gelebt. Ich war die Älteste, meine Geschwister waren jünger als ich. Als wir zurückgekehrt sind, sind wir gleich nach XXXX gefahren, um dort zu arbeiten.

R: Wer ist wir?

BF: Mein Vater und meine Mutter. Meine Geschwister sind teilweise verstorben, ist nur ein Bruder und eine Schwester übriggeblieben. Ich bin zwei Jahre in die Schule gegangen. Unser Heimatdorf ist das Dorf XXXX . Meine Mutter hat gesagt, dass wir dort hinfahren müssen, um zu arbeiten.

R: Wie lange haben Sie in XXXX gelebt?

BF: Dort wurde ich 19 Jahre alt. Dort sind Leute zu uns gekommen, die um meine Hand angehalten haben und man hat mich verheiratet. Dann bin ich nach XXXX mitmeinem Mann, meine Eltern sind erst später dort hingefahren.

R: Haben Sie in XXXX immer am selben Platz gelebt oder sind Sie auch umgezogen?

BF: Ich habe immer in XXXX gelebt. Dort haben wir ein kleines Haus gebaut, für mich und meinen Mann. In diesem kleinen Haus habe ich sechs Kinder zur Welt gebracht. Dann hat mein Mann als XXXX gearbeitet und wir haben das Haus ein bisschen erweitert.

R: Sie sprechen von vier toten Söhnen und XXXX . Wer ist das sechste Kind?

BF: Mein Mann war vor mir verheiratet. Seine Frau hat ihn verlassen und ich habe damit seine Tochter aus der ersten Ehe gemeint.

R: Sie haben gerade gesagt, dass Sie dort sechs Kinder zur Welt gebracht haben?

BF: Nein, das habe ich nicht gemeint. Mein Sohn hat mir in Österreich gesagt, dass er bis zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, dass das nicht meine leibliche Tochter ist.

R: Diese Stieftochter haben Sie die ganze Zeit nicht aufgezählt, als ich Sie zu Ihrer Verwandtschaft gefragt habe. Warum nicht?

BF: Sie lebt nicht in XXXX . Sie hat in Russland geheiratet und lebt dort.

R: Wo in Russland?

BF: Nicht in XXXX . Mein Sohn hat mir gesagt, dass er das eigentlich mit 16 oder 17 erfahren hat, dass das eine Halbschwester ist. Sie lebt in XXXX .

Die Verhandlung wird [...] unterbrochen.

R: Wie heißt Ihre Stieftocher?

BF: Ich habe auch eine Tochter geboren, aber von der will ich nichts wissen, weil sie einen Mann geheiratet hat, gegen den ich und mein Mann waren.

R: Geben Sie den Namen Ihrer Tochter und Ihrer Stieftochter an?

BF: Meine Tochter heißt XXXX und die andere XXXX , XXXX ist die Stieftochter.

R: Wo wohnen die beiden?

BF: XXXX lebt in unserem Dorf mit ihrem Mann. Die zweite, die gute Tochter lebt in XXXX .

R: Wie halten Sie mit Ihrer guten Tochter Kontakt?

BF: Über SMS-Sprachnachrichten.

R: Sie haben seit Sie 19 waren mit Ihrem Mann in XXXX gelebt. Wo haben Sie nach dem Tod Ihres Mannes gelebt?

BF: Mit meiner Mutter in dem gleichen Haus.

R: Sind Sie zu Ihrer Mutter gezogen?

BF: Meine Mutter ist zu mir gekommen, weil ich ihr so leidgetan habe. Meine Mutter und mein Bruder leben in einem Haus in XXXX .

R: Meinen Sie damit Ihre Schwester? Sie haben angeben, dass Ihre Mutter verstorben ist?

BF: Meine Mutter ist XXXX verstorben.

R: Es gibt ein Haus, in dem leben Ihr Bruder, Ihre Schwägerin und Ihre Schwester, stimmt das?

BF: Mein Bruder und seine Frau haben in einem größeren Haus gewohnt und meine Mutter in einem kleinen mit einem Zimmer. So groß war das groß[e] Haus auch nicht, es hatte zwei oder drei Zimmer, das kleine war quasi ein Erdloch.

R: Dann ist Ihre Mutter zu Ihnen gezogen, wann war das?

BF: Als mein Mann gestorben ist, gleich nach dem Begräbnis.

R: Also XXXX ?

BF: Nein, XXXX. Es sind dann Leute wegen der Bestattungsfeierlichkeiten gekommen und sie ist über Nacht geblieben und dann ist sie ganz geblieben.

R: Ihre Mutter hat dann bis XXXX bei Ihnen gelebt?

BF: Ja.

R: Bis wann haben Ihre Kinder und die Stieftochter bei Ihnen gelebt?

BF: Bis zu ihrer Heirat, damit meine ich die Töchter.

R: Und die Söhne?

BF: Als die Söhne geheiratet haben, sind sie in ihre Häuser übersiedelt.

R: Verstehe ich Sie also richtig, Ihre Söhne haben nur bei Ihnen gelebt, bis sie geheiratet haben?

BF: Mein älterer Sohn hat zuerst mit mir gewohnt und dann ist er mit seinen zwei Kindern und seiner Frau in sein Haus übersiedelt.

R: Haben Sie nach der Heirat Ihrer Söhne mit jemand andere[m] als Ihrem Mann und Ihrer Mutter zusammengelebt?

BF: XXXX , XXXX und XXXX haben mit ihren Frauen bei mir gelebt, XXXX hatte damals noch keine Kinder, die Kinder sind erst in XXXX zur Welt gekommen. Wir haben XXXX das [kleine] Häuschen überlassen, wo ich früher mit meinem Mann gelebt habe. XXXX und XXXX haben jeweils in einem Zimmer gelebt und ich und mein Mann und der nicht verheiratete Sohn haben zwei Zimmer zur Verfügung gehabt.

R: Meine Frage ist aber, nach den Hochzeiten, hat da noch jemand bei Ihnen gelebt?

BF: XXXX mit seiner Frau hat noch bei uns gelebt. Aber als XXXX verstorben ist, ist seine Frau zu Ihren Eltern gezogen.

R: Ihre Schwiegertochter XXXX kehrte XXXX nach Ihrer ersten Asylantragstellung in Österreich freiwillig nach Tschetschenien zurück. Wie war Ihr Kontakt mit Ihr und ihrem XXXX geborenen Enkel XXXX in der Zeit? Wo wohnte sie?

BF: Sie ist zu mir gekommen, hat geschaut, wie ich lebe. Die XXXX konnte nicht in ihr Elternhaus ziehen. Ihr Vater sagte, dass sie dort hingekommen kann, aber nicht der Enkel. Sie wollten das Kind nicht. Ich habe sehr unter dem Tod meiner Söhne gelitten und ich habe keine Kraft aufgebracht, mich um mein Enkelkind zu kümmern. Sie hatte Angst, mit mir zusammenzuleben, weil zu mir oft Militärangehörige gekommen sind. Sie hat bei verschiedenen Verwandten von ihr gelebt.

R: XXXX gab in ihrem Verfahren an, dass Sie bei der Familie Ihres Mannes wohnte - bei wem?

BF: Man hat uns dort gehasst, weil meine Kinder für XXXX gearbeitet haben, in XXXX .

R wiederholt die Frage.

BF: Sie hat schon ein paar Monate bei mir gelebt, aber dann ist sie zu ihrem Vater gezogen. Ihr Vater hat gesagt, dass wenn ihr Kind größer sein wird, dann soll sie das Kind weggeben und nach Hause kommen.

R: Der Vater von XXXX wollte also XXXX , dass Ihr Enkel XXXX bei Ihnen aufwächst. Wie lief das ab?

BF: Ja, das wollte er. Er war gegen meinen Sohn, weil meine Kinder für XXXX waren.

R wiederholt die Frage, wie lief das ab?

BF: Sie hat mir das Kind nicht übergeben. Sie hat versucht, mit dem Kind durchzukommen und hat dort übernachtet, wo es möglich war. Sie war schon zweimal hier. Man hat sie hier nicht aufgenommen und sie hat versucht, irgendwo Unterkunft zu finden, wo es möglich war. Dann nach einem Jahr ist sie wiedergekommen.

R: Konkret gab XXXX in Ihrem Verfahren in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG 2016 an, dass sie ihren Sohn XXXX XXXX bei Ihnen lassen musste und ihr der Kontakt zu ihm verboten worden war, weshalb sie ihn nicht besuchen habe können. Er habe sie nur ein Mal pro Woche besuchen dürfen und habe jedes Mal geweint, wenn er zu Ihnen zurückmusste, XXXX durfte ihn nicht einmal pflegen, wenn er krank war. Sie haben sie aber mit XXXX ausreisen lassen. Was sagen Sie dazu!

BF: Ich habe ihnen gesagt, dass XXXX das Kind nicht behalten durfte, aber bei mir war das Kind nicht lange. Ich konnte mich nicht um das Kind kümmern. Ich habe sehr gelitten, weil meine Kinder tot waren. Er hat vielleicht zwei oder drei Wochen bei mir gelebt. Das Kind hat sehr geweint, er hat seine Mutter vermisst. Sie ist gekommen und hat ihn geholt. Aber sie konnte mit dem Kind nicht in das Elternhaus zurück. Sie ist von einem Haus zum anderen, sie hat bei verschiedenen Leuten übernachtet.

R: In der Einvernahme vom 16.06.2016 gaben Sie an, dass Ihr Haus und das Ihres Sohnes nebeneinanderlagen. Meinten Sie damit, das große neue Haus und das alte kleine Haus, von dem Sie zuvor gesprochen haben?

BF: Wir haben wie gesagt, ein Ein-Zimmer-Haus gehabt. Ich habe mit drei Kindern in einem Bett geschlafen und die anderen Kinder haben auf dem Boden geschlafen, wo es halt möglich war. Mein Mann war ja auch Invalide. Er hatte Probleme mit den Beinen.

R wiederholt die Frage?

BF: Ja. Vorne war das kleine Haus und hinten war das neue Haus.

R: Wer wohnt jetzt in beiden Häusern?

BF: Das kleine Haus ist durch den Krieg und ein Erdbeben weg. Das große Haus gibt es noch. Aber das Haus ist zerstört auch durch die Kriegshandlungen, das ist ein vier Zimmer-Haus.

R: Es ist das Haus, in dem Sie bis zu Ihrer Ausreise XXXX gelebt haben?

BF: Ja, ich habe dort gelebt. Das Haus hätte renoviert werden sollen, ich hatte aber kein Geld und habe daher so dort gewohnt. Wenn es geregnet hat, dann hat es auch zuhause geregnet.

R: Sie gaben vor dem BFA an, dass XXXX dort wohnte. In welchem Haus?

BF: Mein älterer Sohn hat ein Haus gebaut und er hat dort mit seiner Frau und seinen Kindern gelebt.

R: Vor dem BFA gaben Sie an, dass XXXX sich dort ein Haus gebaut hat!

BF: XXXX ist noch jung, hat kein Geld, er kann sich überhaupt kein Haus bauen.

R: Wo hat XXXX dann bis XXXX gelebt?

BF: Im XXXX wurde mein älterer Sohn umgebracht. Ich weiß nicht, wohin meine Schwiegertochter dann mit ihrem Sohn gegangen ist. Ich weiß es deshalb nicht, weil sie dann eine freie Frau war.

R: Sie haben angegeben, dass Sie kein Geld hatten, Ihr Haus zu renovieren. Mit welchem Geld haben Sie die Ausreise finanziert?

BF: Nach dem Tod der Mutter ist noch ein bisschen Geld von der Mutter übriggeblieben und ich habe auch noch ein bisschen Geld gespart.

R: Gab es Probleme bei der Ausreise?

BF: Ja, sehr große sogar. Jedes Jahr hat man überprüft, wie viele Leute am Leben geblieben sind, deswegen hat man jedes Jahr nach meinen Kindern gefragt. Alle drei Monate sind die Leute auch so zu mir gekommen.

R wiederholt die Frage.

BF: Nein.

R: Wann haben Sie geplant, auszureisen?

BF: Nach dem Tod meiner Mutter habe ich große Sehnsucht gehabt, ich konnte dort nicht bleiben.

R: Ihre Mutter ist XXXX gestorben, stimmt das?

BF: Ja.

R: Warum haben Sie dann bereits XXXX einen Auslandsreisepass beantragt?

BF: Ich wollte einfach einen Auslandsreisepass haben, darum habe ich ihn mir ausstellen lassen. Ich bin damit nach XXXX gefahren, um einzukaufen.

R: Wie oft sind Sie nach XXXX gefahren?

BF: Nur einmal. Aber als mein Sohn dort war, musste ich wegen ihm dort hin. Dann hat man gesagt, dass man dort nicht mehr hindarf ohne Auslandspass.

R: Dann haben Sie den Auslandspass beantragt?

BF: Ja, meine Schwester ist immer hingefahren. Sie hat gesagt, dass es besser für mich wäre, wenn ich so einen Pass hätte. Sie hat gesagt, dass wenn meine Mutter nicht mehr am Leben sein wird, ich zu meinem Sohn fahren soll.

R: Gab es Probleme bei der Passausstellung und Ihren Reisen nach XXXX ?

BF: Wenn man Geld zahlt, kann man in Tschetschenien alles erledigen.

R: Sie gaben bei der Erstbefragung an, dass Sie mit drei Kleinbussen von XXXX nach Österreich gebracht wurden. Beschreiben Sie die Kleinbusse!

BF: Ich weiß nichts davon. Es waren auch andere Leute mit mir. Ich kann nicht schnell gehen, ich vergesse alles, ich kann mich an nichts mehr erinnern. Ich hatte Probleme mit dem Atem.

R wiederholt die Frage?

BF: Ich kann mich an nichts mehr erinnern.

R: Sie stellten am XXXX einen Asylantrag. Am XXXX gab Ihr Sohn eine Erklärung ab. Wie haben Sie ihn so schnell kontaktiert?

BF: Ich weiß nicht, was Sie sagen.

R wiederholt die Frage.

BF: Woher soll ich das wissen?

R: Wo hätte ihr Sohn sonst wissen sollen, wo Sie sind?

BF: Mit mir waren auch andere Leute. Ich kenne mich nicht aus, aber die anderen waren Leute mit Köpfchen.

R: Das heißt, Sie haben Ihren Sohn nicht kontaktiert?

BF: Ich weiß es nicht.

R: Sind Sie in Österreich und Ihrem Herkunftsland strafgerichtlich unbescholten?

BF: Ich bin unbescholten.

R: Sind Sie abgesehen von der unrechtmäßigen Einreise auf andere Art und Weise mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten?

BF: Die Militärangehörigen wussten, dass meine Kinder tot sind.

R wiederholt die Frage.

BF: Mit der österreichischen Rechtsordnung bin ich nicht in Konflikt geraten.

R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über Ihre privaten und familiären Bindungen in Österreich und in der Russischen Föderation bzw. Ihren Lebensumständen machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Möchten Sie zu diesem Themenkomplex noch etwas angeben?

BF: Nein.

[...]

R: Wurde das richtig protokolliert, was Sie vorher angegeben haben?

BF: Ja. [...] Zu Seite 4 gebe ich an, dass es die Probleme zuhause gegeben hat. Hier habe ich höchstens sprachliche Probleme. Zu Seite 19 gebe ich, dass der Ehemann von meiner Tochter ein KADYROW-Mann war. Er hat ihr den Kontakt zu uns verboten. [...]

R: Sie wurden bereits beim Bundesasylamt bzw. bei den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

BF: Dort wo die Flüchtlinge waren, dort wurde ich nur nach dem Weg gefragt, wie ich hierhergekommen bin.

R: Ich wollte wissen, ob es Probleme gab?

BF: Nein.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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