TE Vwgh Erkenntnis 1999/1/15 96/21/0062

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Veröffentlicht am 15.01.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, in der Beschwerdesache des AB, geboren am 23. Dezember 1968, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 14. Dezember 1995, Zl. St 410/95, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes und Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG,

Spruch

1. den Beschluß gefaßt:

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen das über den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot richtet, als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

2. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung zum Gegenstand hat, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen irakischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 sowie den §§ 19 bis 21 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Weiters stellte die belangte Behörde gemäß § 54 FrG fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, daß der Beschwerdeführer in der Republik Irak gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung in die Republik Irak sei somit zulässig (Spruchpunkt II.).

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 10. Oktober 1995 beim Versuch, in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen, durch die bayerische Grenzpolizei aufgegriffen und zurückgewiesen worden. Sein Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. Oktober 1995 abgewiesen worden. Aus seiner Vernehmung ergebe sich, daß er Bagdad am 2. August 1995 verlassen habe und mit einem Taxi gemeinsam mit seiner Ehegattin in die autonome Kurdenzone des Nordirak gefahren sei. An der Grenze zum Kurdengebiet habe er anstandslos einreisen dürfen, seine Gattin sei jedoch zurückgehalten worden. Letztlich sei er dann am 1. September 1995 illegal in die Türkei eingereist. In Istanbul habe er mit einem Schlepper Kontakt aufgenommen und sei dann auf einem ihm angeblich unbekannten Landweg nach Wien gelangt. Als Fluchtgrund habe er angegeben, er wäre als Zahnarzt in einem Krankenhaus in Bagdad beschäftigt, sein Vater hätte für die kurdische Menschenrechtsorganisation gearbeitet. Er hätte seinem Vater in Bagdad geholfen, indem er Flugblätter dieser Organisation übernommen und verteilt hätte. Der Geheimdienst hätte versucht, ihn im Krankenhaus am 16. Juli 1995 festzunehmen. Dieser Festnahme wäre er zufällig entkommen. Einen Tag später wäre der Geheimdienst zu ihm nach Hause gekommen. Ein Verwandter hätte die Türe geöffnet und diesem wäre mitgeteilt worden, daß der Beschwerdeführer hätte verhaftet werden sollen. Sein Verwandter hätte seinen Aufenthalt im Haus verleugnet und der Beschwerdeführer hätte sich dann bis zur Abreise bei Verwandten versteckt.

Durch die Verwendung eines nicht für ihn ausgestellten Reisepasses und die Inanspruchnahme eines Schleppers sei die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Zum Ausspruch gemäß § 54 Abs. 1 FrG führte die belangte Behörde weiters aus:

Zufolge des Umstands, daß die Person des Beschwerdeführers in keiner Weise feststehe, falle es schwer, seinem Vorbringen über die Umstände, die ihn zur Flucht veranlaßt hätten, Glauben zu schenken. In diesem Zusammenhang scheine sein Argument nicht zutreffend, er hätte seinen Reisepaß nicht mitnehmen können, nachdem er sich behauptetermaßen immerhin vom 17. Juli bis zum 2. August 1995 noch in Bagdad aufgehalten habe. Außerdem habe er seinen Angaben zufolge in das autonome Kurdengebiet im Irak anstandslos einreisen können, was wohl auch ohne Identitätsnachweis kaum möglich gewesen wäre. Aber selbst wenn man den Angaben des Beschwerdeführers über das angebliche Verteilen von Flugblättern Glauben schenken würde und der Beschwerdeführer deshalb vom irakischen Geheimdienst gesucht worden wäre, ließe sich daraus noch nicht stichhaltig ableiten, er würde Gefahr laufen, im Irak einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden (§ 37 Abs. 1 FrG). Seinem Vorbringen nach hätten sich die nach ihm fragenden Beamten des Geheimdienstes mit der bloßen Behauptung eines Verwandten zufrieden gegeben, der Beschwerdeführer wäre nicht zu Hause. Aus der bloßen Nachfrage lasse sich noch nicht ableiten, ihm würden die in § 37 Abs. 1 FrG angeführten Gefahren drohen. Gegen den Umstand, daß er gesucht werde, spreche auch die Tatsache, daß er unbehelligt in die autonome Kurdenzone des Irak habe einreisen können. Daß sein Leben oder seine Freiheit im Irak aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht wäre, könne aufgrund seines Vorbringens ausgeschlossen werden. Wegen der mangelnden Intensität der gegenüber dem Beschwerdeführer staatlicherseits gesetzten Handlungen könne nicht gesagt werden, daß sein Leben oder seine Freiheit im Irak bedroht wäre, selbst wenn man von der Glaubwürdigkeit seiner Angaben ausgehen wollte. Eine neuerliche Vernehmung des Beschwerdeführers sei entbehrlich, weil bereits zwei ausführliche Vernehmungen des Beschwerdeführers stattgefunden hätten. Es lägen somit keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, daß der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung in den Irak aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen bedroht sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte unter Verzicht auf die Erstattung

einer Gegenschrift die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zum Aufenthaltsverbot:

Mit dem - am 1. Jänner 1998 in Kraft getretenen - Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75, wurden die gesetzlichen Voraussetzungen zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unterschiedlich zu jenen des Fremdengesetzes aus 1992 geregelt.

§ 114 Abs. 4 und 7 des Fremdengesetzes 1997 lautet:

"(4) Aufenthaltsverbote, die beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof angefochten sind, treten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes außer Kraft, sofern der angefochtene Bescheid nicht offensichtlich auch in den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Grundlage fände.

...

(7) In den Fällen der Abs. 4 und 5 ist die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers einzustellen; mit dem Beschluß über die Gegenstandslosigkeit der Beschwerde tritt in diesen Fällen auch der Bescheid erster Instanz außer Kraft. Solchen Aufenthaltsverboten oder Ausweisungen darf für Entscheidungen, die nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes getroffen werden sollen, keine nachteilige Wirkung zukommen."

Die Voraussetzungen für die Erklärung der Beschwerde als gegenstandslos und die Einstellung des Verfahrens im Sinn der eben genannten Bestimmung sind im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen erfüllt:

§ 36 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 lautet:

"§ 36. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt

1.

die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2.

anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft."

Damit wurde der Behörde - anders als nach § 18 Abs. 1 FrG - Ermessen eingeräumt.

Der Beschwerdeführer hatte in dem zur Erlassung des von ihm angefochtenen Aufenthaltsverbotes führenden Verfahren keine Möglichkeit, erst im Rahmen der nunmehrigen Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 relevante, gegen dessen Erlassung sprechende Umstände aufzuzeigen. Insbesondere enthält der angefochtene Bescheid keine Begründungselemente, die eine Überprüfung im Hinblick auf die nunmehr gebotene Ermessensübung ermöglichen würden.

Es liegt auch kein Fall vor, in welchem das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und daher eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung entbehrlich wäre (vgl. die in § 38 Abs. 1 Z. 3 sowie § 35 Abs. 3 Z. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 genannten Fälle und zum Ganzen den hg. Beschluß vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490). Somit kann nicht gesagt werden, daß der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch über die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 114 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 "offensichtlich auch in den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Grundlage fände", weshalb er in diesem Umfang gemäß § 114 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 mit 1. Jänner 1998 außer Kraft getreten ist.

Somit war die Beschwerde insoweit gemäß § 114 Abs. 7 iVm Abs. 4 und § 115 des Fremdengesetzes 1997 als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Hingewiesen wird darauf, daß mit dem vorliegenden Beschluß gemäß § 114 Abs. 7 erster Satz, zweiter Halbsatz, des Fremdengesetzes 1997 auch der Bescheid der Behörde erster Instanz außer Kraft tritt.

Zur Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0229) vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG glaubhaft zu machen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen.

Die in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebene Begründung des angefochtenen Bescheids ist mangelhaft. Den Formulierungen

"fällt es schwer, ... Glauben zu schenken", "scheint Ihr Argument

nicht zutreffend", "Aber selbst wenn man Ihren Angaben ... Glauben

schenken würde" kann keine Beweiswürdigung dahin entnommen werden, ob die belangte Behörde nun dem Beschwerdeführer glaubt oder nicht. Durch das Unterlassen einer Beweiswürdigung traf die belangte Behörde keine Feststellungen, die eine tragfähige Grundlage für ihre rechtliche Beurteilung hätten bilden können.

Die Relevanz dieses Verfahrensmangels ist gegeben, weil die belangte Behörde, hätte sie die maßgeblichen Feststellungen auf der Basis des Vorbringens des Beschwerdeführers getroffen, zu einem anderen (für ihn günstigen) Ergebnis hätte kommen können, denn aus zweimaligen Versuchen der Behörden des Heimatstaates des Beschwerdeführers, ihn deswegen zu verhaften, weil er Flugblätter mit regimekritischem Inhalt verteilt hat, kann eine von staatlichen Stellen ausgehende Bedrohung seiner Freiheit aus Gründen seiner politischen Ansichten (§ 37 Abs. 2 FrG) abgeleitet werden. Da die genauen Umstände des Entkommens des Beschwerdeführers nicht festgestellt wurden, kann allein aus dem Fehlschlagen der Versuche der Festnahme noch nicht auf eine mangelnde Intensität der Verfolgungshandlungen geschlossen werden.

Da die belangte Behörde somit ihren Bescheid im Umfang des Abspruchs über den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete, war dieser insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b) und c) VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. Jänner 1999

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996210062.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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