TE Vfgh Erkenntnis 2019/6/13 G11/2019

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Veröffentlicht am 13.06.2019
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Index

25/01 Strafprozess

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StPO §199
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch den Ausschluss der Diversion bei Privatanklagedelikten nach der Strafprozessordnung; keine Bedenken gegen den Ausschluss der Diversion auf Grund der Unterschiede der Ordnungssysteme im Privatanklage- und Offizialdeliktsverfahren; Verfügungsbefugnis über Verfahren verbleibt bei Privatankläger

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, die Wortfolge "wegen Begehung einer strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist," in §199 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 121/2016 als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

§198, §199, §200, §201, §202, §203, §204, §205, §206, §207, §208, §209 und §209b der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 27/2018 lauten (die angefochtene Wortfolge in §199 StPO – idF BGBl I 121/2016 – ist hervorgehoben):

"11. Hauptstück

Rücktritt von der Verfolgung (Diversion)

Allgemeines

§198. (1) Die Staatsanwaltschaft hat nach diesem Hauptstück vorzugehen und von Verfolgung einer Straftat zurückzutreten, wenn auf Grund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach den §§190 bis 192 nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf

1. die Zahlung eines Geldbetrages (§200) oder

2. die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§201) oder

3. die Bestimmung einer Probezeit, in Verbindung mit Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten (§203), oder

4. einen Tatausgleich (§204)

nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

(2) Ein Vorgehen nach diesem Hauptstück ist jedoch nur zulässig, wenn

1. die Tat nicht mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist,

2. die Schuld des Beschuldigten nicht als schwer (§32 StGB) anzusehen wäre und

3. die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat, es sei denn, dass ein Angehöriger des Beschuldigten fahrlässig getötet worden ist und eine Bestrafung im Hinblick auf die durch den Tod des Angehörigen beim Beschuldigten verursachte schwere psychische Belastung nicht geboten erscheint.

(3) Nach diesem Hauptstück darf im Fall des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §302 Abs1 StGB nur vorgegangen werden, soweit der Beschuldigte durch die Tat keine oder eine bloß geringfügige oder sonst unbedeutende Schädigung an Rechten herbeigeführt hat und die Tat nicht auch nach §§304 oder 307 StGB mit Strafe bedroht ist. Im Übrigen ist ein Vorgehen nach diesem Hauptstück ausgeschlossen, soweit es sich um eine im Zehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB geregelte strafbare Handlung handelt, die mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.

§199. Nach Einbringen der Anklage wegen Begehung einer strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist, hat das Gericht die für die Staatsanwaltschaft geltenden Bestimmungen der §§198, 200 bis 209b sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

Zahlung eines Geldbetrages

§200. (1) Unter den Voraussetzungen des §198 kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat zurücktreten, wenn der Beschuldigte einen Geldbetrag zu Gunsten des Bundes entrichtet.

(2) Der Geldbetrag darf den Betrag nicht übersteigen, der einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zuzüglich der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens (§§389 Abs2 und 3, 391 Abs1) entspricht. Er ist innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der Mitteilung nach Abs4 zu bezahlen. Sofern dies den Beschuldigten unbillig hart träfe, kann ihm jedoch ein Zahlungsaufschub für längstens sechs Monate gewährt oder die Zahlung von Teilbeträgen innerhalb dieses Zeitraums gestattet werden.

(3) Soweit nicht aus besonderen Gründen darauf verzichtet werden kann, ist der Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages überdies davon abhängig zu machen, dass der Beschuldigte binnen einer zu bestimmenden Frist von höchstens sechs Monaten den aus der Tat entstandenen Schaden gutmacht und dies unverzüglich nachweist.

(4) Die Staatsanwaltschaft hat dem Beschuldigten mitzuteilen, dass Anklage gegen ihn wegen einer bestimmten Straftat beabsichtigt sei, aber unterbleiben werde, wenn er einen festgesetzten Geldbetrag und gegebenenfalls Schadensgutmachung in bestimmter Höhe leiste. Des weiteren hat die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten im Sinne des §207 sowie über die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs (Abs2) zu informieren, soweit sie ihm einen solchen nicht von Amts wegen in Aussicht stellt.

(5) Nach Leistung des Geldbetrages und allfälliger Schadensgutmachung hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß §205 nachträglich fortzusetzen ist.

Gemeinnützige Leistungen

§201. (1) Unter den Voraussetzungen des §198 kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat vorläufig zurücktreten, wenn sich der Beschuldigte ausdrücklich bereit erklärt hat, innerhalb einer zu bestimmenden Frist von höchstens sechs Monaten unentgeltlich gemeinnützige Leistungen zu erbringen.

(2) Gemeinnützige Leistungen sollen die Bereitschaft des Beschuldigten zum Ausdruck bringen, für die Tat einzustehen. Sie sind in der Freizeit bei einer geeigneten Einrichtung zu erbringen, mit der das Einvernehmen herzustellen ist.

(3) Soweit nicht aus besonderen Gründen darauf verzichtet werden kann, ist der Rücktritt von der Verfolgung nach gemeinnützigen Leistungen überdies davon abhängig zu machen, dass der Beschuldigte binnen einer zu bestimmenden Frist von höchstens sechs Monaten den aus der Tat entstandenen Schaden gutmacht oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beiträgt und dies unverzüglich nachweist.

(4) Die Staatsanwaltschaft hat dem Beschuldigten mitzuteilen, dass Anklage gegen ihn wegen einer bestimmten Straftat beabsichtigt sei, aber vorläufig unterbleiben werde, wenn er sich bereit erklärt, binnen bestimmter Frist gemeinnützige Leistungen in nach Art und Ausmaß bestimmter Weise zu erbringen und gegebenenfalls Tatfolgenausgleich zu leisten. Die Staatsanwaltschaft hat den Beschuldigten dabei im Sinne des §207 zu informieren; sie kann auch eine in der Sozialarbeit erfahrene Person um die Erteilung dieser Informationen sowie darum ersuchen, die gemeinnützigen Leistungen zu vermitteln (§29b des Bewährungshilfegesetzes). Die Einrichtung (Abs2) hat dem Beschuldigten oder dem Sozialarbeiter eine Bestätigung über die erbrachten Leistungen auszustellen, die unverzüglich vorzulegen ist.

(5) Nach Erbringung der gemeinnützigen Leistungen und allfälligem Tatfolgenausgleich hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung endgültig zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß §205 nachträglich fortzusetzen ist.

§202. (1) Gemeinnützige Leistungen dürfen täglich nicht mehr als acht Stunden, wöchentlich nicht mehr als 40 Stunden und insgesamt nicht mehr als 240 Stunden in Anspruch nehmen; auf eine gleichzeitige Aus- und Fortbildung oder eine Berufstätigkeit des Beschuldigten ist Bedacht zu nehmen. Gemeinnützige Leistungen, die einen unzumutbaren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte oder in die Lebensführung des Beschuldigten darstellen würden, sind unzulässig.

(2) Die Leiter der Staatsanwaltschaften haben jeweils eine Liste von Einrichtungen, die für die Erbringung gemeinnütziger Leistungen geeignet sind, zu führen und erforderlichenfalls zu ergänzen. In diese Liste ist auf Verlangen jedermann Einsicht zu gewähren.

(3) Fügt der Beschuldigte bei der Erbringung gemeinnütziger Leistungen der Einrichtung oder deren Träger einen Schaden zu, so ist auf seine Ersatzpflicht das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz, BGBl Nr 80/1965, sinngemäß anzuwenden. Fügt der Beschuldigte einem Dritten einen Schaden zu, so haftet dafür neben ihm auch der Bund nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Die Einrichtung oder deren Träger haftet in diesem Fall dem Geschädigten nicht.

(4) Der Bund hat den Schaden nur in Geld zu ersetzen. Von der Einrichtung, bei der die gemeinnützigen Leistungen erbracht wurden, oder deren Träger kann er Rückersatz begehren, insoweit diesen oder ihren Organen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, insbesondere durch Vernachlässigung der Aufsicht oder Anleitung, zur Last fällt. Auf das Verhältnis zwischen dem Bund und dem Beschuldigten ist das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz, BGBl Nr 80/1965, sinngemäß anzuwenden.

(5) Erleidet der Beschuldigte bei Erbringung gemeinnütziger Leistungen einen Unfall oder eine Krankheit, so gelten die Bestimmungen der §§76 bis 84 des Strafvollzugsgesetzes dem Sinne nach.

Probezeit

§203. (1) Unter den Voraussetzungen des §198 kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig zurücktreten. Der Lauf der Probezeit beginnt mit der Zustellung der Verständigung über den vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung.

(2) Soweit nicht aus besonderen Gründen darauf verzichtet werden kann, ist der vorläufige Rücktritt von der Verfolgung überdies davon abhängig zu machen, dass sich der Beschuldigte ausdrücklich bereit erklärt, während der Probezeit bestimmte Pflichten zu erfüllen, die als Weisungen (§51 StGB) erteilt werden könnten, und sich durch einen Bewährungshelfer (§52 StGB) betreuen zu lassen. Dabei kommt insbesondere die Pflicht in Betracht, den entstandenen Schaden nach Kräften gutzumachen oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beizutragen.

(3) Die Staatsanwaltschaft hat dem Beschuldigten mitzuteilen, dass Anklage gegen ihn wegen einer bestimmten Straftat für eine bestimmte Probezeit vorläufig unterbleibe, und ihn im Sinne des §207 zu informieren. Gegebenenfalls hat die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten mitzuteilen, dass dieser vorläufige Rücktritt von der Verfolgung voraussetze, dass er sich ausdrücklich bereit erklärt, bestimmte Pflichten auf sich zu nehmen und sich von einem Bewährungshelfer betreuen zu lassen (Abs2). In diesem Fall kann die Staatsanwaltschaft auch eine in der Sozialarbeit erfahrene Person um die Erteilung dieser Informationen sowie darum ersuchen, den Beschuldigten bei der Erfüllung solcher Pflichten zu betreuen (§29b des Bewährungshilfegesetzes).

(4) Nach Ablauf der Probezeit und Erfüllung allfälliger Pflichten hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung endgültig zurückzutreten, sofern das Verfahren nicht gemäß §205 nachträglich fortzusetzen ist.

Tatausgleich

§204. (1) Unter den Voraussetzungen des §198 kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat zurücktreten oder im Fall eines Vorgehens nach Abs3 endgültig zurücktreten, wenn durch die Tat Rechtsgüter einer Person unmittelbar beeinträchtigt sein könnten und der Beschuldigte bereit ist, für die Tat einzustehen und sich mit deren Ursachen auseinander zu setzen, wenn er allfällige Folgen der Tat auf eine den Umständen nach geeignete Weise ausgleicht, insbesondere dadurch, dass er aus der Tat entstandenen Schaden gutmacht oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beiträgt, und wenn er erforderlichenfalls Verpflichtungen eingeht, die seine Bereitschaft bekunden, Verhaltensweisen, die zur Tat geführt haben, künftig zu unterlassen.

(2) Das Opfer und sein Vertreter sind in Bemühungen um einen Tatausgleich einzubeziehen, soweit sie dazu bereit sind. Das Zustandekommen eines Ausgleichs ist von der Zustimmung des Opfers abhängig, es sei denn, dass es diese aus Gründen nicht erteilt, die im Strafverfahren nicht berücksichtigungswürdig sind. Die berechtigten Interessen des Opfers sind jedenfalls zu berücksichtigen (§206).

(3) Die Staatsanwaltschaft kann einen Konfliktregler ersuchen, das Opfer und den Beschuldigten und ihre Vertreter über die Möglichkeit eines Tatausgleichs sowie im Sinne der §§206 und 207 zu informieren und bei ihren Bemühungen um einen solchen Ausgleich anzuleiten und zu unterstützen (§29a des Bewährungshilfegesetzes). In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung vorläufig zurückzutreten.

(4) Der Konfliktregler hat der Staatsanwaltschaft über Ausgleichsvereinbarungen zu berichten und deren Erfüllung zu überprüfen. Einen abschließenden Bericht hat er zu erstatten, wenn der Beschuldigte seinen Verpflichtungen zumindest soweit nachgekommen ist, dass unter Berücksichtigung seines übrigen Verhaltens angenommen werden kann, er werde die Vereinbarungen weiter einhalten, oder wenn nicht mehr zu erwarten ist, dass ein Ausgleich zustande kommt.

Nachträgliche Fortsetzung des Strafverfahrens

§205. (1) Nach einem nicht bloß vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung des Beschuldigten nach diesem Hauptstück (§§200 Abs5, 201 Abs5, 203 Abs4 und 204 Abs1) ist eine Fortsetzung des Strafverfahrens nur unter den Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme zulässig. Vor einem solchen Rücktritt ist das Strafverfahren jedenfalls dann fortzusetzen, wenn der Beschuldigte dies verlangt.

(2) Hat die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten vorgeschlagen, einen Geldbetrag zu bezahlen (§200 Abs4), gemeinnützige Leistungen zu erbringen (§201 Abs4) oder eine Probezeit und allfällige Pflichten auf sich zu nehmen (§203 Abs3), oder ist die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat vorläufig zurückgetreten (§§201 Abs1, 203 Abs1, 204 Abs3), so hat sie das Strafverfahren fortzusetzen, wenn

1. der Beschuldigte den Geldbetrag samt allfälliger Schadensgutmachung, oder die gemeinnützigen Leistungen samt allfälligem Tatfolgenausgleich nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zahlt oder erbringt oder wenn eine Ausgleichsvereinbarung nicht zustande kommt oder diese vom Beschuldigten nicht erfüllt wird,

2. der Beschuldigte übernommene Pflichten nicht hinreichend erfüllt, den Pauschalkostenbeitrag (§388 Abs1 und 2) nicht leistet oder sich beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht oder

3. Entgegen den Beschuldigten vor Ablauf der Probezeit oder vor Erstattung des abschließenden Berichts nach §204 Abs4 wegen einer anderen Straftat ein Strafverfahren eingeleitet wird. In diesem Fall ist die nachträgliche Fortsetzung des Verfahrens zulässig, sobald gegen den Beschuldigten wegen der neuen oder neu hervorgekommenen Straftat Anklage eingebracht wird, und zwar auch noch während dreier Monate nach dem Einbringen, selbst wenn inzwischen die Probezeit abgelaufen ist. Das nachträglich fortgesetzte Strafverfahren ist jedoch nach Maßgabe der übrigen Voraussetzungen zu beenden, wenn das neue Strafverfahren auf andere Weise als durch einen Schuldspruch beendet wird.

(3) Von der Fortsetzung des Verfahrens kann jedoch abgesehen werden, wenn dies in den Fällen des Abs2 Z1 aus besonderen Gründen vertretbar erscheint, in den Fällen des Abs2 Z2 und 3 nach den Umständen nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Im Übrigen ist die Fortsetzung des Verfahrens in den im Abs2 angeführten Fällen außer unter den in Z1 bis 3 angeführten Voraussetzungen nur zulässig, wenn der Beschuldigte den dort erwähnten Vorschlag der Staatsanwaltschaft nicht annimmt.

(4) Wenn der Beschuldigte den Geldbetrag nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zahlen oder den übernommenen Verpflichtungen nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommen kann, weil ihn dies wegen einer erheblichen Änderung der für die Höhe des Geldbetrages oder die Art oder den Umfang der Verpflichtungen maßgeblichen Umstände unbillig hart träfe, so kann die Staatsanwaltschaft die Höhe des Geldbetrages oder die Verpflichtung angemessen ändern.

(5) Verpflichtungen, die der Beschuldigte übernommen, und Zahlungen und sonstige Ausgleichsmaßnahmen, zu denen er sich bereit erklärt hat, werden mit der nachträglichen Fortsetzung des Verfahrens gegenstandslos. Die Bewährungshilfe endet; §179 bleibt jedoch unberührt. Geldbeträge, die der Beschuldigte geleistet hat (§200), sind auf eine nicht bedingt nachgesehene Geldstrafe unter sinngemäßer Anwendung des §38 Abs1 Z1 StGB anzurechnen; im Übrigen sind sie zurückzuzahlen. Andere Leistungen sind nicht zu ersetzen, im Fall einer Verurteilung jedoch gleichfalls angemessen auf die Strafe anzurechnen. Dabei sind insbesondere Art und Dauer der Leistung zu berücksichtigen.

Rechte und Interessen der Opfer

§206. (1) Bei einem Vorgehen nach diesem Hauptstück sind stets die Interessen des Opfers, insbesondere jenes auf Wiedergutmachung zu prüfen und im größtmöglichen Ausmaß zu fördern. Das Opfer hat das Recht, eine Vertrauensperson beizuziehen. Jedenfalls sind Opfer unverzüglich im Sinne von §70 Abs1 über ihre Rechte, insbesondere jenes auf Prozessbegleitung und die in Betracht kommenden Opferschutzeinrichtungen zu informieren. Soweit dies zur Wahrung ihrer Interessen und Rechte, insbesondere jenem auf Schadensgutmachung geboten erscheint, ist ihnen und ihrer Vertretung, jedenfalls im Fall von Gewalt in Wohnungen (§38a SPG) und bei Opfern im Sinn des §65 Z1 lita vor einem Rücktritt von der Verfolgung ausreichend Zeit zur Stellungnahme zu geben.

(2) Das Opfer ist jedenfalls zu verständigen, wenn sich der Beschuldigte bereit erklärt, aus der Tat entstandenen Schaden gutzumachen oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beizutragen. Gleiches gilt für den Fall, dass der Beschuldigte eine Pflicht übernimmt, welche die Interessen des Geschädigten unmittelbar berührt.

Information des Beschuldigten

§207. Bei einem Vorgehen nach diesem Hauptstück ist der Beschuldigte eingehend über seine Rechte zu informieren, insbesondere über die Voraussetzungen für einen Rücktritt von der Verfolgung, über das Erfordernis seiner Zustimmung, über seine Möglichkeit, eine Fortsetzung des Verfahrens zu verlangen, über die sonstigen Umstände, die eine Fortsetzung des Verfahrens bewirken können (§205 Abs2) und über die Notwendigkeit eines Pauschalkostenbeitrags (§388).

Gemeinsame Bestimmungen

§208. (1) Um die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach diesem Hauptstück abzuklären, kann die Staatsanwaltschaft den Leiter der für den Tatausgleich zuständigen Einrichtung ersuchen, mit dem Opfer, mit dem Beschuldigten und gegebenenfalls auch mit jener Einrichtung, bei der gemeinnützige Leistungen zu erbringen oder eine Schulung oder ein Kurs zu besuchen wären, Verbindung aufzunehmen und sich dazu zu äußern, ob die Zahlung eines Geldbetrages, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen, die Bestimmung einer Probezeit, die Übernahme bestimmter Pflichten, die Betreuung durch einen Bewährungshelfer oder ein Tatausgleich zweckmäßig wäre.

(2) Auf begründeten Antrag des Beschuldigten kann ein nach §200 festgesetzter Geldbetrag niedriger bemessen oder das gestellte Anbot geändert werden, wenn neu hervorgekommene oder nachträglich eingetretene Umstände ein solches Vorgehen erfordern.

(3) Vom Rücktritt von der Verfolgung hat die Staatsanwaltschaft die Kriminalpolizei, den Beschuldigten, das Opfer und, sofern es mit dem Verfahren befasst war, das Gericht zu verständigen. Hat das Gericht das Verfahren gemäß §199 eingestellt, obliegen die Verständigungen diesem. In der Verständigung sind die maßgebenden Umstände für die Erledigung in Schlagworten darzustellen.

§209. (1) Die Staatsanwaltschaft kann nach diesem Hauptstück von der Verfolgung zurücktreten, solange sie noch nicht Anklage eingebracht hat. Danach hat sie bei Gericht zu beantragen, das Verfahren einzustellen (§199).

(2) Gerichtliche Beschlüsse nach diesem Hauptstück sind in der Hauptverhandlung vom erkennenden Gericht, sonst vom Vorsitzenden, in der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht jedoch vom Schwurgerichtshof zu fassen. Bevor das Gericht dem Beschuldigten eine Mitteilung nach den §§200 Abs4, 201 Abs4, 203 Abs3 oder einen Beschluss, mit dem das Verfahren eingestellt wird, zustellt, hat es die Staatsanwaltschaft zu hören. Gegen einen solchen Beschluss steht nur der Staatsanwaltschaft Beschwerde zu; dem Beschuldigten ist dieser Beschluss erst dann zuzustellen, wenn er der Staatsanwaltschaft gegenüber in Rechtskraft erwachsen ist.

(3) Solange über eine Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem ein Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens nach diesem Hauptstück abgewiesen wurde, noch nicht entschieden wurde, ist die Durchführung einer Hauptverhandlung nicht zulässig. Eine Beschwerde gegen die nachträgliche Fortsetzung des Strafverfahrens hat aufschiebende Wirkung.

Rücktritt von der Verfolgung wegen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft

§209a. (1) Der Täter einer Straftat,

1. die der Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht (§31 Abs2 und 3) unterliegt,

2. die der Zuständigkeit der WKStA (§20a) unterliegt oder die Kriterien des §20b erfüllt, oder

3. nach den §§277, 278, 278a oder 278b StGB oder einer Tat, die mit einer solchen Verabredung, Vereinigung oder Organisation im Zusammenhang steht,

hat nach Maßgabe der Abs2 und 3 das Recht, ein Vorgehen nach den §§199, 200 bis 203 und 205 bis 209 zu verlangen, wenn er freiwillig an die Staatsanwaltschaft herantritt, ein reumütiges Geständnis (§34 Abs1 Z17 StGB) über seinen Tatbeitrag ablegt und sein Wissen über neue Tatsachen oder Beweismittel offenbart, deren Kenntnis wesentlich dazu beiträgt, die umfassende Aufklärung einer in den Z1 bis 3 genannten Straftaten über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus zu fördern oder eine Person auszuforschen, die an einer solchen Verabredung führend teilgenommen hat oder in einer solchen Vereinigung oder Organisation führend tätig war (Z3).

 

(2) Soweit der Täter wegen seiner Kenntnisse über in Abs1 genannte Taten noch nicht als Beschuldigter vernommen (§§48 Abs1 Z2, 164, 165) und wegen dieser Taten kein Zwang gegen ihn ausgeübt wurde, hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat dieser Person vorläufig zurückzutreten, es sei denn, das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs1 ist von vornherein ausgeschlossen.

(3) Sobald feststeht, dass die Voraussetzungen des Abs1 vorliegen und eine Bestrafung unter Berücksichtigung des Gewichts des Beitrags der Informationen zur Aufklärung oder Ausforschung im Verhältnis zu Art und Ausmaß seines Tatbeitrages nicht geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten, hat die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen der §§200 bis 203 und 205 bis 209 die Erbringung der dort vorgesehenen Leistungen und die weitere Zusammenarbeit bei der Aufklärung aufzutragen. Abweichend von §200 Abs2 darf der zu entrichtende Geldbetrag einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen entsprechen. Liegen jedoch die Voraussetzungen nicht vor, so hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren fortzusetzen und bei Vorliegen der Voraussetzungen des §41a StGB dessen Anwendung zu beantragen und dies auch dem Beschuldigten mitzuteilen.

(4) Nach Erbringung der Leistungen hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung einzustellen.

(5) Wenn

1. die eingegangene Verpflichtung zur Zusammenarbeit bei der Aufklärung verletzt wurde oder

2. die zur Verfügung gestellten Unterlagen und Informationen falsch waren, keinen wesentlichen Beitrag im Sinn des Abs1 zu liefern vermochten oder nur zur Verschleierung der eigenen führenden Tätigkeit in einer in Abs1 Z3 genannten Verabredung, Vereinigung oder Organisation gegeben wurden,

kann die nach Abs4 vorbehaltene Verfolgung wieder aufgenommen werden, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft die für die Wiederaufnahme erforderlichen Anordnungen nicht binnen einer Frist von vierzehn Tagen ab Zustellung der das Verfahren beendenden Entscheidung gestellt hat, in der einer der in Z1 oder 2 umschriebenen Umstände festgestellt wurde.

(6) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Anordnung nach Abs4 dem Rechtsschutzbeauftragten samt einer Begründung für das Vorgehen zuzustellen. Der Rechtsschutzbeauftragte ist berechtigt, binnen drei Monaten die Fortführung des Verfahrens zu beantragen. Auf sein Verlangen ist ihm der Ermittlungsakt zu übersenden, in welchem Fall der Fristenlauf mit dem Einlangen des Aktes beginnt. §§195 Abs3 und 196 gelten sinngemäß.

(7) Im Verfahren gegen Verbände nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG), BGBl I Nr 151/2005, ist sinngemäß mit der Maßgabe vorzugehen, dass die Bestimmungen des §19 Abs1 Z1 bis 3 VbVG anzuwenden sind. Der zu entrichtende Geldbetrag darf abweichend von §19 Abs1 Z1 VbVG einer Verbandsgeldbuße von 100 Tagessätzen entsprechen.

Rücktritt von der Verfolgung wegen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung

§209b. (1) Der Bundeskartellanwalt hat die Staatsanwaltschaft von einem Vorgehen der Bundeswettbewerbsbehörde nach §11b Abs1 und 2 des Wettbewerbsgesetzes, BGBl I Nr 62/2002, oder von einem solchen Vorgehen der Europäischen Kommission oder von Wettbewerbsbehörden der anderen Mitgliedstaaten (§84 des Kartellgesetzes, BGBl I Nr 61/2005) zu verständigen, wenn es im Hinblick auf das Gewicht des Beitrags zur Aufklärung einer Zuwiderhandlung im Sinne von §11b Abs1 Z1 Wettbewerbsgesetz unverhältnismäßig wäre, die Mitarbeiter eines Unternehmens, die für das Unternehmen an einer solchen Zuwiderhandlung beteiligt waren, wegen einer durch eine solche Zuwiderhandlung begangenen Straftat zu verfolgen.

(2) Die Staatsanwaltschaft hat sodann das Ermittlungsverfahren gegen die Mitarbeiter, die erklärt haben, Staatsanwaltschaft und Gericht ihr gesamtes Wissen über die eigenen Taten und andere Tatsachen, die für die Aufklärung der durch die Zuwiderhandlung begangenen Straftaten von entscheidender Bedeutung sind, zu offenbaren, unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung einzustellen. §209a Abs5 und 6 gelten sinngemäß.

(3) In gleicher Weise ist im Verfahren gegen Verbände nach dem VbVG vorzugehen."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Urteil vom 12. September 2018, 15 U 36/17v, verurteilte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den Antragsteller wegen des Vergehens der Üblen Nachrede gemäß §111 Abs1 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen in der Höhe von je € 40,–, im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Tagen sowie zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien stützte diese Verurteilung auf die Feststellung, der Antragsteller habe an die gesamte Kanzlei des Privatanklägers des gerichtlichen Verfahrens (den früheren Kanzleipartner des Antragstellers) sowie an weitere Personen eine E-Mail geschrieben, in welcher der Antragsteller dem Privatankläger das Delikt der Urkundenunterdrückung vorgeworfen habe. Im Rahmen der rechtlichen Begründung dieses Urteils hielt das Gericht Folgendes fest:

"Eine Diversion nach dem elften Hauptstück der StPO war mangels Offizialdeliktes nicht möglich, die erkennende Richterin versuchte jedoch im gegenständlichen Verfahren nicht nur einmal beide Parteien davon zu überzeugen, dass eine gütliche Einigung gerade im Hinblick auf Ehre und Ansehen des Berufsstandes eines Anwaltes günstiger wäre, als das Verfahren zum bitteren Ende kommen zu lassen. Der Angeklagte war jedoch in keiner Weise zu einer Entschuldigung, oder einem Vergleich zu bewegen."

Gegen dieses Urteil erhob der Antragsteller Berufung und stellte den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag.

2. Der Antragsteller legt die verfassungsrechtlichen Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlasst haben, wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…]

5. Verfassungswidrigkeit von Teilen des §199 StPO

5.1. Offizialdelikte und Privatanklagedelikte

Die meisten gerichtlich strafbaren Handlungen sind von Amts wegen zu verfolgen (Offizialdelikte). Die Ausnahme davon sind die Privatanklagedelikte, die nur auf Verlangen des Opfers zu verfolgen sind (§4 Abs1 letzter Satz, §65 Z3, §71 StPO). Beispiele für Privatanklagedelikte sind §§110, 111, 113, 115, 118, 121, 122, 123, 152, 166 und 193 StGB.

5.2. Hauptabschnitte des Strafverfahrens

5.2.1. Das gerichtliche Strafverfahren ist in drei Hauptabschnitte unterteilt, nämlich in Ermittlungsverfahren (§§91-209b StPO), Hauptverfahren (§§210-279 StPO) und Rechtsmittelverfahren (§§280-296a StPO).

5.2.2. Das Ermittlungsverfahren wird von der Staatsanwaltschaft geleitet (§20 Abs1, §101 Abs1 StPO). Es endet mit dem Einbringen der Anklage, wodurch das Hauptverfahren beginnt, dessen Leitung dem Gericht obliegt; die Staatsanwaltschaft wird ab diesem Zeitpunkt zur Beteiligten des Verfahrens (§210 Abs2, §220 StPO).

5.3. Diversion

5.3.1. Nach dem 11. Hauptstück der StPO (§§198-209b) hat das Strafverfahren – unter bestimmten Voraussetzungen – nicht mit Bestrafung zu enden, sondern mit diversioneller Erledigung (§198 Abs1 StPO).

5.3.2. Die Vorschriften über die Diversion richten sich im Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft (§198 StPO) und im Hauptverfahren an das Gericht (§199 StPO).

5.3.3. Für den Fall, dass das Gericht im Hauptverfahren die Strafsache zu Unrecht nicht diversionell erledigt hat, steht dem Angeklagten im Rechtsmittelverfahren der Nichtigkeitsgrund des §281 Abs1 Z10a (bzw §345 Abs1 Z12a) StPO zur Verfügung (im bezirksgerichtlichen Verfahren iVm §468 Abs1 Z4 StPO; im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofs erster Instanz iVm §489 Abs1 StPO).

5.4. Einschränkung der Diversion auf Offizialdelikte

5.4.1. In Privatanklagesachen (§4 Abs1 letzter Satz §65 Z3, §71 StPO) ist ein Ermittlungsverfahren unzulässig (§71 Abs1 letzter Halbsatz StPO, §41 Abs5 erster Satz MedienG). Das Privatanklageverfahren beginnt vielmehr mit der Anklage (dem Strafantrag) (§71 Abs1 zweiter Satz, erster Halbsatz iVm §210 Abs1 StPO).

Die Vorschriften über die Diversion wären daher in Privatanklagesachen nur im Hauptverfahren (§§210 ff StPO) anwendbar, was aber durch §199 StPO verhindert wird. Diese Vorschrift lautet:

§199. Nach Einbringen der Anklage wegen Begehung einer strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist, hat das Gericht die für die Staatsanwaltschaft geltenden Bestimmungen der §§198, 200 bis 209b sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

5.4.2. Diese Vorschrift wurde erstmals mit BGBI I 1999/55 als §90b StPO in Kraft gesetzt und mit BGBI I 2004/19 in §199 StPO umnummeriert. Danach wurde sie noch zweimal geringfügig geändert (BGBI I 2010/108 und BGBI I 2016/121).

5.4.3. Eine ganz ähnliche Vorschrift wie §199 StPO findet sich für Jugendstraftaten in §7 Abs3 JGG. Da aber Privatanklagen wegen Jugendstraftaten ohnehin unzulässig sind (§44 Abs1 erster Satz JGG), spielt §7 Abs3 JGG für das hier exponierte Problem keine Rolle.

5.4.4. Die in 5.4.1. hervorgehobene und mit diesem Antrag angefochtene Passage bewirkt also, dass eine diversionelle Erledigung des Strafverfahrens nach dem 11. Hauptstück der StPO (§§198-209b) nur in Strafsachen zulässig ist, die von Amts wegen zu verfolgen sind (= Offizialdelikte), nicht aber in Privatanklagesachen.

Für diese Ausnahme findet sich in den Gesetzesmaterialien zu BGBI I 1999/55 (siehe 5.4.2.) (EBRV 1581 BIgNR 20. GP; JAB 1615 BIgNR 20. GP) keinerlei Begründung. Sie wird auch, so weit zu sehen, in der Lehre nirgends problematisiert (zB Venier in Bertel/Venier, StPO [2008] §199 Rz 1; Leitner in Schmölzer/Mühlbacher [Hrsg], StPO [2013] §§198 f Rz 8; Schroll in Fuchs/Ratz [Hrsg], WK-StPO [2016] §199 Rz 2; Nimmervoll, Das Strafverfahren2 [2017] Rz 884; Hinterhofer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfahrens [2017] Rz 7.1002).

5.5. Verfassungswidrigkeit des generellen Ausschlusses der diversionellen Erledigung von Privatanklagesachen

5.5.1. Der generelle Ausschluss der diversionellen Erledigung von Privatanklagesachen ist sachlich nicht gerechtfertigt und verstößt daher gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art2 StGG, Art7 Abs1 B-VG):

Der Gleichheitsgrundsatz setzt dem Gesetzgeber insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001).

Anders als zB Finanzstrafdelikte (dazu VfGH 14.3.2018, G241/2017) bilden jedenfalls die im StGB geregelten Privatanklagedelikte (zB §111 Abs1 StGB, siehe §117 Abs1 erster Satz StGB iVm §71 Abs1 StPO) gemeinsam mit den im StGB geregelten Offizialdelikten ein gemeinsames Ordnungssystem:

- Auf der Ebene des materiellen Rechts ist auf alle Privatanklagedelikte der gesamte Allgemeine Teil des StGB (§§1-74) anzuwenden, insbesondere die Vorschriften über Beteiligung (§§12, 14 StGB; zB OGH 12 Os 96/89; 15 Os 10/98) und Versuch (§§15, 16 StGB; zB OGH 15 Os 10/98; 11 Os 53/01). Das gilt nicht nur für die im StGB, sondern gemäß ArtI Abs1 StrafrechtsanpassungsG (BGBI 1974/422 idgF) auch für die in Nebengesetzen geregelten Privatanklagedelikte.

- Auf der Ebene des Prozessrechts werden Privatanklagedelikte und Offizialdelikte nahezu durchgängig gleich behandelt (siehe vor allem §71 Abs5 erster Satz, §220, §255 Abs3, §282 Abs2, §357 Abs3 StPO); die wenigen Unterschiede (zB §71 Abs5 zweiter und dritter Satz, §352 Abs2 StPO) sind unbedeutend und bewirken nicht, dass Privatanklagedelikte zu spezifischen Deliktstypen erhoben werden, die ein eigenständiges Ordnungssystem bilden.

Privatanklagedelikte gehören zur untersten Ebene der Kriminalität (treffend Janotta, Stand und Perspektiven des österreichischen Privatanklageverfahrens, ÖJZ1988, 326 [333, rechte Spalte, erster Absatz]: 'Bagatellbereich') und sind ausnahmslos bloße Vergehen (§17 Abs1 StPO). Gerade Privatanklagedelikte gehören daher geradezu idealtypisch zu jenem Bereich der Kriminalität, der sich für eine diversionelle Erledigung besonders gut eignet, zumal hier nicht die öffentliche Hand in der Gestalt der zur Objektivität verpflichteten Staatsanwaltschaft (§3 StPO) als Ankläger einschreitet, sondern vielmehr ein von ausschließlich privaten Interessen geleiteter Privatankläger.

Die hier aufgezeigte Gleichheitswidrigkeit ist besonders gut anhand der Ehrenbeleidigungsdelikte (§§111, 113 und 115 StGB) sichtbar: Diese sind nämlich grundsätzlich Privatanklagedelikte (§117 Abs1 erster Satz StGB iVm §71 Abs1 StPO), in bestimmten Fällen aber Offizialdelikte (§117 Abs1 zweiter Satz, Abs2 und Abs3 StGB; §44 Abs1 zweiter Satz JGG). Wenn nun aber eine Ehrenbeleidigung in der Form eines Offizialdeliktes begangen wird, ist eine diversionelle Erledigung zulässig (§§198 ff StPO, insbesondere §199 StPO). Es ist aber sachlich nicht gerechtfertigt, dass zB

- eine Beleidigung (§115 Abs1 StGB) des Bundespräsidenten als 'Lumpen' (OLG Wien 18 Bs 276/01 = MR 2002, 16) – da Offizialdelikt (§117 Abs1 zweiter Satz StGB) – diversionell erledigt werden kann,

- nicht aber – da Privatanklagedelikt (§117 Abs1 erster Satz StGB iVm §71 Abs1 StPO) – die inhaltsgleiche Beleidigung des Wohnungsnachbarn.

Ein anderes Beispiel: Wird das Delikt der Verletzung des Briefgeheimnisses und Unterdrückung von Briefen (§118 Abs1 bis 3 StGB) von einem Beamten in Ausübung seines Amtes oder unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit begangen, so handelt es sich um ein Offizialdelikt (§118 Abs4 zweiter Satz StGB); hier ist also Diversion zulässig. Wird dieses Delikt aber von einer anderen Person begangen, handelt es sich um ein Privatanklagedelikt (§118 Abs4 erster Satz StGB); hier ist also Diversion unzulässig. Dafür gibt es keine sachliche Rechtfertigung.

5.5.2. Die Möglichkeit der Diversion auch bei Privatanklagedelikten würde nicht bedeuten, dass das Opfer (Privatankläger) schutzlos wäre, weil das Gericht die Interessen des Opfers (Privatanklägers) ebenso wie bei Offizialdelikten zu fördern hätte (§204 Abs2, §206 Abs1 StPO); insbesondere wäre es dem Gericht möglich, die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens davon abhängig zu machen, dass der Täter dem Opfer die bis dahin aufgelaufenen Prozesskosten ersetzt (Tatausgleich: §199 iVm §198 Abs1 Z4, §204 Abs1 StPO). Das Gericht hätte den Privatankläger vor der diversionellen Erledigung der Strafsache auch zu hören (§71 Abs5 iVm §209 Abs2 StPO), und die verschiedenen diversionellen Erledigungsarten (zB Zahlung eines Geldbetrages oder eben Tatausgleich, siehe §198 Abs1 StPO) äußern bei Privatanklagedelikt auch ganz dieselbe – insbesondere spezialpräventive – Wirkung wie bei Offizialdelikten.

5.5.3. Der Sitz der Verfassungswidrigkeit ist in §199 StPO zu finden. Würde man nämlich aus dieser Vorschrift die Wortfolge 'wegen Begehung einer strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist,' streichen, wäre die Rechtslage verfassungskonform und das Gericht im Hauptverfahren (§§210 ff StPO) könnte nunmehr auch in Privatanklagesachen die Bestimmungen der StPO über die Diversion anwenden. Für das Ermittlungsverfahren ist das hingegen – wie bereits erwähnt (5.4.1.) – irrelevant, weil in Privatanklagesachen ohnehin kein Ermittlungsverfahren zulässig ist."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen nicht bestreitet und den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:

"III. In der Sache:

1. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

2. Der Antragsteller hegt das Bedenken, dass der durch die angefochtene Wortfolge bewirkte generelle Ausschuss von Privatanklagesachen von der Diversion sachlich nicht gerechtfertigt sei und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art2 StGG, Art7 Abs1 B-VG) verstoße.

3. Der Gleichheitssatz bindet auch die Gesetzgebung (vgl VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihr insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es der Gesetzgebung jedoch von Verfassungs wegen nicht verwehrt, ihre (sozial-)politischen Zielvorstellungen auf die ihr geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl VfSlg 13.576/1993, 13.743/1994, 15.737/2000, 16.167/2001, 16.504/2002). Sie kann im Rahmen ihres rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen und darf bei der Normsetzung generalisierend von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl VfSlg 13.497/1993, 15.850/2000, 16.048/2000, 17.315/2004 und 17.816/2006, 19.722/2012, jeweils mwN) sowie auch Härtefälle in Kauf nehmen (vgl VfSlg 16.771/2002 mwN).

4. Das Bedenken des Antragstellers trifft nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu.

4.1. Der Antragsteller bringt zur Begründung seines Gleichheitsbedenkens zunächst vor, dass die im StGB geregelten Privatanklagedelikte gemeinsam mit den im StGB geregelten Offizialdelikten ein gemeinsames Ordnungssystem bilden und sowohl auf materieller als auch auf prozessualer Ebene – mit Ausnahme weniger unbedeutender Unterscheidungen – im Wesentlichen gleichbehandelt würden. Privatanklagedelikte würden zur untersten Ebene und damit idealtypisch zu jenem Bereich der Kriminalität gehören, der sich für eine diversionelle Erledigung besonders gut eigne, zumal hier nicht die zur Objektivität verpflichtet[e] Staatsanwaltschaft als Ankläger einschreite, sondern ein von ausschließlich privaten Interessen geleiteter Privatankläger.

4.2. Der Verfassungsgerichtshof sieht es in ständiger Rechtsprechung als sachlich gerechtfertigt an, in unterschiedlichen Verfahrensbereichen unterschiedliche Ordnungssysteme vorzusehen, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform gestaltet sind (vgl VfSlg 10.770/1986, 13.420/1993, 15.493/1999, 19.202/2010, 19.762/2013).

4.3. Ein solcher Fall liegt hier nach Auffassung der Bundesregierung vor:

4.3.1. Das Privatanklageverfahren wurde im Zuge des Strafprozessreformgesetzes systematisch in die StPO integriert und unterliegt weitgehend den allgemeinen Regelungen der StPO, weist jedoch einige Besonderheiten gegenüber dem Offizialverfahren auf (vgl Pkt. I.3.B.). Privatanklagedelikte zeichnen sich dadurch aus, dass sie das öffentliche Interesse nicht (so sehr) berühren und aus diesem Grund nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen sind. Das Privatanklageverfahren dient damit seinem Wesen nach in erster Linie der Befriedigung des Verfolgungsbedürfnisses des Privatanklägers, dem grundsätzlich nur durch eine Sachentscheidung ausreichend Rechnung getragen werden kann. Dementsprechend muss der Privatankläger selbst das Hauptverfahren durch Einbringung der Privatanklage einleiten und die Rolle des Anklägers wahrnehmen und trägt dabei das volle Kostenrisiko. Bei den Offizialdelikten, die über das Individualinteresse hinaus zusätzlich die Allgemeinheit berühren, begrenzt hingegen der öffentliche Ankläger bzw das Gericht das Vergeltungsbestreben des Einzelnen (vgl Miklau/Schroll, Diversion – ein anderer Umgang mit Straftaten (1999), S. 88).

4.3.2. Das Privatanklageverfahren bildet aus Sicht der Bundesregierung aufgrund dieser Besonderheiten – ähnlich dem Finanzstrafverfahren (vgl VfGH 14.3.2018, G241/20187) – ein eigenständiges Ordnungssystem und ist deshalb mit dem Offizialverfahren nicht in Vergleich zu setzen. Der Gesetzgebung kommt bei der Ausgestaltung dieses Verfahrensbereiches – innerhalb der Grenzen des Gleichheitsgrundsatzes – ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu (vgl VfSlg 19.831/2013 und VfGH 14.3.2017, G249/2016). Sie ist dabei von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, die Möglichkeit einer diversionellen Erledigung vorzusehen (vgl VfGH 14.3.2018, G241/2017).

4.3.3. Der Ausschluss von Privatanklagedelikten von der Diversion wäre aber selbst unter Zugrundelegung der vom Antragsteller vertretenen Auffassung, dass das Privatanklageverfahren und das Offizialverfahren ein gemeinsames Ordnungssystem bilden, aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes zulässig. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf die Gesetzgebung nämlich auch von einem von ihr selbst geschaffenen Ordnungssystem abweichen, sofern nur die Regelung in sich dem Gleichheitssatz entspricht (VfSlg 10.043/1984). Innerhalb eines rechtlichen Ordnungssystems dürfen einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgerechte Art geregelt werden, sofern dies durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist (VfSlg 5862/1968).

4.3.4. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es mit Blick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen des Offizialverfahrens und des Privatanklageverfahrens nicht unsachlich, wenn die Gesetzgebung im Privatanklageverfahren, das per se vorrangig der Befriedigung der Interessen des Verletzten dient, eine Diversion ausschließt und es dem Privatankläger zur Disposition stellt, ob im anhängigen Verfahren eine Sachentscheidung ergeht oder ob das Verfahren aufgrund seines (ggf. nach §71 Abs6 StPO vermuteten) Rücktritts von der Verfolgung mit gerichtlichem Beschluss einzustellen ist. Dadurch wird gewährleistet, dass dem Privatankläger als dominus litis des allein aus seiner Intention heraus eingeleiteten Strafverfahrens die alleinige Dispositionsbefugnis darüber zukommt, ob er entweder zu einem außergerichtlichen Tatausgleich bereit ist und die Privatanklage in der Folge zurückzieht (wodurch das Verfahren grundsätzlich mit Beschluss einzustellen ist), oder davon Abstand nimmt und eine Entscheidung des zuständigen Gerichts begehrt. Durch den Ausschluss der Diversion wird ein Ausgleich für den Aufwand und das Risiko des Privatanklägers geschaffen, indem seine Entscheidung zur strafrechtlichen Verfolgung des Beschuldigten nicht durch die Möglichkeit einer diversionellen Erledigung durch das zuständige Gericht begrenzt wird.

4.4. Zur Untermauerung seines Gleichheitsbedenkens verweist der Antragsteller beispielhaft auf die Ehrenbeleidigungsdelikte nach den §§111, 113 und 115 StGB, die grundsätzlich Privatanklagedelikte (§117 Abs1 erster Satz StGB iVm §71 Abs1 StPO), in bestimmten Fällen aber Offizialdelikte (§117 Abs1 zweiter Satz, Abs2 und 3 StGB; §44 Abs1 zweiter Satz des Jugendgerichtsgesetzes 1988 – JGG) seien. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass eine in der Form eines Offizialdelikts begangene Beleidigung (etwa des Bundespräsidenten) einer diversionellen Erledigung zugänglich sei, eine in der Form eines Privatanklagedelikts begangene Beleidigung (etwa des Wohnungsnachbarn) hingegen nicht. Auch bei der Verletzung des Briefgeheimnisses und der Unterdrückung von Briefen nach §118 Abs1 bis 3 StGB handle es sich im Falle der Begehung durch einen Beamten in Ausübung seines Amtes oder unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit um ein Offizialdelikt (§118 Abs4 zweiter Satz StGB), sodass eine Diversion zulässig sei, im Falle der Begehung durch eine andere Person hingegen um ein Privatanklagedelikt (§118 Abs4 erster Satz StGB), sodass eine Diversion unzulässig sei.

4.5. Zu diesem

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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