TE Vwgh Erkenntnis 2019/5/28 Ro 2018/10/0033

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Index

L92008 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Vorarlberg
L92098 Sonstiges Sozialrecht Vorarlberg
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
17 Vereinbarungen gemäss Art 15a B-VG
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

ABGB §6
ABGB §7
Mindestsicherung Vereinbarung Art15a B-VG Vlbg 2010 Art13 Abs4
Mindestsicherung Vereinbarung Art15a B-VG Vlbg 2010 Art13 Abs4 Z4
Mindestsicherung Vereinbarung Art15a B-VG Vlbg 2010 Art13 Abs4 Z5
MSG Vlbg 2010 §8
MSV Vlbg 2010 §9
MSV Vlbg 2010 §9 Abs4
MSV Vlbg 2010 §9 Abs4 lite
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Bludenz in 6700 Bludenz, Schloss-Gayenhofplatz 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 21. Juni 2018, Zl. LVwG-340-30/2017-R11, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz; mitbeteiligte Partei: H D in D), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 16. August 2017 wies die Bezirkshauptmannschaft Bludenz (die nunmehrige Revisionswerberin) den Antrag der Mitbeteiligten vom 8. Mai 2017 auf Gewährung von Mindestsicherung zur Sicherung des ausreichenden Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs mangels finanzieller Hilfsbedürftigkeit ab.

2        Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. Juni 2018 statt, erkannte der Mitbeteiligten für den Monat Mai 2017 € 283,21 und für den Monat Juni 2017 € 633,91 an Mindestsicherungsleistung zur Deckung des Lebensunterhalts zu und sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.

3        Dem lag als Sachverhalt zugrunde, dass die alleinstehende Mitbeteiligte in den letzten 10 Jahren keine Mindestsicherung und in den Monaten Mai und Juni 2017 kein Einkommen bezogen habe. An Vermögenswerten habe die Mitbeteiligte ein Gehaltskonto mit einem Guthaben von € 744,43, ein Sparbuch mit einem Guthaben von € 525,--, einen Bausparsparvertrag im Wert von € 636,74 und eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von € 3.913,96 (bei einer Versicherungssumme von € 6.787,76 und einem Ablaufdatum 1. Juli 2022) besessen.

4        In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht nach Darstellung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen davon aus, die Mitbeteiligte habe grundsätzlich zur Abdeckung ihres Bedarfs (der Mindestsicherungssatz für eine alleinstehende Person habe im Mai und im Juni 2017 € 633,91 betragen) ihre Einkünfte und ihr verwertbares Vermögen heranzuziehen. Dabei dürften Ersparnisse bis zum Betrag von € 4.200,-- (§ 9 Abs. 4 lit. d Vbg. MSV) sowie sonstige Vermögenswerte, ausgenommen Immobilien, soweit sie den Betrag von € 4.200,-- nicht überstiegen und solange Kernleistungen der Mindestsicherung nicht länger als sechs unmittelbar aufeinanderfolgende Monate bezogen würden (§ 9 Abs. 4 lit. e Vbg. MSV), nicht berücksichtigt werden. Bei den „Ersparnissen“ handle es sich um „erspartes Geld“ (Hinweis auf Brockhaus Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1981, S. 582). Ersparnisse seien „flüssige“ Mittel. Sie könnten jederzeit dazu verwendet werden, um den Lebensunterhalt oder andere Bedürfnisse abzudecken. Das sei bei Bargeld der Fall, aber auch bei Girokonten und Spareinlagen bei Kreditinstituten (Buchgeld). Alle anderen Vermögensgegenstände seien „sonstige Vermögenswerte“. Sie stünden nicht sofort zur Abdeckung von Bedürfnissen zur Verfügung, sondern müssten erst verwertet (z.B. verkauft) werden. Der Hilfsbedürftige solle daher, weil er diese „gebundenen“ Mittel offensichtlich nicht dringend benötige, zu ihrer Verwertung gezwungen werden, wenn er länger als sechs Monate Mindestsicherung beziehe.

5        Ausgehend davon folgerte das Verwaltungsgericht, dass es sich bei Bausparverträgen und Lebensversicherungen um „sonstige Vermögenswerte“ handle. Diese Verträge hätten im Normalfall eine längere Laufzeit und im Fall einer vorzeitigen Auflösung seien zum Teil erhebliche Abschläge zu erwarten. Wer Geld in dieser Form anlege, gebe damit zu verstehen, dass er diese Gelder nicht unmittelbar benötige. Er solle daher zu ihrer Verwertung verpflichtet sein, wenn er länger als sechs Monate Mindestsicherung beziehe.

6        Die Mitbeteiligte habe demnach Ersparnisse (Gehaltskonto, Sparbuch) in Höhe von € 1.269,43 und sonstige Vermögenswerte (Bausparvertrag, Lebensversicherung) im Wert von € 4.550,70 besessen. Damit seien ihre Ersparnisse unter dem Freibetrag von € 4.200,-- gelegen und demnach bei der Berechnung der Mindestsicherung nicht zu berücksichtigen gewesen. Die sonstigen Vermögenswerte hätten den Freibetrag von € 4.200,-- um € 350,70 überschritten und seien, da die Mitbeteiligte nicht länger als sechs Monate Mindestsicherung beziehe, lediglich in diesem Ausmaß bei der Berechnung der Mindestsicherung zu berücksichtigen gewesen. Demnach hätte die Mitbeteiligte einen Anspruch auf Mindestsicherung zur Abdeckung ihres Lebensunterhalts, und zwar im Mai 2017 im Ausmaß von € 283,21 (Mindestsicherungssatz von € 633,91 abzüglich € 350,70 an sonstigen Vermögenswerten über € 4.200,--) und im Juni 2017 im Ausmaß von € 633,91 (Mindestsicherungssatz).

7        Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision der belangten Behörde.

8        Von der Möglichkeit, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, wurde kein Gebrauch gemacht. Die Mitbeteiligte gab allerdings bekannt, dass die Revision der belangten Behörde völlig unverständlich sei; die Vorarlberger Landesregierung schloss sich in ihrer Stellungnahme lediglich den grundsätzlichen rechtlichen Ausführungen der Bezirkshauptmannschaft Bludenz in der Revision an. Anträge wurden in beiden Fällen nicht gestellt.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Das Verwaltungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wie „Ersparnisse“ von den „sonstigen Vermögenswerten“ abzugrenzen wären, fehle.

11       Die Revision schließt sich dieser Rechtsfrage an und ergänzt, das Verwaltungsgericht sei auch von der Rechtsprechung insoweit abgewichen, als es bei der Ermittlung des Mindestsicherungsanspruchs die in § 9 Abs. 4 Vbg. MSV genannten Vermögenswerte uneingeschränkt berücksichtigt habe, obwohl bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß § 9 Abs. 1 Vbg. MSV Vermögen dann nicht berücksichtigt werden dürfe, wenn durch dessen Verwertung eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte.

12       Die Revision ist im Hinblick auf die aufgezeigte Frage der Abgrenzung von „Ersparnissen“ zu „sonstigen Vermögenswerten“ zulässig.

13       Die für den zu beurteilenden Bezugszeitraum maßgeblichen Bestimmungen des Vorarlberger Mindestsicherungsgesetzes (Vbg. MSG), LBGl. Nr. 64/2010 idF LGBl. Nr. 118/2015, und der Vorarlberger Mindestsicherungsverordnung (Vbg. MSV), LGBl. Nr. 71/2010 idF LGBl. Nr. 117/2016, lauten:

Vbg. MSG:

„§ 8

Form und Ausmaß der Mindestsicherung

(1) Mindestsicherung wird grundsätzlich in Form von Geldleistungen gewährt. .... Das Ausmaß der Mindestsicherungsleistung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung eines zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, und Mittel zu bestimmen.

(2) ...

(3) Die eigenen Mittel, wozu das gesamte verwertbare Vermögen und Einkommen gehört, dürfen bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit nicht berücksichtigt werden, als dies mit der Aufgabe der Mindestsicherung unvereinbar wäre oder für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde. Kleinere Einkommen und Vermögen, insbesondere solche, die der Berufsausübung dienen, sind nicht zu berücksichtigen. Bei der Gewährung von Sonderleistungen (Hilfe in besonderen Lebenslagen) ist überdies darauf Bedacht zu nehmen, dass eine angemessene Lebensführung und die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung nicht wesentlich erschwert werden.

(4) Nach Abs. 3 zu berücksichtigendes Vermögen ist einer unmittelbaren Verwertung dann nicht zuzuführen, wenn dies für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde oder die Verwertung des Vermögens unwirtschaftlich wäre.

(5) ...

...

(7) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Vorschriften über die Arten, die Form und das Ausmaß der Mindestsicherung zu erlassen; weiters darüber, inwieweit das Vermögen und das Einkommen nicht zu berücksichtigen sind. Für die Bemessung des Aufwandes im Rahmen des ausreichenden Lebensunterhaltes sind pauschale Sätze festzusetzen. Die Vorgaben der staatsrechtlichen Vereinbarung über eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung sind zu berücksichtigen.“

Vbg. MSV:

„§ 9

Berücksichtigung von eigenen Mitteln sowie Leistungen Dritter

(1) Nach Maßgabe der Abs. 2 - 6 sind bei der Ermittlung des Anspruchs auf Leistungen der Mindestsicherung

a)außerhalb von stationären Einrichtungen die Einkünfte und das verwertbare Vermögen sämtlicher einem Haushalt zugehörenden Personen sowie diesen zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter,

b)...

zu berücksichtigen.

(2) ...

...

(4) Bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs. 1 dürfen Vermögen nicht berücksichtigt werden, wenn durch deren Verwertung eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies gilt für

a)Gegenstände, die zur Erwerbsausübung oder Befriedigung angemessener geistig-kultureller Bedürfnisse erforderlich sind,

b)Gegenstände, die als angemessener Hausrat anzusehen sind,

c)Kraftfahrzeuge, die berufsbedingt oder aufgrund besonderer Umstände (insbesondere Behinderung, unzureichende Infrastruktur) erforderlich sind,

d)Ersparnisse bis zum Betrag von Euro 4.200 im Rahmen der Deckung des Lebensunterhalts (§ 6 Abs. 1 - 3) oder Wohnbedarfs (§ 7) außerhalb einer stationären Einrichtung, dies jedoch nur dann, wenn es sich nicht um die Gewährung von Sonderbedarfen handelt,

e)sonstige Vermögenswerte ausgenommen Immobilien, soweit sie den Freibetrag nach lit. d nicht übersteigen und solange Kernleistungen der Mindestsicherung nicht länger als sechs unmittelbar aufeinander folgende Monate bezogen werden, wobei für die Sechsmonatsfrist auch frühere ununterbrochene Bezugszeiten von jeweils mindestens zwei Monaten zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht länger als zwei Jahre vor dem neuerlichen Bezugsbeginn liegen,

f)...

...“

14       Artikel 13 der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung (Mindestsicherungsvereinbarung), LGBl. Nr. 62/2010, lautete auszugsweise:

„Artikel 13

Berücksichtigung von Leistungen Dritter und eigenen Mitteln

(1) Bei der Bemessung von Leistungen nach den Art. 10 bis 12 sollen die zur Deckung der eigenen Bedarfe (bzw. jener der nach Art. 4 Abs. 2 zugehörigen Personen) zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter, Einkünfte und verwertbares Vermögen berücksichtigt werden. ...

(2) ...

...

(4) Die Verwertung von Vermögen darf nicht verlangt werden, wenn dadurch eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies ist insbesondere anzunehmen bei:

1.Gegenständen, die zur Erwerbsausübung oder Befriedigung angemessener geistig-kultureller Bedürfnisse erforderlich sind;

2.Gegenständen, die als angemessener Hausrat anzusehen sind;

3.Kraftfahrzeugen, die berufsbedingt oder auf Grund besonderer Umstände (insbesondere Behinderung, unzureichende Infrastruktur) erforderlich sind;

4.Ersparnissen bis zu einem Freibetrag in Höhe des Fünffachen des Ausgangswertes nach Art. 10 Abs. 2.

5.sonstigen Vermögenswerten ausgenommen Immobilien, soweit sie den Freibetrag nach Z 4 nicht übersteigen und solange Leistungen nach Art. 10 bis 12 nicht länger als sechs unmittelbar aufeinander folgende Monate bezogen werden, wobei für die Sechsmonats-Frist auch frühere ununterbrochene Bezugszeiten von jeweils mindestens zwei Monaten zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht länger als zwei Jahre vor dem neuerlichen Bezugsbeginn liegen.

(5) ...“

15       Die Materialien (Beilage 75/2010 zu den Sitzungsberichten des XXIX. Vorarlberger Landtages) führen dazu aus:

„...Auch beim Vermögen ist zunächst davon auszugehen, dass eine Verpflichtung zu dessen Einsatz besteht, bevor Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Anspruch genommen werden können. Dies setzt aber eine Verwertbarkeit voraus, die nicht angenommen werden kann, wenn die Verwertung wirtschaftlich unsinnig wäre, weil diese etwa im Einzelfall mit großen Verlusten verbunden wäre.

In diese Richtung zielt auch die Generalklausel der Ausnahme in Art. 13 Abs. 4, die durch einige Beispiele konkretisiert wird: Die Z. 1 und Z. 2 betreffen im Grunde nur bereits bestehende Ausnahmen im Hinblick auf Gegenstände, die eigentlich zum Lebensunterhalt notwendig sind, Z. 3 ist als ausdrückliche Verfestigung einer weithin geübten Praxis bei der Behandlung von Kraftfahrzeugen als Vermögenswerte anzusehen.

Der in jedem Fall, also auch im Rahmen einer Verwertung zu gewährleistende Vermögensfreibetrag nach Z. 4 und Z. 5 bringt dagegen eine Neuerung für einige Länder. Aus dieser Ausnahme, die natürlich etwa im Hinblick auf unterschiedliche Familienkonstellationen großzügiger gefasst werden kann (Art. 2 Abs. 4), darf jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass weitergehende Ersparnisse (z.B. für eine Altersvorsorge) jederzeit verwertbar sind. Dies wird nicht zuletzt davon abhängen, wie lange und/oder in welchem Ausmaß Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen werden. Auch das Entlassungsgeld nach dem Strafvollzugsgesetz wird wohl angesichts des Vermögensfreibetrages als nicht zu verwertendes Vermögen anzusehen sein.

Genau hier setzt auch die andere, kumulativ zu beachtende ausdrückliche Einschränkung der Pflicht zur Vermögensverwertung in Art. 13 Abs. 4 Z. 5 an, die in manchen Bundesländern bereits praktiziert wird. Demnach darf bis zu einer ununterbrochenen Bezugsdauer von sechs Monaten eine Vermögensverwertung nicht verlangt werden. Bis zu zwei Jahre zurückliegende, zumindest zwei Monate ununterbrochen andauernde frühere Bezugszeiten sind auf diese Sechsmonatsfrist anzurechnen. Ein Leistungsbezug ohne Einsatz eines grundsätzlich verwertbaren Vermögens ist damit erst wieder nach Ablauf von zwei Jahren möglich, in denen keine Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Anspruch genommen wurden. Wird vor Ablauf dieser Frist ein neuer Antrag gestellt, könnte eine Vermögensverwertung sofort verlangt werden. Würde also z.B. jemand ab September 2010 Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Anspruch nehmen, dürfte eine Vermögensverwertung nach dieser Bestimmung erst ab März 2011 verlangt werden; hätte diese Person aber in der Zeit seit September 2008 aber schon für mehr als zwei Monate ununterbrochen Leistungen in Anspruch genommen (ohne dass eine Vermögensverwertung verlangt worden wäre), dürfte eine Vermögensverwertung bereits ab Jänner 2011 verlangt werden.

...“

16       Unstrittig sind die Vermögenswerte der Mitbeteiligten in Form eines Gehaltskontos mit einem Guthaben von € 744,43, eines Sparbuchs mit einem Guthaben von € 525,--, eines Bausparsparvertrags im Wert von € 636,74 und einer Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von € 3.913,96 (bei einer Versicherungssumme von € 6.787,76 und einem Ablaufdatum 1. Juli 2022). Ausgehend von den beiden letztgenannten Verträgen ist die Abgrenzung der Begriffe „Ersparnisse“ und „sonstige Vermögenswerte“ in § 9 Abs. 4 lit. d und e der Vbg. MSV und damit die Zuordnung von Bauspar- und Lebensversicherungsverträgen strittig.

17       Die Differenzierung zwischen „Ersparnissen“ und „sonstigen Vermögenswerten“ in § 9 Abs. 4 lit. d und e der Vbg. MSV wurde offenkundig in Umsetzung der Mindestsicherungsvereinbarung aus dem dortigen Art. 13 Abs. 4 Z 4 und 5 übernommen, sodass grundsätzlich zur Auslegung auf die - wenngleich mittlerweile außer Kraft getretene - Mindestsicherungsvereinbarung und ihre Erläuterungen zurückgegriffen werden kann.

18       Weder in Art. 13 Abs. 4 Z 4 und 5 der Mindestsicherungsvereinbarung noch in § 9 Abs. 4 lit. d und e der Vbg. MSV wird eine Definition dieser Begriffe vorgenommen, sodass diese auslegungsbedürftig sind. Nach der hg. Judikatur ist auch im öffentlichen Recht bei der Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. § 6 ABGB verweist zunächst auf die Bedeutung des Wortlautes in seinem Zusammenhang. Dabei ist grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Normengebers zukommt (vgl. VwGH 27.4.2016, Ra 2016/05/0031, mwN). Dafür müssen die objektiven, jedermann zugänglichen Kriterien des Verständnisses statt des subjektiven Verständnishorizonts der einzelnen Beteiligten im Vordergrund stehen. Es ist zunächst nach dem Wortsinn zu fragen (vgl. VwGH 19.12.2018, Ro 2018/08/0019, mwN).

19       Unter „Ersparnissen“ versteht man im Allgemeinen nicht verbrauchtes Geld, das zurückgelegt wird. Ausgehend von dem im Wortlaut zum Ausdruck kommenden Spargedanken kann es keine Rolle spielen, ob dieses ersparte Geld als Bargeld vorhanden ist oder als Geldforderung, die aus einer typischerweise Sparzwecken dienenden Veranlagung resultiert.

20       Auch den Erläuterungen zu Art. 13 Abs. 4 Mindestsicherungsvereinbarung ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Zwar werden im Zusammenhang mit dem in Art. 13 Abs. 4 Z 4 und 5 Mindestsicherungsvereinbarung festgelegten Vermögensfreibetrag „weitergehende Ersparnisse (z.B. für eine Altersvorsorge)“ erwähnt, deren Verwertbarkeit nicht zuletzt davon abhänge, wie lange und/oder in welchem Ausmaß Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen würden. Daraus kann jedoch kein Abgrenzungsmerkmal zwischen „Ersparnissen“ und „sonstigen Vermögenswerten“ abgeleitet werden, zumal die Erläuterungen zwar von (weitergehenden, also über den Vermögensfreibetrag hinausgehenden) „Ersparnissen“ sprechen, die als solche Art. 13 Abs. 4 Z 4 der Mindestsicherungsvereinbarung zuzuordnen wären, andererseits als Verwertungsbeschränkung in diesem Zusammenhang in Z 5 leg. cit., der sich auf „sonstige Vermögenswerte“ bezieht, angeführte Kriterien heranziehen.

21       Es kommt - entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsansicht - nach dem Wortsinn nicht darauf an, ob die Ersparnisse „flüssig“ in dem Sinn sind, dass sie sofort verwendbar wären, sodass etwa Sparverträge mit längerer Laufzeit und erheblichen Abschlägen im Fall ihrer vorzeitigen Auflösung nicht darunter fielen. Eine allfällige Bindungsfrist eines Sparvertrages ändert nämlich nichts daran, dass es sich bei der Einlage um Erspartes handelt, das als solches erhalten bleiben soll.

22       Dem Umstand, dass sich Verwertungen als unwirtschaftlich erweisen oder möglicherweise eine Notlage erst herbeiführen, verlängern oder deren Überwindung gefährden könnten, wird dadurch Rechnung getragen, dass in solchen Fällen - nach Einzelfallprüfung, worauf die Revisionswerberin zutreffend hinweist - eine Verwertung nicht verlangt werden kann (vgl. § 8 Abs. 4 Vbg. MSG und - wortident mit Artikel 13 Abs. 4 Einleitungssatz der Mindestsicherungsvereinbarung - § 9 Abs. 4 Einleitungssatz Vbg. MSV).

23       § 9 Abs. 4 lit. e Vbg. MSV, der von „sonstigen Vermögenswerten“ spricht, präsentiert sich als Auffangtatbestand für all jene Vermögenswerte, die in der vorangegangenen und nachfolgenden Aufzählung nicht gesondert erwähnt werden. Insofern erübrigt sich hierzu eine eigenständige Definition dieser Vermögenswerte.

24       Bei einem Bausparvertrag handelt es sich typischerweise um ein Sparprodukt. Was den Lebensversicherungsvertrag der Mitbeteiligten betrifft, wurde vom Verwaltungsgericht nicht festgestellt, ob es sich um eine Erlebens- oder Ablebensversicherung oder um eine Mischform handelt. Diesbezüglich wären Feststellungen zu treffen, die eine Beurteilung des Produktes als Sparanlage oder als Risikoversicherung zulassen.

25       Indem das Verwaltungsgericht die Zuordnung der Vermögenswerte der Mitbeteiligten unter Anwendung unzutreffender Abgrenzungsmerkmale vornahm, belastete es die angefochtene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, weswegen diese schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 28. Mai 2019

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018100033.J00

Im RIS seit

28.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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