TE Vwgh Beschluss 2019/6/5 Ra 2019/18/0192

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Veröffentlicht am 05.06.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des U A, vertreten durch Mag. Isabelle Pellech, Rechtsanwältin in 1090 Wien, Frankgasse 1/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2018, Zl. I411 2170095-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger Nigerias und Christ. Er stellte am 13. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass seine Mutter geisteskrank und sein Vater bereits verstorben sei. Sein Bruder und er seien Bettler gewesen und hätten niemanden gehabt, der sich um sie gekümmert habe. Außerdem habe eine fremde Frau mit ihm ein Ritual durchführen wollen und sei die Lage in seiner Herkunftsregion Yobe für Christen sehr schlecht. 2 Mit Bescheid vom 11. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt V.).

3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde. 4 In einer Stellungnahme vom 18. Juni 2018 - also bereits nach Erhebung der Beschwerde - verwies der Revisionswerber zudem erstmals auf seine psychische Erkrankung und legte dazu ärztliche Atteste vor.

5 Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruchpunkt IV. zu lauten hat: "Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz wird gem. § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG, BGBl. Nr. 87/2012, idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt". Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

6 Begründend führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber seinen Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Seine Mutter sowie sein Bruder würden weiterhin in Nigeria leben. Das Fluchtvorbringen, wonach der Revisionswerber mit einer fremden Frau mitgegangen sei und diese mit ihm ein "Geldritual" habe vornehmen wollen, sei nicht glaubhaft. Darüber hinaus könne nicht festgestellt werden, dass eine derart schwere Krankheit vorläge, welche in Nigeria nicht behandelbar wäre und im Falle der Rückkehr zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen würden. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen.

7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 13. März 2019, E 257/2019-7, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8 Gegen das Erkenntnis des BVwG wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zusammengefasst geltend macht, das gegenständliche Erkenntnis weiche von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Die vom BVwG herangezogenen Länderberichte seien mangelhaft, und das BVwG hätte sich mit dem Parteivorbringen, wonach der Revisionswerber beinahe Opfer eines Ritualmordes geworden sei, näher auseinandersetzen müssen. Zudem sei dem Revisionswerber die Rückkehr nach Yobe nicht möglich, weil die Gefahrensituation für Christen dort sehr groß sei. In Nigeria verfüge er auch über keine psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung. Weiters sei die mündliche Verhandlung zu Unrecht unterblieben, und es seien beantragte Beweise rechtswidrig nicht aufgenommen worden. Die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK sei schließlich nicht vertretbar, weil der Revisionswerber mit einer österreichischen Frau eine enge - mit einer Mutter-Sohn-Beziehung vergleichbare - Beziehung aufgebaut habe.

9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 13 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Das Verwaltungsgericht darf sich aber über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010, mwN).

14 Soweit der Revisionswerber zunächst die mangelnde Aktualität der vom BVwG herangezogenen Länderberichte moniert und auf eine gesteigerte instabile Lage Nigerias verweist, ist auszuführen, dass das Länderinformationsblatt vom 7. August 2017 mangels Vorliegen neuerer Länderinformationen zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG die gebotene Aktualität aufweist und das BVwG ohnedies festgestellt hat, dass die Sicherheitslage im Nordosten Nigerias sehr instabil sei. Das BVwG stellte jedoch auch fest, dass eine Rückkehr für Christen in dieses Gebiet trotzdem möglich sei, weil die Diskriminierungen von Christen nicht eine solche Intensität erreiche, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe. Dem trat der Revisionswerber nicht substantiiert entgegen.

15 Sofern der Revisionswerber das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung rügt, ist auszuführen, dass nach § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts genauso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 3.4.2019, Ra 2018/18/0426, mwN). Im Revisionsfall wurde der festgestellte Sachverhalt in der Beschwerde jedoch nicht substantiiert bestritten, weil kein neuer - für die Entscheidung maßgeblicher - Sachverhalt geltend gemacht worden ist. 16 Zur Rückkehrentscheidung ist zunächst auszuführen, dass nach der hg. ständigen Rechtsprechung im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 4.9.2018, Ra 2017/01/0252; 8.8.2017, Ra 2017/19/0082- 0085; 21.2.2017, Ra 2017/18/0008-0009; 20.6.2017, Ra 2016/01/0153 - jeweils mwN und Hinweis auf das Urteil des EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien).

17 Fallbezogen ist festzuhalten, dass sich das BVwG mit den vorgelegten Beweismitteln zum gesundheitlichen Zustand des Revisionswerbers auseinandergesetzt hat, aber keine akute bzw. schwerwiegende Erkrankung, welche in Nigeria nicht behandelbar wäre und im Falle der Rückkehr zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen würde, festgestellt hat. Der Revisionswerber vermag auch in der Revision nicht aufzuzeigen, dass die vorgebrachte Krankheit jene vom EGMR in der Rechtssache Paposhvili gegen Belgien beschriebene Schwere und Intensität aufweist, welche dazu führen könnte, dass bei einer Abschiebung die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten würde.

18 Soweit die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK rügt, ist festzuhalten, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung, ob im Fall einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schul- und Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0683, mwN).

19 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 3.4.2019, Ra 2019/18/0030, mwN).

20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der Unterlassung einer Beweisaufnahme dann kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist (vgl. VwGH 14.10.2016, Ra 2016/18/0260, mwN). Beweisanträge dürfen weiters dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist (vgl. VwGH 21.3.2018, Ra 2018/18/0033, mwN).

21 In der Beschwerde hat der Revisionswerber darauf verwiesen, dass er sich in Österreich mittlerweile sehr gut integriert habe und "ein gefestigtes Praivatleben" aufgebaut habe. Er sei "seit etwa zwei Jahren durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig" und habe sich während dieser Zeit "ein großes soziales Netz mit zahlreichen engen FreundInnen aufbauen" können. Er sei bemüht, die deutsche Sprache zu lernen und habe an einem Kunstprojekt mitgewirkt. "Zum Beweis für die fortgeschrittene Integration" des Revisionswerbers ergehe hiermit der Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme dreier namentlich genannter Personen.

22 Mit diesem Beweisangebot wird in der Beschwerde kein ausreichend konkretes und für die Rückkehrentscheidung relevantes Beweisthema geltend gemacht, weshalb das BVwG fallbezogen von der Einvernahme der genannten Personen absehen durfte. Eine Mutter-Sohn ähnliche Beziehung zu einer dieser Personen hat der Revisionswerber in der Beschwerde - im Gegensatz zur Revision - nicht geltend gemacht, wobei hinsichtlich erstmals im Revisionsverfahren erstattetes Vorbringen auf das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot zu verweisen ist.

23 In eindeutigen Fällen, bei denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden (und von ihm im Verfahren vorgebrachten) Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen positiven persönlichen Eindruck verschafft, kann aber nach der hg. Rechtsprechung auch eine beantragte mündliche Verhandlung unterbleiben (VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422-0424, mwN). 24 Dass die in Zusammenhang mit Art. 8 EMRK durch das BVwG vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar sei, zeigt die Revision in ihren Zulässigkeitsgründen im Übrigen nicht auf. 25 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Juni 2019

Schlagworte

BeweismittelSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des BeweisantragesVerfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180192.L00

Im RIS seit

19.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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