TE Vwgh Erkenntnis 1999/1/15 95/21/1083

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Veröffentlicht am 15.01.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des DL in Wien, geboren am 19. Jänner 1965, vertreten durch Dr. Robert Brande, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 17, dieser vertreten durch Dr. Renate Steiner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 18-20/50, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 31. Mai 1995, Zl. Fr 1826/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, daß der Beschwerdeführer in Kroatien und Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe im Asylverfahren angegeben, daß er niemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder einer bewaffneten Organisation gewesen wäre. Er wäre Angehöriger der albanischen Minderheit im Kosovo und hätte seit 1991 in der kroatischen Armee gedient. Im Mai 1993 wäre ihm die kroatische Staatsbürgerschaft aberkannt worden. Der Beschwerdeführer hätte die kroatische Armee verlassen, weil seine Entlassungsgesuche immer negativ beantwortet worden wären und er in diesen "schmutzigen Krieg" nicht hätte involviert werden wollen.

Sein Asylantrag sei gemäß § 3 Asylgesetz 1991 abgewiesen worden.

Die Desertion von der kroatischen Armee und die Strafandrohung von fünf Jahren könnten nicht zur begründeten Annahme führen, daß der Beschwerdeführer im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei, zumal er als nichtkroatischer Staatsangehöriger grundsätzlich nicht zu Militärdienstleistungen herangezogen werden könne. Er sei freiwillig in den kroatischen Militärdienst eingetreten. Aufgrund allgemein anerkannter völkerrechtlicher Regelungen könnten nur eigene Staatsangehörige zum Militärdienst herangezogen werden. "Eine Bestrafung wegen Desertion durch die Zivilgerichte ist ebenfalls nur für die Staatsangehörigen dieses Staates zulässig."

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes komme die Berufungsbehörde zu dem Ergebnis, daß eine Abschiebung weder nach Kroatien noch in die "Bundesrepublik Jugoslawien" unzulässig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0229) vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG glaubhaft zu machen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen.

Die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes stellt für sich allein keinen Grund für die Annahme einer Gefahr im Sinn des § 37 FrG dar, desgleichen eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung. Die Furcht, wegen Desertion bestraft zu werden, kann jedoch dann asylrechtlich - und damit im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG - relevant sein, wenn die Einberufung zum Militärdienst aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt oder aus solchen Gründen eine strengere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion als bei anderen Staatsangehörigen zu befürchten wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0221).

Bezogen auf die Desertion von kroatischen Truppen wurde vom Beschwerdeführer eine dem § 37 Abs. 1 FrG zu unterstellende Gefährdung nicht behauptet; weiters liegen keine Gründe vor, daß der Beschwerdeführer wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe eine strengere Bestrafung wegen Desertion zu befürchten habe (§ 37 Abs. 2 FrG). Es kann somit dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer, der nicht mehr die kroatische Staatsbürgerschaft besitzt, überhaupt wegen Desertion bestraft werden könnte.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Der Beschwerdeführer hatte nämlich bezüglich einer in der Bundesrepublik Jugoslawien drohenden Verfolgung (im Asylverfahren) vorgebracht, er hätte anläßlich der Verteidigung eines bestimmten Ortes gegen die serbischen Truppen gekämpft und dies sei der serbischen Führung bekannt. Aus diesem Grund fürchte er, von den Serben aufgegriffen und erschossen zu werden; weiters seien über Personen, die mit ihm gegen die serbischen Truppen gekämpft hätten, Freiheitsstrafen verhängt worden. Die belangte Behörde unterließ es im angefochtenen Bescheid, dieses Vorbringen zu prüfen, darüber Feststellungen zu treffen und diese ihrer rechtlichen Beurteilung nach § 54 FrG zugrundezulegen. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels ist gegeben, weil einerseits (im Hinblick auf den vorgenannten Umstand) eine Lebensgefahr iSd § 37 Abs 1 FrG behauptet wird, andererseits eine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 2 leg. cit. vorläge, wenn der Beschwerdeführer - ungeachtet seiner damaligen kroatischen Staatsbürgerschaft - deswegen bestraft würde, weil er als Angehöriger der albanischen Volksgruppe gegen serbische Truppen gekämpft hat.

Der genannte Verfahrensmangel erstreckt sich auch auf den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung nach Kroatien, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1997, Zl. 95/21/0375) nicht nur die unmittelbare Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat, in dem die Gefahren gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG drohen, unzulässig ist, sondern auch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in einen Staat, in dem die konkrete Gefahr besteht, daß er von dort in einen derartigen Staat weitergeschoben würde. Im vorliegenden Fall ist es offenkundig, daß der Beschwerdeführer wegen des Verlustes der kroatischen Staatsbürgerschaft und wegen seiner Herkunft aus dem Kosovo durch Organe des kroatischen Staates zwangsweise in die Bundesrepublik Jugoslawien verbracht werden könnte.

Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. Jänner 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1995211083.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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