TE Vwgh Beschluss 2019/6/24 Ra 2018/20/0434

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Veröffentlicht am 24.06.2019
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision

1. des R N, 2. der Z Z, 3. des M N, alle in F, alle vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen das Erkenntnis vom 31. Juli 2018,

1)

Zl. W153 2179547-1/7E, 2) Zl. W153 2179549-1/7E und

3)

Zl. W153 2179544-1/5E, des Bundesverwaltungsgerichts, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind verheiratet und Eltern des minderjährigen Drittrevisionswerbers. Die revisionswerbenden Parteien, der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung zugehörige Staatsangehörige Afghanistans, stellten am 16. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gaben sie zusammengefasst an, der Erstrevisionswerber sei im Iran geboren und aufgewachsen. Die aus der Provinz Balkh stammende Zweitrevisionswerberin habe Afghanistan im Alter von etwa 19 Jahren aufgrund der Taliban verlassen und sei in den Iran gegangen, wo die revisionswerbenden Parteien bis zu ihrer Ausreise gelebt hätten. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe den revisionswerbenden Parteien aufgrund ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit der Tod.

2 Mit Bescheiden vom 20. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die von den revisionswerbenden Parteien dagegen erhobene gemeinsame Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Soweit zur Begründung der Zulässigkeit der Revision die fehlende Auseinandersetzung mit den im Rückkehrfall zu erwartenden Reaktionen aufgrund des gelebten selbstbestimmten westlichen Lebensstils der Zweitrevisionswerberin angeführt wird, wird auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen. Demnach muss bei Vorliegen eines westlich orientierten Lebensstils auf der Grundlage aktueller Länderberichte eine Auseinandersetzung damit stattfinden, ob und bejahendenfalls mit welchen staatlichen bzw. nichtstaatlichen Reaktionen die Revisionswerberin im Falle eines von ihr in Afghanistan gelebten selbstbestimmten westlichen Lebensstils rechnen müsste, ob diese Reaktionen nach ihrer Schwere als Verfolgung angesehen werden können und ob der Revisionswerberin - im Falle von Privatverfolgung - staatlicher Schutz gewährt werden würde (vgl. VwGH 28.6.2018, Ra 2017/19/0579- 0581, mwN). Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt aber dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2018/18/0544-0546, mwN).

8 Das BVwG setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausführlich mit der aktuellen Lebenssituation der Zweitrevisionswerberin auseinander und kam im Rahmen einer nicht als unvertretbar zu erkennenden Beweiswürdigung zu dem Schluss, dass ein westlich orientierter Lebensstil bzw. eine selbstbestimmte Lebensweise nicht Bestandteil der Identität der Zweitrevisionswerberin geworden sei. Der Revision gelingt es nicht, diese Einschätzung des BVwG in Zweifel zu ziehen, zumal lediglich das Vorbringen der Zweitrevisionswerberin in der mündlichen Verhandlung wiederholt wird. Auch findet das Vorbringen in der Revision, wonach die Zweitrevisionswerberin aufgrund der streng konservativen religiösen Einstellung ihrer beiden noch in der Provinz Balkh wohnhaften Brüder bis zu ihrer Ausreise in den Iran nur voll verschleiert sowie in männlicher Begleitung das Haus habe verlassen dürfen und ihr die Ausübung einer Erwerbstätigkeit verboten worden sei, im gesamten bisherigen Verfahren keine Deckung, sodass der Berücksichtigung dieses Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegensteht.

9 Sofern die Revision weiters vorbringt, das BVwG hätte eine Gruppenverfolgung von Angehörigen der schiitischen Minderheit der Hazara bei Berücksichtigung aktueller Berichte nicht per se ausschließen dürfen, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich das BVwG mit der Situation der Hazara in Afghanistan und der Frage einer drohenden Verfolgung der revisionswerbenden Parteien aufgrund ihrer Volks- und Religionsgruppenzugehörigkeit näher auseinandersetzte und - unter Bezugnahme auf aktuelle Länderberichte und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - zu dem Schluss kam, dass nicht von einer generellen (asylrelevanten) Verfolgung von Angehörigen der Hazara ausgegangen werden könne. Mit den allgemeinen Ausführungen zur Situation von Angehörigen der schiitischen Minderheit der Hazara wird vor diesem Hintergrund nicht aufgezeigt, dass das BVwG von den in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien (vgl. zur Gruppenverfolgung etwa VwGH vom 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mwN) abgewichen wäre. Darüber hinaus verweist die Revision in diesem Zusammenhang auf die Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, verkennt hierbei jedoch, dass das BVwG sein Erkenntnis auf aktuellere Länderberichte stützte.

10 Weiters hat das BVwG - entgegen dem Revisionsvorbringen - die Vulnerabilität des Drittrevisionswerbers berücksichtigt und sich mit den in seinen Länderfeststellungen dargestellten und insbesondere Minderjährige betreffenden Problematiken im Herkunftsstaat auseinandergesetzt. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund stabiler und intakter Familienverhältnisse, der Absicherung des Drittrevisionswerbers im Familienverband mit seinen in der Provinz Balkh lebenden Familienangehörigen sowie der als gering einzustufenden Gefährdungslage in der Herkunftsprovinz, sowohl eine Gefährdung des Kindeswohls als auch ein reales Risiko einer Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte des Drittrevisionswerbers auszuschließen sei.

11 Den Revisionswerbern gelingt es nicht, die Einschätzung des BVwG zu entkräften, weil die Revision in der Zulässigkeitsbegründung den Ausführungen des BVwG nicht substantiiert entgegentritt, sondern lediglich das dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegte und im Entscheidungszeitpunkt aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zitiert sowie auf Berichte älteren Datums verweist, ohne jedoch einen konkreten Bezug zur Situation des minderjährigen Drittrevisionswerbers im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat herzustellen.

12 Insoweit die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK beanstandet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 10.4.2019, Ra 2019/20/0153, mwN).

13 Das BVwG berücksichtigte im Rahmen seiner Interessenabwägung alle entscheidungswesentlichen - auch die zugunsten der revisionswerbenden Parteien sprechenden - Umstände. Mit der bloßen Wiederholung jener persönlichen Umstände, die vom BVwG bereits berücksichtigt wurden, vermag die Revision nicht darzulegen, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.

14 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018200434.L00

Im RIS seit

25.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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