TE Vwgh Erkenntnis 2019/6/25 Ra 2018/19/0705

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Veröffentlicht am 25.06.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3
MRK Art3
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des G R N, in W, vertreten durch Dr. Maria Hoffelner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Julius Raab-Platz 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 2018, W198 2189925-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 23. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, er sei Offizier (Oberleutnant) der afghanischen Streitkräfte gewesen. Von den Taliban sei er aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. Nachdem er dies verweigert habe, sei er durch die Taliban bedroht worden, weshalb er geflüchtet sei.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 21. Februar 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber eine Beschwerde. Im Verfahren des Bundesverwaltungsgerichtes brachte er ergänzend vor, er habe aufgrund der Bedrohungen durch die Taliban seinen Dienst als Offizier der afghanischen Streitkräfte verlassen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe ihm wegen seiner Desertion eine massive Bestrafung "durch die afghanische Regierung".

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit im Revisionsverfahren wesentlich - aus, der Revisionswerber stamme aus der Provinz Baghlan und habe zuletzt für die afghanischen Streitkräfte gearbeitet. Es sei nicht glaubhaft, dass der Revisionswerber in Afghanistan von den Taliban bedroht worden sei bzw. bei seiner Rückkehr einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre. Eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz, in der die Sicherheitslage sehr schlecht sei, sei dem Revisionswerber nicht zumutbar. In den Städten Herat und Mazar-e Sharif stehe dem Revisionswerber, der ein arbeitsfähiger, junger Mann sei, jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts gerichtete außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit unter anderem geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, ihm drohe aufgrund seiner Desertion von seinem Dienst als Offizier der afghanischen Streitkräfte Verfolgung durch die afghanische Regierung, nicht beschäftigt.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht hat, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 29.3.2019, Ra 2018/18/0539; 26.3.2019, Ra 2019/19/0043; mwN). 10 Wie die Revision zutreffend darstellt, hat das Bundesverwaltungsgericht sich über das Vorbringen des Revisionswerbers, ihm drohe Verfolgung durch die afghanische Regierung, weil er von seinem Dienst als Offizier der afghanischen Streitkräfte desertiert sei, begründungslos hinweggesetzt. 11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0050; 23.1.2019, Ra 2019/19/0009; jeweils mwN; vgl. auch zu einem drohenden Verstoß gegen Art. 3 EMRK durch unmenschliche oder erniedrigende Haftbedingungen VwGH 25.3.2015, Ra 2014/20/0085). Dem Vorbringen des Revisionswerbers kann daher nicht von vornherein die Asylrelevanz abgesprochen werden.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, weshalb sich ein Eingehen auf das übrige Revisionsvorbringen erübrigt. 13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190705.L00

Im RIS seit

26.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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