TE Vfgh Beschluss 1996/12/12 G200/94

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Veröffentlicht am 12.12.1996
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
StPO §41 Abs3
RAO §45 Abs1

Leitsatz

Einstellung des Verfahrens zur Prüfung der Regelung der Beigabe eines Amtsverteidigers im Strafprozeß mangels Präjudizialität; Verstoß der Regelung über die Beigebung eines Rechtsanwalts aufgrund eines Gerichtsbeschlusses in der RAO gegen den Gleichheitssatz aufgrund des einseitigen Kostenrisikos des Amtsverteidigers; Belastung mit dem Risiko der Uneinbringlichkeit der Verfahrenskosten kein vernachlässigbarer Härtefall; keine sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Verfahrenshilfe- und Amtsverteidigern

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit vorliegendem, ausdrücklich auf Art140 B-VG gestützten Antrag wird begehrt, der Verfassungsgerichtshof möge

"a) die Wortfolge 'dessen Kosten er zu tragen hat' im §41 Abs3 StPO, in eventu §41 Abs3 zweiter Satz

StPO zur Gänze sowie

b) §42 Abs1 erster Satz StPO" als verfassungswidrig aufheben.

Der Antrag führt im wesentlichen aus:

"Ausgehend von VfSlg. 6945 und 10326 kann behauptet werden, daß die Beigebung eines Verteidigers nach §41 Abs3 iVm §42 StPO durch das Gericht und die Bestellung eines bestimmten Rechtsanwaltes durch die RAK nach §45 RAO zwei verschiedene Rechtssachen seien.

Dieser Standpunkt hat zur Konsequenz, daß für mich nur der aus §45 RAO gestützte Bescheid der RAK bekämpfbar ist. In diesem Verfahren ist aber der Eingriff in meine subjektiven Rechte nicht relevierbar, weil die Vermögenslosigkeit des Beschuldigten und somit das Risiko eines Schadenseintrittes nicht zu den Tatbeständen zählt, welche eine Enthebung rechtfertigen. Insbesondere hat die RAK auch nicht die Entscheidung des Gerichtes nach §41 Abs3 StPO zu überprüfen.

Aus dieser Sicht erscheint §45 RAO verfassungswidrig ... , weil diese Bestimmung keine Abwehr eines unzulässigen Eingriffes in meine Rechtssphäre zuläßt. ...

Wenn man aber §45 RAO für unbedenklich hält, weil 'nur' über die 'Bestellung' abgesprochen wird, die Voraussetzungen aber durch das Gericht gemäß §41 Abs3 StPO zu beurteilen sind, so erscheint letztere Bestimmung verfassungswidrig, weil durch die Gerichtsentscheidung in meine Rechtssphäre eingegriffen wird, ohne daß ich an dem zugrundeliegenden Verfahren Anteil hatte.

...

Die Entscheidung des Gerichtes entfaltet Rechtswirkungen für mich, ist aber für mich unbekämpfbar. ...

Weil in meine Privatrechtssphäre eingegriffen wurde, ohne daß über diesen Eingriff ein Tribunal im Sinne der Judikatur zu Art6 EMRK entschieden hat, wurde ich in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt. ...

Die Konstruktion der Amtsverteidigung in der derzeitigen Form verstößt ... auch gegen den Gleichheitsgrundsatz. ...

...

Wenn durch einen Fehler des Gerichtes für einen mittellosen Beschuldigten ein Amtsverteidiger beigegeben wird, handelt es sich im Ergebnis wie bei der seinerzeitigen Armenvertretung um eine unentgeltliche Leistung. Auch bei fehlerfreier Entscheidung des Gerichtes besteht zumindest ein gewisses Risiko der Uneinbringlichkeit. Die Übernahme dieses Risikos stellt eine wirtschaftliche Leistung dar, welche - nach geltendem Recht - nicht entlohnt wird, sodaß die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken, die zur Aufhebung des §66 ZPO in der seinerzeitigen Fassung geführt haben, auch gegen §41 Abs3 zweiter Satz iVm §42 StPO und §45 RAO ins Treffen zu führen sind."

1.2. Die zur schriftlichen Äußerung eingeladene Bundesregierung begehrte, den Antrag mangels Antragslegitimation zurückzuweisen, in eventu auszusprechen, daß §41 Abs3 zweiter Satz und §42 Abs1 erster Satz StPO nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden.

2. §41 Abs3 StPO idF BGBl. Nr. 526/1993 und §42 Abs1 erster Satz StPO - die primär angegriffenen Regelungen sind hervorgehoben - lauten:

"§41. (3) In den Fällen des Abs1 sind der Beschuldigte (Angeklagte, Betroffene) und sein gesetzlicher Vertreter aufzufordern, einen Verteidiger zu wählen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Abs2 zu beantragen. Wählt weder der Beschuldigte noch sein gesetzlicher Vertreter für ihn einen Verteidiger, so ist ihm von Amts wegen ein Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er zu tragen hat (Amtsverteidiger)."

"§42. (1) Hat das Gericht die Beigebung eines Verteidigers beschlossen, so hat es den Ausschuß der nach dem Sitz des Gerichtes zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuß einen Rechtsanwalt zum Verteidiger bestelle."

3. Der Antrag ist unzulässig:

3.1. Soweit der Antragsteller die Aufhebung des §42 Abs1 erster Satz StPO als verfassungswidrig begehrt, ist sein Antrag schon deshalb zurückzuweisen, weil es an der im §62 Abs1 Satz 2 VerfGG geforderten Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit der zitierten Gesetzesstelle sprechenden Bedenken im einzelnen fehlt und dieser Mangel nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe VfSlg. 7593/1975, 8485/1979, 8612/1979, 11507/1987 und 13274/1992) kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozeßhindernis bildet.

3.2. Soweit der Antragsteller die Aufhebung der Wortfolge "dessen Kosten er zu tragen hat" im §41 Abs3 StPO, in eventu die Aufhebung des §41 Abs3 zweiter Satz StPO zur Gänze begehrt, ist sein Antrag ebenfalls unzulässig.

3.2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist Voraussetzung der Antragslegitimation einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

3.2.2. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

Der Verfassungsgerichtshof vermag sich der vom Antragsteller vertretenen Rechtsansicht, daß die bekämpfte Gesetzesstelle für ihn unmittelbar wirksam sei, nicht anzuschließen. §41 Abs3 zweiter Satz StPO idF BGBl. Nr. 526/1993 ordnet lediglich an, daß das Gericht in bestimmten Fällen dem Beschuldigten von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben hat. Die namentliche Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Amtshilfeverteidiger erfolgt aber erst durch einen - vom bestellten Rechtsanwalt bekämpfbaren - Bescheid des Ausschusses der jeweils zuständigen Rechtsanwaltskammer. Die Behauptung des Antragstellers, die bekämpfte Regelung der StPO greife unmittelbar in seine Rechtssphäre ein, erweist sich somit als unrichtig (vgl. hiezu auch VfGH 10.12.1996 G127,129/96), weshalb auch dieser Teil des Antrages und der Eventualantrag als unzulässig zurückzuweisen sind.

Der Antrag war daher insgesamt aus den dargelegten Erwägungen als unzulässig zurückzuweisen.

3.3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Strafprozeßrecht, Verteidigung, Rechtsanwälte Pflichtverteidigung, Berufsrecht Rechtsanwälte, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G200.1994

Dokumentnummer

JFT_10038788_94G00200_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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