TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/4 I403 2147932-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.03.2019
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Entscheidungsdatum

04.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2147932-1/27E

I403 2147935-1/22E

SCHRIFLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 26.02.2019 VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerden

1. der XXXX, Staatsangehörige Marokkos, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.02.2017, Zl. 1075942300/151003595 und

2. ihres minderjährigen Sohnes XXXX, Staatsangehöriger Marokkos, gesetzlich vertreten durch seine Mutter, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.02.2017, Zl. 1081132201/151018270,

vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.02.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt II. und den ersten Spruchteil des Spruchpunktes III. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben und festgestellt, dass die Rückkehrentscheidungen gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz auf Dauer unzulässig sind. XXXX werden gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 die Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

XXXX (im Folgenden: Erstbeschwerdeführerin) stellte am 04.08.2015 für sich und ihren am XXXX2012 in Italien geborenen Sohn XXXX (im Folgenden: Zweitbeschwerdeführer) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.02.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Marokko abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a 3 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Die gegen die Spruchpunkte II. bis V. dieser Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 03.03.2017, Zl. I418 2147932-1/5E und I418 2147935-1/3E als unbegründet ab. Das Erkenntnis wurde allerdings vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2017/01/0086 bis 0087 behoben. Die Beschwerdeverfahren wurden der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin zugewiesen.

Am 26.02.2019 wurde eine mündliche Verhandlung an der Außenstelle Innsbruck des Bundesverwaltungsgerichtes abgehalten und das Erkenntnis mündlich verkündet. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019 wurde die schriftliche Ausfertigung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Marokkos. Die Erstbeschwerdeführerin ist sunnitischen Glaubens, ihr Ehemann und ihre Kinder schiitischen Glaubens.

Die Erstbeschwerdeführerin ist unbescholten, volljährig, Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, einer 2015 geborenen Tochter und eines weiteren, im Jahr 2017 geborenen Sohnes.

Der Zweitbeschwerdeführer ist der minderjährige Sohn der Erstbeschwerdeführerin und entstammt einer Beziehung mit einem iranischen Staatsbürger. Seit 2014 besteht kein Kontakt mehr zu dem in Italien lebenden Vater.

Am 11.04.2015 heiratete die Erstbeschwerdeführerin einen irakischen Staatsbürger, dem in Österreich subsidiärer Schutz zukommt. Die beiden gemeinsamen Kinder (geboren 2015 und 2017) haben ebenfalls den Status subsidiär Schutzberechtigter, abgeleitet von ihrem Vater.

Die Erstbeschwerdeführerin hat ihren früheren Wohnort Rabat vor mehr als zehn Jahren verlassen; sie ist im August 2008 über die Türkei nach Griechenland gereist, wo sie sich vier Jahre aufhielt. Von 2011 bis Oktober 2014 war die Erstbeschwerdeführerin in Turin, Italien wohnhaft, dort wurde auch ihr Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, geboren. Die Erstbeschwerdeführerin hatte in Italien einen Aufenthaltstitel "aus humanitären Gründen". Die Beschwerdeführer gelangten im Oktober 2014 in das Bundesgebiet und halten sich seither hier auf. Die Erstbeschwerdeführerin hat das ÖSD-Zertifikat A2 abgeschlossen. Der Zweitbeschwerdeführer besucht in Österreich die Schule und hat sich hier einen Freundeskreis aufgebaut.

Die Familie der Erstbeschwerdeführerin, konkret ihre Eltern, ihre zwei Brüder und ihre zwei Schwestern, leben in Rabat. Sie steht regelmäßig in Kontakt mit ihrer Mutter.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Erwerbsfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin ist gegeben. Die Erstbeschwerdeführerin hatte in Marokko eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen, aber nicht abgeschlossen. Sie hat allerdings in Griechenland und Italien als Zimmermädchen und Kellnerin Berufserfahrung gesammelt.

Es besteht keine reale Gefahr, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Marokko in eine existenzbedrohende Lage geraten würden.

Der irakische Ehemann der Erstbeschwerdeführerin war im Gastronomiebereich tätig; aktuell bezieht er Arbeitslosenversicherung und besucht einen Alphabetisierungskurs. Es erscheint nicht wahrscheinlich, dass es dem irakischen Ehemann der Erstbeschwerdeführerin möglich wäre, die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht für Marokko zu erfüllen. Die Fortführung des gemeinsamen Familienlebens in Marokko ist daher nicht möglich.

1.2. Zur Situation in Marokko:

Die folgenden - unwidersprochen gebliebenen - Feststellungen wurden dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Marokko (Stand: 10.10.2018) entnommen:

Politische Lage

Marokko ist ein zentralistisch geprägter Staat. Das Land ist eine Monarchie mit dem König als weltlichem und geistigem Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und "Anführer der Gläubigen" (AA 10.2017a). Laut der Verfassung vom 1.7.2011 ist Marokko eine konstitutionelle, demokratische und soziale Erbmonarchie, mit direkter männlicher Erbfolge und dem Islam als Staatsreligion. Abweichend vom demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung kontrolliert der König in letzter Instanz die Exekutive, die Judikative und teilweise die Legislative (GIZ 7.2018a; vgl. ÖB 9.2015). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 leitete der König im Jahr 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Aktuelle Proteste im Norden des Landes sind vor allem Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Umsetzung sozio-ökonomischer Reformen, die schleppend verläuft (AA 10.2017a). Die Verfassung vom 1.7.2011 brachte im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land; in Bezug auf die Königsmacht jedoch nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist jedoch in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 9.2015).

Einige Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen. Dies betrifft folgenden vier Ressorts: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen. Soziale Reformen während der Regentschaft Mohamed VI sollten mehr Wohlstand für alle bringen - doch faktisch nahm die ohnehin starke Kontrolle der Königsfamilie und ihrer Entourage über die Reichtümer und Ressourcen des Landes weiter zu (GIZ 7.2018a). Hauptakteure der Exekutive sind die Minister, der Regierungschef und der König, der über einen Kreis hochrangiger Fachberater verfügt. Der König ist Vorsitzender des Ministerrates, hat Richtlinienkompetenz und ernennt nach Art. 47 der Verfassung von 2011 den Regierungschef aus der Partei, die bei den Wahlen als Sieger hervorgeht. Marokko verfügt seit der Unabhängigkeit über ein Mehrparteiensystem. Das Wahlrecht macht es schwierig für eine Partei, eine absolute Mehrheit zu erringen; Mehrparteienkoalitionen sind deshalb die Regel. In Marokko haben am 7.10.2016 Wahlen zum Repräsentantenhaus stattgefunden. Als stärkste Kraft ging die seit 2011 an der Spitze der Regierung stehende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD, "Parti de la Justice et du Développement") hervor. Am 5.4.2017 wurde Saad-Eddine El Othmani von König Mohammed VI zum Premier-Minister ernannt. (AA 10.2017a).

Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Unterhaus (Chambre des Représentants, Madschliss an-Nuwwab) und dem Oberhaus (Chambre des conseillers, Madschliss al-Mustascharin). Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt. Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das Oberhaus (Chambre des Conseillers) besteht aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden (GIZ 7.2018a). Bei den oben erwähnten Wahlen zum Repräsentantenhaus vom 7.10.2016 erreichte die PJD 125 Sitze (GIZ 7.2018a). Kritische politische Analysen weisen darauf hin, dass die faktische Macht der PJD bzw. des Regierungschefs Benkirane begrenzt ist und dass die Regierungsbeteiligung der Glaubwürdigkeit der PJD schaden könnte (GIZ 7.2018a). An zweiter Stelle rangiert mit 102 Sitzen die liberal-konservative Partei für Authentizität und Moderne (PAM - Parti Authenticité et Modernité) (GIZ 7.2018a), die auch die größte Oppositionspartei ist (AA 10.2017a). Sie konnte ihre Stimmengewinne mehr als verdoppeln und gilt daher als heimliche Siegerin. Dahinter gereiht ist mit 46 Sitzen die traditionsreiche Unabhängigkeitspartei (PI - Parti de l'Istiqlal), dahinter andere Parteien (GIZ 7.2018a).

Seit Anfang 2017 ist Marokko wieder offiziell Mitglied der Afrikanischen Union (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.2017a): Marokko - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ aussenpolitik/laender/marokko-node/-/224120, Zugriff 31.7.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2018a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 31.7.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

Sicherheitslage

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Das französische Außenministerium rät zu normaler Aufmerksamkeit im Land, dem einzigen in Nordafrika, das auf diese Weise bewertet wird (FD 8.8.2018), außer in den Grenzregionen zu Algerien, wo zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten wird (AA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Die Westsahara bildet natürlich eine Ausnahme, diese darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden (FD 8.8.2018). Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (AA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Seitens des BMEIA besteht eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos, insbesondere an der Grenze zu Algerien. Erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt in den übrigen Landesteilen (BMEIA 8.8.2018).

Seit dem Anschlag in Marrakesch im April 2011, gab es keine weiteren Attentate (FD 8.8.2018). Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht im ganzen Land das Risiko von terroristischen Akten (EDA 8.8.2018vgl. FD 8.8.2018; BMEIA 8.8.2018). In Teilen der Sahara und des Sahels besteht das Risiko von Entführungen. Bisher waren in Marokko keine Entführungen zu beklagen (EDA 8.8.2018; vgl. BMEIA 8.8.2018). Das Auswärtige Amt rät von Reisen in entlegene Gebiete der Sahara, in die Grenzregionen mit Algerien und Mauretanien und jenseits befestigter Straßen dringend ab (AA 8.8.2018).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden (EDA 8.8.2018). Demonstrationen können sich spontan und unerwartet entwickeln. Zuletzt kam es in verschiedenen Städten Marokkos zu nicht genehmigten Demonstrationen und vereinzelt auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Die Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 8.8.2018; vgl. BMEIA 8.8.2018). Aufgrund sozialer und politischer Spannungen kommt es seit Oktober 2016 in der Provinz Al Hoceima vermehrt zu Protestaktionen. Dabei kann es zu Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräfte kommen (EDA 8.8.2018).

Besondere Vorsicht ist auch in der Region Rif geboten. Die Ost-West-Achse Al Hoceima- Chefchaouen-Tetouan ist ruhig und weniger problematisch (FD 8.8.2018). Es kann zu Übergriffen durch Kriminelle kommen, die in die lokale Drogenproduktion und den Drogenhandel involviert sind (EDA 8.8.2018).

In großen Teilen der Sahara sind bewaffnete Banden und islamistische Terroristen aktiv, die vom Schmuggel und von Entführungen leben. Das Entführungsrisiko ist in einigen Gebieten der Sahara und der Sahelzone hoch und nimmt noch zu (EDA 8.8.2018).

Wegen des Entführungsrisikos wird von nicht dringenden Reisen ins Grenzgebiet zu Algerien abgeraten, bzw. gewarnt (AA 8.8.2018; vgl. EDA 8.8.2018; BMEIA 8.8.2018). Die Grenze zu Algerien ist geschlossen (AA 8.8.2018; vgl. EDA 8.8.2018).

Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara, erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Seither wird es sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden (EDA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Das Risiko von Entführungen kann nicht ausgeschlossen werden (EDA 8.8.2018). Von Fahrten in und durch das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 8.8.2018; vgl. EDA 8.8.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (8.8.2018): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/ 224080#content_0, Zugriff 8.8.2018

-

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.8.2018): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departemenet für auswärtige Angelegenheiten (8.8.2018): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/ marokko/reisehinweise-marokko.html, Zugriff 8.8.2018

-

FD - France Diplomatie (8.8.2018): Conseils aux Voyageurs - Maroc

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Sécurité,

https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/, Zugriff 8.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 20.4.2018). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 20.4.2018; vgl. ÖB 9.2015; AA 14.2.2018) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden respektieren Anordnungen der Gerichte fallweise nicht (USDOS 3.3.2017). Rechtsstaatlichkeit ist vorhanden, aber noch nicht ausreichend entwickelt. Unabhängigkeit der Justiz, Verfassungsgerichtsbarkeit, Transparenz durch Digitalisierung, Modernisierung der Justizverwaltung befinden sich noch im Entwicklungsprozess, der, teils von der Verfassung gefordert, teils von der Justizverwaltung angestoßen wurde. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entzieht (AA 14.2.2018).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 14.2.2018). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden. Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam ("garde à vue") zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet (AA 14.2.2018).

Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minderschweren Delikten (z.B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt werden. Auch die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung (libération conditionnelle) wird kaum genutzt (AA 14.2.2018).

Seit Juli 2015 ist die Militärgerichtsbarkeit in Verfahren gegen Zivilisten nicht mehr zuständig. Im Juli 2016 wurden durch das Revisionsgericht die Urteile eines Militärgerichts gegen 23 sahrauische Aktivisten im Zusammenhang mit dem Tod von Sicherheitskräften bei der Räumung des Protestlagers Gdim Izik aufgehoben. Von der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurden die Angeklagten 2017 zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und lebenslänglich verurteilt (AA 14.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asylund-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02- 2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

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USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 1.8.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substantiell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen "roten Linien" (Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i.e. Annexion der Westsahara) quasi als "Baugesetze" des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage, v. a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht, teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 9.2015).

In den unter Titel II aufgeführten Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte (AA 14.2.2018)

Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam in Frage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt. Obwohl Kritik an den Staatsdoktrinen strafrechtlich sanktioniert wird, werden entsprechende Verurteilungen in den vergangen Jahren eher selten bekannt. Marokkanische NGOs sind der Auffassung, dass administrative Schikanen eingesetzt und Strafverfahren zu anderen Tatbeständen (z. B. Ehebruch oder Steuervergehen) angestoßen oder auch konstruiert werden, um politisch Andersdenkende sowie kritische Journalisten einzuschüchtern oder zu verfolgen (AA 14.2.2018).

Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des VN- Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen (AA 14.2.2018). Im September 2017 unterbreitete der UN-Menschenrechtsrat nach der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung der Menschenrechtslage in Marokko dem Land Empfehlungen (AI 22.2.2018)

Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, einige Gesetze schränken die Meinungsfreiheit, vor allem im Bereich der Presse und den sozialen Medien, ein (USDOS 20.4.2018). Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich geschützt, aber hinsichtlich der drei Staatsprinzipien eingeschränkt. Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten.

Staatliche Zensur existiert nicht, sie wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der drei Tabuthemen ersetzt. Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 14.2.2018).

Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität und den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 20.4.2018; vgl. HRW 18.1.2018, AA 14.2.2018), sowie Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (USDOS 20.4.2018; vgl. HRW 18.1.2018). Für Kritik in diesen Bereich können weiterhin Haftstrafen verhängt werden (HRW 18.1.2018). Für kritische Äußerungen in anderen Bereichen wurden Haftstrafen im Rahmen einer Änderung des Pressegesetzes im Juli 2016 abgeschafft und durch Geldstrafen ersetzt (USDOS 20.4.2018; vgl. HRW 18.1.2018).

Verfolgung wegen politischer Überzeugungen erfolgt zwar nicht systematisch flächendeckend, bleibt aber ein reelles Risiko für politisch aktive Personen außerhalb des politischen Establishments und Freigeister. Parameter des "Wohlverhaltens" sind die "roten Linien" (Monarchie, Islam, territoriale Integrität) sowie der Kampf gegen den Terrorismus. Wer sich dagegen kritisch äußert oder dagegen politisch aktiv wird, muss mit Repression rechnen. Durch Fokussierung auf Einzelfälle, deren Publizierung gar nicht behindert wird, entsteht eine generalpräventive Grundstimmung: die Marokkaner wissen sehr gut abzuschätzen, wann sie mit Äußerungen in tiefes Wasser geraten könnten. Dies hindert aber nicht, dass Jugend, Menschenrechtsaktivisten, Interessensvertreter dennoch laufend ihre Stimme erheben, wobei nicht jede kritische oder freiherzige Äußerung unbedingt Konsequenzen haben muss; insbesondere Medien und Persönlichkeiten mit großer Visibilität wird ein gewisser Freiraum zugestanden. Gegenüber Regierung, Ministern und Parlament etwa kann ganz freimütig Kritik geübt werden. Die "kritische Masse" für das Eingreifen der Obrigkeit scheint erst beim Zusammentreffen mehrerer Faktoren zustande zu kommen: Etwa Infragestellen des Autoritätsgefüges (Königshaus, Sicherheitskräfte) oder Kritik am Günstlingsumfeld des Hofes ("Makhzen") verbunden mit publizitärer Reichweite des Autors (ÖB 9.2015).

Die - auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten - Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten - vor allem im Gebiet der Westsahara selbst - besonders exponiert sind (ÖB 9.2015).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die "roten Linien" Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 14.2.2018). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 20.4.2018). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor (AA 14.2.2018; vgl. HRW 18.1.2018), selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 14.2.2018). In Einzelfällen kam es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018).

2017 gab es eine Vielzahl von Protesten gegen staatliches Versagen, Korruption und Machtwillkür in der Rif-Region, die unter dem Schlagwort "Hirak" zusammengefasst werden. Berichtet wurde von zunehmend hartem Durchgreifen der Sicherheitskräfte, Videos von Polizeieinsätzen wurden durch Aktivisten in Facebook hochgeladen. Eine der größten (nicht genehmigten) Demonstrationen dieses Jahres fand am 20.7.2017 in Al Hoceima statt. Die NGO AMDH kritisierte in einem Bericht die zwangsweise Abnahme von DNA-Proben von Verdächtigen, den Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken sowie die Gewahrsamnahme von bis zu 300 Demonstranten. Auch HRW berichtete von Misshandlungen von Demonstranten. Der nationale Menschenrechtsrat (Conseil National des Droits de l'Homme - CNDH) übergab einen Bericht zu Misshandlungsvorwürfen von Demonstranten gegen Sicherheitskräfte an die Staatsanwaltschaft. Untersuchungsergebnisse wurden bislang nicht bekannt. Einige Aktivisten der Rif-Proteste wurden wegen Teilnahme an einer nicht-genehmigten Demonstration, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Gefährdung der inneren Sicherheit zu zum Teil hohen Haftstrafen verurteilt. Gleichzeitig profitierten einige inhaftierte Aktivisten von einem Gnadenankt des Königs (AA 14.2.2018).

Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 20.4.2018). Vielen Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 18.1.2018). Auf diese Weise verbietet die Regierung politische Oppositionsgruppen, indem sie ihnen den NGO-Status nicht zuerkennt. Der NGO-Status wird auch Organisationen nicht zuerkannt, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen (USDOS 20.4.2018).

Andere Kundgebungen wie die Unterstützungsdemonstration mit den Aktivisten der Rif-Proteste vom 11.6.2017 in Rabat mit ca. 25.000 Teilnehmern, verliefen hingegen komplett gewaltfrei, die Sicherheitsbehörden setzten auf eine Deeskalationsstrategie. Das Innenministerium hat 2016 ein Schulungsprogramm für Polizisten zur gewaltfreien Auflösung von Protesten begonnen. Nach Angaben des Staatsministers für Menschenrechte fanden zwischen Oktober 2016 und Juni 2017

500 Versammlungen und Demonstrationen ohne Intervention der Sicherheitskräfte statt (AA 14.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asylund-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02- 2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Morocco/Western Sahara,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1425081.html, Zugriff 2.8.2018

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HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Morocco and Western Sahara,

http://www.ecoi.net/local_link/334712/476546_de.html, Zugriff 3.8.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

Religionsfreiheit

Der sunnitische Islam malikitischer Rechtsschule ist die Staatsreligion in Marokko. Die verfassungsmäßige Stellung des Königs als Führer der Gläubigen und Vorsitzender des Ulema Rats (Möglichkeit des Erlassens religiös verbindlicher "fatwas") ist weithin akzeptiert. Das Religionsministerium kontrolliert strikt alle religiösen Einrichtungen und Aktivitäten und gibt das wöchentliche Freitagsgebet vor (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 29.5.2018). Zur Prävention von Radikalisierung überwachen die Sicherheitsorgane islamistische Aktivitäten in Moscheen und Schulen (AA 14.2.2018).

Art. 3 der Verfassung garantiert Religionsfreiheit (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 29.5.2018). Der Artikel zielt auf die Ausübung der Staatsreligion ab, schützt aber auch die Ausübung anderer anerkannter traditioneller Schriftreligionen wie Judentum und Christentum. Neuere Religionsgemeinschaften wie etwa die Baha'i werden ebenso wenig staatlich anerkannt wie abweichende islamische Konfessionen wie zum Beispiel die Schia. Fälle staatlicher Verfolgung aufgrund der Ausübung einer anderen als den anerkannten Religionen sind nicht bekannt (AA 14.2.2018).

Missionierung ist in Marokko nur Muslimen (de facto ausschließlich den Sunniten der malikitischen Rechtsschule) erlaubt (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 29.5.2018). Mit Strafe bedroht ist es, Gottesdienste jeder Art zu behindern, den Glauben eines (sunnitischen) Muslim "zu erschüttern" und zu missionieren (Art 220 Abs. 2 des marokkanischen Strafgesetzbuches). Dies schließt das Verteilen nicht-islamischer religiöser Schriften ein. Bibeln sind frei verkäuflich, werden jedoch bei Verdacht auf Missionarstätigkeit beschlagnahmt. Ausländische Missionare können unverzüglich des Landes verwiesen werden, wovon die marokkanischen Behörden in Einzelfällen Gebrauch machen (AA 14.2.2018).

Laizismus und Säkularismus sind gesellschaftlich negativ besetzt, der Abfall vom Islam (Apostasie) gilt als eine Art Todsünde, ist aber nicht strafbewehrt. Es gibt einen starken sozialen Druck, die islamischen Glaubensregeln zumindest im öffentlichen Raum zu befolgen. Grundsätzlich ist der freiwillige Religionswechsel Marokkanern nicht verboten, aber in allen Gesellschaftsschichten stark geächtet. Statusrechtlich ist eine Konversion zum Christentum für Marokkaner nicht möglich.

Staatliche Stellen behandeln Konvertiten insbesondere familienrechtlich weiter als Muslime (AA 14.2.2018).

Nicht-Muslime müssten zum Islam konvertieren, um die Pflegschaft für ein muslimisches Kind übernehmen zu können. Ein muslimischer Mann darf nach marokkanischem muslimischem Recht eine nicht-muslimische Frau heiraten, eine muslimische Frau kann dagegen in keinem Fall einen nicht-muslimischen Mann heiraten (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Die Behörden inhaftierten marokkanische Christen und befragten diese über ihren Kontakt zu anderen Christen. Passanten sollen während des Ramadan mindestens eine Person angegriffen haben, weil sie während des Ramadans in der Öffentlichkeit gegessen hatten (USDOS 29.5.2018).

Es gibt Berichte von gesellschaftlicher Diskriminierung basierend auf Religionszugehörigkeit, Glauben oder Religionsausübung. Christen berichten über sozialen Druck seitens nicht-christlicher Familienangehöriger und Freunde, zum Islam zu konvertieren. Juden leben vorwiegend unbehelligt im Land und können Gottesdienste in Synagogen feiern, es gibt jedoch vereinzelte Fälle von Antisemitismus. Baha'i bekennen sich nicht öffentlich zu ihrem Glauben, da ihre Glaubensrichtung als häretisch gilt (USDOS 29.5.2018). Marokkanische Christen und andere Religionsgemeinschaften üben ihren Glauben in der Regel nur im privaten Bereich aus. Marokkaner werden von staatlichen Organen gehindert, Gottesdienste in "ausländischen" Kirchen zu besuchen, und riskieren bei jeder öffentlichen Glaubenspraxis den Vorwurf des Missionierens (AA 14.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asylund-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02- 2018.pdf, Zugriff 7.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2018b): LIPortal - Marokko - Gesellschaft, https://www.liportal.de/marokko/gesellschaft/, Zugriff 7.8.2018

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USDOS - U.S. Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436851.html, Zugriff 7.8.2018

Religiöse Gruppen

Mehr als 99% der Bevölkerung sind sunnitische Moslems. Die restlichen religiösen Gruppen (Christen, Juden, schiitische Moslems und Baha'is) machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asylund-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02- 2018.pdf, Zugriff 7.8.2018

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USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 7.8.2018

Frauen

Die Lage der Frauen in Marokko ist gekennzeichnet durch die Diskrepanz zwischen dem rechtlichen Status und der Lebenswirklichkeit. Insbesondere im ländlichen Raum bestehen gesellschaftliche Zwänge aufgrund traditioneller Einstellung fort. Zwar garantiert die Verfassung von 2011 in Art. 19, dass "Männer und Frauen gleichberechtigt die Rechte und Freiheiten ziviler, politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und ökologischer Natur" genießen, schränkt diese Rechte durch Bezugnahme auf den Islam als Staatsreligion aber wieder ein. In internationalen Abkommen hat sich Marokko zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen verpflichtet, aber auch hier den Vorrang des Islams geltend gemacht (AA 14.2.2018).

Obwohl die Änderung des Familienrechts zugunsten der Frauen vom 6.2.2004 ("Moudawana") mit den Grundsätzen

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Abschaffung der Gehorsamspflicht der Ehefrau" (AA 14.2.2018; vgl. GIZ 7.2018b),

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Anhebung des grundsätzlichen Ehefähigkeitsalters der Frau auf 18 Jahre (AA 14.2.2018),

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Abschaffung der Hinzuziehung eines Vormunds zur Eheschließung für volljährige Frauen (AA 14.2.2018; vgl. GIZ 7.2018b),

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Einführung der gerichtlichen Ehescheidung (GIZ 7.2018b),

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Abschaffung der einseitigen Verstoßung für den Ehemann, Einführung des Zerrüttungsprinzips, relativ weitgehende Gleichstellung von Männern und Frauen im Scheidungsrecht (GIZ 7.2018b),

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Polygamie nur noch in genehmigten Ausnahmefällen (AA 14.2.2018),

und mit der Einrichtung von Familiengerichten eine deutliche Verbesserung der Rolle der Frau geschaffen hat, gibt es weiter Defizite in der Gleichberechtigung, wie z. B. die ungleiche Behandlung im Erb- und Familienrecht. Der Menschenrechtsrat CNDH kritisiert Gesetzentwurf das Fehlen von Definitionen von Gleichstellung und Diskriminierung und fordert Reformen (AA 14.2.2018).

Von einer wirklichen rechtlichen und sozialen Gleichstellung sind Frauen und Männer in Marokko noch weit entfernt. In der marokkanischen Gesellschaft dominieren weiterhin patriarchale Einstellungen und diskriminierende Verhaltensweisen. Viele der ehrgeizigen Gesetzesreformen werden bislang nur partiell umgesetzt (GIZ 7.2018b).

Außerehelicher Geschlechtsverkehr ist strafbar. Alle ledigen Mütter sind damit von strafrechtlicher Verfolgung bedroht. Tatsächlich wird außerehelicher Geschlechtsverkehr nur in Ausnahmefällen strafrechtlich verfolgt. Meist geschieht dies auf Anzeige von Familienangehörigen und nur in Ausnahmefällen auch direkt durch den Staat (AA 14.2.2018).

Seit Mitte der 1980er Jahre sind in Marokko immer mehr NGOs entstanden, die sich gleichzeitig für Demokratie und für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzen. Die politisch einflussreichsten dieser NGOs sind die Association Démocratique des Femmes Marocaines (ADFM), die Fédération de la Ligue Démocratique pour la Défense des Droits des Femmes (FLDDF), die Association Marocaine des Droits des Femmes (AMDF) und die Union de L'Action Féminine (UAF) (GIZ 7.2018b).

Vergewaltigung steht unter Strafe. Das Strafmaß beträgt fünf bis zehn Jahre; wenn das Opfer minderjährig ist, zehn bis zwanzig Jahre (USDOS 20.4.2018). Es kommt häufig zu Gewalt gegen Frauen. Die Straftaten Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe sind nicht gesondert kodifiziert. Diese Fälle werden von den betroffenen Frauen in aller Regel nicht zur Anzeige gebracht. Kommt es zu einer Anzeige, gestaltet sich der Nachweis der Straftat schwierig (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Viele Richter sind voreingenommen und urteilen zugunsten des Mannes. Neben gesellschaftlichen Ursachen (Gewalt gegen Frauen, insbesondere in der Familie, wird von den meisten Männern als legitim betrachtet) gibt es auch staatliche und rechtliche Defizite. Der Gesetzesentwurf zu Gewalt gegen Frauen von 2016 wurde noch nicht verabschiedet. Die Anzahl von Frauenhäusern und Zufluchtsorten für Frauen ist begrenzt. Missbrauch von Kindern und Kinderprostitution ist ein verbreitetes Problem, Statistiken hierzu sind nicht erhältlich. In der Mehrzahl der Fälle von Kinderprostitution handelt es sich um Kinder aus ländlichen Gegenden, die zum Geldverdienen in Städte geschickt werden. Das Strafgesetz sieht eine Strafe für die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen vor. Strafverschärfende Maßnahmen gelten bei minderjährigen Opfern (Art 497, 498 Strafgesetzbuch). Verurteilte Vergewaltiger und Pädophile sind von einer möglichen Amnestie ausgeschlossen. In der Praxis kommt es selten zur Strafverfolgung dieser Tatbestände (AA 14.2.2018).

Auch im Berufsleben bleibt die Lage der Frauen schwierig, insbesondere auf dem Land, wo patriarchale Strukturen dominant sind. In höheren Ämtern nimmt der weibliche Anteil im Vergleich mit männlichen Amtsinhabern rasch ab, auch wenn Frauen vereinzelt besonders exponierte Führungspositionen einnehmen. Bei den Parlamentswahlen wurden lediglich 10 von 305 direkt gewählten Parlamentsmandaten von Frauen gewonnen. 90 weitere Sitze sind über eine spezielle Liste für Frauen und junge Menschen reserviert (AA 14.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asylund-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02- 2018.pdf, Zugriff 7.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2018b): LIPortal - Marokko - Gesellschaft, https://www.liportal.de/marokko/gesellschaft/, Zugriff 7.8.2018

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USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 7.8.2018

Kinder

Gesetzlich können beide Elternteile die Staatsbürgerschaft an das Kind weitergeben (USDOS 20.4.2018).

Die soziale Lage vieler Kinder bleibt problematisch. Trotz gestiegener Einschulungszahlen brechen weiterhin viele Jugendliche die Schule ab. Die Schulpflicht bis zum 15. Lebensjahr wird v.a. in ländlichen Regionen nicht konsequent umgesetzt (AA 14.2.2018; vgl. GIZ 7.2018b). Der Anteil von Analphabeten in der Bevölkerung liegt nach offiziellem Durchschnitt bei über 30% (in abgelegenen Gebieten bei 40%) und sinkt nur langsam. Bei Frauen und Mädchen liegt die Quote real noch deutlich höher (AA 14.2.2018).

Auf dem Land stellt Kinderarbeit weiterhin ein großes Problem dar. Nach aktuellen Zahlen der nationalen Planungsbehörde sind insg. 193.000 Kinder zwischen 7 und 17 Jahren betroffen, viele davon arbeiten in Privathaushalten unter teilweise unwürdigen Bedingungen als Hausangestellte.

7-Tage-Woche, unterdurchschnittliche bis ausbleibende Bezahlung sowie Gewalt und Missbrauch sind keine Einzelfälle. Im August 2016 wurde ein Gesetz zum Schutz der "Petites Bonnes" verabschiedet, das im August 2017 in Kraft getreten ist. Dem neuen Gesetz nach beträgt das Mindestalter für Haushaltshilfen dann 16 Jahre. Nach einer fünfjährigen Übergangsperiode soll das Mindestalter auf 18 Jahre angehoben werden. Zudem wurde die maximale Wochenarbeitszeit festgelegt. Das neue Gesetz verlangt auch schriftliche Arbeitsverträge, sieht 24 Stunden Freizeit pro Woche vor, legt einen Mindestlohn fest und sieht Strafen bei Zuwiderhandlungen der Arbeitgeber vor. HRW hat das Gesetz in einer ersten Stellungnahme als "revolutionär" für die MENA-Region bezeichnet, aber zugleich kritisiert, dass der Mindestlohn 40% unter dem allgemeinen Mindestlohn liege (AA 14.2.2018).

Weiterhin kommt es zur Verheiratung von Minderjährigen. Seit der Reform des Familienrechts im Jahr 2004 dürfen Eheschließungen 15- bis 18-Jähriger nur vom Gericht und nur in besonders begründeten Fällen zugelassen werden. Seither ist die Zahl der registrierten Eheschließungen minderjähriger Mädchen um ca. 90% gestiegen (AA 14.2.2018). Die Justiz bewilligte jedoch den Großteil der Heiraten unter dem gesetzlichen Heiratsalter (USDOS 20.4.2018). Dieser starke Anstieg kann teilweise auch auf ein Sinken der Dunkelziffer zuvor nicht registrierter Ehen zurückgeführt werden. Im Jahr 2016 wurden ca. 40.000 Ehen unter Beteiligung Minderjähriger geschlossen (AA 14.2.2018).

Missbrauch von Kindern und Kinderprostitution ist ein verbreitetes Problem (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Statistiken hierzu sind nicht erhältlich. In der Mehrzahl der Fälle von Kinderprostitution handelt es sich um Kinder aus ländlichen Gegenden, die zum Geldverdienen in Städte wie Casablanca, Tanger, Marrakech, Agadir, Meknès und Fès geschickt werden. Das Strafgesetz sieht eine Strafe für die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen vor. Strafverschärfende Maßnahmen gelten bei minderjährigen Opfern (Art 497, 498 Strafgesetzbuch) (AA 1

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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