TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/21 W111 2164420-1

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Veröffentlicht am 21.05.2019
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Entscheidungsdatum

21.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W111 2164420-1/5E

W111 2164408-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation und gesetzlich vertreten durch XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch die XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2017, Zln. 1.) 1048978803-140318413,

2.) 1110329203-160474711, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8, 57 AsylG 2005 idgF und § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien sind die in den Jahren XXXX und XXXX im Bundesgebiet geborenen minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers zu Zl. W111 1420040-2 und der Beschwerdeführerin zu Zl. W111 2164417-1. Sie sind, ebenso wie ihre - zum Zeitpunkt der Geburt der Kinder im Bundesgebiet asylberechtigt gewesenen - Eltern, Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit.

Für den minderjährigen Erstbeschwerdeführer wurde durch seine gesetzliche Vertreterin am 23.12.2014 schriftlich ein "Antrag auf Familienverfahren" gestellt, in welchem angeführt wurde, dass der Genannte keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen aufweise.

Für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin wurde durch ihre gesetzliche Vertreterin mit schriftlicher Eingabe vom 29.03.2016 die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten beantragt.

In Bezug auf die Antragsgründe ihrer beiden minderjährigen Kinder gab die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Genannten anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 16.05.2017 an, keine eigenen Fluchtgründe in Bezug auf die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien geltend zu machen. Wenn die Kinder im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation irgendwelche Schwierigkeiten bekommen würden, würde dies wegen ihres Mannes und ihrer eigenen Verurteilung (Anm.: wegen § 278 StGB) sein.

Der Vater der beschwerdeführenden Parteien gab anlässlich seiner ebenfalls am 16.05.2017 abgehaltenen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, seine Kinder hätten keine eigenen Gründe, diese seien in Österreich geboren. Wenn für seine Kinder im Fall einer Rückkehr Probleme bestehen würden, dann nur aufgrund seiner eigenen Probleme.

2. In Bezug auf die Eltern der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien wurde mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2017 jeweils ausgesprochen, dass der ihnen vormals zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF aberkannt werde und diesen gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchteil I.). In Spruchteil II. wurde den Eltern der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Eltern der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG für unzulässig erklärt. In Spruchteil III. wurde den Eltern der beschwerdeführenden Parteien ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

3. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden jeweils vom 30.05.2017 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.) und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG wurde ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig sei (Spruchpunkte III.).

In seiner Entscheidungsbegründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jeweils die Identität und Familienzugehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien fest und legte den Entscheidungen umfassende Länderfeststellungen zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation zugrunde. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien würden jeweils an keinen schwerwiegenden psychischen oder physischen Erkrankungen leiden. Durch ihre Eltern und gesetzliche Vertreter seien keine eigenen Fluchtgründe für diese geltend gemacht worden, weshalb sich auch keine Gefährdung durch staatliche Organe oder Private ergebe. Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände könne nicht festgestellt werden, dass diese im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation Gefahr liefen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Die beschwerdeführenden Parteien seien noch Kinder, welche sich in Obhut ihrer Mutter befinden würden. Die erkennende Behörde ginge davon aus, dass diese nach Rückkehr wieder im Haushalt ihrer Mutter/ihrer Eltern leben könnten und auch auf Hilfe von Verwandten zurückgreifen könnten, sodass nicht von einem Entzug der Lebensgrundlage ausgegangen werden könne. In der Russischen Föderation bestünde auch keine exzeptionelle Gefährdungslage, die praktisch jeden treffen könnte. Auch eine Zuerkennung eines Status im Rahmen des Familienverfahrens komme - angesichts der Aberkennung des Status der Eltern mit Bescheiden vom heutigen Datum - nicht in Betracht. Im Verfahren hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, welche die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG rechtfertigen würden. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien würden keine Integrationsverfestigung im Bundesgebiet aufweisen, weshalb eine Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer unzulässig wäre. Die vorübergehende Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung ergebe sich aus dem Umstand, dass gegenwärtig keine Rückkehrentscheidung in Bezug auf ihre Eltern vorliege, weshalb zur Wahrung der Familieneinheit eine Rückkehrentscheidung auch in Bezug auf die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien gegenwärtig nicht zulässig sei. Komme eine vom Bundesamt im Rahmen der Staatendokumentation erstellte Analyse zum Ergebnis, dass es im Herkunftsstaat zu einer wesentlichen, dauerhaften Änderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich wären, gekommen sei, werde die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bezüglich ihrer Eltern und auch hinsichtlich der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien unter Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen gemäß Art. 8 EMRK neu geprüft werden.

4. Gegen die oben angeführten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher begründend zusammengefasst ausgeführt wurde, dass die Behörde die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren verletzt hätte, da den niederschriftlichen Angaben der Eltern der beschwerdeführenden Parteien zu entnehmen sei, dass diese die eigentliche Bedeutung der Frage nach eigenen Fluchtgründen ihrer Kinder nicht verstanden hätten. Da das BFA erkannt hätte, dass eine Rückkehr der Eltern auf Grund bestehender Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK in der Russischen Föderation nicht zulässig sei, sei nicht nachzuvollziehen, dass die Behörde im Fall der beschwerdeführenden Parteien eine maßgebliche Gefährdungslage im Fall einer Rückkehr nicht habe erkennen können. Dem Umstand Rechnung tragend, dass die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien in der Russischen Föderation wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe ihrer Eltern verfolgt würden, lasse für diese die Definition von Flüchtlingen im Sinne der GFK zutreffen. Es sei zu befürchten, dass auch den beschwerdeführenden Parteien selbst eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Fall einer Abschiebung in die Russische Föderation drohe, weshalb sich eine solche als unzulässig darstelle. Auch in Bezug auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erweise sich das behördliche Ermittlungsverfahren als mangelhaft, da es die Behörde unterlassen hätte, Ermittlungen zum bestehenden Familienleben der beschwerdeführenden Parteien in Österreich im Vergleich zur nicht existenten Lebensgrundlage in der Russischen Föderation zu tätigen. Zudem hätte die belangte Behörde jedenfalls eine Prüfung des Kindeswohls durchführen müssen, in deren Rahmen insbesondere eine adäquate Unterbringung der Kinder nach einer Rückkehr hätte sichergestellt werden müssen.

5. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 07.04.2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Mit Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Datum wurden die in den Verfahren der Eltern der beschwerdeführenden Parteien gegen die Bescheide über die Aberkennung des Status der Asylberechtigten eingebrachten Beschwerden als unbegründet abgewiesen. Das Beschwerdeverfahren über die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 8 Abs. 3a AsylG wurde infolge einer mit Eingabe vom 08.10.2018 insoweit erfolgten Zurückziehung der Beschwerden eingestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien sind die in den Jahren XXXX und XXXX im Bundesgebiet geborenen minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers zu Zl. W111 1420040-2 und der Beschwerdeführerin zu Zl. W111 2164417-1, sie sind ebenso wie ihre - zum Zeitpunkt der Geburt der Kinder im Bundesgebiet asylberechtigt gewesenen - Eltern Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit.

In Bezug auf die Eltern der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien wurde mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2017 jeweils ausgesprochen, dass der ihnen vormals zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF aberkannt werde und diesen gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchteil I.). In Spruchteil II. wurde den Eltern der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Absatz 2 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Eltern der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG für unzulässig erklärt. In Spruchteil III. wurde den Eltern der beschwerdeführenden Parteien ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Mit Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Datum wurden die in den Verfahren der Eltern der beschwerdeführenden Parteien gegen die Bescheide über die Aberkennung des Status der Asylberechtigten eingebrachten Beschwerden als unbegründet abgewiesen. Das Beschwerdeverfahren über die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß § 8 Abs. 3a AsylG wurde infolge einer mit Eingabe vom 08.10.2018 insoweit erfolgten Zurückziehung der Beschwerden eingestellt.

Die Eltern der beschwerdeführenden Parteien halten sich demnach nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, ihr Aufenthalt ist geduldet.

Nicht festgestellt werden kann, dass die in Österreich geborenen minderjährigen beschwerdeführenden Parteien nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätten oder dass diesen eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die gesetzlichen Vertreter der beschwerdeführenden Parteien haben nicht glaubhaft gemacht, dass der vierjährige Erstbeschwerdeführer und die dreijährige Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation befürchten müssten, Verfolgung durch staatliche Behörden zu erleiden, in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer sonstigen Verfolgung oder einer Verletzung ihrer Rechte auf Leben, nicht unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu werden.

Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien leiden an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde. Eine Rückkehr würde nur gemeinsam mit einem Elternteil erfolgen, sodass auch kein Risiko besteht, dass die Minderjährigen im Fall einer Rückkehr auf sich alleine gestellt wären und daher Gefahr liefen, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien leben im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter, deren Aufenthalt infolge Aberkennung des Status der Asylberechtigten geduldet ist. Der Vater der beschwerdeführenden Parteien befindet sich derzeit in Justizhaft. Aufgrund ihres Lebensalters verfügen die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien außerhalb ihrer Kernfamilie noch über keine maßgeblichen Bindungen sozialer oder wirtschaftlicher Natur. Eine Integrationsverfestigung/Verwurzelung im Bundesgebiet liegt angesichts ihres Lebensalters ebenfalls noch nicht vor.

1.2. Hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Situation in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte Folgendes festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

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FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 15.5.2017

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Mena Watch (10.5.2017): Russland setzt auf sunnitische Soldaten in Syrien,

http://www.mena-watch.com/russland-setzt-auf-sunnitische-soldaten-in-syrien/, Zugriff 15.5.2017

Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Kaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Kaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Kaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4000 Russen und 5000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2000 Banditen" aus Russland, unter ihnen "17 Feldkommandeure" getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Quellen:

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Standard (25.4.2017): Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich,

https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec, Zugriff 27.4.2017

-

FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 27.4.2017

Am 1. April veröffentlichte die unabhängige und kremlkritische Zeitung Nowaja Gazeta einen Bericht darüber, dass in der russischen Teilrepublik Tschetschenien mehr als hundert Männer festgenommen worden seien. Viele davon seien misshandelt worden, der Zeitung seien außerdem die Namen von drei Todesopfern bekannt. Der Grund für die landesweiten Festnahmen sei die "nicht-traditionelle sexuelle Orientierung" der Männer gewesen: ihre Homosexualität oder einfach der bloße Verdacht, sie seien homosexuell. Die Massenfestnahmen seien auf einen Befehl zur "prophylaktischen Säuberung" zurückzuführen, meint Elena Milashina, Investigativ-Reporterin der Nowaja Gazeta. Sie betont, dass in Tschetschenien generell eine feindliche, geradezu aggressive Haltung gegenüber Homosexuellen herrsche, das offene Bekenntnis käme einem "Todesurteil" gleich. Alwi Karimow, Sprecher des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, bezeichnete den Artikel als "Lüge" und "Desinformation". Er meinte, dass man keine Leute verhaften oder unterdrücken könne, die es in der Republik gar nicht gäbe. Jekaterina Sokirjanskaja von der NGO International Crisis Group, aber auch andere internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch machten darauf aufmerksam, dass sich in Tschetschenien nur dann etwas ändere, wenn Moskau ein Machtwort spreche, Aufklärung fordere und zugleich den Informanten Schutz gewähre (Dekoder 10.4.2017). Nach den Vorwürfen hat der Kreml Republikchef Ramsan Kadyrow den Rücken gestärkt. Es gäbe keine konkreten Beweise für diese Anschuldigungen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Hinweise der Nowaja Gazeta, ihre Reporter bekämen Drohungen aus Tschetschenien, sah Peskow als unbegründet an. Kadyrow habe versichert, dass es keine Gefahr für Journalisten gebe (Standard 20.4.2017).

Quellen:

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Dekoder (10.4.2017): "So eine Hetzjagd auf Schwule gab es noch nie",

http://www.dekoder.org/de/article/lgbt-homosexuelle-tschetschenien-verhaftungen-folter, Zugriff 28.4.2017

-

Standard (20.4.2017): Putin stärkt Tschetschenien-Chef Kadyrow den Rücken,

https://derstandard.at/2000056267187/Putin-staerkt-Tschetschenien-Chef-Kadyrow-den-Ruecken?ref=rec, Zugriff 28.4.2017

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Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 "eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt". Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

Quellen:

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Zeit Online (24.3.2017): IS bekennt sich zu Anschlag auf russischen Stützpunkt in Tschetschenien, http://www.zeit.de/news/2017-03/24/russland-is-bekennt-sich-zu-anschlag-auf-russischen-stuetzpunkt-in-tschetschenien-24162602, Zugriff 27.3.2017

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Focus Online (24.3.2017): Sechs Rebellen und sechs Soldaten bei Anschlag getötet,

http://www.focus.de/politik/ausland/in-tschetschenien-sechs-rebellen-und-sechs-soldaten-bei-anschlag-getoetet_id_6830787.html, Zugriff 27.3.2017

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Bei der Parlamentswahl (Duma) am 18.9.2016 konnte die Regierungspartei Einiges Russland eine Dreiviertelmehrheit auf sich vereinen. Knapp über 54 Prozent der Wählerstimmen konnte die Partei Einiges Russland auf sich vereinigen, die absolute Mehrheit schlägt sich jedoch noch stärker bei der Sitzverteilung im Unterhaus der Föderalen Versammlung nieder. Durch ein Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht ziehen insgesamt 343 Abgeordnete - mehr als je zuvor - für Einiges Russland in die Staatsduma ein: 140 Abgeordnete über die Parteiliste und zusätzliche 203 über Direktmandate. Von den verbleibenden 107 Sitzen gingen 42 Mandate an die Kommunistische Partei (KPRF), 39 Mandate an die nationalistische Liberal-Demokratische Partei (LDPR) und 23 Mandate an die Partei Gerechtes Russland. Keine andere Partei schaffte es, über die Fünf-Prozent-Einzugshürde zu kommen. Durch Direktmandate ziehen außerdem ein Kandidat der rechtspopulistischen Partei "Rodina" (Heimat), ein Kandidat der Partei "Graschdanskaja Platforma" (Bürgerplattform) und der einzige unabhängige Kandidat, Waldislaw Resnik, in die Staatsduma ein. Letzterer wird aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Regierungspartei Einiges Russland von zahlreichen kritischen Medien de facto zu den Mandaten von Einiges Russland hinzugerechnet (Standard 20.9.2016).

In der neuen Duma werden somit vier Parteien vertreten sein: Einiges Russland mit der Mehrheit der Sitze sowie die systemische Opposition bestehend aus der Kommunistischen Partei, der LDPR und Gerechtes Russland. Unter systemischer Opposition sind die Parteien gemeint, die in der Duma vertreten sind, mehrheitlich mit der Regierungspartei stimmen, ihre Politik eng mit dem Kreml abstimmen und damit keine reale Opposition darstellen. Damit hat Einiges Russland gegenüber 2011 sogar noch einmal zugelegt. Die echte

Opposition ist dagegen chancenlos geblieben: Einerseits wurde ihre Führung und insbesondere der ursprünglich gemeinsame Kandidat Michail Kasjanow im Vorfeld diskreditiert. Anderseits sind die Führer der Opposition so stark zerstritten, dass mehrere Parteien angetreten sind und sich gegenseitig die wenigen Stimmen abgenommen haben. Die liberalen Parteien Jabloko und Parnas sind nicht annähernd an die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Neben der Diskreditierung von Kandidaten dieser Parteien fehlte ihnen auch der Kontakt zur Bevölkerung. Die Kompromisslosigkeit ihres Führungspersonals sowie das Fehlen neuer, unverbrauchter Persönlichkeiten bestätigen nur die tiefe Krise und Irrelevanz der nicht-systemischen Opposition. Die niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent im Landesdurchschnitt und unter 30 Prozent in Moskau und Sankt Petersburg zeigt, wie wenig die Parteien Wähler motivieren konnten, und schwächt die Legitimität der zukünftigen Duma. Das war letztlich von der politischen Führung in Kauf genommen worden, um die Wahl unter Kontrolle zu haben. Eine Mehrheit für Einiges Russland in der Duma ist letztlich zweitrangig, da mit der systemischen Opposition ausschließlich Parteien im Parlament vertreten sind, die alle vom Kreml initiierten Gesetzesprojekte durchbringen können (Zeitonline 19.9.2016).

Quellen:

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Der Standard (20.9.2016): Russland: Was die Dreiviertelmehrheit der Kremlpartei bedeutet,

http://derstandard.at/2000044645415/Was-die-Dreiviertelmehrheit-der-Kremlpartei-fuer-Russland-bedeutet, Zugriff 21.9.2016

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Zeitonline (19.9.2016): Duma-Wahl in Russland. Putins Test, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/duma-wahl-russland-parlament-wladimir-putin-praesident/komplettansicht, Zugriff 21.9.2016

2. Politische Lage

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2.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. Insbesondere die tschetschenischen Sicherheitskräfte, die offiziell zwar dem russischen Innenministerium unterstellt sind, de facto jedoch von Kadyrov kontrolliert werden, agieren ohne föderale Aufsicht. So blockieren tschetschenische Sicherheitskräfte seit Monaten die Untersuchungen der föderalen Behörden im Fall des im Februar 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov, dessen Drahtzieher in Tschetschenien vermutet werden. Im April 2015 - nachdem Polizisten aus der benachbarten Region Stawropol eine Operation in Grozny durchgeführt hatten - forderte Kadyrov seine Sicherheitsorgane auf, auf Polizisten anderer Regionen zu schießen, sollten diese ohne Genehmigung in Tschetschenien operieren. Gegen Extremisten, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Auch die Familien von Terrorverdächtigen werden häufig Repressionen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Dagestan und Inguschetien wurden keine "soft power"-Ansätze wie die Gründung von Kommissionen zur Rehabilitierung ehemaliger Extremisten verfolgt. Das tschetschenische Parlament hat Anfang 2015 der Staatsduma vorgeschlagen, ein föderales Gesetz anzunehmen, das eine strafrechtliche Verantwortung für Angehörige von Terroristen vorsieht, wenn sie diese in ihren Aktivitäten unterstützten. Dass die von Kadyrov herbeigeführte Stabilität trügerisch ist, belegte der Terrorangriff auf Grosny im Dezember 2014, bei dem fast ein Dutzend Personen ums Leben kam (ÖB Moskau 10.2015). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung (AA 5.1.2016).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, vgl. Ria Novosti 5.12.2012, ICG 6.9.2013).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:

The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 7.4.2015

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ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 7.4.2016

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Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 7.4.2016

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 7.4.2016

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Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 7.4.2016

3. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 1.6.2016b).

Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das "Kaukasus-Emirat", das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien - so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).

Seit Ende 2014 mehren sich Meldungen über Risse im bewaffneten Untergrund und Streitigkeiten in der damaligen Führung des Emirats, die vor allem mit der Beteiligung nordkaukasischer Kämpfer am Jihad des IS in Syrien zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Feldkommandeuren (Emiren) aus Dagestan, Tschetschenien und anderen Teilen des Nordkaukasus haben IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi den Treueid geschworen (SWP 4.2015). Nach Dokku Umarows Tod 2013 wurde Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] zum Anführer des Kaukasus Emirates. Dieser ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte im Frühling 2015 getötet worden (Zeit Online 20.4.2015). Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) wurde zum Nachfolger (Open Democracy 29.6.2015). Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) (Jamestown 14.8.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Der russische Generalstaatsanwalt erklärte im November 2015, dass 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet wurden. Laut Chef des FSB (Inlandsgeheimdienst) sind davon 1.000 Personen betroffen. Zusätzlich wurden 770 Aufständische und ihre Komplizen inhaftiert und 156 Kämpfer wurden im Nordkaukasus 2015 getötet, einschließlich 20 von 26 Anführern, die dem IS die Treue geschworen hatten. Mehr als 150 Rückkehrer aus Syrien und dem Irak wurden zu Haftstrafen verurteilt. 270 Fälle wurden eröffnet, um vermeintliche Terrorfinanzierung zu untersuchen; 40 Rekrutierer sollen allein in Dagestan verhaftet und verurteilt worden sein. Vermeintliche Rekrutierer wurden verhaftet, da sie Berichten zufolge junge Personen aus angesehenen Familien in Tschetschenien, aber auch aus Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, der Stavropol Region und der Krasnodar Region für den IS gewinnen wollten (ICG 14.3.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.6.2016b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 1.6.2016

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 1.6.2016

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Jamestown Foundation (14.8.2015): After Loss of Three Senior Commanders, Is the Caucasus Emirate on the Ropes? Eurasia Daily Monitor Volume 12, Issue 154,

http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=44288&tx_ttnews%5BbackPid%5D=27&cHash=e1581c2f53e999f26a5cc0261f489d38, Zugriff 1.6.2016

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Open Democracy (29.6.2015): Is this the end of the Caucasus Emirate?,

https://www.opendemocracy.net/regis-gente/is-this-end-of-caucasus-emirate, Zugriff 1.6.2016

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 1.6.2016

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 1.6.2016

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Zeit Online (20.4.2015): Islamistischer Rebellenführer Kebekow im Nordkaukasus getötet,

http://www.zeit.de/news/2015-04/20/russland-islamistischer-rebellenfuehrer-kebekow-im-nordkaukasus-getoetet-20222007, Zugriff 1.6.2016

3.1. Nordkaukasus allgemein

Die patriotische Begeisterung, mit der in Russland die Annexion der Krim einherging, rückte die Sicherheitslage im Nordkaukasus in ein trügerisch positives Licht. Dieser Landesteil ragt in der nachsowjetischen Periode aus dem regionalen Gefüge der Russischen Föderation wie kein anderer hervor, bedingt durch die zwei Kriege in Tschetschenien, anhaltende Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und einem bewaffneten islamistischen Untergrund in weiteren Teilen der Region sowie mannigfache sozial-ökonomische Probleme. Bis vor kurzem rangierte der Nordkaukasus in der Gewaltbilanz des gesamten post-sowjetischen Raumes an oberster Stelle, fielen den bewaffneten Auseinandersetzungen doch jährlich mehrere Hundert Menschen zum Opfer - Zivilisten, Sicherheitskräfte und Untergrundkämpfer. 2014 wurde der Nordkaukasus in dieser Hinsicht von der Ostukraine überholt. Zugleich stufen auswärtige Analysen die Sicherheitslage im Nordkaukasus aber weiterhin mit ‚permanent low level insurgency' ein. Im Unterschied zum Südkaukasus mit seinen drei unabhängigen Staaten (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) haben externe Akteure und internationale Organisationen kaum Zugang zum Nordkaukasus, dessen Entwicklung als innere Angelegenheit Russlands gilt (SWP 4.2015).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).

Während sich die Situation im westlichen Nordkaukasus in den letzten Jahren stabilisiert hat, gibt es immer wieder Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Tschetschenien, Kabardino-Balkarien und Inguschetien kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin mit Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter, wobei manche Repressalien - etwa gegen Angehörige angeblicher Islamisten, wie z.B. die Zerstörung ihrer Wohnhäuser - zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen und damit die Sicherheitslage weiter eskalieren lassen könnten.

Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet werden und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit herrsche (AA 5.1.2016).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Ober

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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